TE OGH 1988/6/29 9ObA49/88

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Veröffentlicht am 29.06.1988
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier und Dr. Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler und Helmut Mojescick als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Sigrid W***, Angestellte, Graz, Am Freigarten 10/5, vertreten durch Dr. Georg Grießer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER

A***, Wien 9., Roßauer Lände 3, vertreten durch Dr. Adolf Fiebich, Dr. Vera Kremslehner und Dr. Josef Milchram, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 29.843,17 sA und Zwischenantrages auf Feststellung (Streitwert S 50.000), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 2. Dezember 1987, GZ 8 Ra 1115/87-10, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 16. Juni 1987, GZ 35 Cga 1117/87-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.243,80 (darin S 385,80 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist seit 1. September 1976 als diplomierte medizinisch-technische Assistentin in der fachärztlichen Begutachtungsstation der Landesstelle Graz der Beklagten beschäftigt. Seit dem Beginn ihres Arbeitsverhältnisses hatte sie an atemphysiologischen Untersuchungen mitzuwirken. Auf Grund dieser Tätigkeit bezog sie eine Erschwerniszulage im Sinne des § 48 Abs 1 Z 2 lit d der Dienstordnung A für die Angestellten bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs (DO.A) in Höhe von 13 % ihres Gehalts. Ab 18. November 1985 wurde sie in das Labor der Begutachtungsstation versetzt, was zur Folge hatte, daß die Beklagte die Zahlung der Erschwerniszulage einstellte. Mit Wirkung vom 1. September 1986 wurde die Klägerin unkündbar gestellt. Mit der vorliegenden Klage begehrt sie die Nachzahlung der Erschwerniszulage von November 1985 bis Mai 1987 in dem der Höhe nach unbestrittenen Betrag von S 29.843,17 brutto sA. Der Betriebsrat sei von ihrer Versetzung erst nachträglich verständigt worden und habe dieser nicht zugestimmt. Die Klägerin habe ihren Dienst im Labor nur unter Protest angetreten.

Die Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Die Zuweisung des neuen Arbeitsplatzes an die Klägerin habe weder dem Arbeitsvertrag widersprochen noch liege überhaupt ein Wechsel des Arbeitsplatzes im Sinne des § 101 ArbVG vor. Die Klägerin sei nach wie vor in derselben Abteilung bei gleicher Einstufung tätig. Einer Zustimmung des Betriebsrates habe es nicht bedurft, weil durch den Wechsel des Arbeitsplatzes keine Verschlechterung der Entgelt- oder sonstigen Arbeitsbedingungen eingetreten sei. Solange die Klägerin im Bereich "Blutgaslabor und Lungenfunktionsprüfung" tätig gewesen sei, habe die Erschwerniszulage nur dem Ausgleich für die mit diesem Arbeitsplatz verbundene besondere Streßsituation gedient. Da diese Erschwernis bei der nunmehrigen Tätigkeit der Klägerin nicht mehr gegeben sei, sei auch das dafür gewährte Äquivalent weggefallen, ohne daß dadurch eine Entgeltminderung eingetreten wäre. Die Klägerin habe die durch die Zuweisung des neuen Aufgabengebietes geschaffene Situation eineinhalb Jahre lang widerspruchslos zur Kenntnis genommen. Eine weitere Belassung an ihrem früheren Arbeitsplatz hätte mit Sicherheit zu einer Abänderung der Gesamtbeurteilung auf "nicht entsprechend" geführt und wäre gemäß § 22 Abs 1 Z 2 DO.A ihrer Definitivstellung entgegengestanden. Ihr Nachzahlungsbegehren verstoße daher sowohl gegen die guten Sitten als auch gegen Treu und Glauben und sei schikanös (§ 1295 Abs 2 ABGB).

Die Beklagte stellte überdies einen Zwischenantrag auf Feststellung, daß die Klägerin auf Grund ihrer derzeitigen Berufsausübung keinen Anspruch auf eine Erschwerniszulage gemäß § 48 Abs 1 Z 2 lit d DO.A habe. Die strittige Rechtsfrage gehe über das für die Vergangenheit gestellte Leistungsbegehren hinaus, da die Beklagte ein Interesse auf Feststellung habe, daß der Klägerin auch in Zukunft ein Zulagenanspruch nicht zustehe. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit Ausnahme eines Teils des Zinsenbegehrens statt und wies den Zwischenantrag auf Feststellung ab. Es traf im wesentlichen folgende Feststellungen:

In den Bereich der atemphysiologischen Untersuchungen fallen Untersuchungen am Ergometer, ferner Blutgasanalysen und Lungenfunktionsprüfungen. Bei diesen Tätigkeiten kommt es zu großen Streßbelastungen der medizinisch-technischen Assistentinnen, welche die Blutgasanalysen und die Lungenfunktionsprüfungen selbständig durchführen. Es ist nämlich insbesondere erforderlich, die zu untersuchenden Pensionswerber zur persönlichen Mitwirkung anzuregen. Bei den Ergometeruntersuchungen, die von den Assistentinnen gemeinsam mit dem Arzt vorgenommen werden, müssen die Patienten auch überwacht werden.

Im Verlaufe dieser Tätigkeit kam es zu Differenzen zwischen der Klägerin und der ihr vorgesetzten Ärztin Dr. Elke W***, welche im Zusammenhang mit anderen Gründen dazu führte, daß die Klägerin über Veranlassung des Chefarztes Dr. Franz U*** ab 18. November 1985 dem Labor der Begutachtungsstation zugeteilt wurde. Die Klägerin nahm die Zuweisung dieses Tätigkeitsbereiches schriftlich zur Kenntnis und nahm die Arbeit im Labor auf. Sie protestierte jedoch beim Betriebsrat, der erst nachträglich von dieser Änderung des Arbeitsplatzes verständigt worden war.

Der Betriebsrat der Beklagten stimmte der Versetzung nicht zu. Der für das Personalwesen zuständige Direktorstellvertreter Walter G*** bedauerte dem Vorsitzenden des Betriebsrates und dessen Stellvertreter gegenüber, daß in dieser Angelegenheit ein Verstoß gegen die Bestimmungen des Arbeitsverfassungsgesetzes erfolgt sei, und sagte zu, in Hinkunft strengstens auf diese Bestimmungen zu achten.

Im Labor der fachärztlichen Begutachtungsstelle, das eine Etage höher liegt, als die Atemphysiologie, nimmt die Klägerin zusammen mit anderen medizinisch-technischen Assistentinnen Blutproben ab und Harnproben entgegen und untersucht diese Proben. Eine Anregung zu aktiver Mitwirkung oder eine Überwachung der Patienten ist bei dieser Tätigkeit nicht erforderlich. Eine Änderung der Arbeitszeit, des Arbeitsortes oder der Wertigkeit des Arbeitsplatzes war mit der Änderung des Tätigkeitsbereiches nicht verbunden. Sie verlor jedoch die für die Arbeit im Bereich der Atemphysiologie gewährte Erschwerniszulage, die zuletzt monatlich S 1.477 brutto betrug. Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß die Versetzung der Klägerin an einen anderen Arbeitsplatz zufolge des Entfalls der Zulage und mangels der Zustimmung des Betriebsrates rechtsunwirksam gewesen sei. Darauf, ob die Klägerin dieser Versetzung schlüssig zugestimmt habe, komme es nicht an. Bei einer rechtswidrig verfügten Einkommenseinbuße von 7 % des Nettoentgeltes könne auch keine Rede davon sein, das Nachzahlungsbegehren der Klägerin sei sittenwidrig oder verstoße gegen Treu und Glauben.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes und führte ergänzend aus, daß durch die direktoriale Verfügung der Beklagten, der Klägerin mit 18. November 1985 eine andere Tätigkeit zuzuweisen, eine dauernde Einreihung der Klägerin auf einen anderen Arbeitsplatz erfolgt sei. Mit dieser Versetzung sei auch eine Verschlechterung der Entgeltbedingungen verbunden gewesen, da der Wegfall der Zulage nicht mit dem Wegfall der besonders erschwerten Arbeitsbedingungen kompensiert werden könne. Das Verhalten der Klägerin habe nicht gegen Treu und Glauben verstoßen können, weil ihr Verhalten nicht geeignet gewesen wäre, die Zustimmung des Betriebsrats im Sinne des § 101 ArbVG zu ersetzen.

Der von der Beklagten gestellte Zwischenantrag auf Feststellung sei zwar zulässig aber nicht berechtigt, da die Klägerin einen Anspruch auf Weiterzahlung der Erschwerniszulage habe. Gegen dieses Urteil richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der Beklagten mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.

Die Klägerin beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Gemäß § 101 ArbVG in der - hier noch anzuwendenden - Fassung vor der Novelle BGBl. 1986/394 bedarf jede Einreihung eines Arbeitnehmers auf einen anderen Arbeitsplatz, mag sie vertragsändernden oder direktorialen (vertragskonformen) Charakter haben, der Zustimmung des Betriebsrates, wenn sie für dauernd (dh für voraussichtlich mindestens 13 Wochen) erfolgt und wenn mit dem Wechsel des Arbeitsplatzes eine Verschlechterung der Entgelt- oder sonstigen Arbeitsbedingungen verbunden ist. Nach Lehre und Rechtsprechung liegt eine als Versetzung anzusehende Einreihung auf einen anderen Arbeitsplatz schon dann vor, wenn dabei lediglich der Tätigkeitsbereich des Arbeitnehmers geändert wird (Strasser in Floretta-Strasser, Handkommentar ArbVG § 101 Erl. 2.1;

Floretta-Strasser MKK ArbVG § 101 Anm. 6; Cerny ArbVG § 101 Erl. 3;

Arb. 10.500 ua). Richtig ist, daß die Zuweisung eines anderen Arbeitsraumes im selben Gebäude für sich allein die Annahme einer Versetzung nicht rechtfertigen würde. Der Tätigkeitsbereich der Klägerin erfuhr aber inhaltlich eine beträchtliche Änderung, da sie im Bereich der atemphysiologischen Untersuchungen die Patienten zur persönlichen Mitwirkung anzuregen und dabei auch zu überwachen hatte, während sich ihre Tätigkeit nunmehr auf die Entgegennahme und Untersuchung von Blut- und Harnproben beschränkt, hatte sie vorher Arbeiten zu verrichten, die mit einer gewissen Selbständigkeit auch im Umgang mit den Patienten und mit Eigeninitiative verbunden waren, erbringt sie nunmehr im wesentlichen Labortätigkeiten. Daraus folgt, daß die Voraussetzungen einer Versetzung im Sinne des § 101 ArbVG vorliegen. Der auch in der Revision wiederholte Einwand der Beklagten, es habe sich am Aufgabenbereich der Klägerin nichts Wesentliches geändert, ist daher unzutreffend.

Der Revisionswerberin kann aber auch darin nicht gefolgt werden, als sie die mit dem geänderten Tätigkeitsbereich verbundene Verschlechterung der Entgeltbedingungen der Klägerin weiterhin nicht wahrhaben will. Die Klägerin verlor durch die Versetzung die ihr vorher gewährte monatliche Erschwerniszulage in Höhe von zuletzt S 1.447 brutto. Diese Zulage war Bestandteil ihres Entgelts und keineswegs eine bloße Abgeltung von Barauslagen, Spesen oder bloßer Aufwandsersatz (vgl. Arb. 7.739, 8.099, 8.173, 9.838 = DRdA 1980/20 Cermak). Ein Vergleich der vormaligen Entgeltbedingungen mit den nunmehrigen ergibt eine (endgültige) dauernde Einkommenseinbuße, welche durch gleichwertige neue Bedingungen nicht substituiert wurde. Der Einwand der Revisionswerberin, die Erschwerniszulage sei nur als Äquivalent für die höhere Streßbelastung anzusehen, welche am nunmehrigen Arbeitsplatz weggefallen sei, läuft auf eine von der Rechtsprechung in der Regel abgelehnte Kompensation von Entgelt- und sonstigen Arbeitsbedingungen hinaus (vgl. Schwarz-Löschnigg, Arbeitsrecht 186; SrM III E 133; Arb. 7.739, 8.173 ua), die es letztlich dem Arbeitgeber überließe, allein und unkontrolliert über eine Entgeltreduktion zu entscheiden (vgl. Schrammel, Die Verschlechterung der Entgelt- und sonstigen Arbeitsbedingungen beim Versetzungsschutz, ZAS 1978, 203 ff; 209). Nach den Intentionen des Gesetzes soll gerade in einem solchen Fall der Kontrollmechanismus durch die Belegschaft wirksam werden. Im Rahmen des gesetzlich Zulässigen kann der Arbeitnehmer seine Arbeitskraft zur Erzielung eines höheren Einkommens auch in größerer Intensität einsetzen (Schrammel aaO 209). Ob die Versetzung der Klägerin aus betrieblichen oder persönlichen Gründen sachlich gerechtfertigt war, ist entgegen der Ansicht der Revisionswerberin für die Frage der Rechtswirksamkeit der Versetzung in diesem Verfahren ohne Bedeutung. Mangels der erforderlichen Zustimmung des Betriebsrats bzw. eines Ersatzes der Zustimmung durch das Einigungsamt ist daher die Versetzung der Klägerin unwirksam geblieben (Arb. 9.409); die Klägerin hat weiterhin Anspruch auf Entlohnung nach ihrer bisherigen Tätigkeit (DRdA 1980/20 mwH).

Das Mitwirkungsrecht des Betriebsrats ist vom Verhalten des betroffenen Arbeitnehmers nicht abhängig (Arb. 8.413, 9.034, 10.472; DRdA 1986, 63). Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die Klägerin der Versetzung schlüssig zustimmte (Floretta-Strasser, Handkommentar ArbVG § 101 Erl. 3.1). Was schließlich den auch schon im Berufungsverfahren erhobenen Einwand der Beklagten betrifft, die Klägerin handle gegen Treu und Glauben, da sie den Entgeltnachzahlungsanspruch erst nach ihrer Definitivstellung erhoben habe, ist auf die zutreffenden Ausführungen der Vorinstanzen zu verweisen. Der Vorwurf eines rechtswidrigen Vorgehens trifft nicht die Klägerin, sondern die Beklagte. Die Klägerin hat gegen die Zuweisung des anderen Tätigkeitsbereiches beim Betriebsrat Protest erhoben und der für das Personalwesen zuständige Direktorstellvertreter hat den Verstoß gegen die Bestimmungen des Arbeitsverfassungsgesetzes bedauert. Es wäre Sache der Beklagten gewesen, zumindest die entgeltrechtlichen Konsequenzen zu ziehen. Daß die Klägerin ohne Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz nicht unkündbar gestellt worden wäre, steht nicht fest. Schikane im Sinne des § 1295 Abs 2 ABGB läge nach ständiger Rechtsprechung nur vor, wenn die Klägerin ihr Klagerecht nur zu dem Zweck ausgeübt hätte, um die Beklagte zu schädigen (JBl 1987, 240 ua). Davon kann aber bei der Einforderung berechtigter Entgeltansprüche keine Rede sein. Es ist der Klägerin aber auch zuzubilligen, daß sie ihre Ansprüche erst geltend machte, als sie aus der Anrufung des Gerichtes keine allfälligen dienstrechtlichen Nachteile mehr zu fürchten hatte.

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 ZPO begründet.

Anmerkung

E14492

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:009OBA00049.88.0629.000

Dokumentnummer

JJT_19880629_OGH0002_009OBA00049_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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