TE OGH 1988/5/10 4Ob550/88

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Veröffentlicht am 10.05.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith, Dr. Kodek, Dr. Niederreiter und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Kurt L***, geboren 26. Februar 1933 in Wien, Arzt, Alland, Friedhofsiedlung 405, vertreten durch Dr. Norbert Schöner, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Dr. Desiree L***, geboren am 19. Jänner 1933, in Wien, Ärztin, Wien 9, Mariannengasse 28/12, vertreten durch Dr. Franz J. Salzer und Dr. Gunter Granner, Rechtsanwälte in Wien, wegen Ehescheidung infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 19. Jänner 1988, GZ 12 R 274/87-17, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 21. September 1987, GZ 10 Cg 30/87-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit S 3.397,25 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (davon S 308,85 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu zahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben am 21. September 1957 vor dem Standesamt Lienz die Ehe geschlossen, aus der drei bereits volljährige Kinder stammen. Beide Ehegatten sind österreichische Staatsbürger; ihr letzter gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt war in Wien. Im November 1983 zog der Kläger aus der gemeinsamen ehelichen Wohnung in Wien 9, Mariannengasse 28/12 aus.

Der Kläger begehrt mit der am 28. November 1986 eingebrachten Klage die Scheidung der Ehe gemäß § 55 EheG, weil die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten seit drei Jahren aufgehoben sei. Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und behauptete, daß die Ehe der Streitteile nicht unheilbar zerrüttet sei. Der Kläger sei durch die Bekanntschaft zu einer um 20 Jahre jüngeren Frau "verblendet", doch sei anzunehmen, daß er wieder zur Beklagten zurückfinden werde. Dem Scheidungsbegehren sei nicht stattzugeben, weil der Kläger die bestehende, aber keineswegs unheilbare Zerrüttung der Ehe allein verschuldet habe und die Beklagte die Scheidung härter träfe als den Kläger die Abweisung des Scheidungsbegehrens. Die Beklagte sei 54 Jahre alt und mit dem Kläger seit 30 Jahren verheiratet; sie leide unter der derzeitigen Trennung. Für den Fall der Scheidung beantragte die Beklagte den Ausspruch des alleinigen Verschuldens des Klägers an der Zerrüttung. Diesem Antrag trat der Kläger nicht entgegen.

Das Erstgericht gab dem Scheidungsbegehren des Klägers statt und sprach aus, daß ihn das (Allein-)Verschulden (an der Zerrüttung der Ehe) treffe. Es stellte folgenden weiteren Sachverhalt fest:

Der Kläger war bereits Ende 1982/Anfang 1983 aus der Ehewohnung ausgezogen, dann aber wieder vorübergehend zurückgekehrt. Endgültig verließ er die gemeinsame Ehewohnung im November 1983. Seither besteht zwischen den Ehegatten keine häusliche Gemeinschaft mehr. Der Kläger lebt seit Juli 1984 mit einer anderen Frau in Lebensgemeinschaft. Beide Ehegatten sind als Ärzte im Unfallkrankenhaus Meidling beschäftigt. Die Beklagte ist dort pragmatisierte Oberärztin; sie verdient annähernd gleich viel wie der Kläger (S 42.000,- bis S 44.000,- pro Monat). Die Beklagte ist finanziell gesichert, gesund und weder gebrechlich noch pflegebedürftig.

Das Erstgericht war der Ansicht, daß der Scheidungsgrund des § 55 Abs 1 EheG vorliege, weil die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten seit mehr als drei Jahren aufgehoben sei und infolge tiefgreifender unheilbarer Zerrüttung der Ehe die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht mehr zu erwarten sei.

Das Verlangen der beklagten Ehegattin auf Klageabweisung (§ 55 Abs 2 EheG) sei unbeachtlich. Zwar habe der Kläger die Zerrüttung der Ehe allein verschuldet; die Härteabwägung führe aber nicht zur Abweisung des Scheidungsbegehrens, weil die Beklagte annähernd gleich alt wie der Kläger sei, voll im Beruf stehe, ein weit überdurchschnittliches Einkommen erziele, gesund sei und auch das Wohl der bereits erwachsenen Kinder die Aufrechterhaltung der Ehe nicht erfordere.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Eine Ehe sei unheilbar zerrüttet, wenn die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten und damit die Grundlage der Ehe objektiv und wenigstens bei einem der Ehegatten auch subjektiv zu bestehen aufgehört habe. Es genüge, daß der Kläger die eheliche Gesinnung verloren habe. Da der Kläger schon mehr als drei Jahre mit einer anderen Frau zusammenlebe, offenkundig entschlossen sei, die häusliche Gemeinschaft mit der Beklagten nicht wieder aufzunehmen, und an seiner Ehefrau jedes Interesse verloren habe, sei die unheilbare Zerrüttung der Ehe anzunehmen. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 55 Abs 1 EheG sei die Ehe grundsätzlich zu scheiden. Nur ganz besonders schwerwiegende Umstände könnten die Verweigerung des Scheidungsbegehrens rechtfertigen. Das Scheidungsbegehren sei nur dann abzuweisen, wenn konkrete Umstände des Einzelfalles eine gegenüber dem Normalfall besondere Härte für den der Scheidung widersprechenden Ehegatten erkennen ließen. Solche Umstände seien nicht gegeben: Wenn auch die Beklagte 54 Jahre alt sei und ihre Ehe mit dem Kläger 30 Jahre gedauert habe, so rechtfertigten die gegebenen Umstände in ihrer Gesamtheit nicht die Verweigerung des Scheidungsrechtes. Die Beklagte bedürfe des besonderen Beistandes des Klägers nicht. Daß die Ehescheidung den schuldlosen Teil immer bis zu einem gewissen Grad härter treffe, habe der Gesetzgeber in Kauf genommen. Die Beklagte erhebt Revision wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Sie beantragt, die Urteile der Vorinstanzen dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

Der Kläger beantragt, der Revision der Beklagten nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Die Revisionswerberin tritt der übereinstimmenden Ansicht der Vorinstanzen, daß ihre Ehe mit dem Kläger tiefgreifend und unheilbar zerrüttet und die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht zu erwarten sei, mit der Begründung entgegen, wegen des Altersunterschiedes zwischen dem Kläger (55 Jahre) und seiner Freundin Renate P*** (geboren 1. November 1952) sei auf eine altersbedingte (vorübergehende) "Verblendung" des Ehemannes zu schließen. Dem ist jedoch nicht zu folgen.

Eine Ehe ist tiefgreifend unheilbar zerrüttet, wenn die Wiederherstellung einer ihrem Wesen entsprechenden geistig-seelisch-körperlichen Lebensgemeinschaft nicht mehr zu erwarten ist. Das Wesen der Zerrüttung besteht darin, daß die geistig-seelisch-körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten und damit die sittliche Grundlage der Ehe objektiv und wenigstens auf einer Seite auch subjektiv zu bestehen aufgehört hat. Wenn nicht zu erwarten ist, daß das Gemeinsamkeitsgefühl zwischen den Ehegatten wieder entsteht, ist die Zerrüttung unheilbar. Dieser Zustand tritt auch dadurch ein, daß nur der Kläger die eheliche Gesinnung endgültig verloren hat (Schwind, Komm z EheG2, 202 f; Pichler in Rummel, ABGB, Rz 3 zu § 49 und Rz 4 zu § 55 EheG;

Ehrenzweig-Schwind, Familienrecht 67; Koziol-Welser7 II 193 f;

EFSlg 48.763, 48.764, 48.785, 51.601, 51.602 uva). Da der Kläger schon im Jahre 1982 erstmals aus der ehelichen Wohnung ausgezogen ist, die häusliche Gemeinschaft im November 1983 endgültig verlassen hat und seit 1984 mit einer anderen Frau in Lebensgemeinschaft lebt, haben die Vorinstanzen mit Recht angenommen, daß die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht mehr zu erwarten ist. Aus dem Altersunterschied zwischen dem Kläger und seiner derzeitigen Lebensgefährtin sind gegenteilige Schlüsse nicht zu ziehen. Auch Gründe, aus denen dem Scheidungsbegehren gemäß § 55 Abs 2 EheG nicht stattzugeben wäre, liegen nicht vor. Bei der Abwägung, ob den beklagten Ehegatten die Scheidung härter träfe als den klagenden Ehegatten die Abweisung des Scheidungsbegehrens, ist auf alle Umstände des Falles, besonders auf die Dauer der ehelichen Lebensgemeinschaft, das Alter und die Gesundheit der Ehegatten, das Wohl der Kinder, sowie auch auf die Dauer der Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft Bedacht zu nehmen. In jedem Fall müssen aber konkrete Umstände vorliegen, aus denen für den Einzelfall eine gegenüber dem Normalfall besondere Härte für den der Scheidung widersprechenden Ehegatten abgeleitet werden kann

(SZ 52/29 = EvBl 1979/131; EvBl 1982/194; auch EvBl 1981/10; EFSlg 43.658). Da dem Scheidungsbegehren gemäß § 55 Abs 3 EheG jedenfalls stattzugeben ist, wenn die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten seit sechs Jahren aufgehoben ist, kann der Sinn der Härteklausel des § 55 Abs 2 EheG nur darin liegen, daß der schuldlose Ehegatte nicht plötzlich mit der vollen Härte der Scheidung konfrontiert, sondern ihm in Ausnahmefällen eine Anpassungsfrist gewährt wird (SZ 52/59 = EvBl 1979/131; EvBl 1981/10; EvBl 1982/194; auch EFSlg 43.658). Den für die Härteabwägung nach § 55 Abs 2 EheG maßgebenden Umständen ist daher umso geringeres Gewicht beizumessen, je mehr sich die Dauer der Auflösung der häuslichen Gemeinschaft der Sechsjahresfrist des § 55 Abs 3 EheG nähert (RZ 1981/28; EFSlg 41.248 ua). Bei Berücksichtigung dieser Grundsätze ist dem Scheidungsbegehren trotz der Dauer der Ehe und des Alters der Beklagten sowie ihrer moralischen und religiösen Bedenken gegen die Scheidung stattzugeben. Es ist gewiß richtig, daß die Beklagte durch das Verhalten des Klägers nach so langer Dauer der Ehe tief getroffen wurde. Die durch die tatsächliche Aufhebung der Lebensgemeinschaft durch den Kläger verursachte tiefe Kränkung der Beklagten ist jedoch für die sogenannte Härteabwägung nicht entscheidend. Die Aufhebung der Lebensgemeinschaft durch den Kläger begründet sein alleiniges Verschulden an der Zerrüttung und ist nur eine der Voraussetzungen für einen Erfolg des Widerspruches nach § 55 Abs 1 EheG; sie kann daher in der Regel nicht zusätzlich auch noch für die Härteabwägung nach dieser Gesetzesstelle herangezogen werden (EFSlg 41.251). Entscheidend ist, ob die rechtliche Sanktionierung der vom Kläger allein verschuldeten Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft für die Beklagte eine gegenüber dem Normalfall besondere Härte ist. Das muß jedoch verneint werden, weil die Beklagte ihren Beruf hat, wirtschaftlich unabhängig und gesund ist und das Wohl der Kinder eine Aufrechterhaltung der Ehe nicht erfordert. Es ist daher nicht notwendig, der Beklagten eine Anpassungsfrist an die nach sechsjähriger Aufhebung der Gemeinschaft (§ 55 Abs 3 EheG) ohnehin unvermeidbar werdende Änderung der rechtlichen Situation zu gewähren. Da einem Scheidungsbegehren des Klägers ab November 1989 jedenfalls stattzugeben wäre, brächte die Abweisung der derzeit anhängigen Scheidungsklage der Beklagten keine ins Gewicht fallende Verminderung von Härten. Daß eine 55-jährige Frau schwerer einen neuen Partner findet als ein gleichaltriger Mann, mag richtig sein. Dieser Nachteil ergab sich aber für die Beklagte schon aus der Aufhebung der Lebensgemeinschaft, deren Wiederherstellung nicht zu erwarten ist; er wäre auch durch Abweisung des Scheidungsbegehrens nicht zu beheben.

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

§ 45 a Abs 2 ZPO ist im Rechtsmittelverfahren nicht anzuwenden, da der Kläger sein alleiniges Verschulden an der Zerrüttung der Ehe nicht bestritten hat und diese Frage nicht mehr Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens war (SZ 35/46; JA 916 BlgNR 14. GP 30).

Anmerkung

E14174

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0040OB00550.88.0510.000

Dokumentnummer

JJT_19880510_OGH0002_0040OB00550_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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