TE OGH 1988/5/11 9ObA501/88

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Veröffentlicht am 11.05.1988
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Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Stefan S*** und Anton T*** als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der antragstellenden Partei Ö*** G***, Wien 1.,

Hohenstaufengasse 10-12, vertreten durch Dr. Gustav Teicht, Rechtsanwalt in Wien, wider die Antragsgegner 1. F*** DER C*** I*** Ö***, Wien 1., Bauernmarkt 13,

2. B*** DER K***, Wien 4., Wiedner

Hauptstraße 63, über den gemäß dem § 54 Abs. 2 ASGG gestellten Feststellungsantrag in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Antrag der antragstellenden Partei, es werde festgestellt, daß die Dienstverhältnisse der im Betrieb der W*** K*** A*** A*** KG beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen einschließlich der Lehrlinge, mit Ausnahme der kaufmännischen Lehrlinge oder der technischen Zeichnerlehrlinge, auch über den 15. Juli 1986 hinaus dem Geltungsbereich des zwischen dem F*** DER C*** I*** Ö*** und dem

Ö*** G***, Gewerkschaft der Chemiearbeiter, abgeschlossenen Kollektivvertrages unterliegen wird abgewiesen.

Text

Begründung:

Die antragstellende Partei ist eine kollektivvertragsfähige Körperschaft der Arbeitnehmer im Sinne des § 4 Abs. 2 ArbVG. Die ihr schon vor dem 1. Juli 1974 zuerkannte Kollektivvertragsfähigkeit besteht gemäß § 165 ArbVG auch nach dem Inkrafttreten des Arbeitsverfassungsgesetzes weiter (Floretta-Strasser ArbVG 1025). Die Antragsgegner sind gesetzliche Interessenvertretung der Arbeitgeber gemäß § 4 Abs. 1 ArbVG (Floretta-Strasser aaO 48). Beide Teile sind daher im Sinne des § 54 Abs. 2 erster Satz ASGG als Parteien des besonderen Feststellungsverfahrens legitimiert. Die antragstellende Partei führt zur Begründung ihres aus dem Spruch ersichtlichen Antrages aus, daß die W*** K*** A*** A*** KG (im folgenden nur als Wiener Kammfabrik bezeichnet), Wiener Neudorf, Europaplatz 8, bis zum 15. Juli 1986 Mitglied der Erstantragsgegnerin gewesen sei und daher für die Arbeitnehmer dieses Unternehmens der Kollektivvertrag (Rahmenvertrag) zur Regelung der allgemeinen Bestimmungen über die Arbeitsverhältnisse der in den Betrieben der chemischen Industrie beschäftigten Arbeiter gegolten habe. Am 15. Juli 1986 habe der Inhaber der Wiener Kammfabrik ohne Verständigung des Betriebsrats die Gewerbeberechtigung für das industriemäßige Gewerbe der "fabriksmäßigen Erzeugung von Kämmen, Kunststoff- und Zelluloidwaren aller Art" abgemeldet und die Gewerbeberechtigung für das gebundene Gewerbe der Kunststoffverarbeitung gemäß § 103 Abs. 1 lit. b Z 31 der GewO 1973 erlangt. Die Wiener Kammfabrik sei dadurch Mitglied der Zweitantragsgegnerin geworden und wende seither in ihrem Betrieb den für die Arbeitnehmer ungünstigeren Kollektivvertrag für das holz- und kunststoffverarbeitende Gewerbe an.

Der Zurücklegung der Berechtigung für die fabriksmäßige Erzeugung von Kämmen, Kunststoff- und Zelluloidwaren aller Art und der Eintragung im gebundenen Gewerbe der Kunststoffverarbeiter liege kein sachliches Substrat zugrunde. Es habe sich vielmehr um eine Umgehungsmaßnahme gehandelt, von der nicht nur drei, sondern sämtliche nicht dem Angestelltengesetz unterliegenden Arbeitnehmer betroffen seien. Die Anwendung des Kollektivvertrags für das holz- und kunststoffverarbeitende Gewerbe habe zur Folge, daß den Arbeitnehmern die dem früheren Kollektivvertrag entsprechende Lohnerhöhung 1987 nicht gezahlt und ihnen die mit 1. Mai 1987 im Bereich der chemischen Industrie vorgenommene Arbeitszeitverkürzung von 40 auf 38 Wochenstunden nicht zugestanden worden sei. Die Erstantragsgegnerin bestritt ihre Sachlegitimation, da die Wiener Kammfabrik mit ihrer Gewerbeberechtigung zur gewerbsmäßigen Kunststoffverarbeitung im Sinne des § 1 Z 18 des Anhanges zur Fachgruppenordnung, BGBl. 1947/223 idgF, nicht dem Fachverband der chemischen Industrie zugeordnet sei, sondern der Innung der Kunststoffverarbeiter.

Die Zweitantragsgegnerin beantragte in ihrer gemäß dem § 54 Abs. 3 erster Satz ASGG erstatteten Stellungnahme die Abweisung des Feststellungsantrages. Die Wiener Kammfabrik beschäftige im Standort Wiener Neudorf, Europaplatz, rund 45 Arbeitnehmer. Da die Merkmale eines Gewerbebetriebes vorgelegen seien, sei ihre Eintragung als Gewerbebetrieb bei der L*** N*** DER

K*** am 15. Juli 1986 zu Recht erfolgt. Die Ausführungen der antragstellenden Partei, der Zurücklegung der Industrieberechtigung liege kein sachliches Substrat zugrunde, sondern sei nur eine Umgehungsmaßnahme des Arbeitgebers, entbehrten jeder rechtlichen Grundlage. Für die Anwendung des Kollektivvertrages sei gemäß § 8 Z 1 ArbVG die faktische Mitgliedschaft maßgebend.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat auf der Grundlage des von der antragstellenden Partei behaupteten Sachverhalts (§ 54 Abs. 4 erster Satz ASGG) über den Feststellungsantrag erwogen:

Gegenstand des Antrages ist die Frage der Kollektivvertragsunterworfenheit bei einem Wechsel der Zugehörigkeit des Arbeitgebers zu einer anderen kollektivvertragsfähigen gesetzlichen Interessenvertretung. Der Antrag betrifft somit eine Rechtsfrage des materiellen Rechts auf dem Gebiet der Arbeitsrechtssachen nach § 50 ASGG, die auf Grund des behaupteten, von namentlich bestimmten Personen unabhängigen Sachverhalts für mindestens 3 Arbeitnehmer von Bedeutung ist (Kuderna ASGG § 54 Erl. 1, 8 ff). Die Passivlegitimation der Erstantragsgegnerin ist schon darin begründet, daß sie vom Antragsteller als Partei dieses Verfahrens bezeichnet wurde (vgl. Feitzinger-Tades, ASGG § 54 Anm. 13 !AB ) und sich die begehrte Feststellung auch auf sie auswirkt.

Der Antrag ist jedoch nicht berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof hat in seiner ebenfalls den Kollektivvertrag für das holz- und kunststoffverarbeitende Gewerbe und den Kollektivvertrag für die chemische Industrie betreffenden Entscheidung vom 21. Oktober 1986, 14 Ob 147/86 (Arb. 10.559), bereits eingehend und unter Hinweis auf die Literatur begründet, daß für die Kollektivvertragsunterworfenheit die im § 8 Z 1 ArbVG erwähnte Mitgliedschaft in der Form maßgebend ist, wie sie infolge Zuordnung durch die Kammer zu einem bestimmten Fachverband oder einer Innung faktisch gehandhabt wird. Der Oberste Gerichtshof führte dazu unter anderem aus:

Es ist davon auszugehen, daß der fachliche Geltungsbereich des

zwischen dem F*** DER C*** I*** Ö*** und

dem Ö*** G***, Gewerkschaft der Chemiearbeiter, abgeschlossenen Rahmenvertrags (kurz KV der chemischen Industrie) sich nach seinem Punkt I auf alle Betriebe der Chemischen Industrie Österreichs erstreckt. Als Betriebe der chemischen Industrie im Sinne dieses Rahmenvertrages sind nach dessen ausdrücklicher Definition jene Betriebsstätten einschließlich deren unselbständiger Nebenbetriebe mit nicht chemischer Erzeugung ........ anzusehen, die beim F*** DER C*** I***

Ö*** "hauptbetreut" sind. Hingegen gilt der Kollektivvertrag für das holz- und kunststoffverarbeitende Gewerbe Österreichs gemäß § 2 Z 2 für alle Betriebe und selbstständigen Betriebsabteilungen, die den in § 1 genannten Arbeitgeberorganisationen angehören. Hier ist unter anderem die Bundesinnung der Kunststoffverarbeiter genannt. Bei Prüfung der Frage, ob für die Kollektivvertragsunterworfenheit die im § 8 Z 1 ArbVG erwähnte Mitgliedschaft sowie die in Punkt I des KV der chemischen Industrie genannte "Hauptbetreuung" in der Form maßgeblich ist, wie sie durch die Zuordnung faktisch gehandhabt wird, oder ob ohne Rücksicht auf diese von der Kammer vorgenommene Zuordnung (Betreuung) die nach dem Handelskammergesetz vorgesehene Mitgliedschaft entscheidet, ist vorerst auf den Wortlaut des § 8 Z 1 ArbVG abzustellen, der eher für die Maßgeblichkeit der faktischen Mitgliedschaft spricht. Es kann weiters nicht übersehen werden, daß es in die dem Handelskammergesetz zugrundeliegende Selbstverwaltung der Kammern fällt, die gesetzlichen Bestimmungen über die Mitgliedschaft der Arbeitgeber zu den in Betracht kommenden Kammerorganisationen im Einzelfall zu konkretisieren, also den einzelnen Arbeitgeber der nach dem Gesetz für ihn in Betracht kommenden Organisation zuzuordnen (§ 42 Abs. 4 erster Satz HKG). Es würde einen den Kernbereich der Selbstverwaltung der Kammern berührenden schwerwiegenden Eingriff bedeuten, wollte man die Frage der Zuordnung ihrer Mitglieder zu den einzelnen Kammerorganisationen der Entscheidung der ordentlichen Gerichte unterwerfen. Für eine solche Auffassung bietet weder die Bestimmung des § 8 Z 1 ArbVG noch jene des Punktes I des KV der chemischen Industrie eine Stütze. Der Begriff "Hauptbetreuung" (anstelle "Mitgliedschaft" oder "Angehörigkeit") spricht ebenfalls deutlich für die Maßgeblichkeit des faktischen Zustandes der erfolgten Zuordnung (Arb. 10.559 mwH; vgl. auch Floretta-Strasser, MKK ArbVG2 § 8 Anm. 3). Schließlich wies der Oberste Gerichtshof in der genannten Entscheidung auch noch darauf hin, daß unlösbare Probleme dadurch entstünden, wenn aus einem Gewerbebetrieb im Laufe der Zeit ein Industriebetrieb wird, ohne daß aus diesem Umstand Folgerungen für die Mitgliedschaft zum betreffenden Fachverband gezogen werden. Da sich der Zeitpunkt, zu dem die gesetzlichen Voraussetzungen für eine solche Mitgliedschaft vorliegen, sich bei einer allmählichen Änderung der Betriebsform kaum exakt feststellen läßt, hätte dies erhebliche Unsicherheiten über das Bestehen der Voraussetzungen einer bestimmten Kollektivvertragsunterworfenheit zur Folge. Auch die Ausführungen von Bernhard Schwarz (DRdA 1986, 379 ff, 390) bieten insofern keinen Anlaß, von der in der genannten Entscheidung erst vor kurzem ausführlich begründeten Ansicht abzugehen, zumal Schwarz auf die im Punkt I des KV der chemischen Industrie enthaltene Definition der Betriebe der chemischen Industrie die auf die "Hauptbetreuung" durch den Fachverband und damit auf den faktischen Zustand abstellt, nicht eingeht.

Richtet sich aber die Kollektivvertragsunterworfenheit nach der faktischen Handhabung der Mitgliedschaft des Arbeitgebers, folgt schon aus der Normwirkung des § 11 Abs. 1 ArbVG, daß der KV der chemischen Industrie ab 15. Juli 1986 nicht mehr anzuwenden ist, sondern der ab diesem Zeitpunkt geltende KV für das holz- und kunststoffverarbeitende Gewerbe (vgl. Arb. 9.486, 9.914 mwH). An diesem, nur die Kollektivvertragszugehörigkeit betreffenden Ergebnis kann im Hinblick auf den Inhalt des Feststellungsantrages auch die Behauptung einer in Verkürzungsabsicht erfolgten Umgehungsmaßnahme nichts ändern, so daß es in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben kann, inwieweit ein solches sittenwidriges Verhalten Auswirkungen auf die einzelnen Rechtsverhältnisse zwischen dem Arbeitgeber und den Arbeitnehmern hat und den Arbeitnehmern aus diesem Grund allenfalls Schadenersatzansprüche gemäß § 1295 Abs. 2 ABGB zustehen.

Aus diesen Erwägungen war der Feststellungsantrag abzuweisen.

Anmerkung

E14259

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:009OBA00501.88.0511.000

Dokumentnummer

JJT_19880511_OGH0002_009OBA00501_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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