TE OGH 1988/6/15 1Ob574/88

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Veröffentlicht am 15.06.1988
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schubert, Dr.Hofmann, Dr.Schlosser und Dr.Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Theresia W***, Pensionistin, Winkeln 24, 4710 Grieskirchen, vertreten durch ihren Sachwalter Dr.Hans Hochleitner, Rechtsanwalt in Eferding, wider die beklagten Parteien 1. Karl K***, 2. Edith K***, beide Bankangestellte, Pfarrhofsiedlung 18, 4710 Grieskirchen, vertreten durch Dr.Franz Gütlbauer, Rechtsanwalt in Wels, wegen Aufhebung eines Übergabsvertrages und Einwilligung in die Einverleibung (gegen beide Beklagten - Streitwert S 135.000,--) sowie Aufhebung eines Schenkungsvertrages und Leistung (gegen den Erstbeklagten - Streitwert S 557.034,26 s.A.) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 27.Jänner 1988, GZ 2 R 274/87-32, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wels vom 17.Juni 1987, GZ 2 Cg 36/86-24, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung:

Die am 25.Juni 1922 geborene Klägerin bewohnte seit 1967, zunächst gemeinsam mit ihrem am 27.April 1982 verstorbenen Ehegatten Otto W***, dann allein das auf der - im Erbweg in ihr Alleineigentum gelangten - Liegenschaft EZ 351 KG Tollet errichtete Haus Grieskirchen, Winkeln 24. Der steuerliche Einheitswert dieser Liegenschaft beträgt S 135.000,--. Nach der Verlassenschaftsabhandlung nach ihrem verstorbenen Ehegatten verfügte sie auch über ein in ihrem Eigentum stehendes Sparbuch der V*** G*** mit einer Einlage zum 31.Dezember 1982 von S 557.034,26.

Mit notariellem Übergabsvertrag vom 28.Jänner 1983 übergab sie die Liegenschaft je zur Hälfte an die Beklagten, einen Neffen ihres verstorbenen Ehegatten und dessen Ehegattin, im wesentlichen gegen das alleinige und ausschließliche Wohnungsrecht im ganzen Haus, die Alleinbenützung des Gartens und die ordentliche "Wart und Pflege" in Krankheits- und Gebrechlichkeitsfällen in dem Maße, wie sie Kinder einer Mutter gegenüber zusteht, wobei über Verlangen der Übernehmer diese Wart und Pflege in deren eigenem Haus geleistet werden kann; weiters verpflichteten sich die Übernehmer im Ablebensfall der Übergeberin zu einem ortsüblichen und standesgemäßen Leichenbegängnis mit Beisetzung und ordentlicher Erhaltung der Grabstätte. Überdies räumten die Übernehmer der Übergeberin ein Veräußerungsverbot und ein Vorkaufsrecht ein. Auf Grund dieses Übergabsvertrages ist das Eigentumsrecht der beiden Beklagten in der EZ 351 KG Tollet je zur Hälfte einverleibt. Am 24.Jänner 1983 schenkte außerdem die Klägerin dem Erstbeklagten ein Sparbuch der V*** G*** mit der Einlage von S 557.034,26 zum 31. Dezember 1982 und übergab es ihm ins Eigentum.

Vom Bezirksgericht Grieskirchen wurde über Anregung des nunmehrigen Sachwalters der Klägerin am 22.Jänner 1986 zu AZ SW 2/86 ein Sachwalterbestellungsverfahren eingeleitet. Mit rechtskräftigem Beschluß dieses Gerichtes vom 11.August 1986 wurde der Klägerin ein Sachwalter für alle Angelegenheiten gemäß § 273 Abs 3 Z 3 ABGB bestellt.

Mit ihrer Klage vom 23.Jänner 1986 begehrt die Klägerin gegenüber beiden Beklagten die Aufhebung des Übergabsvertrages vom 28. Jänner 1983 über die Liegenschaft EZ 351 KG Tollet sowie die Einwilligung in die Einverleibung ihres Eigentumsrechtes und gegenüber dem Erstbeklagten die Aufhebung des Schenkungsvertrages vom 24.Jänner 1983 über das genannte Sparbuch und Bezahlung des Einlagebetrages samt Nebengebühren, weil ihr im Zeitpunkt dieser beiden Rechtsgeschäfte im Jänner 1983 die Geschäftsfähigkeit gemangelt habe. Sie habe bereits seit 1978 an Depressionen gelitten und sei deshalb in ärztlicher Behandlung gestanden. Durch den Tod ihres Ehegatten im April 1982 habe sich ihr Zustand verschlechtert; die Vereinsamung habe in ihr die krankhafte Vorstellung vermehrt, daß sie das Haus und ebenso das vordem gemeinsame Sparbuch nicht mehr sehen habe wollen.

Die Beklagten beantragten Abweisung des Klagebegehrens und wendeten im wesentlichen ein, die Klägerin sei beim Abschluß der strittigen Rechtsgeschäfte im Vollbesitz ihrer Geisteskräfte gestanden. Der mit ihr ausführlich vorbesprochene Übergabsvertrag und die damit im Zusammenhang stehende Schenkung des Sparbuches entsprächen dem freien Willen der Klägerin. Diese Vermögensübertragungen seien von ihr in der Folge auch anderen Personen gegenüber wiederholt begründet, bestätigt und anerkannt worden.

Das Erstgericht wies das gesamte Klagebegehren ab und stellte fest:

Die Klägerin leide an einer depressiven Erkrankung des körperlichen Rückbildungsalters (Involutionsdepression), die mit einem leichten Intelligenzabbau verbunden sei. Sie weise einen sehr niedrigen Intelligenzquotienten von 76 auf. In einem bildungsfreien Untertest erreiche sie zwar den durchschnittlichen Wert von 97, in bildungsabhängigen Tests habe sie aber wie eine Schwachsinnige abgeschnitten. Ihre angeborene intellektuelle Begabung sei annähernd durchschnittlich gewesen, sie sei aber in einem ungewöhnlichen Ausmaß ungebildet. An intellektuellen Abbauzeichen bestehe eine Merkfähigkeitsschwäche und eine Neigung zum Zwangsweinen. Zu einem primären intellektuellen Tiefstand sei eine hirnorganische Wesensveränderung und ein leichter intellektueller Abbau hinzugetreten. Außerdem bestehe bei ihr eine depressive Geisteskrankheit mit Verstimmungszuständen. Durch ihren Hausarzt seien ihr in der Zeit von 1971 bis 1984 Medikamente (gegen die Depressionen) verordnet worden, welche sie aber nicht regelmäßig eingenommen habe. Im Jänner 1983 habe die Klägerin an einer endogenen Depression gelitten, also an phasenhaften Verstimmungszuständen im Sinne einer depressiven Geisteskrankheit. Ihr Entschluß, ihre Liegenschaft an die Beklagten zu übergeben und ihr Sparbuch dem Erstbeklagten zu schenken, sei von dieser psychischen Erkrankung motiviert und diktiert gewesen. Sie habe jedoch bewußt wahrgenommen, daß sie ihre Liegenschaft veräußert und ihr Sparbuch dem Erstbeklagten geschenkt habe. Sie habe die Abwicklung dieser Geschäfte intellektuell erfassen und ihr Tun auch beurteilen können.

Rechtlich folgerte das Erstgericht, wenngleich die Klägerin zum Zeitpunkt der Vertragsabschlüsse unter einer endogenen Depression gelitten habe, sei sie dennoch "durchaus" in der Lage gewesen, die Tragweite des abgeschlossenen Übergabs- und Schenkungsvertrages zu beurteilen.

Das Gericht zweiter Instanz übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich und bestätigte dessen Entscheidung. Es beurteilte zunächst die Vertragsbedingungen des Übergabsvertrages als für die Lebenslage der Klägerin (einer damals 61-jährigen, kinderlosen, an einer endogenen Depression leidenden Witwe) üblich, zumal sie sich das Wohnungsrecht am gesamten Haus, die Gartenbenützung und die entscheidende Wart(ung) und Pflege gegenüber den Übernehmern (nahen Angehörigen) ausbedungen habe. Anders verhalte es sich zwar mit der Schenkung und Übergabe des Sparbuches mit der Einlage von über S 557.000,--, doch könne auch hier nicht übersehen werden, daß der Beschenkte ein Neffe ihres verstorbenen Ehegatten gewesen sei und sie von den Beklagten, welche auch zwei Kinder hätten, Betreuung und Pflege erwarten habe können. Ziehe man noch in Betracht, daß sie selbst eine Altersund Witwenpension von der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter beziehe, könne durchaus davon ausgegangen werden, daß die Klägerin beim Abschluß des Übergabsvertrages und bei der Schenkung des Sparbuches auch nach ihrer eigenen Interessenlage vernünftig gehandelt habe. Daß die Entschlüsse zu diesen Geschäften auch durch ihre depressive psychische Erkrankung motiviert und diktiert gewesen seien, könne an der Rechtswirksamkeit der beiden Verträge nichts ändern. Dadurch sei die Klägerin noch nicht unfähig gewesen, die Bedeutung und Tragweite der konkreten Geschäfte zu beurteilen. Diese Geschäfte seien daher nicht entscheidend von ihrer geistigen Störung tangiert gewesen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist berechtigt.

Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Dem Berufungsgericht ist auch bei der Darlegung der herrschenden Rechtsauffassung über die Handlungsfähigkeit einer durch Geisteskrankheit oder Geistesschwäche behinderten, im Zeitpunkt des Rechtsgeschäftsabschlusses - nach alter Rechtslage - nicht entmündigten Person beizupflichten. Danach ist ein verpflichtendes Geschäft einer solchen Person unwirksam, wenn sie zur Willensbildung unfähig ist oder die Tragweite des konkreten Geschäftes nicht richtig abschätzen kann (JBl 1977, 537; NZ 1987, 14 uva.; Aicher und Rummel in Rummel, ABGB, § 21 Rz 5 und § 865 Rz 3; Ehrenzweig2 I/1, 180); die fehlende Einsicht in die Tragweite des Geschäftes muß sich entweder aus der Natur des geschlossenen Vertrages oder aus sonstigen besonderen Umständen ergeben (JBl 1977, 537; NZ 1987, 14). Es kommt darauf an, ob die geistigen Fähigkeiten der betreffenden Person für die Beurteilung des konkreten Rechtsgeschäftes ausreichen (SZ 55/166; JBl 1977, 537; Koziol-Welser8 I 52). Die tatsächlichen Umstände und die persönlichen Eigenschaften des Vertragsschließenden bei Abgabe der Willenserklärung gehören dabei dem irrevisiblen Tatsachenbereich an, der Schluß auf eine im Einzelfall mangelnde oder gegebene Geschäftsfähigkeit ist Ergebnis rechtlicher Beurteilung (NZ 1987, 14 uva; Fasching, Zivilprozeßrecht, Rz 1926).

Im vorliegenden Fall reichen jedoch die - vom Berufungsgericht übernommenen - Feststellungen des Erstgerichtes nicht aus, um nach den dargelegten Rechtsgrundsätzen die Reichweite der die Klägerin treffenden geistigen Störung im Zeitpunkt der strittigen Vertragsabschlüsse Ende Jänner 1983 abschließend beurteilen zu können. Die Feststellungen des Erstgerichtes widersprechen sich in den tragenden Aussagen; einerseits soll der Entschluß der Klägerin zur Übergabe der Liegenschaft und Schenkung des Sparbuches von der festgestellten psychischen Erkrankung (endogenen Depression oder auch phasenhaften Verstimmungszuständen im Sinne einer depressiven Geisteskrankheit) diktiert und/oder (?) motiviert (Urteil S. 12 f) gewesen sein, andererseits aber soll die Klägerin die Veräußerung ihrer Vermögenswerte bewußt wahrgenommen haben und in der Lage gewesen sein, die Abwicklung dieser Geschäfte intellektuell zu erfassen und in ihrer Tragweite auch zu beurteilen (Urteil S. 13 und 17). Die erstgenannte Feststellung war auf das Gutachten des Sachverständigen Univ.Prof.Dr.Werner L*** (schriftlich ON 8, mündlich ON 21) gestützt, welcher zunächst für Jänner 1983 der Klägerin eine depressive Geisteskrankheit attestiert hatte, welche ihr die Fähigkeit zur freien Willensbildung genommen habe (ON 8 S. 10 = AS 61), bei der Gutachtenserörterung letztlich aber aussagte, daß die Klägerin im Zeitpunkt dieser Geschäftsabschlüsse zwar nicht außerstande gewesen sei, "formal und intellektuell" die Vorgänge im großen und ganzen zu erfassen, daß aber die psychische Erkrankung den Entschluß dazu (sehr weitgehend) diktiert, beeinflußt, motiviert habe (ON 21 S. 2 ff = AS 108 ff). Daraus ergibt sich der im bisherigen Verfahren unaufgeklärt gebliebene (Feststellungs-)Widerspruch, daß zwar der Rechtsgeschäftswille der Klägerin von ihrer Geisteskrankheit "diktiert, motiviert, beeinflußt" gewesen sei, der Klägerin aber die Einsicht in die Tragweite dieser Vermögensveräußerungen nicht gefehlt habe. Die vom Berufungsgericht im Rahmen seiner Rechtsausführungen vorgenommenen Abschwächungen, die Klägerin sei zu diesen Geschäften auch durch ihre depressive Erkrankung motiviert gewesen, ihre Entschlüsse zu diesen Geschäften seien auch von dieser Erkrankung diktiert gewesen, diese Geschäfte seien nicht entscheidend von ihrer geistigen Störung tangiert gewesen, finden in den - ausdrücklich

übernommenen - Feststellungen des Erstgerichtes überhaupt keine ausreichende Grundlage.

Zur Aufklärung dieser Feststellungswidersprüche ist daher - zumindest - die weitere Erörterung des Sachverständigengutachtens des Univ.Prof.Dr.Werner L*** unumgänglich. Wäre bei der Klägerin in den fraglichen Zeitpunkten die Freiheit zur Willensentschließung durch eine - wenn auch nur vorübergehende - geistige Störung aufgehoben (und nicht etwa nur motiviert oder teilweise beeinträchtigt) gewesen, wäre ihre Handlungs- und Geschäftsfähigkeit zu verneinen, mag auch die Fähigkeit, die Rechtsgeschäfte als solche verstandesmäßig (intellektuell, formal) zu erfassen und an ihrer Durchführung mitzuwirken, noch vorhanden gewesen sein (5 Ob 578/82). Auf die - nach den bisherigen Verfahrensergebnissen unbedenklich vorliegende - Überzeugung der Beklagten und des bei der Durchführung des Übergabsvertrages mitwirkenden Notars von der Geschäftsfähigkeit der Klägerin käme es dann nicht mehr an, weil ein solcher guter Glaube gegenüber dem Geschäftsunfähigen von der Rechtsordnung nicht geschützt wird (JBl 1962, 500; 6 Ob 703/87 uam; Rummel aaO § 865 Rz 12). Diese Verfahrensergänzung kann im Sinne des § 496 Abs 3 ZPO auch vom Gericht zweiter Instanz vorgenommen werden, so daß nur dessen Entscheidung aufzuheben und die Sache in die Vorinstanz zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückzuverweisen ist.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Anmerkung

E14128

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0010OB00574.88.0615.000

Dokumentnummer

JJT_19880615_OGH0002_0010OB00574_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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