Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter und durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Alfred Hoppi und Dr. Karlheinz Kux (beide Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Michaela S***, ohne Beschäftigung, 1180 Wien, Kreuzgasse 59, vertreten durch Dr. Wolfgang Aigner, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei S*** DER
G*** W***, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Erwerbsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. Jänner 1988, GZ 31 Rs 246/87-18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 10. September 1987, GZ 17 Cgs 2005/87-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 3. Dezember 1986 lehnte die beklagte Partei den Antrag der Klägerin auf Zuerkennung einer Erwerbsunfähigkeitspension nach § 132 GSVG mit der Begründung ab, daß die Voraussetzungen des § 133 Abs 2 GSVG nicht erfüllt seien. Ferner sei am Stichtag die Gewerbeberechtigung nicht erloschen gewesen (§ 130 Abs 2 lc). In der dagegen rechtzeitig erhobenen Klage behauptete die Klägerin, den Gewerbeschein zum 31. Dezember 1986 zurückgelegt zu haben und infolge von Krankheit, Gebrechen und Schwäche ihrer körperlichen Kräfte dauernd außerstande zu sein, jener selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, die sie zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate allein ausgeübt habe. Sie beantragte daher, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, ihr ab 1. Jänner 1987 eine Erwerbsunfähigkeitspension im gestzlichen Ausmaß zu gewähren. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Das Erstgericht wies die Klage ab.
Nach seinen wesentlichen Feststellungen kann die am 22. Mai 1931 geborene Klägerin wegen des im einzelnen festgestellten Gesundheitszustandes während der normalen Arbeitszeit mit den üblichen Pausen leichte Arbeiten im Sitzen, Stehen und Gehen verrichten. Ausgeschlossen sind dauernde Nässe und Kälte, Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, dauerndes Bücken, überdurchschnittlicher Zeitdruck, Akkord- und Fließbandarbeit und Fabriksmilieu.
Die Klägerin war vom 4. April 1978 bis 31. Dezember 1986 in ihrer Tabak-Trafik selbständig tätig, wobei sie alle anfallenden Arbeiten ganztägig selbst verrichtete und ihre persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig war. Nachdem sie das 55. Lebensjahr vollendet hatte, beantragte sie am 26. Juni 1986 die nunmehr eingeklagte Leistung.
Trafikanten verkaufen in Trafiken Zeitungen, Zeitschriften, Zigaretten und andere Tabakprodukte, Brief- und Stempelmarken, nehmen Spielscheine entgegen, leiten sie weiter etc, kassieren und verrichten einschlägige kaufmännische Tätigkeiten. Dabei handelt es sich um leichte Arbeiten, die nicht unter den oben erwähnten Bedingungen zu leisten sind.
Daraus zog das Erstgericht den rechtlichen Schluß, daß die Klägerin noch der zuletzt ausgeübten Erwerbstätigkeit nachgehen könne.
Dagegen erhob die Klägerin Berufung, in der sie unter Benennung der Berufungsgründe der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtigen Tatsachenfeststellung und unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend machte, sie habe schon in der Klage behauptet, daß sie in ihrem Gewerbe ständig schwere Lasten, zB die in Paketen angelieferten Zeitungen, zu heben und zu tragen gehabt habe. Dies hätte sich durch ihre Vernehmung als Partei herausgestellt. Weil sie schwere Lasten nicht mehr heben und tragen könne, sei sie erwerbsunfähig. Sie beantragte, das erstgerichtliche Urteil im "klageabweisenden" Sinn abzuändern oder es allenfalls aufzuheben. Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge.
Es erachtete die Parteienvernehmung wegen Unerheblichkeit der dadurch zu beweisenden Umstände für entbehrlich und führte zu § 133 Abs 2 GSVG aus, daß ein selbständig Erwerbstätiger erst dann erwerbsunfähig sei, wenn er eine selbständige Erwerbstätigkeit innerhalb seiner Berufsgruppe nicht mehr im Ausmaß der üblichen persönlichen Mitarbeit verrichten könne. Es sei daher nicht auf die konkreten Verhältnisse im Betrieb des Versicherten, sondern nur allgemein auf die innerhalb der Berufsgruppe vorkommenden Belastungen beim Heben und Tragen von Waren abzustellen. Daß die Klägerin aber bei dem in Trafiken üblicherweise vorkommenden Warenangebot (Zeitungen, Zeitschriften, Tabakprodukte) Lasten über 10 kg tragen müßte, sei auszuschließen. Wenn sie dies jedoch wegen eines atypischen Warenangebotes hätte tun müssen, wäre dies eine unbeachtliche Besonderheit ihres Betriebes gewesen. Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache) mit den Anträgen, das Urteil der ersten Instanz im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder das angefochtene Urteil aufzuheben.
Die beklagte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Rechtliche Beurteilung
Die nach § 46 Abs 4 ASGG ohne die Beschränkungen des Abs 2 lc zulässige Revision ist nicht berechtigt.
§ 133 Abs 2 GSVG hatte vor der 9. GSVGNov folgenden Wortlaut:
"Als erwerbsunfähig gilt ferner der (die) Versicherte,
a)
der (die) das 55. Lebensjahr vollendet hat, und
b)
dessen (deren) persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig war, wenn er (sie) infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner (ihrer) körperlichen oder geistigen Kräfte dauernd außerstande ist, einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, die eine ähnliche Ausbildung sowie gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die Erwerbstätigkeit erfordert, die der (die) Versicherte zuletzt durch mehr als 60 Kalendermonate ausgeübt hat."
Durch Art I Z 26 der 9. GSVGVov BGBl 1984/485 erhielt diese Gesetzesstelle folgende Fassung:
"Als erwerbsunfähig gilt ferner der (die) Versicherte,
a)
der (die) das 55. Lebensjahr vollendet hat, und
b)
dessen (deren) persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig war, wenn er (sie) infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner (ihrer) körperlichen oder geistigen Kräfte dauernd außerstande ist, jener selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, die er (sie) zuletzt durch mehr als 60 Kalendermonate ausgeübt hat."
Diese Änderung des § 133 Abs 2 GSVG war in der Regierungsvorlage der 9. BSVGNov noch nicht enthalten, sondern wurde erst durch den Ausschuß für soziale Verwaltung vorgeschlagen. Im AB 391 BlgNR 16.GP wurde dazu ausgeführt:
"Bei Einführung der Pensionsversicherung für die in der gewerblichen Wirtschaft selbständig Erwerbstätigen wurde die Leistung aus dem Versicherungsfall der dauernden Erwerbsunfähigkeit von der Erfüllung der Voraussetzung abhängig gemacht, daß der Versicherte dauernd außerstande ist, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen. Diese außerordentlich strenge Regelung, welche dauernde und totale Erwerbsunfähigkeit erforderte, hatte namentlich bei Versicherten in fortgeschrittenem Alter zu großen Härten geführt. Mit 1. Jänner 1970 hatte der Gesetzgeber zur Milderung der ärgsten Härten insofern eine Erleichterung geschaffen, als für Versicherte, die das 55. Lebensjahr vollendet hatten und deren persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig war, eine Verweisung auf unselbständige Erwerbstätigkeiten ausgeschlossen und eine Verweisung auf andere selbständige Erwerbstätigkeiten Beschränkungen unterworfen wurde. Damit wurde ein Rechtszustand hergestellt, der noch immer erheblich strenger ist als die vergleichbare Regelung in der Pensionsversicherung der Unselbständigen. Unter Hinweis auf die im Bereich der Pensionsversicherung der Unselbständigen in den letzten Jahren durch die Novellengesetzgebung schrittweise eingeführten Erleichterungen in bezug auf die Umschreibung des Invaliditätsbegriffes haben die Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft und im Ausschuß für soziale Verwaltung die Antragsteller eine weitere Erleichterung bei der Inanspruchnahame der Erwerbsunfähigkeitspension in bestimmten Fällen verlangt. Vor allem die im ASVG getroffene Neuregelung, die für ungelernte (angelernte) Arbeiter, sofern sie das 55. Lebensjahr vollendet hatten, den Berufsschutz wesentlich verbessert hatte, stützte das Verlangen der genannten gesetzlichen beruflichen Vertretung bzw der Antragsteller, in ähnlicher Weise eine Verweisung auf artverwandte Erwerbstätigkeiten bei Versicherten in fortgeschrittenem Alter auszuschließen, wie diese nach der geltenden Bestimmung des § 133 Abs 2 GSVG noch vorzunehmen ist. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang auch die Judikatur des Oberlandesgerichtes Wien, in der keine Rücksicht darauf genommen wird, ob als Folge der Verweisung die erforderlichen finanziellen Mittel für die Neugründung bzw Übernahme eines anderen Betriebes im Rahmen dessen nach der gesundheitlichen Eignung noch die zumutbaren selbständigen Arbeiten verrichtet werden könnten, auch vorhanden sind ....."
Nach Art II Abs 13 der 9. GSVGNov ist § 133 Abs 2 in der Fassung des Art I Z 26 nur auf Versicherungsfälle anzuwenden, in denen der Stichtag nach dem 31. Dezember 1984 liegt, was im vorliegenden Fall zutrifft.
Durch Art 27 lit a der 10. GSVGNov BGBl 1986/112 wurde im § 133 Abs 2 der Ausdruck "durch mehr als 60 Kalendermonate" durch den Ausdruck "durch mindestens 60 Kalendermonate" ersetzt. Durch Art 27 lit b der zitierten Novelle wurde § 133 Abs 2 der Satz angefügt "Hiebei sind, soweit nicht ganze Kalendermonate dieser Erwerbstätigkeit vorliegen, jeweils 30 Kalendertage zu einem Kalendermonat zusammenzufassen."
Diese Fassung ist nach Art II Abs 7 der zitierten Novelle nur auf Versicherungsfälle anzuwenden, in denen der Stichtag nach dem 31. Dezember 1985 liegt, was hier zutrifft.
Daraus folgt, daß die Rechtsmeinung des Berufungsgerichtes, die Klägerin wäre erst dann erwerbsunfähig, wenn sie eine selbständige Erwerbstätigkeit innerhalb ihrer Berufsgruppe nicht mehr im Ausmaß der üblichen persönlichen Mitarbeit verrichten könne, noch auf der im vorliegenden Fall nicht mehr anzuwendenden, vor der 9. GSVGNov geltenden Fassung des § 133 Abs 2 beruht.
Die Klägerin würde vielmehr schon dann als erwerbsunfähig gelten, wenn sie wegen ihres Gesundheitszustandes dauernd außerstande wäre, jener selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, die sie zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübt hat. Davon kann jedoch keine Rede sein.
In der gewerblichen Wirtschaft selbständig Erwerbstätige unterscheiden sich von unselbständig beschäftigten Personen wesentlich dadurch, daß sie ihr Unternehmen selbständig und eigenverantwortlich leiten, dessen Aufgaben planen und durchführen und deshalb auch ihren Betrieb selbständig organisieren können. Deshalb kann ein in der gewerblichen Wirtschaft selbständig Erwerbstätiger, der das 55. Lebensjahr vollendet hat und dessen persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig war, erst dann als erwerbsunfähig gelten, wenn er außerstande ist, jener selbständigen Erwerbstätigkeit auch unter Berücksichtigung insbesondere wirtschaftlich zumutbarer Organisationsmaßnahmen nachzugehen.
In diesem Sinn hat das Oberlandesgericht Wien zB in den E 4. Juni 1981 SSV 21/51, 2. Juli 1983 SVSlg 30.685 und 19. Juli 1983 SVSlg 30.687 zutreffend darauf hingewiesen, daß ein selbständig Erwerbstätiger die durch seine Leiden bedingten Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit (in gewissem Ausmaß) durch die wirtschaftlich zumutbare Verwendung von Hilfskräften oder druch eine andere Verwendung der Hilfskräfte ausgleichen kann. Die Feststellung der Vorinstanzen, daß Trafikanten keine über 10 kg schweren Lasten heben und tragen müssen, läßt den Schluß zu, daß solche in Tabak-Trafiken allgemein nicht üblichen Hebe- und Tragearbeiten auch in der Tabak-Trafik der Klägerin - entsprechend ihren Behauptungen (ON 4 Seite 11) - im wesentlichen nur im Zusammenhang mit den angelieferten Zeitungspaketen anfielen. Eine damit allenfalls verbundene Überbelastung hätte die Klägerin zB leicht dadurch vermeiden können, daß sie über 10 kg schwere Zeitungspakete vor dem Heben und Tragen in leichter zu befördernde Mengen geteilt hätte. Diese geringfügige Umorganisierung ihrer Arbeitsweise hätte keinen erheblichen Mehraufwand an Zeit und Kosten erfordert und muß daher als zumutbar bezeichnet werden. Weil schon diese geringfügigen Maßnahmen zielführend gewesen wären, war nicht zu prüfen, ob die Klägerin die allfälligen schweren Hebe- und Tragearbeiten nicht durch nur dafür kurze Zeit eingesetzte Hilfskräfte hätte besorgen lassen können, was wahrscheinlich auch zu bejahen wäre.
Der im Ergebnis nicht berechtigten Revision war daher nicht Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.
Anmerkung
E14741European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:010OBS00120.88.0628.000Dokumentnummer
JJT_19880628_OGH0002_010OBS00120_8800000_000