TE OGH 1988/6/28 1Ob13/88

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Veröffentlicht am 28.06.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Bruno E***, ohne Beschäftigung, Innsbruck, Weingartnerstraße 110, vertreten durch Dr. Ewald Kininger, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagten Parteien 1) L*** T***, vertreten durch Dr. Hansjörg Schweinester, Rechtsanwalt in Innsbruck, 2) R*** Ö***, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17, wegen S 682.00,-- s.A. infolge Rekurses der beklagten Parteien gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 26. Jänner 1988, GZ 1 R 333/87-12, womit das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 16. Juli 1987, GZ 6 Cg 163/87-5, aufgehoben wurde, zu Recht erkannt und beschlossen:

Spruch

Dem Rekurs der zweitbeklagten Partei wird nicht Folge gegeben. Die Kosten dieses Rekursverfahrens sind weitere Prozeßkosten. Dem Rekurs der erstbeklagten Partei wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß in der Hauptsache die Entscheidung des Erstgerichtes wieder hergestellt wird. Die klagende Partei ist schuldig, der erstbeklagten Partei die mit S 75.753,70,-- bestimmten Kosten aller drei Instanzen (darin enthalten S 6.795,99 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger wurde in der Zeit vom 5. Dezember 1966 bis 9. April 1969 und vom 16. Jänner 1975 bis 27. Juli 1979 in der geschlossenen Anstalt des Landesnervenkrankenhauses Hall in Tirol angehalten. Seine Anhaltung war mit Beschlüssen des Bezirksgerichtes Hall als Anhaltegericht vom 15. Dezember 1966, 14. Dezember 1967, 12. Dezember 1968, 30. Jänner 1975, 7. August 1975 und 12. August 1976 rechtskräftig für zulässig erklärt worden. Mit Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck vom 21. April 1977, 4 R 8/77, wurde der Kläger wegen Geisteskrankheit beschränkt entmündigt. Am 27. Juli 1979 wurde der Kläger auf Grund eines Beschlusses des Bezirksgerichtes Innsbruck als Pflegschaftsgerichtes aus der Anstalt entlassen. Am 17. Dezember 1980 wurde der Kläger auf Grund einer amtsärztlichen Einweisung erneut in die geschlossene Anstalt aufgenommen. Seine Anhaltung wurde mit Beschlüssen des Pflegschaftsgerichtes vom 7. Jänner 1981 und 25. Mai 1981 ohne Befristung genehmigt. Am 17. Februar 1983 wurde der Kläger infolge Besserung seines Gesundheitszustandes aus der geschlossenen Anstalt entlassen. Die Sachwalterschaft wurde am 1. April 1985 beendet. Der Kläger begehrt mit der am 27. April 1987 eingebrachten Klage, die erstbeklagte Partei schuldig zu erkennen, ihm den Betrag von S 250.000,-- s.A. zu bezahlen; von beiden beklagten Parteien begehrt er zur ungeteilten Hand den Zuspruch des Betrages von S 144.000,-- s.A. und ab 1. Oktober 1986 eine monatliche Rente "von S 8.000,-- 14 mal jährlich in der jeweils gesetzlichen Höhe einer Invaliditätspension nach dem allgemeinen Sozialversicherungsgesetz". Für den Fall der Abweisung des Rentenbegehrens stellt er das Eventualbegehren auf Bezahlung des weiteren Betrages von S 420.000,-- s.A. Die Klage wird auf die Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes, gegen die erstbeklagte Partei auch auf die Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes, gestützt. Durch ein rechtswidrig und schuldhaft durchgeführtes Anhalteverfahren sei der Kläger zu lange in der Heilanstalt festgehalten worden. Die Bestimmung des § 23 EntmO sei verletzt worden. Das Pflegschaftsgericht hätte jährlich Beschlüsse über die Zulässigkeit der Anhaltung fassen müssen. Dies sei nicht geschehen. Die Beschlüsse des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 7. Jänner 1981 und vom 25. Mai 1981 seien gesetzwidrig. Der Kläger sei vor der Beschlußfassung nicht einmal einvernommen worden. Die übermäßig lange Dauer der Anhaltung sei im übrigen auf die Fehlbehandlung und Fehlbetreuung durch die Ärzte und das Personal des Landesnervenkrankenhauses Hall in Tirol zurückzuführen. Dies habe zu Haarausfall, Zahnverlust, körperlicher Beeinträchtigung, Beeinträchtigung der logischen Denkfähigkeit, Verstärkung schizoider Symptome und Unheilbarmachung schizoider Symptome und teilweise oder wiederkehrendem Verlust der Merkfähigkeit geführt. Durch die einseitige Ernährung sei der Körper des Klägers aufgeschwemmt worden, seine Fingernägel seien gebrochen. Dadurch sei ihm ein Schaden von mindestens S 150.000,-- entstanden. Die Behandlung des Klägers hätte auf seine qualifizierten geistigen Fähigkeiten Rücksicht nehmen müssen. Der Kläger sei vom Pflegepersonal mißhandelt und gefoltert worden. Dafür mache er ein Schmerzengeld von S 100.000,-- geltend. Der Kläger habe die Lehrabschlußprüfung im Lehrberuf Bürokaufmann am 13. März 1984 abgelegt. Infolge der fehlerhaften Behandlung und Betreuung befinde er sich aber in einem so schlechten Gesundheitszustand, daß es ihm nicht mehr möglich sei, einer Tätigkeit als Bürokaufmann nachzugehen. Er habe nicht mehr die Kraft, ganztätig einer geregelten Bürobeschäftigung nachzugehe. Dadurch sei ihm für den Zeitraum vom 1. April 1983 bis 1. April 1985 ein Gehalt von monatlich S 15.000,--, unter Berücksichtigung des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes daher insgesamt S 420.00,--, entgangen. Durch die überlange Anhaltung habe der Kläger eine Invaliditätspension nicht erhalten können, weil es ihm an der erforderlichen Wartezeit gemangelt habe. Sein Begehren auf Bezahlung einer Invaliditätspension sei vom Schiedsgericht der Sozialversicherung für Tirol abgewiesen worden. Dieses Urteil sei vom Oberlandesgericht Wien bestätigt worden. Dadurch entstehe dem Kläger ab 1. April 1985 ein monatlicher Ausfall von S 8.000,-- zuzüglich zweier jährlicher Sonderzahlungen, das seien bis 30. September 1986 S 144.000,--.

Beide beklagten Parteien wendeten ein, allfällige Ansprüche des Klägers seien verjährt. Seit 17. Februar 1983 sei dem Kläger der eingetretene Schaden und die Person des Schädigers bekannt gewesen. Im übrigen liege eine Fehlbehandlung und Fehlbetreuung des Klägers nicht vor. Er sei auch nicht gefoltert worden. Allfällige Leiden des Klägers seien schicksalhaft. Das Begehren könne nicht auf Amtshaftung gestützt werden, weil die Behandlung und Betreuung zwangsweise angehaltener Personen einen Akt der Privatwirtschaft darstelle. Die zweitbeklagte Partei wendete weiters ein, der Kläger sei weder rechtswidrig angehalten noch sei seine Anhaltung rechtswidrig verlängert worden. Alle Beschlüsse seien durch die Bestimmungen der Entmündigungsordnung gedeckt. Der Kläger habe auch gegen diese Beschlüsse keine Rechtmittel ergriffen (§ 2 Abs. 2 AHG). Das Erstgericht wies das Klagebegehren wegen Verjährung ab. Gemäß § 1489 ABGB sei jede Entschädigungsklage in drei Jahren von der Zeit an verjährt, zu welcher der Schaden und die Person des Beschädigers dem Beschädigten bekannt geworden seien. Der Kläger sei zuletzt am 17. Februar 1983 aus dem Landesnervenkrankenhaus Hall in Tirol entlassen worden. Zu diesem Zeitpunkt seien ihm sowohl der eingetretene Schaden als auch die Person des Schädigers bekannt gewesen, so daß die Verjährungszeit am 17. Februar 1983 zu laufen begonnen habe. Da für den Kläger ein Sachwalter bestellt gewesen sei, sei auch eine Hemmung der Verjährung im Sinne des § 1494 ABGB nicht eingetreten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge. Es hob das Urteil des Erstgerichtes unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Bei Amtshaftungsansprüchen beginne die Verjährungsfrist dann, wenn der Schaden eintrete oder sicher vorhersehbar sei und das Verschulden eines Organes hinreichend bekannt sei. Bei Handlungsunfähigen komme es auf die Kenntnis des bestellten Beistandes an. Daß diese Voraussetzungen beim Beistand des Klägers vorgelegen wären, habe das Erstgericht nicht festgestellt. Auch die behaupteten Ansprüche aus der Fehlbehandlung, Fehlbetreuung und Folterung in einer geschlossenen Anstalt würden aus Akten der Hoheitsverwaltung abgeleitet. Daß ein Verlust der geltend gemachten Amtshaftungsansprüche nach § 2 Abs. 2 AHG eingetreten sei, könne zumindest derzeit nicht angenommen werden. Zwar bestehe nach § 2 Abs. 2 AHG der Ersatzanspruch dann nicht, wenn der Geschädigte den Schaden durch Rechtsmittel oder durch Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof hätte abwenden können; nach herrschender Auffassung müsse aber die Unterlassung des Rechtsmittels schuldhaft erfolgt sein. Die unterlassene Erschöpfung des Instanzenzuges werde jedenfalls stets dann schuldhaft sein, wenn eine richtige und verständliche Rechtsmittelbelehrung erteilt worden sei. Ein Verschulden seines gewählten Rechtsvertreters müsse der Geschädigte sich zurechnen lassen. Das Berufungsgericht vertrete aber die Ansicht, daß dem Kläger ein Verschulden des vom Pflegschaftsgericht bestellten Beistandes bei Unterlassung der Erschöpfung des Instanzenzuges nicht zuzurechnen sei. Im übrigen könne die Nichterhebung eines Rechtsmittels auch darauf zurückzuführen sein, daß der Betroffene ohne eigenes Verschulden die Rechtswidrigkeit behördlichen Handelns nicht erkannt habe oder nicht habe wissen können, daß der Schaden entstehen werde. Im vorliegenden Fall bedeute dies, daß dem Kläger als einem zumindest zeitweise als geisteskrank anzusehenden Menschen nicht ohne weiteres unterstellt werden könne, daß er bei Unterlassung eines Rechtsmittels in diesem Sinne schuldhaft gehandelt habe; selbst beim Beistand könne es zweifelhaft sein, ob er die Rechtswidrigkeit des behördlichen Handelns erkannt habe oder habe wissen können, daß dadurch ein Schaden entstehen werde.

Rechtliche Beurteilung

Nur der Rekurs der erstbeklagten Partei ist berechtigt. Wie der erkennende Senat bereits in seiner Entscheidung vom 20. Jänner 1988, 1 Ob 56/87, ausgeführt hat, kann die in der Entscheidung EvBl. 1966/257 ausgesprochene Rechtsansicht, die Rechtsbeziehungen zwischen dem auf Grund eines gerichtlichen Anhaltungsbeschlusses in eine Heil- und Pflegeanstalt eingewiesenen Patienten und dem Rechtsträger der Anstalt seien der Privatwirtschaftsverwaltung zuzuordnen, nicht aufrechterhalten werden. Krankenanstaltspfleglinge, die zwangsweise angehalten werden, stehen in keinem privatrechtlichen Verhältnis zur Krankenanstalt und zu den sie betreuenden Ärzten und Pflegepersonen. Diese sind vielmehr Organe des Rechtsträgers Bund (Artikel 10 Abs. 1 Z 7 und Z 12 B-VG; Loebenstein-Kaniak AHG2 102; Radner-Haslinger-Reinberg, Krankenanstaltenrecht 87, 94). Das Gesetz stellt hinlänglich klar, daß nicht nur die Bewilligung der Anhaltung und die Aufnahme in die Anstalt, sondern auch die Anhaltung selbst Zwangsmaßnahmen sind, die einem Privaten niemals zustünden und daher der Hoheitsverwaltung zuzurechnen sind. Die §§ 49 ff KAG sprechen auch nicht nur von zwangsweiser Aufnahme in die Anstalten, sondern von zwangsweiser Anhaltung. Die Einweisung und Anhaltung in einer Anstalt auf Grund eines amtsärztlichen Pareres oder auf Grund eines gerichtlichen Beschlusses im Anhaltungsverfahren bzw. Pflegschaftsverfahren bewirkt eine rechtsmäßige Haft des Pfleglings im Sinn des Art. 5 Abs. 1 lit e MRK. Jedes Verhalten der Organe des Gerichtes, der Verwaltungsbehörde oder der Krankenanstalt von der Einweisung des Pfleglings in die Krankenanstalt für Geisteskranke bis zur Entlassung muß dann aber in Vollziehung der Gesetze erfolgen. Rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten der beteiligten Organe führt demnach zur Amtshaftung. Auch die Heilbehandlung eines zwangsweise Angehaltenen erfolgt nicht im Rahmen einer zwischen dem aufgenommenen Pflegling und dem Träger der Krankenanstalt bestehenden privatrechtlichen Beziehung. Sie steht vielmehr mit der hoheitlich verfügten Anhaltung in untrennbarem Zusammenhang. Ähnlich der ärztlichen Betreuung eines Strafgefangenen (§§ 66 ff, insbesondere § 69 StVG) gehört auch die ärztliche Betreuung des zwangsweise Angehaltenen zur Hoheitsverwaltung. Auch ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten von Ärzten und des Pflegepersonals bei der Zwangsbehandlung kann demnach nur zur Amtshaftung führen. Wurden aber die Ärzte und das Pflegepersonal des Landesnervenkrankenhauses Hall in Tirol funktionell ausschließlich für den Rechtsträger Bund tätig und liegen privatrechtliche Beziehungen zwischen dem Kläger und der erstbeklagten Partei nicht vor, ist das gegen die beklagte Partei aus den Rechtsgründen der Amtshaftung und des Behandlungsvertrages erhobene Begehren verfehlt. In Abänderung des Aufhebungsbeschlusses ist die Entscheidung des Erstgerichtes, wenn auch aus anderen Gründen wiederherzustellen. Die zweitbeklagte Partei wendete Verjährung aller Ansprüche ein, da der Kläger bereits am 17. Februar 1983 aus der Anhaltung entlassen worden sei. Die zweitbeklagte Partei, die die Verjährung aller Ansprüche des Klägers einwendete, ist für den Beginn der Verjährungsfrist behauptungs- und beweispflichtig (SZ 56/36; SZ 52/186). Der Kläger war zum Zeitpunkt der Entlassung aus dem letzten Anstaltsaufenthalt (17. Februar 1983) beschränkt entmündigt. Für den Beginn der Verjährungszeit von Personen, die nicht handlungsfähig sind und daher einen gesetzlichen Vetreter haben, ist nicht die Kenntnis des Handlungsunfähigen, sondern, wie das Berufungsgericht richtig erkannte, die seines gesetzlichen Vertreters maßgebend (VersR 1962, 1163; Mader in Schwimann, ABGB, Rz 6 zu § 1489; vgl. SZ 52/88; Schubert in Rummel, ABGB, Rz 3 zu § 1489; Kreft in BGB-RGRK12 Rz 35 zu § 852; Soergel-Zeuner11 Rz 10 zu § 852 BGB; Schäfer in Staudinger12 Rz 27 zu § 852 BGB). Es kommt daher entgegen den Ausführungen im Rekurs der zweitbeklagten Partei nicht darauf an, daß dem damals handlungsunfähigen Kläger selbst zum Zeitpunkt der letzten Entlassung aus dem Landesnervenkrankenhaus Hall in Tirol sowohl der eingetretene Schaden als auch die Person des Schädigers - bei Amtshaftungsansprüchen genügt Kenntnis eines Organverschuldens (Loebenstein-Kaniak aaO 203) - bekannt war. Da der Kläger damals einen gesetzlichen Vertreter hatte, wäre es Sache der zweitbeklagten Partei gewesen, zu behaupten und unter Beweis zu stellen, daß der gesetzliche Vertreter des Klägers damals oder später eine solche Kenntnis besaß. Dies geschah nicht. Ob allfällige Amtshaftungsansprüche des Klägers nach § 2 Abs. 2 AHG ausgeschlossen wären, kann noch nicht abschließend beurteilt werden. Ein solcher Ausschluß kommt allerdings nur insoweit in Betracht, als Rechtsmittel den Schaden noch abwenden hätten können, was im vorliegenden Fall wohl nur für die Beschlüsse des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 7. Jänner und 25. Mai 1981 in Betracht käme. Herrschende Auffassung ist, daß die Unterlassung eines Rechtsmittels schuldhaft erfolgt sein muß (SZ 57/172; SZ 55/190 ua; Loebenstein-Kaniak aaO 176; Koziol aaO 382). Entgegen den nicht weiter begründeten Ausführungen des Berufungsgerichtes müßte sich der Kläger grundsätzlich auch eine schuldhafte Unterlassung der Erhebung von Rechtsmitteln durch seinen Beistand, seinem gesetzlichen Vertreter, zurechnen lassen. Das Berufungsgericht will zwischen selbst gewählten und gesetzlichen Vertretern differenzieren; eine schuldhafte Obliegenheitsverletzung gemäß § 2 Abs. 2 AHG des gewählten Vertreters sei dem Vertretenen zuzurechnen, schuldhafte Obliegenheitsverletzungen des gesetzlichen Vertreters schadeten dem Vertretenen aber nicht. Eine solche Unterscheidung ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Wohl stehen Minderjährige und Personen, die aus einem anderen Grund als dem ihrer Minderjährigkeit alle oder einzelne ihrer Angelegenheiten selbst gehörig zu besorgen nicht vermögen, unter dem besonderen Schutz der Gesetze (§ 21 Abs. 1 ABGB). Dieser besondere Schutz besteht aber im Schutz vor Übervorteilungen im geschäftlichen Verkehr und in der Nicht- oder Minderanrechnung von Verstößen gegen gesetzliche Pflichten (Aicher in Rummel, ABGB, Rz 1 zu § 21; Koziol-Welser8 I 48). Wie § 1313 a ABGB zeigt, wird aber sehr wohl der gesetzliche Vertreter dem Erfüllungsgehilfen gleichgestellt und die Haftung des Vertretenen im rechtsgeschäftlichen Verkehr auch für Verhalten seines gesetzlichen Vertreters normiert, Übernimmt der gesetzliche Vertreter eine Aufgabe, die dem Vertretenen, weil zu seinem Pflichtenkreis gehörig, selbst obläge, treffen den Vertretenen die Folgen einer dem gesetzlichen Vertreter schuldhaft unterlaufenen Obliegenheitsverletzung. Bei vergleichbarer Rechtslage in (§ 839 Abs. 3 BGB) vertritt die deutsche Rechtsprechung und Lehre einhellig den Standpunkt, daß der Vertretene für die verschuldete Unterlassung der Erhebung eines Rechtsmittels durch seinen gesetzlichen Vertreter einzustehen habe (!BGHZ 33, 136, 141 ua. ;

Thomas in Palandt47 978; Papier in Münchener

Kommentar2 Rz 290 zu § 839 BGB; Kreft in BGB-RGRK12 Rz 536 zu § 839;

Schäfer in Staudinger12 Rz 474 zu § 839 BGB; vgl. Bender, Staatshaftungsrecht Rz 614, 634). Dies hat auch für den österreichischen Rechtsbereich, in dem auch sonst für das Zurechnungsproblem nicht zwischen gewählten und gesetzlichen Vertretern unterschieden wird, zu gelten. Es wird daher zu prüfen sein, ob dem gesetzlichen Vertreter des Klägers eine schuldhafte Unterlassung der Erhebung von Rechtsmitteln zur Last fällt. Dafür, daß zwischen dem Kläger und dem Beistand eine Interessenkollision bestanden hätte (vgl. SZ 53/136), fehlt bisher jeder Anhaltspunkt. Ein Verschulden kann jedoch bereits verneint werden, als Unterlassungen des Klägers selbst zu beurteilen wären. Dem Kläger stand zwar persönlich ein selbständiges Rekursrecht sowohl gegen die Beschlüsse des Anhaltegerichtes nach § 22 EntmO (§ 24 EntmO) als auch nach seiner beschränkten Entmündigung, weil eine erhebliche Verletzung seiner Interessen dadurch zu besorgen war (NZ 1971, 28; JBl. 1970, 206 ua), gegen Beschlüsse des Pflegschaftsgerichtes nach § 23 EntmO zu; der Oberste Gerichtshof sprach aber schon aus, daß in der Unterlassung der Erhebung eines Rechtsmittels durch einen beschränkt Entmündigten grundsätzlich ein Verschulden im Sinn des § 2 Abs. 2 AHG nicht erblickt werden kann (1 Ob 47/81). Dies hat auch für die Beurteilung der Unterlassung von Rechtsmitteln zwangsweise Angehaltener gegen den Anhaltungsbeschluß zu gelten. Daß der Kläger selbst gegen diese Beschlüsse keinen Rekurs erhob, kann daher nicht zum Verlust der von ihm behaupteten Amtshaftungsansprüche geführt haben.

Dem Rekurs der zweitbeklagten Partei ist nicht Folge zu geben; das Erstgericht wird zu prüfen haben, ob Amtshaftungsansprüche, bei denen nach § 2 Abs. 2 AHG kein Anspruchsverlust eintrat, zu Recht bestehen.

Die Kostenentscheidungen gründen sich auf §§ 41, 50 bzw. § 41 ZPO und §§ 50, 52 ZPO.

Anmerkung

E14826

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0010OB00013.88.0628.000

Dokumentnummer

JJT_19880628_OGH0002_0010OB00013_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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