TE OGH 1988/5/5 12Os42/88

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Veröffentlicht am 05.05.1988
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Der Oberste Gerichtshof hat am 5. Mai 1988 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Steininger, Dr. Hörburger, Dr. Massauer und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Legradi als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Josef H*** und Werner S*** wegen des Verbrechens des Menschenhandels nach § 217 Abs 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der beiden Angeklagten "wegen Schuld" gegen das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Schöffengericht vom 1. Oktober 1987, GZ 16 Vr 550/86-67, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen "wegen Schuld" werden zurückgewiesen.

Gemäß § 285 d Abs 2 StPO wird für einen anzuberaumenden Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung die Ausübung der nach § 290 Abs 1 StPO zustehenden Befugnis vorbehalten.

Gemäß § 390 a StPO fallen den Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Josef H*** und Werner S*** (zu I) des Verbrechens des Menschenhandels nach § 217 Abs 1 (erster Deliktsfall) StGB, Josef H*** überdies (zu II) des Vergehens der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs 2, 224 StGB schuldig erkannt.

Darnach haben

I) Josef H*** und Werner S*** als Beteiligte (gemeint: im

bewußten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter) nachgenannte

paraguayanische Staatsangehörige der gewerbsmäßigen Unzucht in einem

anderen Staat als in dem, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen,

zugeführt bzw. hiefür angeworben, indem sie sie zur Ausübung der

Prostitution in Bordellen in Kematen, Melk und Ybbs für die Dauer

eines Jahres verpflichteten und ihre Einreise nach Österreich

finanzierten, nämlich

1)  am 6. oder 8. März 1986 die Nidia Gonzalez Z*** und die

Maria Valentina Escobar B***,

2)  am 9. April 1986 die Josefina Caballero G***, die Lorenza

Ascencion Fleitas V*** und die Maria Luisa         Franco

                                                       A***

                                                       sowie

3) am 14. April 1986 die Maria Librada Esquivel A***;

II) Josef H*** (allein) zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt im Jahre 1985 in Berlin und anderen Orten eine verfälschte inländische öffentliche Urkunde, nämlich den für Siegfried M*** ausgestellten österreichischen Reisepeß Nr. (richtig:) M 0447976, in welchem er durch einen Unbekannten sein eigenes Lichtbild hatte anbringen lassen, im Rechtsverkehr zum Beweis einer Tatsache, nämlich seiner Identität mit dem Berechtigten, gebraucht. Nach den für den Schuldspruch wegen Verbrechens des Menschenhandels (I) wesentlichen Feststellungen lernte der Angeklagte H*** anläßlich eines längeren Aufenthaltes in Paraguay die im Spruch genannten sechs Paraguayanerinnen kennen und warb diese im Frühjahr des Jahres 1986 zum Zweck der Ausübung der gewerbsmäßigen Unzucht in seinen Bordellbetrieben in Österreich an. Mit der Klärung der bezüglichen rechtlichen Fragen und der praktischen Durchführung des Vorhabens beauftragte er telefonisch seinen Schwiegersohn, den Angeklagten S***. Dieser erkundigte sich auftragsgemäß bei einem Wiener Rechtsanwalt, von welchem er über die Ungesetzlichkeit der beabsichtigten Überstellung der Prostituierten aufgeklärt wurde. Trotz Kenntnis dieses Umstandes finanzierte der Angeklagte H*** die Reise der Mädchen nach Österreich, wobei er drei von ihnen selbst begleitete. Sämtliche Frauen wurden vom Angeklagten S*** vorerst in einer Wohnung in Wien untergebracht. Dieser zeigte ihnen in der Folge auch die Bordellbetriebe und erledigte die erforderlichen Behördenwege. Tatsächlich übte allerdings nur Maria Valentina Escobar B*** im Bodell in Ybbs vom 14. bis 20. April 1986 die Prostitution aus (US 6).

Rechtliche Beurteilung

Diesen Schuldspruch (I) bekämpfen beide Angeklagten mit getrennt ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerden, in welchen sie die Gründe der Z 4 und 9 lit b, der Angeklagte H*** auch jenen der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO geltend machen. Zudem haben beide Angeklagten Berufungen "wegen Schuld" (nicht auch wegen des Ausspruchs über die Strafe) ausgeführt.

Diese Berufungen - die sich auch nicht etwa inhaltlich gegen den Strafausspruch richten, in welchen vielmehr "für den Fall der Verwerfung der Nichtigkeitsbeschwerden" beim Oberlandesgericht Wien (sic !) der Antrag gestellt wird, allenfalls nach Beweiswiederholung in der Sache selbst zu erkennen - waren zurückzuweisen, weil ein derartiges Rechtsmittel im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehen ist.

Aber auch den Nichtigkeitsbeschwerden kommt keine Berechtigung zu.

An sich zwar zu Recht bemängeln (Z 4) beide Beschwerdeführer, daß das Erstgericht die in der Hauptverhandlung vom 6. Mai 1987 vom Angeklagten H*** durch den damals nur ihn allein vertretenden Verteidiger Dr. E*** gestellten (S 110 f./II), in der gemäß § 276 a StPO neu durchgeführten Hauptverhandlung vom 1. Oktober 1987 nunmehr auch namens des Angeklagten S*** wiederholten und ergänzten Beweisanträge abgewiesen hat (S 140/II), ohne die hiefür maßgeblichen Entscheidungsgründe mündlich zu verkünden (§ 238 Abs 2 StPO). Eine Nichtigkeit im Sinne des § 281 Abs 1 Z 4 StPO ist in dieser Unterlassung im vorliegenden Falle jedoch nicht gelegen, weil schon aus dem Inhalt der gestellten Anträge unzweifelhaft erkennbar ist, daß die unterlaufene Formverletzung auf die Entscheidung keinen den beiden Angeklagten nachteiligen Einfluß üben konnte (§ 281 Abs 3 StPO; vgl. Mayerhofer-Rieder StPO2 E 15 zu § 238):

In der Hauptverhandlung vom 6. Mai 1987 legte der Angeklagte H*** Kopien mehrerer meist in spanischer Sprache abgefaßter (aber mit Übersetzungen ins Deutsche versehener) Briefe und Erklärungen vor (ON 56) und beantragte "auf Grund dieser Briefe" die "ergänzende Einvernahme der sechs Mädchen, welche in der Anklage angeführt sind, sowie die Einvernahme der Frau Maria Elva Lopez de H*** im Rechtshilfeweg" zur Beantwortung bestimmter, im Beweisantrag detailliert angeführter Fragen (S 110, 111/II). Damit zielte er auf eine Überprüfung der im Vorverfahren unter Beachtung der Vorschrift des § 162 Abs 2 StPO aF zustande gekommenen, in der Hauptverhandlung verlesenen Aussagen der Tatopfer (ON 8 bis 13) ab, nachdem Maria A***, Nidia Z*** und Maria B*** in den Schreiben behaupteten, sie hätten über ihre Anwerbung als Prostituierte durch H*** im Vorverfahren falsch ausgesagt. Anläßlich der (nunmehr auch im Namen des Angeklagten S*** erfolgten) Wiederholung dieser Beweisanträge in der neu durchgeführten Hauptverhandlung vom 1. Oktober 1987 wurde das Beweisthema dahin formuliert, "ob der H*** Erkundigungen (gemeint: über die sein Vorhaben betreffende Rechtslage in Österreich) eingezogen hat, ob er die Mädchen angeworben hat" (S 140/II). Zum selben Beweisthema wurde ergänzend auch die zeugenschaftliche Vernehmung des Bosco S*** beantragt. In Ansehung des ersten Teiles des solcherart präzisierten Beweisthemas war die Vernehmung der angebotenen Zeugen deshalb entbehrlich, weil diese naturgemäß nicht hätten ausschließen können, daß der Angeklagte H*** - wie festgestellt - den Angeklagten S*** von Asuncion aus fernmündlich ersucht hat, bei seinem Wiener Rechtsanwalt Dr. Erhard C.J. W*** entsprechende Auskünfte einzuholen, geschweige denn aus eigener Wahrnehmung über deren Ergebnis hätten Angaben machen können. Demnach war aber das abgelehnte Beweisanbot insoweit von vornherein ungeeignet, die dem Gerichte durch die Gesamtheit der ihm bereits vorgelegenen Verfahrensergebnisse, insbesondere durch die Aussage des Zeugen Dr. W*** selbst vermittelte Sach- und Rechtslage maßgebend zu verändern.

Der zweite Teil des Beweisthemas hinwieder betrifft keine entscheidungswesentliche Tatsache. Denn angesichts der rechtlichen Gleichwertigkeit der beiden Begehungsformen des Deliktes nach § 217 Abs 1 StGB (Zuführen und Anwerben), das dem Täter rechtlich (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) auch nur einmal angelastet werden kann, selbst wenn er es in mehreren Begehungsarten verwirklicht hat, kann es dahingestellt bleiben, ob "er (H***) die Mädchen angeworben hat", haben doch die beiden Angeklagten durch ihre sonstigen, vom Beweisantrag nicht erfaßten und auch sonst unbekämpft festgestellten Aktivitäten den Tatbestand in der Begehungsform des Zuführens jedenfalls erfüllt (vgl. SSt 53/47, S 157 letzter Absatz). Die Vernehmung der Zeuginnen Gisela und Maria H*** schließlich wurde nach dem Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls nicht beantragt, weshalb die Beschwerdeführer insoweit zur Verfahrensrüge gar nicht legitimiert sind.

Der Mängelrüge (Z 5) des Angeklagten H*** zuwider hat das Erstgericht den ihn treffenden Schuldspruch mit den Aussagen der sechs Tatopfer vor Polizei und Untersuchunsgrichter sowie den Einlassungen der beiden Angeklagten selbst (S 135/II) zureichend begründet, geht doch daraus klar und eindeutig hervor, daß die sechs Ausländerinnen durch ihn der Prostitution in Österreich jedenfalls zugeführt werden sollten. Entgegen der von ihm in seiner Beschwerde anscheinend vertretenen Auffassung macht es dabei einerseits keinen Unterschied, ob eine Person erst durch den Täter zur Gewerbsunzucht gebracht wird oder ob sie dieser bereits ergeben gewesen ist (Anfangsworte des § 217 Abs 1 StGB), andererseits ist für die Subsumtion der vorliegenden Tat nach § 217 Abs 1 StGB gerade vorauszusetzen, daß auf seiten der Tatopfer kein vom Täter durch Täuschung, Drohung, Gewalt oder Ausnützung eines Irrtums hervorgerufener Willensmangel vorgelegen hat, da andernfalls das Verbrechen nach § 217 Abs 2 StGB verwirklicht wäre. Daß eingestandenermaßen "sämtliche sechs Zeuginnen schon in Paraguay der Prostitution nachgegangen und aus eigenem Willen nach Österreich mitgekommen sind", vermag daher der Beweistauglichkeit deren Aussagen keinen Abbruch zu tun, weshalb in deren Heranziehung als Urteilsgrundlage ein Begründungsmangel nicht zu erkennen ist. Nicht gesetzmäßig ausgeführt sind schließlich die im wesentlichen übereinstimmend vorgetragenen Rechtsrügen (Z 9 lit b) der beiden Angeklagten, denn sie setzen sich über die ausdrückliche Konstatierung (US 6, 7) hinweg, daß sie das Unrecht ihrer Tat erkannt haben und demgemäß insoweit keinem Rechtsirrtum unterlegen sind. Mit ihren Beschwerdeausführungen üben die Angeklagten bloß unzulässige Kritik an der dieser Feststellung zugrunde liegenden Beweiswürdigung der Tatrichter.

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher zu verwerfen. Zu Unrecht hat jedoch das Erstgericht in Ansehung sämtlicher Tatopfer Verbrechensvollendung angenommen, obwohl nach den Feststellungen tatsächlich nur Maria Valentina Escobar B*** in Österreich als Prostituierte tätig geworden ist (vgl. Ö*** 1981/26 zu § 217 StGB). Deshalb wird mit gesonderter Verfügung ein Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung anberaumt werden, für den sich der Oberste Gerichtshof die Ausübung der ihm nach § 290 Abs 1 StPO zustehenden Befugnis vorbehält (§ 285 d Abs 2 StPO).

Anmerkung

E14077

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0120OS00042.88.0505.000

Dokumentnummer

JJT_19880505_OGH0002_0120OS00042_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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