TE OGH 1988/6/28 4Ob571/88

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Veröffentlicht am 28.06.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr. Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Klinger, Dr. Kodek, Dr. Niederreiter und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Theresia W***, Pensionistin, St. Paul, Hauptstraße 37, vertreten durch Dr. Hans Paar, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Hubert W***, Versicherungsberater, Judendorf-Straßengel, Florianigasse 15, vertreten durch Dr. Siegfried Leitner, Rechtsanwalt in Graz, wegen Räumung (Streitwert nach RAT S 12.000,--, nach GGG S 6.000,--) infolge (außerordentlicher) Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgerichtes vom 24. Februar 1988, GZ 3 R 21/88-17, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 20. November 1987, GZ 6 C 41/87h-11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

I. Die Eingabe der klagenden Partei vom 4. Juni 1988 wird zurückgewiesen.

II. Der Revision wird Folge gegeben; das Urteil des Berufungsgerichtes wird aufgehoben und die Rechtssache zur allfälligen neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Klägerin errichtete auf der ihr allein gehörenden Liegenschaft EZ 1100 KG Judendorf-Straßengel zu Beginn der 70iger Jahre ein Einfamilienhaus. Der Beklagte, ein Sohn der Klägerin, half bei den Bauarbeiten mit. 1982 erklärte die Klägerin dem Beklagten, daß er das Dachgeschoß dieses Hauses ausbauen und mit seiner Familie in das Haus einziehen möge; sie dachte damals, daß sie wegen ihres Gesundheitszustandes in absehbarer Zeit eine Pflegeperson benötigen werde. Tatsächlich begann der Beklagte 1983 im Einvernehmen mit der Klägerin mit dem Ausbau des Dachgeschosses, wobei die Klägerin gelegentlich mithalf. Vom Dezember 1983 bis Anfang März 1984 war die Klägerin - mit einer Unterbrechung zu Weihnachten - im Krankenhaus. Während dieser Zeit setzte der Beklagte die Bauarbeiten fort und informierte die Klägerin davon. Die Klägerin war mit diesen Arbeiten einverstanden und stellte ihm dafür ihre laufenden Pensionszahlungen zur Verfügung. Im Februar 1984 zog der Beklagte mit seiner Familie in das Haus ein. Ab März 1984 bewohnten die Streitteile das Haus gemeinsam: Ein Wohnraum im Erdgeschoß wurde zur ausschließlichen Benützung durch die Klägerin bestimmt, die übrigen Wohnräume im Erdgeschoß wurden gemeinsam benützt; das Dachgeschoß hingegen benützten nur der Beklagte und seine Familie. Die Ehefrau des Beklagten kochte für die Klägerin. Im Juni 1984 kam es zu Differenzen zwischen der Klägerin und der Ehefrau des Beklagten. Die Klägerin, die sich gesundheitlich wieder erholt hatte, zog in der Folge aus ihrem Haus aus.

Der Beklagte trägt die laufenden Betriebskosten (Stromkosten, Telefon- und Kanalgebühren); die Versicherung und die Grundsteuer zahlt die Klägerin.

Ein Entgelt für die Benützung des Hauses wurde nicht vereinbart; der Beklagte zahlt auch keines.

Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Räumung ihres Hauses. Der Beklagte sei während ihres Krankenhausaufenthaltes in das Haus eingezogen und habe dort eigenmächtig Umbauten vorgenommen. Er habe sich ihr gegenüber sodann unleidlich verhalten, so daß sie sich gezwungen gesehen habe, auszuziehen. Der Beklagte bewohne das Haus titellos und zahle dafür auch kein Entgelt. Das Wohnbedürfnis des Beklagten und seiner Familie sei stets anderweitig gedeckt gewesen; daher habe kein Anlaß bestanden, dem Beklagten ein Wohnrecht im Haus der Klägerin einzuräumen.

Der Beklagte beantragte die Abweisung der Räumungsklage. Die Klägerin habe die Liegenschaft 1968 erworben, um mit ihm dort gemeinsam ein Wohnhaus zu errichten. Sie habe dem Kläger und dessen Familie sodann mündlich die Dienstbarkeit der Wohnung eingeräumt; der Beklagte habe sich dafür verpflichtet, anteilige Baukosten zu tragen. 1983 habe die Klägerin dieses Recht auf die gesamte Liegenschaft ausgedehnt und sich lediglich ein im Erdgeschoß gelegenes Zimmer zur ausschließlichen Benützung vorbehalten. Der Ausbau des Dachgeschosses während des Krankenhausaufenthaltes der Klägerin sei einvernehmlich geschehen. Der Beklagte habe im Zuge der Errichtung des Hauses neben Arbeitsleistungen auch Baukosten in der Höhe von S 80.000,-- gezahlt; für den - entsprechend den Wünschen der Klägerin erfolgten - Umbau habe er S 353.000,-- aufgewendet. Das Erstgericht wies die Klage ab. Aus dem Verhalten der Parteien ergebe sich die (schlüssige) Einräumung eines unbefristeten Wohnrechtes; der Beklagte habe dafür die Pflege der Klägerin übernommen.

Das Berufungsgericht gab der Klage statt und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 15.000,--, nicht aber S 300.000,-- übersteige und die Revision nicht zulässig sei. Eine Dienstbarkeit setze die Absicht der Parteien voraus, ein dingliches Recht zu begründen; ein Wohnungsrecht könne aber auch schuldrechtlich begründet werden. Voraussetzung dafür sei die Einigung über den Vertragsinhalt und die Erklärung des Abschlußwillens. Eine ausdrückliche Vereinbarung sei hier nicht getroffen worden; auf ein schlüssiges Zustandekommen des Vertrages habe sich der Beklagte nicht berufen. Aus dem bloß faktischen Einziehen in das Haus und der (einvernehmlichen) Vornahme von Ausbauarbeiten allein dürfe nicht auf den Willen der Streitteile, ein unbefristetes Wohnrecht zu begründen, geschlossen werden. Selbst wenn aber die Klägerin dem Beklagten - wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes - das Wohnrecht eingeräumt hätte, könnte sie es beim Wegfall ihrer Pflegebedürftigkeit wieder beenden. Da der Beklagte das Haus mit seiner Familie sohin titellos benütze, könne die Klägerin den bestehenden tatsächlichen Zustand jederzeit widerrufen. Mit der Räumungsklage könne jeder Inhaber einzeln belangt werden. Gegen dieses Urteil richtet sich die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene außerordentliche Revision des Beklagten mit dem Antrag, das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen; hilfsweise stellt der Beklagte auch einen Aufhebungsantrag.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen oder ihr nicht Folge zu geben.

Die Zivilprozeßordnung sieht nicht vor, daß eine Partei, die bereits durch ihren Prozeßbevollmächtigten eine Revisionsbeantwortung erstattet hat, neuerlich - persönlich - zur Revision ihres Gegners Stellung nehmen kann. Die Eingabe der Klägerin vom 4. Juni 1988 war daher als unzulässig zurückzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen der vom Berufungsgericht und in der Revisionsbeantwortung vertretenen Auffassung zulässig, weil die Frage, ob sich aus den Erklärungen oder dem Verhalten der Streitteile die Einräumung eines Wohnrechtes an den Beklagten ergibt, - soweit ersichtlich - auf Grund eines gleichartigen Sachverhalts noch nicht entschieden wurde. Die Revision ist aber auch berechtigt.

Das Wohnungsgebrauchsrecht kann nach ständiger Rechtsprechung (MietSlg 25.038, 28.045, 29.057, 31.049, 33.045, 34.059 uva) auch ohne dingliche Wirkung durch einen Innominatkontrakt begründet werden. Ein familienrechtliches Wohnverhältnis, bei dem die Rechtsstellung des Benützers von der Art seiner Beziehungen zum Verfügungsberechtigten (insbesondere Unterhalt; Anspruch des Ehegatten nach § 97 ABGB) abhängt und das mangels familienrechtlicher Ansprüche von dem über die Wohnräume Verfügungsberechtigten jederzeit beendet werden kann, unterscheidet sich vom vertraglichen Wohnrecht durch das Fehlen einer schuldrechtlichen Bindung (Würth in Rummel, ABGB, Rz 7 zu § 1090). Wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, setzt das Zustandekommen eines solchen Wohnungsgebrauchsrechtes immer voraus, daß ein Vertrag geschlossen wird, wofür Einigung über den Vertragsinhalt und Erklärung des Abschlußwillens erforderlich sind (SZ 40/141 = MietSlg 29.059). Unter Familienangehörigen wird aber nicht jene Bestimmtheit von Willenserklärungen verlangt, wie dies im Geschäftsverkehr zwischen fremden Personen der Fall ist. Bei der Abgrenzung zwischen einem bloß auf der Familienangehörigkeit beruhenden faktischen Verhältnis und einem schlüssig, infolge dieses Familienverhältnisses aber nicht mit voller Bestimmtheit vereinbarten Vertragsverhältnis kommt es daher immer auf die Umstände des Einzelfalles an. Dabei steht das Fehlen einer Vereinbarung über die Leistung eines Entgeltes nur der Annahme eines Mietvertrages, nicht aber eines obligatorischen Benützungsverhältnisses entgegen (MietSlg 31.050).

Das Erstgericht hat im vorliegenden Fall festgestellt, daß die Klägerin bereits im Jahr 1982 - wegen ihres Gesundheitszustandes - von sich aus die Absicht geäußert hatte, der Beklagte möge das Dachgeschoß ihres Hauses ausbauen und mit seiner Familie dort wohnen. Sie unterstützte den Beklagten dann auch bei diesem Ausbau durch Arbeits- und Geldleistungen. Daraus würde sich ergeben, daß die Klägerin dem Beklagten nicht nur das faktische Wohnen in ihrem Hause ermöglichen, sondern im Hinblick auf ihre Alter und ihren Gesundheitszustand sich auch die erforderlichen Hilfeleistungen ihres Sohnes und dessen Familie sichern wollte. Unter diesen Umständen hätte der Beklagte aus dem Gesamtverhalten der Klägerin den Schluß ziehen dürfen, daß ihm die Klägerin ein vertragliches Recht auf Benützung des Dachgeschosses habe einräumen wollen. Sollte die Klägerin auch mit dem Umbau im Erdgeschoß einverstanden gewesen sein, dann wäre dieses Recht - mit Ausnahme der Benützung des der Klägerin allein vorbehaltenen Zimmers - auch auf die Mitbenützung aller übrigen im Erdgeschoß gelegenen Räume des Hauses ausgedehnt worden. Im Hinblick auf das Alter der Klägerin hätte der Beklagte auch annehmen dürfen, daß dieses Wohnungsbenützungsrecht nicht bloß vorübergehend (Dauer der Gesundheitsstörung der Klägerin), sondern zumindest auf Lebenszeit der Klägerin eingeräumt wurde.

Das Berufungsgericht hat aber - ausgehend von einer anderen Rechtsansicht - die Tatsachenrügen in der Berufung der Klägerin nicht behandelt, mit denen die angeführten Feststellungen des Erstgerichtes bekämpft wurden. Da die Sache somit nicht abschließend beurteilt werden kann, war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Rechtssache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

Anmerkung

E14419

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0040OB00571.88.0628.000

Dokumentnummer

JJT_19880628_OGH0002_0040OB00571_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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