TE OGH 1988/4/26 5Ob540/88

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Veröffentlicht am 26.04.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Marold als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Jensik, Dr. Zehetner, Dr. Klinger und Dr. Schwarz als Richter in der Vormundschaftssache der am 19. April 1972 geborenen mj. Romana E***, infolge Revisionsrekurses der mütterlichen Großmutter Adele E***, Dreyhausgasse 8-10/2/11, 1150 Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 10. März 1988, GZ 47 R 153/88-91, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Döbling vom 3. Februar 1988, GZ 3 P 73/85-84, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Die unehelich geborene mj. Romana E*** wurde von ihrer Mutter im gemeinsamen Haushalt mit der mütterlichen Großmutter, Adele E***, aufgezogen. Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 20. Februar 1978 (ON 19 dA) wurde die Mutter der Minderjährigen zu deren Vormünderin bestellt. Seit Herbst 1986 wohnt die mütterliche Großmutter mit einem Sohn in einer anderen Wohnung. Die Minderjährige bekam Schulschwierigkeiten und mußte wegen zahlreicher Fehlstunden eine Ausbildung in der HTL abbrechen; nach einem vorübergehenden Besuch im Polytechnischen Lehrgang bestand sie die Aufnahmsprüfung für die Höhere graphische Bundeslehr- und Versuchsanstalt in Wien 14; da sie auch dort die Schule schwänzte, sah sich die Schulleitung veranlaßt, am 27. Oktober 1987 die Mutter von den übermäßigen Fehlstunden zu verständigen. Als Reaktion auf dieses Schreiben kam es zu einer massiven Auseinandersetzung zwischen Mutter und Tochter, wobei die Mutter der Minderjährigen verbot, mit ihrer Freundin eislaufen zu gehen, bzw. ihre Freundin zu treffen. Als Folge dieser Auseinandersetzung verließ die Minderjährige die Wohnung ihrer Mutter und übersiedelte Ende Oktober 1987 zu ihrer Großmutter. Diese meldete die Minderjährige von der Schule ab; derzeit steht die Minderjährige im Kontakt mit dem Arbeitsamt (Berufsberatung).

Die Minderjährige sprach sich vor dem Erstgericht vehement gegen eine Rückkehr zu ihrer Mutter aus und verwies darauf, daß sie sich mit ihrem Stiefvater nicht vertrage.

Am 30. Oktober 1987 beantragte die mütterliche Großmutter die Übertragung der Vormundschaft an sie. Die Mutter der Minderjährigen sprach sich dagegen aus.

Das Jugendamt berichtete in seiner Stellungnahme ON 79, daß die Minderjährige viel Zeit bei ihrem arbeitslosen Onkel verbringe, der vermutlich keinen besonders günstigen Einfluß auf das Mädchen habe. Die Minderjährige habe sich nach dem Auszug der Großmutter zu Hause nicht mehr verstanden gefühlt, trotz positiv erlebter Momente in der Mutter-Tochter-Beziehung (zum Beispiel gemeinsamer Bäderbesuch, gemeinsamer Besuch eines Aerobic-Kurses) habe sich die Minderjährige von ihrer Mutter und dem Stiefvater immer weniger akzeptiert erachtet. Es erscheine nicht sinnvoll, ein 15-jähriges Mädchen gegen ihren Willen zu einem Zusammenleben mit ihren Eltern zu zwingen, die sie subjektiv als lieblos und ablehnend erlebe.

Das Erstgericht bestellte hierauf mit Beschluß vom 3. Februar 1988 (ON 84 dA) die mütterliche Großmutter zum Vormund. Es erscheine nicht sinnvoll, die Vormundschaft gegen den ausdrücklich erklärten Willen der Minderjährigen weiterhin bei der Mutter zu belassen. Ein fruchtbares Zusammenleben zwischen Mutter und Tochter in einem Haushalt erscheine derzeit unmöglich. Es sei der Mutter auch nicht möglich gewesen, auf die Minderjährige einzuwirken, daß diese die Schule besuche. Die Großmutter sei nicht als ungeeignet anzusehen, die Vormundschaft zu übernehmen. Das Gericht zweiter Instanz gab dem von der Mutter der Minderjährigen gegen diesen Beschluß erhobenen Rekurs Folge und änderte den erstgerichtlichen Beschluß dahin ab, daß es den Antrag der mütterlichen Großmutter, ihr die Vormundschaft zu übertragen, abwies. Bei der rechtlichen Beurteilung des vorliegenden Sachverhaltes ging das Rekursgericht davon aus, daß gemäß § 176 ABGB das Gericht alle oder einzelne aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und mj. Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten entziehen könne, wenn die Eltern durch ihr Verhalten das Wohl des mj. Kindes gefährdeten. Eine Gefährdung des Kindeswohles setze nicht geradezu einen Mißbrauch der elterlichen Befugnisse voraus, es genüge, daß die elterlichen Pflichten objektiv nicht erfüllt oder subjektiv gröblich vernachlässigt worden seien oder die Eltern durch ihr Gesamtverhalten das Wohl des Kindes gefährdeten (SZ 53/142). Maßnahmen nach § 176 ABGB seien aber nicht schon dann gerechtfertigt, wenn die Erziehung bei einer dritten Person besser wäre als die an sich ordnungsgemäße Erziehung bei den Eltern (EFSlg 33.605). Im gegenständlichen Fall könne keine Rede davon sein, daß die Mutter durch ihr Verhalten das Wohl des Kindes gefährde. Es sei zwar richtig, daß die Mutter nicht imstande gewesen sei, die Ausbildung der Minderjährigen in geordnete Bahnen zu lenken, doch sei ihr diese Aufgabe dadurch erschwert worden, daß die Minderjährige ihr vorgespielt habe, sie gehe in die Schule, während sie in Wahrheit die Schule geschwänzt habe. Als aber die Mutter durch ein Schreiben der Schule vom wahren Sachverhalt informiert worden sei, sei die Minderjährige nicht bereit gewesen, ihr Verhalten zu ändern, sie sei vielmehr zur Großmutter geflüchtet. Diese habe sich aber zur Erziehung überhaupt ungeeignet erwiesen, indem sie es nämlich zugelassen habe, daß die Minderjährige ihre schulische Ausbildung nunmehr endgültig abbrach. Der Wille einer nahezu 16 Jahre alten Minderjährigen solle zwar grundsätzlich nicht unbeachtet bleiben, doch sei im konkreten Fall der Wunsch des Kindes offensichtlich gegen seine eigenen Interessen gerichtet (EFSlg 48.417). Eine Entscheidung, die sich gegen das Wohl des Minderjährigen richte, könne nicht damit gerechtfertigt werden, der Minderjährige habe sich eindeutig gegen die seinem objektiven Wohl entsprechende Maßnahme ausgesprochen. Andernfalls wäre es überhaupt in das Belieben des Minderjährigen gestellt, zu tun, was er für richtig hielte. Es werde nicht verkannt, daß Zwangsmaßnahmen allein nicht sinnvoll seien, es müsse auch bei einer Rückführung von Minderjährigen im Sinne des § 146 b ABGB das Wohl des Kindes im Zeitpunkt des Vollzuges im Auge behalten werden (EFSlg 35.864), doch bestehe keine Veranlassung, der Mutter das Recht und die Pflicht zu entziehen, die Minderjährige zu pflegen, zu erziehen, ihr Vermögen zu verwalten und sie zu vertreten. Die Bestellung eines Vormundes setze aber gemäß § 187 ABGB voraus, daß nicht wenigstens einem ehelichen Elternteil die beschränkte gesetzliche Vertretung zustehe.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Beschluß des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich der Revisionsrekurs der mütterlichen Großmutter, der zulässig, aber nicht berechtigt ist.

Die Revisionsrekurswerberin macht in ihrem Rechtsmittel geltend, daß der von den Vorinstanzen festgestellte Sachverhalt nicht den Tatsachen entspräche. Ihr Sohn lebe wohl im selben Haus wie sie, aber in einer anderen Wohnung. Es treffe sie auch kein Verschulden daran, daß die Minderjährige nicht mehr die Schule besuche. Wegen der vielen Fehlstunden habe der Minderjährigen ein Disziplinarverfahren gedroht, weshalb ihr letztlich nichts anderes übrig geblieben sei, als die Minderjährige vom Schulbesuch abzumelden, wozu ihr auch von der Direktion der Schule geraten worden sei. Unrichtig sei auch, daß sie zur Erziehung der Minderjährigen ungeeignet wäre; das Benehmen der Minderjährigen gehe vielmehr auf ein Verhalten zurück, das deren Mutter zu einer Zeit gesetzt habe, zu der die Minderjährige noch nicht bei ihr, Großmutter, gewohnt habe. Es treffe auch nicht zu, daß es ins Belieben der Minderjährigen gestellt werde, zu tun, was sie für richtig hielte. Der Entschluß der Minderjährigen, zu ihr, Großmutter, zu kommen, sei kein kurzfristiger Entschluß, sondern darauf zurückzuführen gewesen, daß es zu Hause nicht mehr gegangen sei.

Vorerst ist festzuhalten, daß der Mutter der Minderjährigen gemäß § 170 ABGB allein das Recht auf Pflege und Erziehung ihres unehelichen Kindes zusteht (Koziol-Welser7 II 237; Gschnitzer, Familienrecht2 134; Pichler in Rummel, ABGB, Rz 1 zu § 170) und dieses Recht ihr nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 176 ABGB entzogen werden kann (EFSlg 43.316, 45.836 ua). Das der Mutter zustehende Recht zur Pflege und Erziehung der Minderjährigen wird durch die hier strittige Frage, ob die Mutter Vormund bleiben oder die mütterliche Großmutter zum Vormund bestellt werden soll, nicht unmittelbar berührt. Nach § 198 ABGB hat in erster Linie die uneheliche Mutter, wenn sie geeignet ist und ihr die Pflege und Erziehung zusteht, Anspruch auf Bestellung zum Vormund (Gschnitzer, aaO 143; Koziol-Welser, aaO, 247; Pichler, aaO, Rz 5 und 6 zu §§ 196 bis 199; EvBl 1978/180; JBl 1981, 434 ua). Eine Entlassung des Vormundes eines unehelichen Kindes kommt - von hier nicht in Frage kommenden Fällen abgesehen - nur aus wichtigen Gründen zur Wahrung des Wohles des Minderjährigen in Frage, wenn der Vormund sich etwa bei der Verwaltung pflichtwidrig verhält oder dazu als unfähig erweist (§ 254 ABGB).

Nach der von den Vorinstanzen bindend festgestellten Sachverhaltsgrundlage kann aber nicht gesagt werden, daß die Annahme des Vorliegens solcher für die Entlassung des Vormundes notwendiger wichtiger Gründe bei der Mutter der Minderjährigen gerechtfertigt wäre, und zwar auch nicht bei Berücksichtigung der beiderseitigen - im übrigen nicht näher festgestellten - Vorwürfe, zumal die Mutter der Minderjährigen doch die Absicht verfolgt, dieser eine weitere schulische und berufliche Ausbildung zu ermöglichen. Die Ausführungen der Revisionsrekurswerberin, die darauf hinauslaufen, darzutun, daß sie ohnedies zur Erziehung der Minderjährigen geeignet wäre, gehen daher am Kern der hier zu lösenden Rechtsfrage vorbei. Unter den gegebenen Umständen ist es somit nicht gerechtfertigt, der Mutter der Minderjährigen die Vormundschaft zu entziehen. Dazu kommt aber noch, daß bei Nichteignung der Mutter eines unehelichen Kindes grundsätzlich wieder die Amtsvormundschaft einzutreten hätte und ein Dritter, etwa die mütterliche Großmutter nur dann bestellt werden dürfte, wenn die Abwägung zwischen Amtsvormundschaft und dem Dritten so ausfällt, daß die Bestellung des Dritten zum Vormund dem Wohl des Kindes noch besser entspräche (vgl. Pichler, aaO, Rz 6 zu § 196 bis 199; EvBl 1978/180).

Die Entscheidung des Rekursgerichtes entspricht daher der Sach- und Rechtslage. Dem Revisionsrekurs konnte somit kein Erfolg beschieden sein.

Anmerkung

E14189

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0050OB00540.88.0426.000

Dokumentnummer

JJT_19880426_OGH0002_0050OB00540_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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