TE OGH 1988/6/15 9ObA126/88

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.06.1988
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Friedrich Stefan und Leo Samwald als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Hubert F***, NL-9642 AA Veendam, Straat Magelhaen 6, vertreten durch Dr. Ernst Hagen und Dr. Günther Hagen, Rechtsanwälte in Dornbirn, wider die beklagte Partei Franz R***, Bludenz, Brunnenfelderstraße 42, vertreten durch Dr. Hubert Fitz und Dr. Andreas Brandtner, Rechtsanwälte in Feldkirch, wegen Ausfolgung eines Dienstzeugnisses (Streitwert S 5.000,--) und Zahlung von S 102.598,33 brutto sA, infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Rekursgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. März 1988, GZ 5 Ra 54/88-14, womit der Beschluß des Landesgerichtes Feldkirch als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 11. Februar 1988, GZ 35 Cga 14/88-11, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird zum Teil Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden, soweit sie die Abweisung der Anträge des Beklagten auf Aufhebung der Rechtskraftbestätigung und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist betreffen, aufgehoben; dem Erstgericht wird eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung aufgetragen.

Im übrigen wird dem Revisionsrekurs nicht Folge gegeben. Der Beklagte hat die Kosten seines Revisionsrekurses selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Mit Urteil des Arbeitsgerichtes Feldkirch vom 21. September 1976 wurde der Beklagte schuldig erkannt, dem Kläger binnen 14 Tagen S 102.598,33 brutto sA an Kündigungsentschädigung zu zahlen und ihm ein Dienstzeugnis auszufolgen. In diesem Verfahren war der in Bludenz, Hermann-Sander-Straße 1, wohnhafte Beklagte vorerst durch Dr. Guntram L***, Rechtsanwalt in Bludenz, vertreten. Mit einem am 11. August 1976 beim Arbeitsgericht Feldkirch eingelangten Schriftsatz hatte Dr. L*** das Erlöschen der Vollmacht mitgeteilt (§ 36 Abs 1 ZPO). Zur nächsten und letzten Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung am 21. September 1976 erschien auf seiten des Beklagten niemand; auch der Beklagte selbst leistete der Ladung zur Parteienvernehmung, die nach dem Protokoll über diese Tagsatzung durch Hinterlegung ausgewiesen war, keine Folge. Die am 7. Oktober 1976 angeordnete Zustellung des Urteils führte zwar zu einem Zustellversuch am 8. Oktober 1976, doch langte die Sendung mit dem Vermerk des Zustellers zurück, daß der Beklagte "laut Auskunft seiner Gattin derzeit unauffindbar" sei. Der Vorsitzende des Arbeitsgerichtes Feldkirch verfügte daraufhin am 18. Oktober 1976 die Zustellung an den Beklagten "per postamtliche Hinterlegung D", welche schließlich am 19. Oktober 1976 erfolgte. Am 15. November 1976 bestätigte das Arbeitsgericht Feldkirch die Vollstreckbarkeit des Urteils.

Mit dem am 9. Februar 1988 beim Landesgericht Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht eingelangten Schriftsatz beantragte der Beklagte die "Aufhebung der Rechtskraft" und die neuerliche Zustellung dieses Urteils, in eventu "die Wiedereinsetzung des Verfahrens in den Stand vor der Tagsatzung vom 21. September 1976 und die Aufhebung des Urteils von diesem Tage" sowie in eventu "die Wiedereinsetzung des Verfahrens in den Stand vor Rechtskraft des Urteils". Er sei bereits am 1. August 1976 auf Grund eines Zerwürfnisses mit seiner Ehegattin aus Bludenz weggezogen und habe sich etwa zwei Jahre in Tirol und in "Innerösterreich" aufgehalten. Aus diesem Grunde habe er weder eine Ladung zur Tagsatzung am 21. September 1976 erhalten, noch sei ihm das Urteil des Arbeitsgerichtes Feldkirch gesetzmäßig zugestellt worden. Er habe von dieser Entscheidung vielmehr erst durch die Zustellung einer Exekutionsbewilligung am 26. Jänner 1988 Kenntnis erlangt. Da er anwaltlich vertreten gewesen sei und nicht mit einer Lösung des Vollmachtsverhältnisses rechnen habe müssen, sei er nicht verpflichtet gewesen, die Wohnungsänderung dem Prozeßgericht mitzuteilen.

Das Erstgericht wies die Anträge ab. Es stellte fest, daß sich der Beklagte laut Auskunft des Meldeamtes erst am 15. Dezember 1976 von Bludenz nach Zell am Ziller, pA Sporthotel, abgemeldet habe und vertrat die Rechtsauffassung, daß sämtliche Zustellungen im Verfahren vor dem Arbeitsgericht gesetzmäßig erfolgt seien. In der Tagsatzung vom 27. Juli 1976 sei der Beklagte noch anwaltlich vertreten gewesen. Sein Rechtsbeistand habe die Erstreckung der Tagsatzung auf den 21. September 1976 unter Ladungsverzicht zur Kenntnis genommen. Selbst wenn der Beklagte ab August 1976 ortsabwesend gewesen wäre, sei ihm die Möglichkeit, vor Gericht zu verhandeln, nicht durch einen ungesetzlichen Vorgang entzogen worden. Eine nicht den Vorschriften entsprechende Ladung zur Parteienvernehmung könnte nur als Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend gemacht werden.

Die Zustellung des Urteils durch "postamtliche Hinterlegung D" sei gemäß § 111 Abs 2 ZPO in der damals geltenden Fassung gesetzmäßig erfolgt. Der Beklagte sei gemäß § 111 Abs 1 ZPO verpflichtet gewesen, seine Wohnungsänderung dem Gericht mitzuteilen. Da er dies unterlassen habe, sei das Arbeitsgericht berechtigt gewesen, alle weiteren Zustellungen am bisherigen Zustellort gemäß § 104 Abs 1 ZPO vorzunehmen. Das offensichtliche Unterlassen jeglicher Mitteilung an das Gericht oder an den eigenen Anwalt sei auch kein unvorhergesehenes Ereignis, sondern vielmehr als ein so beträchtliches Verschulden des Beklagten zu werten, daß seinen Wiedereinsetzungsanträgen jegliche Berechtigung fehle. Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß die zur Zeit der Zustellvorgänge geltende Bestimmung des § 111 ZPO trotz der vorherigen anwaltlichen Vertretung des Beklagten jedenfalls ab dem Zeitpunkt der Kündigung der Vollmacht anwendbar gewesen sei. Der Beklagte habe dadurch, daß er geradezu "spurlos verschwunden" sei, nicht darauf vertrauen können, daß ihn sein Anwalt weiterhin vertrete. Er hätte daher Vorsorge dafür treffen müssen, daß ihm durch die Wohnungsänderung keine prozessualen Nachteile entstehen, und hätte dem Gericht die Wohnsitzänderung im Sinne des § 111 Abs 1 ZPO bekanntgeben müssen. Ein Versuch, den neuen Wohnsitz des Beklagten ausfindig zu machen, sei dem Prozeßgericht im Hinblick auf den festgestellten Vermerk des Zustellers unzumutbar gewesen. Da die Zustellung des Urteils gesetzmäßig erfolgt sei, komme eine Aufhebung der Bestätigung der Vollstreckbarkeit nicht in Betracht.

Die Wiedereinsetzungsanträge seien ebenfalls nicht berechtigt. Der Termin der Tagsatzung vom 21. September 1976 sei bereits in der Tagsatzung vom 27. Juli 1976 bekannt gegeben worden. Daß der Beklagte von der Zustellung des Urteils keine Kenntnis erlangte, habe er sich selbst zuzuschreiben. Die Zustellung eines Urteils könne nicht als ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis im Sinne des § 146 Abs 1 ZPO angesehen werden. Nach dieser in der Fassung vor der Zivilverfahrens-Novelle 1983 anzuwendenden Gesetzesstelle schließe das Vorliegen bereits leichter Fahrlässigkeit eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Es genüge daher, daß der Beklagte die Versäumung der Berufungsfrist verschuldet habe, um seine Wiedereinsetzungsanträge abzuweisen. Gegen diesen Beschluß richtet sich der Revisionsrekurs des Beklagten mit dem sinngemäßen Begehren auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Sinne seiner Anträge. Hilfsweise stellt er auch einen Aufhebungsantrag.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, da der Wert des Streitgegenstandes S 30.000,-- übersteigt (Kuderna ASGG § 45 Erl. 10; 9 Ob A 144/87), und auch zum Teil berechtigt. Gemäß § 7 Abs 3 EO, dessen Anwendbarkeit im titelgerichtlichen Verfahren zu prüfen ist (Heller-Berger-Stix I 208;

EvBl 1958/279 mwH, 1977/176 ua), ist die gesetzwidrig oder irrtümlich erteilte Bestätigung der Vollstreckbarkeit von dem Gericht, das sie erteilt hat, von Amts wegen oder auf Antrag eines Beteiligten durch Beschluß aufzuheben. Dieses Verfahren ist stets von Amts wegen zu führen; werden Zustellungsmängel geltend gemacht, ist der Sachverhalt in jeder geeigneten Richtung zu erheben (Heller-Berger-Stix aaO 209 ff).

Der Beklagte behauptete im wesentlichen, daß er am 1. August 1976 von Bludenz weggezogen und ihm ab diesem Zeitpunkt keine seinen Prozeß betreffende Zustellung mehr zugekommen sei. Wenn es auch zutrifft, daß der für den Beklagten einschreitende Rechtsanwalt die Erstreckung der Tagsatzung vom 27. Juli 1976 auf 21. September 1976 zur Kenntnis nahm und es daher insoweit keiner neuerlichen Ladung des Beklagten zu dieser Tagsatzung bedurfte (§§ 137 Abs 1, 39 ZPO; Fasching Kommentar II 702 f), bleibt es entgegen der Ansicht des Rekursgerichtes entscheidungswesentlich, daß der Vertreter des Beklagten in der Folge das Vollmachtsverhältnis auflöste. So lange der Beklagte nämlich durch einen Rechtsanwalt vertreten war, konnte er hinsichtlich seines Wohnungswechsels nicht der Sanktion des zur Zeit der Zustellvorgänge geltenden § 111 Abs 2 ZPO unterliegen (SZ 41/110). Das dem Arbeitsgericht Feldkirch am 11. August 1976 angezeigte Erlöschen der Vollmacht betraf gemäß § 36 ZPO nur das Außenverhältnis gegenüber dem Gericht und der Gegenpartei, weshalb auch keine Zustellung dieser Mitteilung an den Beklagten verfügt wurde. Hinsichtlich des Beklagten ist aber wesentlich, ob er selbst von der Auflösung des Vollmachtsverhältnisses überhaupt in Kenntnis gesetzt wurde. Die dazu vom Rekursgericht angestellten Erwägungen sind mangels jeglicher diesbezüglicher Erhebungen nicht objektiviert. Ist dem Beklagten die Kündigung des Vollmachtsverhältnisses (§ 1021 ABGB) durch seinen Rechtsanwalt zugegangen, war er sohin in Kenntnis, daß er nicht mehr weiter vertreten werde, dann war er gemäß § 111 Abs 1 ZPO verpflichtet, die Wohnungsänderung dem Gericht mitzuteilen. In diesem Fall hatte die Unterlassung einer solchen Mitteilung die vom Rekursgericht aufgezeigte Rechtsfolge der Zulässigkeit einer postamtlichen Hinterlegung des Urteils gemäß § 111 Abs 2 ZPO (Fasching aaO 605 f; Rz 1978/90). Der vom Beklagten auch in seinem Revisionsrekurs aufrecht erhaltene Einwand, das Arbeitsgericht Feldkirch hätte seine neue Anschrift ohne Schwierigkeiten feststellen können, schlägt nicht durch, da der Beklagte nach der im Bericht des Zustellers vom 8. Oktober 1976 festgehaltenen Auskunft der Gattin "derzeit unauffindbar" war und selbst eine Meldeanfrage noch keine Abmeldung von seiner bisherigen Anschrift erbracht hätte.

Hatte aber der Beklagte von der jedenfalls verfahrensrechtlich wirksamen Auflösung des Vollmachtsverhältnisses (Fasching ZPR Rz 430), ungeachtet der materiellrechtlichen Folgen (Strasser in Rummel ABGB § 1021 Rz 9 ff), keine Kenntnis, kann ihm insoferne nicht angelastet werden, er hätte nichts getan, um die durch die Wohnungsänderung etwa entstehenden Nachteile hintanzuhalten, da er weiterhin davon ausgehen durfte, daß alle Zustellungen an seinen Bevollmächtigten erfolgen werde und daher die Sanktion des § 111 Abs 2 ZPO gar nicht eintreten könne (vgl. SZ 41/110). In diesem Fall hat der Senatsvorsitzende des zuständigen Senates des Erstgerichtes, der auch die (deklarative) Bestätigung der Vollstreckbarkeit erteilen kann, die Bestätigung ohne Beiziehung fachkundiger Laienrichter aufzuheben (Heller-Berger-Stix aaO 206; 9 Ob A 144/87) und die neuerliche Zustellung des Urteils des Arbeitsgerichtes Feldkirch vom 21. September 1976 zu veranlassen. Diesbezüglich bedarf es aber noch einer Ergänzung der Erhebungen im aufgezeigten Umfang durch Einvernahme des seinerzeit für den Beklagten einschreitenden Rechtsanwaltes Dr. Guntram L*** und des Beklagten selbst.

Bei der allenfalls erforderlich werdenden Prüfung, ob die Unterlassung der Mitteilung über die Wohnungsänderung die Wiedereinsetzungsanträge des Beklagten rechtfertigt (Fasching Kommentar II 606), führt entgegen der Ansicht des Rekursgerichtes eine dem Beklagten unterlaufene leichte Fahrlässigkeit noch nicht zur Abweisung der Anträge. Allerdings ist, wie das Rekursgericht richtig erkannte, dem Antrag auf Wiedereinsetzung "des Verfahrens in den Stand vor der Tagsatzung vom 21. September 1976" schon dadurch der Boden entzogen, daß die Versäumung außer der unterlassenen Vernehmung des Beklagten als Partei keine Säumniswirkungen zur Folge hatte (Fasching ZPR Rz 577). Nach Artikel XVII § 2 Abs 1 Z 7 der Übergangsbestimmungen zur Zivilverfahrens-Novelle 1983, BGBl. 1983/135, ist der die Novellierung des § 146 ZPO enthaltende Artikel IV Z 24 anzuwenden, wenn die Frist zur Einbringung des Rechtsbehelfes - so wie hier - nach dem 30. April 1983 zu laufen beginnt. Demnach hindert ein Verschulden an der Versäumung die Wiedereinsetzung nicht; es sei denn, der Beklagte hätte auffallend sorglos gehandelt (vgl. Fasching ZPR Rz 580). Auch dazu wird das Erstgericht die vom Beklagten angebotenen Bescheinigungsmittel aufzunehmen und insoweit in Senatsbesetzung zu entscheiden haben. Die Kostenentscheidung ist in den §§ 40 und 50 ZPO begründet. Hinsichtlich der Kosten des Verfahrens zur Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung ist es zu keinem Zwischenstreit gekommen (Heller-Berger-Stix aaO 211 f); die Kosten des Wiedereinsetzungsverfahrens sind stets von der antragstellenden Partei zu tragen (§ 154 ZPO; Fasching Kommentar II 750).

Anmerkung

E14934

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:009OBA00126.88.0615.000

Dokumentnummer

JJT_19880615_OGH0002_009OBA00126_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten