TE OGH 1988/4/28 7Ob519/88

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Veröffentlicht am 28.04.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*** H***, vertreten durch Dr. Ernst Blanke, Rechtsanwalt in Hallein, wider die beklagten Parteien

1.) Rupert A***, Angstellter, 2.) Anna A***, Hausfrau, beide Dürrnberg, Ramsau-Straße 5, beide vertreten durch Dr. Wolfgang Hochsteger, Rechtsanwalt in Hallein, Nebenintervenient auf Seiten der beklagten Parteien Ö*** S*** AG, Bad Ischl,

Wirerstraße 10, vertreten durch Dr. Johannes Hintermayr, Rechtsanwalt in Linz, wegen Feststellung einer Dienstbarkeit (Streitwert S 30.000,-), infolge Rekurses beider Parteien gegen den Beschluß des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgerichtes vom 5. Oktober 1987, GZ 32 R 162/87-36, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Hallein vom 22. Jänner 1987, GZ 2 C 1/87-31, aufgehoben wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Dem Rekurs der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben.

Dem Rekurs der beklagten Partei wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt:

Das Klagebegehren, der klagenden Partei stehe die Dienstbarkeit des Gehrechtes über das Grundstück 466/11, das derzeit zum Gutsbestand der EZ 227 KG Dürrnberg gehört, gegenüber den jeweiligen Eigentümern dieses Grundstückes als dienendem Grundstück zu, die beklagten Parteien seien schuldig, in die grundbücherliche Einverleibung dieser Dienstbarkeit einzuwilligen, wird abgewiesen. Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 40.580,15 bestimmten Verfahrenskosten aller drei Instanzen (darin enthalten S 2.130,- Barauslagen und S 3.495,45 Umsatzsteuer) und der Nebenintervenientin die mit S 23.269,40 bestimmten Verfahrenskosten (darin enthalten S 352,- Barauslagen und S 2.083,40 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagten sind je zur Hälfte Eigentümer der Liegenschaft EZ 227 KG Dürrnberg mit dem Grundstück 466/11. Die klagende Partei behauptet, durch Ersitzung die Dienstbarkeit des Gehrechtes über das obgenannte Grundstück als Verbindung zwischen der Rumpelgasse und der Hofgasse erworben zu haben, und begehrt die Feststellung der Dienstbarkeit und die Einwilligung der Beklagten zur grundbücherlichen Einverleibung.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Nach seinen Feststellungen führt die Rumpelgasse oberhalb der Liegenschaft der Nachbarn der Beklagten, der Ehegatten W***, in westliche Richtung bergaufwärts. Am rechten Fahrbahnrand der Rumpelgasse befindet sich ein Zaun und daran anschließend stehen Tannen. Von der Rumpelgasse fällt in nördlicher Richtung die Böschung steil ab, und zwar auf eine Länge von ca. 5 m. Daran schließt eine sanft abfallende Wiese an, wobei auf der Wiese nach einigen Metern sichtbar eine Fährte beginnt. Diese hat eine Breite von ungefähr eines Fußes und ist leicht bräunlich gefärbt. Die Fährte führt an der westlichen Hausmauer des Hauses der Ehegatten W*** vorbei. Die hölzerne Leitplanke besteht aus zwei dicken Pfosten und weist eine Höhe von 75 cm auf. Nach 22 Schritten erreicht man einen Betonstreifen. Hiebei handelt es sich um eine Stützmauer zum Grundstück der Beklagten. Die Mauer zwischen dem Grundstück der Beklagten und dem Grundstück der Ehegatten W*** hat eine durchschnittliche Höhe von rund 75 cm, wobei das Grundstück der Beklagten rund 75 cm niedriger liegt als das Grundstück der Ehegatten W***. Auf dem Grundstück der Beklagten befindet sich neben der westlichen Hausmauer ein 80 cm breiter Plattenweg, an den ein rund 58 cm breites Blumenbeet anschließt. An den Plattenweg und das Blumenbeet schließt ein asphaltierter Vorplatz an. Dieser Vorplatz ist von zwei Betonstempen mit einem Gartentor abgeschlossen. Das Grundstück der Beklagten ist an der westlichen und an der südlichen Seite eingemauert. Der Abstand zwischen dem westlichen Ende des Blumenbeetes und der westlichen Mauer beträgt rund 3,6 m. Diese Fläche ist eine Wiese, auf der Bäume gepflanzt sind.

Das Grundstück 466/11 stand seinerzeit im Eigentum der Republik Österreich. Über die aneinandergrenzenden Grundstücke 466/10 und 466/11 führte ein Weg zum Mehltheurstadl, in dem die S*** AG, die die Grundstücke nutzte, die Lagerung von Gruben- und Schnittholz vornahm. Im Jahre 1950 wurde dieser Stadel wegen Baufälligkeit abgetragen. Ab diesem Zeitpunkt wurde der über die Grundstücke 466/10 und 466/11 führende Weg nicht mehr benötigt. Es wurden auch keine Erhaltungsarbeiten mehr durchgeführt. Auch nach der Auflassung des Weges durch die S*** wurde der Weg, wie schon Jahrzehnte zuvor, von Anrainern, einem Teil der Dürrnberger Bevölkerung und auch von Touristen und Wanderern benützt. Das Grundstück 466/11, über das der obgenannte Weg führte, wurde von der Ö*** S*** AG am 1. Juni 1965 an die Beklagten vermietet. Zu diesem Zeitpunkt war der Weg, der eine Abkürzung zwischen der Rumpelgasse und der Hofgasse darstellte, noch eindeutig und für jedermann erkennbar vorhanden. Mit Schreiben vom 22. März 1967 ersuchte die S*** die klagende Partei, dem Erstbeklagten eine Bauplatzerklärung zu erteilen. Schon zuvor war aufgrund eines Ansuchens der S*** um Ausnahmegenehmigung für die Errichtung zweier Wohnhäuser mit Nebengebäuden auf den Grundstücken 466/10 und 466/11 eine Verhandlung bei der klagenden Partei durchgeführt worden. Der einzige Einwand gegen das Ansuchen wurde von Johann H*** namens des Franz K*** vorgebracht, und zwar des Inhalts, daß über die Grundstücke ein Fahrweg zum Zwecke der Holzbringung verlaufe, Franz K*** Servitutsberechtigter sei und der Weg erhalten bleiben müsse. Am 8. Februar 1966 teilte die klagende Partei der Ö*** S*** AG mit, daß das Ansuchen um Ausnahmegenehmigung wegen des noch nicht endgültig festgelegten Projektes betreffend den Ausbau der Hofgasse vorläufig zurückgestellt werde. Die Ö*** S*** AG wurde aufgefordert, sich bezüglich der Frage des Holzbringungsweges zu äußern und teilte dazu mit, daß der Weg seit dem Jahre 1950 weder benötigt noch erhalten werde. Am 17. Februar 1966 wurden durch den Waldausschuß der einforstungsberechtigten Dürrnberger 8 anliegende Berechtigte befragt, die sich alle für die Erhaltung des Winterweges aussprachen. Mit Bescheid der klagenden Partei vom 1. August 1967 wurde das Grundstück 466/11 unter der Voraussetzung der Einhaltung gewisser Bedingungen zum Bauplatz erklärt. Am 16. November 1967 wurde eine Bauverhandlung durchgeführt und am 1. März 1968 die Baubewilligung erteilt. In den Verhandlungsschriften, Korrespondenzen und Bescheiden scheint nirgend auf, daß die klagende Partei die Dienstbarkeit des Gehrechtes auf dem über das Grundstück 466/11 führenden Weg hat. Mit Kaufvertrag vom 2. Juni 1966 hatten die beklagten Parteien das Grundstück von der Republik Österreich gekauft. Mit dem Bau ihres Hauses begannen die Beklagten im Frühjahr 1968. Während des Baues haben sie Baumaterialien auf dem Weg gelagert. Der Weg konnte aber noch immer von verschiedenen Personen begangen werden. Die Beklagten haben das Haus im Jahre 1971 bezogen. Im Jahre 1982 wurde die Rumpelgasse neu trassiert, wodurch sich eine wesentlich steiler abfallende Böschung ergab. Diese Böschung wurde inzwischen mit einer Treppe versehen. Als die Rumpelgasse neu trassiert wurde, errichteten die Beklagten auf ihrem Grundstück zwei Betonsäulen und ein Tor, wodurch das Benützen des Weges unmöglich gemacht wurde. Mit Schreiben vom 22. Dezember 1982 wurden die Beklagten aufgefordert, den früheren Zustand wiederherzustellen.

Nach Auffassung des Erstgerichtes habe die klagende Partei die unregelmäßige Dienstbarkeit des Gehrechtes durch Ersitzung erworben. Den beklagten Parteien sei der Beweis der Freiheitsersitzung nicht gelungen.

Das Berufungsgericht hob das Ersturteil unter Rechtskraftvorbehalt auf und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 15.000,- übersteigt. Das Berufungsgericht teilte die Rechtsansicht des Erstgerichtes über den Erwerb der unregelmäßigen Dienstbarkeit des Gehrechtes durch die klagende Partei und den mangelnden Nachweis einer Freiheitersitzung. Nach der Auffassung des Berufungsgerichtes stehe der klagenden Partei jedoch nur ein räumlich begrenztes Recht zu. In einem solchen Falle müsse der Umfang des einzutragenden Rechtes bestimmt angegeben werden. Sei eine Beschreibung allein nicht möglich, müsse ein Plan vorgelegt werden, aus dem sich Inhalt und Umfang der Dienstbarkeit eindeutig ergebe. Werde ein solcher Plan vorgelegt, sei eine Beschreibung entbehrlich. Im vorliegenden Fall sei der Umfang des Gehrechtes weder durch eine Beschreibung noch durch Vorlage eines Planes bestimmt bezeichnet worden. Nach dem Urteilsantrag würde vielmehr das ganze Grundstück belastet. Liege kein uneingeschränktes Gehrecht vor, sei zwar ein darauf gerichtetes Klagebegehren abzuweisen. Da diese Frage aber im Verfahren erster Instanz nicht erörtert worden sei, sei eine Aufhebung gerechtfertigt, um der klagenden Partei Gelegenheit zu geben, das Klagebegehren entsprechend zu formulieren.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen den Aufhebungsbeschluß der zweiten Instanz gerichtete Rekurs der klagenden Partei ist nicht berechtigt. Dem Rekurs der beklagten Parteien kommt Berechtigung zu.

Dienstbarkeiten sind dingliche, auf Privatrechtstitel beruhende oder durch Richterspruch oder Enteignung eingeräumte Rechte auf beschränkte Nutzung einer fremden Sache. Beruht der Erwerb der Dienstbarkeit auf dem Privatrechtstitel der Ersitzung, richtet sich das Ausmaß des Rechtserwerbes gemäß § 1460 ABGB nach dem Umfang des ausgeübten Besitzes durch die vom Gesetz bestimmte Zeit, sodaß die Dienstbarkeit des Gehweges nur in jenen räumlichen Grenzen erworben wird, in denen sie tatsächlich ausgeübt wurde (Schubert in Rummel ABGB Rdz 1 zu § 1452 und Rdz 6 zu § 1460; JBl. 1978, 144; SZ 45/39). Die Beweislast für das Vorliegen der Ersitzungsvoraussetzungen trifft grundsätzlich den Ersitzungsbesitzer (Schubert aaO Rdz 8 zu § 1460). Begehrt der Ersitzungsbesitzer die Feststellung der Dienstbarkeit und dessen Einverleibung ohne räumliche Beschränkung in Ansehung des ganzen Grundstückes, wie im vorliegenden Fall, hat er das Ausmaß des Rechtserwerbes in diesem Umfang zu beweisen. Im vorliegenden Fall steht fest, daß nicht das gesamte Grundstück der Beklagten begangen bzw. befahren wurde, sondern nur ein räumlich begrenzter Teil. Die Auffassung der klagenden Partei, daß sich die Dienstbarkeit "mangels anderer Vereinbarung oder Einwendungen" auf das gesamte Grundstück erstrecke, ist unrichtig. Die klagende Partei stützte ihren Rechtserwerb nicht auf eine Vereinbarung. Nach den obigen Darlegungen kommt es aber nicht darauf an, ob die Beklagten, die einen Rechtserwerb der klagenden Partei überhaupt bestreiten, auch eingewendet haben, daß nur ein räumlich begrenzter Rechtserwerb in Betracht kommt.

Beizupflichten ist der klagenden Partei darin, daß

§ 12 Abs.2 GBG nur die Möglichkeit einräumt, Dienstbarkeiten auf bestimmte räumliche Grenzen zu beschränken, sodaß eine Beschränkung des räumlichen Ausmaßes oder die Vorlage eines Planes entbehrlich ist, wenn sich die Dienstbarkeit nach dem Rechtstitel ohnehin auf das gesamte Grundstück erstreckt (vgl. Feil, GBG 78). Gerade letzteres trifft aber hier nach den Feststellungen der Vorinstanzen nicht zu. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen käme nur ein räumlich begrenzter Rechtserwerb der klagenden Partei in Betracht. Es wären daher, wie das Berufungsgericht richtig dargelegt hat, die Grenzen genau zu beschreiben oder ein Plan vorzulegen gewesen (Klang in Klang2 II 561; Petrasch in Rummel aaO Rdz 1 zu § 481; Feil aaO). Da die Einverleibung aufgrund des Urteils zu erfolgen hätte, hätte dies bereits in der Klage erfolgen müssen. Da die klagende Partei die Feststellung und Einverleibung eines uneingeschränkten Gehrechtes begehrt, der Zuspruch eines minus jedoch mangels Beschreibung der behaupteten Dienstbarkeit oder Vorlage eines entsprechenden Planes ausscheidet, ist das Klagebegehren abzuweisen (vgl. JBl. 1982, 32), ohne daß auf die übrigen Ersitzungsvoraussetzungen einzugehen ist. Unrichtig ist auch, daß es sich bei den Berufungsausführungen der beklagten Parteien, soweit sie das Ausmaß des Rechtserwerbes der klagenden Partei betreffen, um unzulässige Neuerungen handelte, auf die vom Berufungsgericht nicht mehr Bedacht hätte genommen werden dürfen. Gegenstand des Neuerungsverbotes sind nur die Geltendmachung neuer Ansprüche und neuer Einreden und das Vorbringen von neuen Tatsachen und Beweismitteln, nicht jedoch der Vortrag eines neuen rechtlichen Gesichtspunktes, soweit die für seine Beurteilung erforderlichen Tatsachen bereits im Verfahren erster Instanz hervorgekommen sind (Fasching LB Rdz 1727 f; JBl. 1952, 16). Mit der Geltendmachung, daß die klagende Partei die Dienstbarkeit auf Basis der Feststellungen der Vorinstanzen nur im geringeren als dem begehrten Umfang erworben habe, handelt es sich bloß um das Vorbringen eines neuen rechtlichen Gesichtspunktes. Entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes bestand auch kein Anlaß zur Aufhebung des Ersturteils, um der klagenden Partei die Möglichkeit zu geben, ihr Klagebegehren entsprechend zu formulieren. Es ist zwar richtig, daß das Gericht die Parteien nicht mit einer Rechtsauffassung überraschen darf, die die Parteien nicht bedacht haben und auf die sie das Gericht nicht aufmerksam machte (SZ 50/35 uva). Dieser aus § 182 ZPO abgeleitete Grundsatz soll die Möglichkeit eröffnen, entscheidungserhebliche Tatsachen, die von den Parteien erkennbar übersehen wurden, geltend zu machen und zu klären (vgl. Sprung-König in JBl. 1976, 7; Fasching aaO Rdz 647). Die Anleitungspflicht des Gerichtes geht jedoch nicht so weit, einer Partei die Möglichkeit zu eröffnen, ein nach den getroffenen Feststellungen abzuweisendes Klagebegehren durch Klagsänderung dahin abzuändern, daß die rechtlichen Voraussetzungen für eine Stattgebung gegeben sein könnten (SZ 57/9, 52/122 uva). Darauf käme aber hier der Ergänzungsauftrag des Berufungsgerichtes hinaus. Demgemäß ist nur dem Rekurs der beklagten Parteien Folge zu geben und nach § 519 Abs.2 letzter Satz ZPO in der Sache selbst zu erkennen. Als Nebenintervenientin ist die Ö*** S*** AG dem Verfahren auf Seiten der beklagten Parteien beigetreten (ON 10). Die Anführung der Republik Österreich als Nebenintervenientin im Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes entsprach nicht der abgegebenen Prozeßerklärung.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E14237

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0070OB00519.88.0428.000

Dokumentnummer

JJT_19880428_OGH0002_0070OB00519_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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