TE OGH 1988/7/12 4Ob62/88

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Veröffentlicht am 12.07.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith, Dr. Kodek, Dr. Niederreiter und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei L***-P*** Handelsgesellschaft mbH, Wien 21., Vivenotgasse 48, vertreten durch Dr. Karl J. Grigkar, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) D*** S*** Arzneimittel Gesellschaft mbH, Wien 18., Kutschkergasse 3,

2.) Paul S***, Angestellter, Thalwil, Alte Landstraße 32, Schweiz, beide vertreten durch Dr. Harald Schmidt, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung, Urteilsveröffentlichung und Schadenersatz (Streitwert im Provisorialverfahren S 500.000,--), infolge Revisionsrekurses der erstbeklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgerichtes vom 18. April 1988, GZ 4 R 69/88-8, womit der Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 26. Februar 1988, GZ 18 Cg 5/88-4, teilweise abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben und die angefochtene Entscheidung dahin abgeändert, daß der Beschluß des Erstgerichtes zur Gänze wiederhergestellt wird.

Die Revisionsrekursbeantwortung wird zurückgewiesen. Die klagende Partei ist schuldig, der erstbeklagten Partei die mit S 23.155,52 (darin enthalten S 2.766,95 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Begründung:

Beide Streitteile betreiben den Arzneimittelgroßhandel. Die Erstbeklagte vertreibt nicht als Arzneimittel zugelassene "E***-Kapseln". Die Verpackung dieses Produktes trägt die Aufschrift: "E***-Kapseln für volles Haar und schöne Fingernägel - mit Weizenkeimöl, Hirseextrakt, Keratin und Vitaminen."

Am 10. Dezember 1986 meldete die Erstbeklagte dieses Produkt unter Anschluß des Verpackungstextes beim BMGU gemäß § 18 LMG als Verzehrprodukt an. Das Ministerium erließ keinen Untersagungsbescheid.

Die Erstbeklagte warb zunächst für dieses Produkt mit einer Präparat-Information (Beilagen F und G) und einem Faltprospekt (Beilage D), die folgende Werbebehauptungen enthielten:

"E*** nährt und regeneriert die Kopfhaut, stärkt die Haut im allgemeinen sowie die Fingernägel und reduziert Haarausfall und vorzeitige Glatzenbildung sowie hartnäckige

Schuppenbildung - revitalisiert strapaziertes Haar und macht es widerstandsfähiger für äußere Einflüsse - verbessert die Haarstruktur" (Beilage G).

"E***-Kapseln mit Weizenkeimöl, Hirseextrakt, Keratin und Vitaminen. Beheben die Ursachen für Schäden und Störungen von Haar, Haut und Nägeln. Von innen her und auf ganz natürliche Weise.

......

E***-Kapseln auf der Basis natürlicher Substanzen nähren die Kopfhaut, Haare und Fingernägel, verbessern die Haarstruktur ...."

(Beilage D).

Auf Grund einer Aufforderung der Klägerin, beim Inverkehrbringen der "E***-Kapseln" die Bestimmungen des ArzneimittelG zu beachten, verpflichtete sich die Erstbeklagte mit Schreiben vom 10. September 1987 (Beilage K) zu nachstehenden Erklärungen und Handlungen:

"1. S*** erklärt, E*** (Kapseln) in Österreich nicht als Arzneimittel in Verkehr zu bringen.

2. S*** wird sich beim Inverkehrbringen von E***

künftig jeglicher Arzneimitteln vorbehaltener Angaben enthalten.

3. S*** verpflichtet sich, die Art und Form des Inverkehrsbringens von E*** so zu gestalten, daß dieses auch nicht als Arzneimittel erscheinen kann.

4. S*** verpflichtet sich, ein Rundschreiben (A 4) folgenden Inhalts an alle jene Apotheken und Drogerien zu senden, welche bisher diesbezügliches Werbe- und Verkaufsmaterial erhalteni haben:

Sehr geehrter Geschäftsfreund!

Zur Einführung von E*** am österreichischen Markt stellen wir ausdrücklich klar, daß es sich dabei um kein Arzneimittel - sohin:

auch keine Arzneispezialität - handelt, weshalb wir auch nicht berechtigt sind, im Rahmen der Bewerbung von E*** arzneiliche Angaben zu machen."

Die Erstbeklagte verwendete die Werbemittel Beilage F und G sodann nicht mehr und ließ einen neuen Faltprospekt (Blatt 3 der Beilage 5) drucken, der folgende Ankündigungen enthält:

"Volles Haar, schöne Fingernägel - E***-Kapseln mit Weizenkeimöl, Hirseextrakt, Keratin, Vitaminen.

Volles Haar, schöne Fingernägel - E*** packt das Übel an der Wurzel.

E***-Kapseln wirken auf natürliche Weise von innen her. E***-Kapseln sind die ideale Ergänzung jeder kosmetischen Haar- und Nagelpflege. Denn sie packen die Probleme an der Wurzel."

Zur Sicherung eines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruches beantragte die Klägerin, den Beklagten mit einstweiliger Verfügung aufzutragen, für die Dauer dieses Rechtsstreites oder bis zu einer Zulassung nach dem ArzneimittelG 1983 das Inverkehrbringen und Bewerben von "E*** - für volles Haar und schöne Fingernägel" in Österreich zu unterlassen. Das von der Klägerin vertriebene Produkt sei sowohl nach der objektiven Verkehrsauffassung als auch nach Art und Form des Inverkehrbringens dazu bestimmt, bei Anwendung am oder im menschlichen Körper die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers zu beeinflussen; es sei daher als Arzneimittel im Sinne des § 1 Abs 1 Z 5 AMG einzustufen. Arzneimittel müßten aber registriert sein, bevor sie in Verkehr gebracht werden. Trotz ihrer Zusage, "E***-Kapseln" in Österreich nicht mehr als Arzneimittel in Verkehr zu bringen, vertreibe die Erstbeklagte dieses Produkt weiterhin über Apotheken und Drogeriemärkte. Die Erstbeklagte könne sich auch nicht darauf berufen, daß ihr Produkt ein kosmetisches Mittel sei, weil die Anwendung und Wirkung derartiger Mittel nach § 1 Abs 3 Z 2 AMG auf den Bereich der Haut und ihrer Anhangsgebilde und die Mundhöhle beschränkt seien; "E***-Kapseln" müßten aber eingenommen werden. Der zuständige Sachbearbeiter des Bundeskanzleramtes habe der Erstbeklagten das weitere Inverkehrbringen dieses Produktes auf Grund der einschlägigen Bestimmungen des ArzneimittelG untersagt; die Beklagte bringe das Produkt jedoch nach wie vor in Verkehr. Die Erstbeklagte verschaffe sich durch den sittenwidrigen Verstoß gegen gesetzliche Bestimmungen einen Vorsprung vor gesetzestreuen Mitbewerbern. Daß ein Verstoß gegen die Bestimmungen des ArzneimittelG vorliege, sei der Erstbeklagten auch bewußt. Die Erstbeklagte entgehe durch ihr Verhalten auch der amtlichen Preisregelung für Arzneimittel und könne ihre Preise vollständig frei kalkulieren. Der Zweitbeklagte unterlasse als Geschäftsführer der Erstbeklagten die für die Hintanhaltung des gesetzwidrigen Verhaltens erforderlichen Weisungen.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Sicherungsantrages. Weder nach der allgemeinen Verkehrsauffassung noch aus den beim Inverkehrbringen der "E***-Kapseln" nunmehr ausschließlich gemachten Ankündigungen ergebe sich ein Hinweis auf die Zweckbestimmung des Produktes als Arzneimittel; daher bedürfe es auch keiner Zulassung des Produktes als Arzneimittelspezialität. Auch Verzehrprodukte seien geeignet, die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers zu beeinflussen; sie unterlägen aber nicht dem ArzneimittelG. Auf Grund der Anmeldung der "E***-Kapseln" als Verzehrprodukt sei kein Untersagungsbescheid ergangen. Die Erstbeklagte dürfe ihr Produkt daher - nicht nur als Kosmetikum, sondern auch als Verzehrprodukt - für verkehrsfähig halten. Sollte jedoch ein Verstoß gegen das ArzneimittelG vorliegen, dann wäre er der Erstbeklagten subjektiv nicht vorwerfbar. Der Geschäftsführer der Erstbeklagten hafte nicht für den geltend gemachten Anspruch.

Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Es sei bescheinigt, daß auf Grund der Anmeldung der "E***-Kapseln" als Verzehrprodukt kein Untersagungsbescheid ergangen sei. Eine Bescheinigung dafür, daß das Produkt dennoch dem ArzneimittelG unterliege, habe die Klägerin nicht erbracht. Der behauptete Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften liege daher nicht vor. Das Rekursgericht erließ eine einstweilige Verfügung, mit der es der Erstbeklagten auftrug, für die Dauer dieses Rechtsstreites oder bis zur Zulassung nach dem ArzneimittelG 1983 die Abgabe und die Bewerbung von "E***-Kapseln - für volles Haar und schöne Fingernägel" in Österreich zu unterlassen; hingegen bestätigte es die Abweisung des gegen den Zweitbeklagten gerichteten Sicherungsantrages. Das Rekursgericht sprach aus, daß der von der Abänderung betroffene Wert der "Streitgegenstände" jeweils S 15.000,--, aber nicht S 300.000,-- übersteige und der Rekurs hinsichtlich beider Ansprüche zulässig sei. Es verneinte das Vorliegen von Verfahrensmängeln und führte in rechtlicher Hinsicht folgendes aus:

Die "E***-Kapseln" seien dazu bestimmt, bei widmungsgemäßem Gebrauch zumindest einen Teil der in § 1 Abs 1 Z 5 AMG angeführten Wirkungen zu erzielen; sie seien jedoch keine von der Anwendung des ArzneimittelG ausgenommene kosmetische Mittel. Ihre Anmeldung als Verzehrprodukt und der Umstand, daß kein Untersagungsbescheid ergangen sei, seien für diese Beurteilung ebenfalls ohne Belang. Da sie immer in gleicher Zusammensetzung hergestellt und unter gleicher Bezeichnung in einer zur Abgabe an den Verbraucher oder Anwender bestimmten Form in Verkehr gebracht würden, seien sie auch Arzneispezialitäten, die gemäß § 11 Abs 1 AMG im Inland erst abgegeben werden dürften, wenn sie vom BMGU zugelassen sind. Eine Ausnahme nach § 11 Abs 2 bis 5 AMG habe die Erstbeklagte nicht behauptet. Die Erstbeklagte habe aber auch gegen § 50 Abs 1 und § 53 Abs 1 AMG, welche die Arzneimittelwerbung regeln, verstoßen. Die Verletzung des ArzneimittelG begründe auch einen Verstoß gegen § 1 UWG; er sei der Erstbeklagten subjektiv vorwerfbar, weil der Annahme eines unverschuldeten Rechtsirrtums der insoweit kaum mißverständliche Wortlaut des ArzneimittelG entgegenstehe. Der Zweitbeklagte hafte allerdings nicht für diese Gesetzesverletzung, weil nicht einmal behauptet worden sei, daß er daran beteiligt gewesen oder trotz Kenntnis oder fahrlässiger Unkenntnis nicht dagegen eingeschritten sei.

Gegen den abändernden Teil dieses Beschlusses richtet sich der wegen Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revisionsrekurs der Erstbeklagten mit dem Antrag, den Beschluß des Erstgerichtes zur Gänze wiederherzustellen; hilfsweise stellt die Erstbeklagte auch einen Aufhebungsantrag.

Die Revisionsrekursbeantwortung der Klägerin ist verspätet, weil sie nicht innerhalb der 14-tägigen Frist des § 402 Abs 1 EO - die auch für Revisionsrekurse gilt - erstattet wurde; sie war daher zurückzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist berechtigt.

Vorauszuschicken ist zunächst, daß die Erstbeklagte nach Aufforderung durch die Klägerin ihre früheren Werbemittel nicht mehr verwendet und nunmehr beim Inverkehrbringen der "E***-Kapseln" ausschließlich jene Werbeangaben macht, die bereits in einem anderen gegen die Erstbeklagte gerichteten Verfahren Gegenstand der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes waren (4 Ob 29/88). In dieser Entscheidung hat der Oberste Gerichtshof folgendes ausgeführt:

"Den Rechtsausführungen im Revisionsrekurs, daß die Beklagte mit gutem Grund die Auffassung vertreten konnte, ein Verzehrprodukt und kein Arzneimittel in Verkehr gesetzt zu haben, ist beizupflichten:

Nach ständiger Rechtsprechung (ÖBl 1983, 40, 136 und 165; ÖBl 1986, 18, 45 und 121; WBl 1987, 163; MuR 1987, 107) entfällt der Vorwurf sittenwidrigen Verhaltens im Fall der Verletzung gesetzlicher Bindungen dann, wenn die Auffassung des Beklagten über den Umfang seiner Befugnisse durch das Gesetz so weit gedeckt ist, daß sie mit gutem Grund vertreten werden kann; trifft dies zu, dann kann die Auslegung der gesetzlichen Vorschrift und die darauf beruhende Tätigkeit des Beklagten nicht mehr als Handlung angesehen werden, die gegen das Anstandsgefühl der betroffenen Verkehrskreise verstößt.

Nach der Legaldefinition des § 3 LMG sind "Verzehrprodukte" im Sinne dieser Bestimmung Stoffe, die dazu bestimmt sind, von Menschen gegessen, gekaut oder getrunken zu werden, ohne überwiegend Ernährungs- oder Genußzwecken zu dienen - in welchem Fall es sich um "Lebensmittel (Nahrungs- oder Genußmittel)" im Sinne des § 2 LMG handeln würde - oder Arzneimittel zu sein. Der Arzneimittelbegriff ergibt sich seit dem Inkrafttreten des ArzneimittelG am 1. April 1984 allein aus der Legaldefinition des § 1 Abs 1 AMG (VwGH 14. Jänner 1985 BaPiSmo 27; ÖBl 1986, 45; ÖBl 1987, 71; VwGH 16. März 1987 Ernährung 1987, 579). "Arzneimittel" im Sinne dieser Begriffsbestimmung sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die nach der allgemeinen Verkehrsauffassung dazu dienen oder nach Art und Form des Inverkehrbringens dazu bestimmt sind, bei Verwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper

1. Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen,

.....

5. Die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände zu beeinflussen.

Lebensmittel und Verzehrprodukte im Sinne der §§ 2 und 3 LMG sind gemäß § 1 Abs 3 Z 1 AMG keine Arzneimittel.

Maßgeblich für die Beurteilung, ob ein Arzneimittel vorliegt, ist entweder die objektive Zweckbestimmung ("die nach der allgemeinen Verkehrsauffassung dazu dienen....") oder die subjektive Zweckbestimmung durch den Hersteller, Depositeur, Großhändler usw. ("nach Art und Form des Inverkehrbringens dazu bestimmt sind ...."):

Ein Arzneimittel liegt daher immer dann vor, wenn auch nur eine dieser Zweckbestimmungen gegeben ist, also ein Mittel entweder nach der allgemeinen Verkehrsauffassung arzneiliche Wirkungen hat oder nach Art und Form des Inverkehrbringens dazu bestimmt ist, solche Wirkungen zu erzeugen (EB zur RV des § 1 Abs 1 AMG, 1060 BlgNR 15.GP 26; Mayer-Michtner-Schober, Komm z AMG 7 f; ÖBl 1986, 45; ÖBl 1987, 71). Bei der Beurteilung der Frage, ob im konkreten Fall ein zum Essen, Kauen oder Trinken bestimmtes Produkt als "Verzehrprodukt" zu qualifizieren ist, ist nach der sogenannten "Restgrößen-Judikatur" zu untersuchen, ob dieses Produkt die Merkmale des § 2 LMG aufweist und deshalb als "Lebensmittel" einzustufen ist; trifft dies nicht zu, dann muß geprüft werden, ob es der Begriffsbestimmung des "Arzneimittels" im Sinne des § 1 Abs 1 AMG zu unterstellen ist. Nur wenn auch das nicht der Fall ist, liegt ein Verzehrprodukt im Sinne des § 3 LMG vor (VwGH 14. Jänner 1985, BaPiSmo 27; ÖBl 1986, 45; VwGH 16. März 1987 Ernährung 1987, 579). An dieser Auffassung ist auch weiterhin festzuhalten.

Verzehrprodukte dürfen vor ihrer Anmeldung nicht in den Verkehr gebracht werden (§ 18 Abs 1 LMG). Der Bundesminister für Gesundheit und Umweltschutz hat das Inverkehrbringen einer als Verzehrprodukt angemeldeten Ware mit Bescheid unverzüglich, längstens binnen 3 Monaten zu untersagen, wenn sie den Vorschriften dieses Bundesgesetzes oder seiner Verordnungen nicht entspricht. Zum Unterschied von den diätetischen Lebensmitteln, bei denen der Gegenstand der Prüfung auf die in § 17 Abs 1 LMG genannten Eigenschaften beschränkt ist, umfaßt die Prüfung der Anmeldung eines Verzehrproduktes nach § 18 Abs 2 LMG die Beschaffenheit insgesamt, einschließlich der Bezeichnung, hinsichtlich aller Vorschriften des Lebensmittelrechtes (Brustbauer-Jesionek-Petuely-Wrabetz, Das Lebensmittelgesetz 1975, 100; Barfuß-Pindur-Smolka, Österreichisches Lebensmittelrecht I B 96/1). Nach Ablauf der dreimonatigen Frist, die zur Untersagung eingeräumt ist, kann daher der Anmeldende damit rechnen, daß das angemeldete Verzehrprodukt verkehrsfähig ist (Brustbauer-Jesionek-Petuely-Wrabetz aaO) bzw. daß er das Verzehrprodukt gutgläubig in Verkehr bringt (Barfuß-Pindur-Smolka aaO 92 und 96). Der Anmeldende kann dann aber auch darauf vertrauen, daß die angemeldete Ware auf ihre Arzneimitteleigenschaft geprüft wurde, weil die Definition der Verzehrprodukte in § 3 LMG auch die negative Abgrenzung "ohne Arzneimittel zu sein" enthält (vgl. zur Einstufung einer Ware nach dem AMG auf Grund der Anmeldung gesundheitsbezogener Angaben nach § 9 Abs 3 LMG VwGH 16. März 1987 Ernährung 1987, 579). Damit ist aber auch die Auffassung der Beklagten, daß das von ihr vertriebene Produkt kein Arzneimittel sei, durch das Gesetz so weit gedeckt, daß sie mit gutem Grund vertretbar ist:

Die "E***-Kapseln" sollen nach den Ankündigungen der Beklagten "volles Haar und schöne Fingernägel" herbeiführen und "auf natürliche Weise von innen her wirken" bzw. "das Übel an der Wurzel packen"; sie fallen demnach nicht unter den (engeren) Arzneimittelbegriff des § 1 Abs 1 Z 1 AMG, weil sei weder nach der allgemeinen Verkehrsauffassung der Heilung, Linderung, Verhütung oder Erkennung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden dienen noch nach Art und Form des Inverkehrbringens dazu bestimmt sind. Fraglich könnte nur sein, ob die (weitere) Begriffsbestimmung des § 1 Abs 1 Z 5 AMG auf sie zutrifft, wonach ein Arzneimittel auch dann vorliegt, wenn ein Stoff dazu dient oder dazu bestimmt ist, "die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände zu beeinflussen." Dieser weitere Arzneimittelbegriff würde selbst Lebensmittel erfassen, wenn diese nicht nach § 1 Abs 3 Z 1 AMG von der Anwendung des ArzneimittelG ausgenommen wären. Während nämlich Lebensmittel und Verzehrprodukte mangels gegenteiliger Ankündigungen regelmäßig nicht in den engeren Arzneimittelbegriff nach § 1 Abs 1 Z 1 AMG fallen können, weist eine Reihe von Lebensmitteln oder Verzehrprodukten tatsächlich die objektive Eignung auf, die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers zu beeinflussen, also zumindest einen Teil der in § 1 Abs 1 Z 5 AMG genannten Arzneimitteleigenschaften zu erfüllen. Barfuß (Abgrenzungsfragen auf Grund des Arzneimittelgesetzes 1983, Ernährung 1983, 296 f) folgert aus dieser weiten Arzneimitteldefinition in § 1 Abs 1 Z 5 AMG, daß die Begriffsbestimmungen der §§ 2 und 3 LMG 1975 (für Lebensmittel und Verzehrprodukte) gegenüber diesem weiten - offensichtlich subsidiären - Arzneimittelbegriff Vorrang hätten; wenn daher die Arzneimitteleigenschaft eines Stoffes bloß im Grunde des § 1 Abs 1 Z 5 AMG vorliege, dann "schade" diese "Arzneimitteleigenschaft" nicht, wenn im übrigen definitionsgemäß ein Lebensmittel oder ein Verzehrprodukt im Sinne des LMG 1975 vorliege. Dieser Ansicht ist der Verwaltungsgerichtshof mit seiner "Restgrößen-Judikatur" nicht gefolgt. Die von Barfuß angenommene Subsidiarität des Arzneimittelbegriffes des § 1 Abs 1 Z 5 AMG ergibt sich nicht aus dem Wortlaut des Gesetzes; mit Hilfe der Definition der Verzehrprodukte in § 3 LMG läßt sich auch keine Abgrenzung der Verzehrprodukte von den Arzneimitteln vornehmen. Die weite Fassung des Arzneimittelbegriffes nach § 1 Abs 1 Z 5 AMG, die für Lebensmittel und Verzehrprodukte getroffene Ausnahmeregelung des § 1 Abs 3 Z 1 AMG und die negative Definition des Begriffes "Verzehrprodukt" in § 3 LMG ("ohne Arzneimittel zu sein") kann aber die Auffassung, ein Produkt sei nicht Arzneimittel, sondern Verzehrprodukt, im Einzelfall mit gutem Grund vertretbar erscheinen lassen. Diese Auffassung steht mit den bereits zitierten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes ÖBl 1986, 45 und ÖBl 1987, 71 nicht im Widerspruch, hat doch der Oberste Gerichtshof dort lediglich ausgesprochen, daß bei der Beurteilung der Frage, ob bestimmte Teemischungen unter den Arzneimittelbegriff des § 1 Abs 1 Z 1 AMG fallen, der Annahme eines unverschuldeten Rechtsirrtums der insoweit kaum mißverständliche Wortlaut des ArzneimittelG entgegenstehe; auf den Arzneimittelbegriff des § 1 Abs 1 Z 5 AMG und seine Abgrenzung gegenüber Verzehrprodukten trifft das aber aus den dargelegten Gründen keinesfalls zu.

Im vorliegenden Fall hat die Beklagte lediglich angekündigt, daß die E***-Kapseln "volles Haar und schöne Fingernägel" herbeiführten, also Wirkungen hätten, die auch bei gesunder Ernährung eintreten; daß dieses Produkt wegen seiner objektiven Zweckbestimmung Arzneimittel sei, hat die Klägerin selbst nicht behauptet. Angesichts der Tatsache, daß der Beklagten das weitere Inverkehrbringen des Produktes als Verzehrprodukt nicht binnen 3 Monaten nach der Anmeldung untersagt worden war, konnte sie mit gutem Grund die Auffassung vertreten, daß ihr Produkt ein Verzehrprodukt ist und ihre Werbeangaben zulässig sind; die dargelegte Gesetzeslage ist durchaus nicht so klar, daß die Beklagte hätte annehmen müssen, ihr Produkt sei wegen seiner subjektiven Zweckbestimmung ein Arzneimittel im Sinne des § 1 Abs 1 Z 5 AMG. Ob letzteres der Fall ist, mußte daher nicht geprüft werden."

Von dieser Auffassung abzugehen, bieten die Ausführungen der Klägerin im vorliegenden Verfahren keinen Anhaltspunkt. Die Klägerin hat zwar behauptet, daß die "E***-Kapseln" nach der Verkehrsauffassung Arzneimittel seien; sie ist aber selbst nicht der Meinung, daß das Produkt der Erstbeklagten unter den engeren Arzneimittelbegriff nach § 1 Abs 1 Z 1 AMG falle. Woraus aber die objektive Zweckbestimmung als Arzneimittel im Sinne des § 1 Abs 1 Z 5 AMG ableitbar sein sollte, ist nicht ersichtlich. Da der Erstbeklagten die behaupteten Verstöße gegen das ArzneimittelG somit nicht als sittenwidrig im Sinne des § 1 UWG vorgeworfen werden können, war der Beschluß des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf §§ 78, 402 EO, §§ 41, 50, 52 Abs 1 ZPO.

Anmerkung

E15006

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0040OB00062.88.0712.000

Dokumentnummer

JJT_19880712_OGH0002_0040OB00062_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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