TE OGH 1988/6/28 2Ob30/88 (2Ob31/88)

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Veröffentlicht am 28.06.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Partei Engelbert M***, Frührentner, 9360 Friesach, St. Thomasweg 12, vertreten durch Dr. Kurt Eckmair und Dr. Reinhard Neureiter, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagten Parteien 1. G*** W*** Versicherung, 8010 Graz, Herrengasse 18-20, (6 Cg 56/86) 2. Albin K***, Kraftfahrer, 8820 Neumarkt, Kärntnerstraße 12, 3. Franz R***, Transportunternehmer, 8763 Möderbrugg, (6 Cg 174/86), sämtliche vertreten durch Dr. Heinrich Kammerlander jun., Rechtsanwalt in Graz, wegen S 421.227,34 s.A. Leistung und Feststellung (Feststellungsinteresse S 100.000,-), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 21. Dezember 1987, GZ 3 R 228, 229/87-39, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 20. August 1987, GZ 6 Cg 56/86-31, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil aufgehoben; zugleich wird auch das Urteil des Erstgerichtes aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen; die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind als weitere Verfahrenskosten zu behandeln.

Text

Begründung:

Am 18. Mai 1984 gegen 18.45 Uhr ereignete sich im Ortsgebiet von Friesach ein Verkehrsunfall, bei dem der Kläger mit seinem Motorroller Vespa Kennzeichen-Nr. K 166.318, gegen den vom Zweitbeklagten gelenkten LKW-Zug der Drittbeklagten, Kennzeichen-Nr. St 15.397, der bei der Erstbeklagten haftpflichtversichert war, stieß, zum Sturz kam und schwer verletzt wurde. Der Zweitbeklagte wurde mit rechtskräftiger Strafverfügung des Bezirksgerichtes St. Veit/Glan vom 25. Juli 1984, GZ 5 U 506/84-5, des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 4 StGB schuldig erkannt, weil er am 18. Mai 1984 in Friesach als Lenker des LKW mit dem Kennzeichen St 15.397 samt Anhänger, Kennzeichen St 115.869, dadurch, daß er in der Neumarkterstraße beim Einbiegen nach rechts zur Total-Tankstelle die Gegenfahrbahn, auf welcher sich Engelbert M*** auf einem Motorroller näherte, zum Teil blockierte, einen Anstoß des Motorrollers an die linken rückwärtigen Reifen des Anhängers verschuldete, wobei M*** zu Sturz kam und schwere Verletzungen erlitt (Serienrippenbrüche, Bruch des linken Oberarmes, Schulterbruch links, Schlüsselbeinbruch links, Verletzung der Arterie). Der Kläger forderte die Bezahlung von S 421.227,34 s.A. und stellte auch ein Feststellungsbegehren. Der Zweitbeklagte habe rechts geblinkt, beim Einbiegen nach rechts habe der Zugwagen geringfügig die Fahrbahnmitte überschritten. Da aber der Anhänger mitgelenkt wurde, sei dieser im letzten Augenblick des Einbiegens stark nach links ausgeschwenkt. Durch diese Situation völlig überrascht, sei es zur Kollision des Motorrollers des Klägers mit dem Anhänger des LKW-Zuges gekommen. Aus Gründen der Vorsicht würden vorbehaltlich einer Ausdehnung zwei Drittel des Schadens geltend gemacht.

Die Beklagten beantragten Klagsabweisung und wendeten ein, den Kläger treffe wegen Einhalten einer überhöhten Geschwindigkeit, wegen verspäteter Reaktion, wegen mangelnder Verkehrsbeobachtung bzw. unrichtiger Reaktion, auf eine unklare Verkehrssituation das überwiegende Verschulden am Zustandeskommen des Unfalls. Die Klagsforderung wurde auch der Höhe nach bestritten. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, wobei es im wesentlichen von folgenden Feststellungen ausging:

Die Unfallstelle befindet sich auf der Neumarkterstraße vor der Zufahrt zur Tankstelle der Firma Total. Als Bezugslinie (BL) wurde die Senkrechte zur Fahrbahnlängsachse durch das nördliche Ende des westlichen Geländers über den Metnitzbach herangezogen. Die Sichtverhältnisse zum Zeitpunkt des Verkehrsunfalles waren gut, der Himmel war zwar teilweise bedeckt, es gab aber noch helle Tagessicht, die Fahrbahn bestand aus Rauhasphalt, sie war trocken und eben.

Im Bereich der Unfallstelle gibt es eine Fahrbahnkrümmung, d.h. die Straße wird durch die Kurve um ca. 50o, von Norden nach Süden betrachtet, nach Westen abgelenkt. Die Tangenten am jeweiligen Beginn des kurveninnenseitigen Bogens schneiden sich 1 m außerhalb des kurvenaußenseitigen Randes im Scheitel der Kurve und haben vom Schnittpunkt bis zum Bogenbeginn in Richtung nach Süden 32 m Länge und in Richtung nach Norden 34 m Länge. Die Flucht des Tankstellengebäudes (südliche Mauer) schneidet den kurveninnenseitigen Fahrbahnrand 24 m südlich des nördlichen Endes der Kurve, gemessen an der Gehsteigkante. Die Fahrbahn selbst hat auf der Brücke eine Breite von 6,6 m, im Zuge der Kurve von der Gehsteigkante bis zu einer weißen Rand- bzw. Begrenzungslinie 7 m. Im Bereiche der Kurve liegt unmittelbar anschließend an die Brücke kurvenaußenseitig die genannte Tankstelle. An diese schließt sich eine nach Süd-Osten führende Straße an, deren Einmündungstrichter rund 5 m südlich des Beginnes der Kurve endet. Die nach Norden anschließende Fahrbahn ist entlang einer Strecke von rund 150 m vollkommen gerade und übersichtlich. Von Norden kommend beginnt die erste Sicht auf die Brücke aus einer Position rund 65 m nördlich des nördlichen Endes der Unfallkurve. Die Unfallkurve hat, wie sich aus der Länge der beiden am Bogenanfang und am Bogenende angelegten Tangenten von 34 bzw. 32 m ergibt, eine Länge von rund 65 m. Das südliche Ende der Kurve liegt 4 m südlich der BL, etwa im gleichen Bereich wie der Unfallspunkt. Der von Richtung Süden kommende Lenker des LKW-Zuges (Zweitbeklagte) mußte beim Einfahren in den Weg südlich des Tankstellengebäudes aus seiner geraden Fahrlinie eine Rechtsrichtungsänderung von 140o durchführen. Dabei hatte er vorerst von seiner rechten Fahrbahnseite soweit wie nur möglich nach links auszuholen, um dann in den nach Südosten führenden Weg einfahren zu können. Der Beklagte betätigte die rechte Blinkeranlage und begann mit dem Einbiegemanöver. Diese Bewegung wurde mit einer mittleren Geschwindigkeit von höchstens 10 km/h durchgeführt, wodurch eine Strecke von 24,2 bzw. 22,2 m in 8,7 sec bzw. 8,0 sec durchfahren wurde. Abgesehen vom LKW-Zug und einigen Radfahrern die vor dem Zug gefahren waren, befanden sich keine weiteren Straßen- bzw. Fahrbahnbenützer im Unfallsbereich. Zu diesem Zeitpunkt, als der LKW-Fahrer gerade im Begriffe war, nach rechts einzubiegen und nach links ausgeschert ist, näherte sich der Kläger mit dem Motorroller der Marke Vespa auf der Neumarkterstraße, ziemlich in der Mitte seiner Fahrspur fahrend, mit etwa 60 km/h. Die Sicht auf die Brücke begann für den Kläger aus einer Position rund 65 m nördlich des nördlichen Endes der Unfallkurve, der Abstand vom Unfallspunkt bis zum Bereich der ersten Sicht betrug 130 m. Das Fahrzeug des Klägers näherte sich dem LKW des Beklagten zunächst mit unverminderter Geschwindigkeit, der Verzögerungsvorgang selbst (Bremsen) begann erst ca. 15,5 m nördlich des Unfallspunktes. Diese 15,5 m bis zum Unfallspunkt wurden in ca. 1,2 sec zurückgelegt. Aus der Position 130 m nördlich des Unfallspunktes zur vom Motorroller herführenden Spur an den Bordsteinkanten wurden somit 115 m zurückgelegt, erst dann setzte ein abruptes Bremsmanöver ein, wodurch der Roller, nachdem er mehrfach auf die Fahrbahn und den Gehsteig aufschlug, letztlich mit einer Restgeschwindigkeit von 20 bis 30 km/h gegen den Anhänger des rechts abbiegenden LKW-Zuges prallte. Der Kontakt fand zwischen der linken Abdeckung des Reserverades, links unter dem Sitz des Motorrollers, und der Reifenwanne des äußeren linken Zwillingsrades der Hinterachse des Anhängers statt. Die Kratzspuren begannen auf der Fahrbahn 17 m nördlich der Endlage des Rollers und setzten sich am straßenseitigen Gehsteigrand des westlichen Gehsteiges nach Süden, bis 9 m nördlich der Endlage des Rollers, fort. 11,5 m nördlich der Endlage begannen auch Farbspuren, die sich bis zur Endlage des Rollers fortsetzten. Der Unfallspunkt (Anprallpunkt der beiden Fahrzeuge) ist ca. 5 m nördlich der Endlage des Rollers gelegen. In diesem Bereich ist der Anhänger dem Gehsteig an nächsten gekommen. Während des starken Rechtsbogens bewegte sich, zufolge der bestehenden Lenkgeometrie am LKW-Zug, der Anhänger immer weiter bogeninnenseitig als das Zugfahrzeug. Die Erkennbarkeit der gefahrenvollen Verkehrssituation für den Kläger begann aus einer Position in Höhe des nördlichen Endes der Kurve, als das Fahrzeug des Klägers bereits eine Strecke von 65 m ab erster Sicht auf den Brückbereich zurückgelegt hatte. Diese 65 m wurden in einer Zeit von 3,8 bis 3,9 sec durchfahren, dies bei einer Geschwindigkeit des Rollers von etwa 60 km/h. Bis zum Anprall verblieben somit 4,2 bis 4,8 sec. Zu diesem Zeitpunkt war für den Kläger einwandfrei sichtbar, daß sich das Beklagtenfahrzeug aus dem Bereich der westlichen Fahrbahnhälfte in den Bereich östlich der Fahrbahn bewegte, die Situation war jedenfalls für den Kläger eindeutig als äußerst kritisch erkennbar. Der Lenker des LKW-Zuges bemerkte den Verkehrsunfall nicht, setzte seine Fahrt auf das Tankstellengelände fort und stellte seinen Zug dort ab. Nach Erkennen der Gefahrenlage hätte der Kläger nach einer Reaktionszeit von 1 sec eine Abwehrhandlung in Form einer Bremsung setzen können, der Anhalteweg hätte dann ca. 40,3 bzw. 45,6 m betragen. In beiden Fällen wäre das Motorrad in ausreichender Entfernung vor dem einbiegenden LKW-Zug zum Stillstand gekommen. Die Bremsung hätte also 3,2 bis 3,8 sec vor dem tatsächlichen Aufprall beginnen können, begann jedoch erst 1,2 bzw. 1,4 sec vor dem Anprall. Es gab daher einen Reaktionsverlust von 2,0 bis 2,4 sec.

Zur Rechtsfrage führte das Erstgericht aus, dem Zweitbeklagten könne kein Verstoß gegen die Vorschrift der §§ 12 Abs 2, 13 Abs 1 StVO angelastet werden, weil es sich im gegenständlichen Fall um einen LKW-Zug mit insgesamt 18 m Gesamtlänge und 15.892 kg Eigengewicht gehandelt habe, wodurch es im Sinne des beabsichtigten Einbiegemanövers gar nicht möglich gewesen sei, eng einzubiegen bzw. einzufahren. Müsse der Fahrzeuglenker, bedingt durch die Beschaffenheit des von ihm gelenkten Fahrzeuges, vor dem Rechtseinbiegen links ausschwenken, habe er unter Umständen der dadurch geschaffenen unklaren Verkehrssituation durch besondere Vorsicht Rechnung zu tragen, da die genannten Bestimmungen ja letztlich den Zweck hätten, allen möglichen Gefahren des Straßenverkehrs vorzubeugen. Der Zweitbeklagte sei aber auch nicht zur Beiziehung eines Einweisers im Sinne des § 13 Abs 3 StVO verpflichtet gewesen, da dies nur für extreme Fälle vorgesehen sei, in welchen nach den Umständen des Einzelfalles damit gerechnet werden müsse, daß ein anderer Verkehrsteilnehmer selbst bei vorschriftsmäßiger Fahrweise nur schwer oder überhaupt nicht mehr einen Zusammenstoß mit dem für ihn plötzlich auftauchenden Fahrzeug verhindern könne. Bei Entscheidung der Frage, ob eine derartige gefährliche Verkehrssituation gegeben sei, habe der Lenker des LKW-Zuges von der Voraussetzung ausgehen können, daß allfällige andere, für ihn zum Zeitpunkt des Auslenkens und Beginn des Rechtsabbiegemanövers noch nicht wahrnehmbare Verkehrsteilnehmer sich vorschriftsmäßig verhalten, insbesondere die im Ortsgebiet geltenden Geschwindigkeitsbeschränkung von 50 km/h einhalten würden. Unter diesen Umständen, vor allem jedoch unter Bedachtnahme auf die vorhandene Sicht und zwar, daß von Norden die Sicht auf die Brücke aus einer Position um 65 m nördlich des nördlichen Endes der Unfallkurve begonnen und der Abstand vom Unfallspunkt bis zum Punkt der ersten Sicht 130 m betragen habe, habe der Zweitbeklagte beim Einfahren bzw. Abbiegen auf einen Einweiser verzichten dürfen. Er habe weiters darauf vertrauen dürfen, daß sich die Benützer der Straße im Ortgebiet mit keiner höheren Geschwindigkeit als 50 km/h nähern werden, gegebenenfalls also auch rechtzeitig anhalten könnten. Dem Zweitbeklagten sei daher unter Zugrundelegung dieser rechtlichen Beurteilung kein Vorwurf eines unrichtigen Fahrverhaltens zu machen. Vielmehr sei dem Kläger vorzuhalten, daß er einerseits die erlaubte höchstzulässige Geschwindigkeit im Ortsgebiet deutlich überschritten habe (§ 20 Abs 2 StVO), andererseits die gesamte Situation eindeutig nicht klar erfaßt und speziell eine Reaktionsverspätung von 2,4 bzw. 2,0 sec (bezogen auf den Geschwindigkeitsbereich) zu verantworten habe. Wie festgestellt, hätte der Kläger cirka 3,8 sec vor dem Anprall auf die völlig unklare Situation vor ihm reagieren können, wobei er dann im Rahmen eines regulären Bremsmanövers ohne weiteres und gefahrlos vor einem Kontakt mit dem LKW-Zug bzw. dessen Anhänger sein Fahrzeug zum Stillstand hätte bringen können. Aus diesem Grunde liege das Alleinverschulden beim Kläger. Das in der Strafverfügung zum Ausdruck gebrachte Verschulden des Zweitbeklagten müsse als ein im Vergleich zum gravierenden Fehlverhalten des Klägers derartig geringfügiges angesehen werden, daß es schadenersatzrechtlich keinesfalls mehr die Annahme eines relevanten Mitverschuldens des Lenkers des Beklagtenfahrzeuges rechtfertigen würde. Die Berufung des Klägers blieb erfolglos. Das Berufungsgericht sprach aus, daß der von der Bestätigung betroffene, nicht ausschließlich in einem Geldbetrag bestehende Wert des Streitgegenstandes, über den es entschied, zusammen mit dem in einem Geldbetrag bestehenden Teil des Streitgegenstandes den Betrag von S 300.000,- übersteigt. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich und billigte auch die rechtliche Beurteilung der ersten Instanz.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision des Klägers aus den Anfechtungsgründen nach § 503 Abs 1 Z 1 und 4 ZPO mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne des Zuspruches von zwei Dritteln, allenfalls der Hälfte des Leistungsbegehrens und Feststellung der Haftung der Beklagten für die künftigen Unfallschäden des Klägers im Umfang von zwei Dritteln, allenfalls der Hälfte; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Beklagten beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinne des Aufhebungsantrages berechtigt. Unter dem Anfechtungsgrund der Nichtigkeit nach den §§ 503 Abs 1 Z 1, 477 Abs 1 Z 9 ZPO führt der Kläger aus, die Vorinstanzen hätten den Unfallsort insofern unrichtig beschrieben, als sie davon ausgegangen seien, der Zweitbeklagte habe nach rechts in den Parkplatz der Tankstelle abbiegen wollen, ohne zu berücksichtigen, daß dieser Parkplatz auch von der Vorderseite der Tankstelle aus erreichbar gewesen sei, ohne daß ein Ausschwenken des LKW-Zuges auf die linke Fahrbahnhälfte erforderlich gewesen wäre. Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden. Der Nichtigkeitsgrund nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO liegt vor, wenn die Fassung des Urteiles so mangelhaft ist, daß dessen Überprüfung nicht mit Sicherheit vorgenommen werden kann, wenn das Urteil mit sich selbst im Widerspruch ist oder für die Entscheidung keine Gründe angegeben sind. Nur der Widerspruch im Spruch selbst begründet Nichtigkeit (vgl. EvBl 1958/11 ua); der Nichtigkeitsgrund der mangelnden Begründung ist nur dann gegeben, wenn die Entscheidung gar nicht oder so unzureichend begründet ist, daß sie sich nicht überprüfen läßt. Das Vorliegen auch nur einer dieser Voraussetzungen vermochte der Kläger jedoch in keiner Weise darzutun; er versucht mit seinen Ausführungen vielmehr in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen zu bekämpfen. Der geltend gemachte Revisionsgrund liegt daher nicht vor. In der Rechtsrüge bekämpft der Kläger die Auffassung des Berufungsgerichtes, das infolge der strafgerichtlichen Verurteilung feststehende Verschulden des Zweitbeklagten sei so geringfügig, daß es bei der Schadensteilung zu vernachlässigen sei; dem Kläger könne allenfalls eine geringfügige Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit und eine Reaktionsverspätung vorgeworfen werden; dies sei schon in der Klage durch Geltendmachung eines Verschuldens des Zweitbeklagten im Ausmaß von nur zwei Dritteln berücksichtigt worden; hingegen treffe den Zweitbeklagten ein schwerwiegendes Mitverschulden, weil er beim Einbiegen nach rechts auf die linke Fahrbahnhälfte ausgeschwenkt sei und sein Augenmerk nur in den rechten Außenspiegel gerichtet habe. Bei Erkennen des starken Ausschwenkens des Anhängers habe der Kläger ohnehin prompt reagiert. Es wäre daher eine Schadensteilung im Verhältnis von 1 : 2 zu Lasten der Beklagten, allenfalls eine solche von 50 : 50 gerechtfertigt.

Diesen Ausführungen kommt teilweise Berechtigung zu. Die im § 268 ZPO normierte Bindungswirkung rechtskräftiger verurteilender Erkenntnisse des Strafgerichtes, die sich nach ständiger Rechtsprechung auch auf Strafverfügungen erstreckt (SZ 25/14; ZVR 1974/96; ZVR 1979/312; SZ 53/145 uva), hat zur Folge, daß der Zivilrichter keine vom Straferkenntnis abweichenden Feststellungen bezüglich des Nachweises der strafbaren Handlung, ihrer Zurechnung und des Kausalzusammenhanges zwischen der strafbaren Handlung und deren Folgen treffen darf (SZ 55/154 ua). Auf Grund der rechtskräftigen Strafverfügung des Bezirksgerichtes St. Veit an der Glan vom 25. Juli 1984, 5 U 506/84-5, steht somit für das Zivilgericht bindend fest, daß der Zweitbeklagte dadurch, daß er in Friesach als Lenker eines LKWs mit Anhänger beim Einbiegen nach rechts zur Total-Tankstelle die Gegenfahrbahn, auf der sich der Kläger auf einen Motorroller näherte, zum Teil blockierte, einen Anstoß des Klägers an den linken rückwärtigen Reifen des Anhängers verschuldete, wobei der Kläger zum Sturz kam und schwere Verletzungen erlitt.

Nach den vom Revisionsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes mußte der von Richtung Süden kommende Lenker des LKW-Zuges (Zweitbeklagte) beim Einfahren in den Weg südlich des Tankstellengebäudes aus seiner geraden Fahrlinie eine Richtungsänderung nach rechts von 140o durchführen. Dabei hatte er vorerst von seiner rechten Fahrbahnseite soweit wie nur möglich nach links auszuholen, um dann in den nach Süden führenden Weg einfahren zu können. Der Beklagte betätigte die rechte Blinkeranlage und begann mit dem Einbiegemanöver. Diese Bewegung wurde mit einer mittleren Geschwindigkeit von höchsten 10 km/h durchgeführt, wodurch eine Strecke von 24,2 bzw. 22,2 m in 8,7 sec bzw. 8,0 sec durchfahren wurde. Abgesehen vom LKW-Zug und einigen Radfahrern die vor dem Zug gefahren waren, befanden sich keine weitere Straßen- bzw. Fahrbahnbenützer im Unfallsbereich. Zu diesem Zeitpunkt, als der LKW-Fahrer gerade im Begriff war, nach rechts abzubiegen und dabei nach links ausscherte, näherte sich der Kläger mit dem Motorroller auf der Neumarkterstraße, ziemlich in der Mitte seiner Fahrspur fahrend mit etwa 60 km/h. Die Sicht auf die Brücke begann für den Kläger aus einer Position rund 65 m nördlich des nördlichen Endes der Unfallkurve, der Abstand vom Unfallspunkt bis zum Bereich der ersten Sicht betrug 130 m. Das Fahrzeug des Klägers näherte sich dem LKW des Beklagten zunächst mit unverminderter Geschwindigkeit, der Verzögerungsvorgang selbst (Bremsen) begann erst ca. 15,5 m nördlich des Unfallspunktes. Während des starken Rechtsbogens bewegte sich, zufolge der bestehenden Lenkgeometrie am LKW-Zug, der Anhänger immer weiter bogeninnenseitig als das Zugfahrzeug. Die Erkennbarkeit der gefahrvollen Verkehrssituation für den Kläger begann aus einer Position in Höhe des nördlichen Endes der Kurve, als das Fahrzeug des Klägers bereits eine Strecke von 65 m ab erster Sicht auf den Brückbereich zurückgelegt hatte. Diese 65 m wurden in einer Zeit von ca 3,8 bis 3,9 sec durchfahren, dies bei einer Geschwindigkeit des Rollers von etwa 60 km/h. Bis zum Anprall verblieben somit 4,2 bis 4,8 sec. Zu diesem Zeitpunkt war für den Kläger einwandfrei sichtbar, daß sich das Beklagtenfahrzeug aus dem Bereich der westlichen Fahrbahnhälfte in den Bereich östlich der Fahrbahn bewegte, die Situation war jedenfalls für den Kläger eindeutig als äußerst kritisch erkennbar. Der Lenker des LKW-Zuges bemerkte den Verkehrsunfall nicht, setzte seine Fahrt auf das Tankstellengelände fort und stellte seinen Zug dort ab. Nach Erkennen der Gefahrenlage hätte der Kläger nach einer Reaktionszeit von 1 sec eine Abwehrhandlung in Form einer Bremsung setzen können, der Anhalteweg hätte dann ca 40,3 bzw. 45,6 m betragen. In beiden Fällen wäre das Motorrad in ausreichender Entfernung vor dem einbiegenden LKW-Zug zum Stillstand gekommen. Die Bremsung hätte also 3,2 bis 3,8 sec vor dem tatsächlichen Aufprall beginnen können, begann jedoch erst 1,2 bzw. 1,4 sec vor dem Anprall. Es gab daher einen Reaktionsverlust von 2,0 bis 2,4 sec.

Nach ständiger Rechtsprechung stehen bei Teilnahme am Straßenverkehr Aufmerksamkeit, Geschwindigkeit und Sichtverhältnisse in einem derart untrennbaren Zusammenhang, daß nur das richtige Verhältnis dieser drei Komponenten zueinander der Vorschrift des § 20 Abs 1 StVO gerecht wird. Ein Minus bei einem dieser für die Verkehrssicherheit maßgeblichen Faktoren muß immer durch ein Plus bei den anderen ausgeglichen werden (ZVR 1969/108; ZVR 1972/97; ZVR 1979/195 ua).

Der Oberste Gerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, daß der Lenker eines Fahrzeuges, das infolge seiner Bauart nicht die fahrtechnische Möglichkeit hat, vom rechten Fahrstreifen (§ 12 Abs 2 StVO) nach rechts in kurzem Bogen (§ 13 Abs 1 StVO) einzubiegen, verpflichtet ist, sich davon zu überzeugen, ob das Einbiegen, sei es mit größerem Abstand zum rechten Fahrbahnrand unter Freilassung eines Fahrstreifens, sei es unter Linksausschwenken des Fahrzeuges, möglich ist, ohne andere Verkehrsteilnehmer zu gefährden (vgl. ZVR 1963/2; ZVR 1974/180; ZVR 1975/68; ZVR 1977/116 ua). Wenn diese Entscheidungen auch zumeist Unfälle betrafen, denen eine Kollision zwischen einem nach rechts einbiegenden Fahrzeug und einem auf dem rechten Fahrstreifen nachfolgenden Verkehr zugrundelag, bestehen nach den oben dargelegten Grundsätzen keine Bedenken, die Verpflichtung des Lenkers des unter Linksausschwenken auf die Gegenfahrbahn nach rechts einbiegenden Fahrzeuges zur besonderen Vorsicht und Aufmerksamkeit zumal während eines länger dauernden Einbiegevorganges auch auf herannahende Fahrzeuge des Gegenverkehrs zu beziehen, insbesondere wenn, wie im vorliegenden Fall, das Rechtseinbiegen im Bereich einer Kurve erfolgt. Kann der Einbiegevorgang nach den örtlichen Verhältnissen nicht ohne Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer durchgeführt werden, hat der Lenker davon Abstand zu nehmen. Da der Zweitbeklagte aber nach den Feststellungen den Unfall gar nicht wahrnahm, ist ihm jedenfalls eine Verletzung der Verpflichtung zur aufmerksamen Beobachtung auch des Gegenverkehrs während des Abbiegemanövers anzulasten. Dieses Fehlverhalten kann aber entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes bei der Schadensteilung keineswegs als geringfügig vernachlässigt werden. Bei Gegenüberstellung des Verschuldens des Zweitbeklagten und des dem Kläger zur Last fallenden schwerwiegenden Aufmerksamkeitsfehlers zufolge der festgestellten Reaktionsverspätung von zumindest 2 sec sowie der Überschreitung der im Ortsgebiet zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 20 % erscheint dem Revisionsgericht bei Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Falles eine Schadensteilung im Verhältnis 1 : 2 zu Lasten des Klägers für gerechtfertigt.

Da die Vorinstanzen weder Feststellungen über die Höhe der Klagsansprüche, noch hinsichtlich der Voraussetzungen des Feststellungsbegehrens getroffen haben, mußten die Urteile aufgehoben werden. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren unter Zugrundelegung der vom Revisionsgericht festgesetzten Schadensteilung im Verhältnis von 1 : 2 zu Lasten des Klägers nach Verfahrensergänzung über das Leistungs- und das Feststellungsbegehren des Klägers neuerlich zu entscheiden haben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E14834

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0020OB00030.88.0628.000

Dokumentnummer

JJT_19880628_OGH0002_0020OB00030_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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