TE OGH 1988/8/30 2Ob80/88

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Veröffentlicht am 30.08.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel, Dr. Melber, Dr. Kropfitsch und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Hermine G***, Pyrkergasse 41/1/1, 1190 Wien, vertreten durch Dr. Johannes Schriefl, Dr. Peter Paul Wolf, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagten Parteien 1. Josef G***, Arbeiter, Pyrkergasse 41/1/1, 1190 Wien, 2. I*** U***- UND S***-AG, Ghegastraße 3, 1030 Wien, beide vertreten durch Dr. Hermann Rieger, Rechtsanwalt in Wien, wegen 1,277.066 S und Feststellung, infolge Revision aller Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 21. März 1988, GZ 18 R 46/88-30, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Teilurteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 23. November 1987, GZ 54 Cg 747/85-26, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Beiden Revisionen wird Folge gegeben, das Urteil des Berufungsgerichtes wird aufgehoben. Zugleich wird auch das Urteil des Erstgerichtes mit Ausnahme der als unangefochten in Rechtskraft erwachsenen Abweisung eines Schmerzengeldmehrbegehrens von 526.000 S und des Ausspruches über das Feststellungsbegehren aufgehoben und die Rechtssache insoweit zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen, das auf die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens gleich weiteren Verfahrenskosten Bedacht zu nehmen haben wird.

Text

Begründung:

Die Klägerin erlitt am 17. April 1983 bei einem Verkehrsunfall als Insassin eines vom Erstbeklagten (ihrem Ehemann) gelenkten und gehaltenen, bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKW schwere Verletzungen (unter anderem eine Querschnittlähmung). Sie hatte zur Zeit des Unfalles den Sicherheitsgurt nicht angelegt. Neben einem Feststellungsbegehren (Punkt 2. des Urteilsbegehrens) fordert die Klägerin die Bezahlung eines Betrages von 1,702.066 S abzüglich einer erhaltenen Teilzahlung von 425.000 S, somit 1,277.066 S. Darin ist ein Schmerzengeldbegehren von 951.000 S, bei dessen Berechnung ein Mitverschulden der Klägerin wegen Verletzung der Gurtenanlegungspflicht im Ausmaß von einem Viertel berücksichtigt ist, enthalten. Nach den Klagsausführungen handelt es sich bei dem begehrten Schmerzengeld um den für die Zeit bis einschließlich November 1985 zustehenden Betrag. Die Klägerin fordert überdies ab 1. Dezember 1985 den Zuspruch von Renten für eine Haushaltshilfe sowie wegen der ab diesem Zeitpunkt auftretenden Schmerzen (Punkt 3. des Urteilsbegehrens), wobei als Schmerzengeldrente (unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von einem Viertel) 9.750 S monatlich begehrt werden.

Das Erstgericht fällte ein Teilurteil, und zwar entschied es im Sinne des Feststellungsbegehrens und erkannte außerdem die Beklagten zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin einen Betrag von 250.000 S samt 4 % Zinsen seit 18. September 1985 zu bezahlen. Das Mehrbegehren aus dem Titel des Schmerzengeldes unter Punkt 1. des Urteilsbegehrens in der Höhe von 526.000 S wurde abgewiesen. Das Erstgericht stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:

Durch den Unfall erlitt die Klägerin eine Gehirnerschütterung, eine Schädelbasisfraktur, eine Rißquetschwunde im Gesicht, eine Zerrung der Halswirbelsäule mit knöcherner Absprengung des zweiten Halswirbelkörpers sowie einen Verrenkungsbruch des 7. Halswirbels mit kompletter Querschnittlähmung. Die Harnentleerung erfolgt mittels Klopfen, eine Mastdarmfunktionskontrolle liegt nicht vor. Es treten jährlich bei der Klägerin sechs bis siebenmal Harnweginfekte auf, die behandelt werden müssen. Die am 14. Oktober 1948 geborene Klägerin führte vor ihrem Unfall eine harmonische Ehe, seit diesem kann auf Grund der Querschnittlähmung von einem ehelichen Zusammenleben nicht mehr gesprochen werden. Die Klägerin war vor dem Unfall sportbegeistert und war sehr an Kosmetik- und Modefragen interessiert. Sie ist nunmehr an den Rollstuhl gefesselt und bedarf zum Besuch der Toilette fremder Hilfe. Sie erlitt auf Grund der Unfallsfolgen 10 Tage sehr starke Schmerzen und bis Ende Dezember 1983 pro Monat 2 Tage starke, 4 Tage mittelstarke und 10 Tage leichte Schmerzen. Ab Jänner 1984 erleidet die Klägerin pro Monat 2 Tage mittelstarke Schmerzen und 8 Tage leichte Schmerzen sowie pro Jahr 2 Tage starke Schmerzen. Diese Schmerzperioden verstehen sich in geraffter Form. Bei der Klägerin ist der Endzustand erreicht, sie wird auch in Hinkunft Schmerzen erleiden.

Es sind auch weitere Komplikationen in Form einer aufsteigenden Harnweginfektion nicht auszuschließen.

Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht aus, auf Grund des Charakters des Schmerzengeldes als Globalabgeltung für alle körperlichen und seelischen Schmerzen, soweit sie überschaubar seien, sei bei der Klägerin bis Ende 1987

von einem Schmerzengeldbetrag von 900.000 S auszugehen. Unter Berücksichtigung der Mitverschuldensquote von einem Viertel ergebe sich ein Betrag von 675.000 S, nach Abzug der erhaltenen Zahlung von 425.000 S errechne sich ein Anspruch von 250.000 S, welcher für die Schmerzperioden bis Ende 1987 zuzusprechen gewesen sei. Dieses Teilurteil wurde lediglich von den Beklagten mit Berufung bekämpft. Das Berufungsgericht gab der Berufung teilweise dahin Folge, daß ein Betrag von 100.000 S samt Zinsen zugesprochen, das Schmerzengeldmehrbegehren von 608.812,50 S aber abgewiesen wurde. Das Berufungsgericht erklärte die Revision für zulässig. Es führte aus, der Einwand, das Schmerzengeld sei global zu bemessen, sei nicht berechtigt. Der Oberste Gerichtshof habe wiederholt dargelegt, daß in Ausnahmefällen die Abgeltung durch eine Rente neben oder statt eines Kapitalbetrages am Platz sei. Im vorliegenden Fall sei eine derartige Ausnahmesituation gegeben und (im Sinne der vom Erstgericht offenbar vertretenen Ansicht) die Zuerkennung einer Schmerzengeldrente gerechtfertigt. Für die Zeit bis Ende 1987 sei allerdings nur ein Schmerzengeld von 700.000 S berechtigt. Unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von einem Viertel und der Teilzahlung von 425.000 S errechne sich ein Betrag von 100.000 S. Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richten sich die auf den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützten Revisionen der Klägerin und der Beklagten. Die Klägerin beantragt die Wiederherstellung des Teilurteiles des Erstgerichtes. Die Beklagten beantragen, das Urteil des Berufungsgerichtes "im klagsstattgebenden Teil hinsichtlich des Schmerzengeldes als unzulässig aufzuheben", allenfalls es dahin abzuändern, daß der Klägerin unter Berücksichtigung des 25-%igen Mitverschuldens ein Schmerzengeld von insgesamt 675.000 S zugesprochen werde. Hilfsweise wird in beiden Revisionen ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Beide Revisionen sind im Sinne der Aufhebungsanträge im Ergebnis berechtigt.

Es entspricht ständiger Rechtsprechung, daß das Schmerzengeld grundsätzlich global zu bemessen ist, wobei in ganz besonderen Ausnahmefällen auch der Zuspruch einer Schmerzengeldrente für zulässig erklärt wurde (ZVR 1986/50, ZVR 1988/66 mwN u.v.a.). Eine Beschränkung auf bestimmte Zeiträume ist nur aus besonderen, vom Geschädigten darzulegenden Gründen zulässig, und zwar dann, wenn das Gesamtbild der physischen und psychischen Beeinträchtigungen noch nicht überschaubar ist (ZVR 1973/8, ZVR 1983/345). Da im vorliegenden Fall der Endzustand erreicht ist und die Folgen, die die Klägerin auf Grund der beim Unfall erlittenen schweren Verletzungen Zeit ihres Lebens zu tragen haben wird, abzuschätzen sind, ist es nicht zulässig, über das bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zustehende Schmerzengeld allein zu entscheiden. Auch die Klägerin behauptet nicht, daß eine Schmerzengeldbemessung wegen noch nicht abzuschätzender Unfallsfolgen für die Zukunft nicht möglich sei, zumal sie auch für die künftigen Schmerzen ein Leistungsbegehren stellt, und zwar in Form einer Rente. Da im vorliegenden Fall kein Grund vorhanden ist, ausnahmsweise über das Schmerzengeld bis zu einem bestimmten Zeitpunkt abzusprechen, ist es verfehlt, mit Teilurteil über die bis zu einem bestimmten Zeitpunkt erlittenen Schmerzen abzusprechen. Über das gesamte Schmerzengeldbegehren, also über den Kapitalbetrag und die begehrte Rente, muß daher in einer Entscheidung erkannt werden, weshalb die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben werden mußten.

Mit der Frage, ob der vorliegende Fall die Zuerkennung einer Schmerzengeldrente rechtfertigt, kann sich der Oberste Gerichtshof nicht befassen, weil dieses Begehren vom Teilurteil nicht umfaßt ist. Es sei jedoch darauf hingewiesen, daß - ebenso wie die in Ausnahmsfällen zulässige Schmerzengeldbemessung in mehreren Teilbeträgen (vgl. ZVR 1980/19) - auch die Zuerkennung einer Rente neben einem Kapitalsbetrag nicht dazu führen darf, daß der Verletzte unter Berücksichtigung seiner Lebenserwartung mehr erhält, als ihm bei Abgeltung aller Schmerzen durch einen Kapitalsbetrag zustehen würde, und daß der Oberste Gerichtshof bei Querschnittlähmungen in den letzten Jahren Globalbeträge von 800.000 S bis 1,000.000 S zuerkannt hat (8 Ob 157/81, 8 Ob 245/82, 2 Ob 54/84, SZ 51/63, 2 Ob 4/87 u.a.).

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E14989

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0020OB00080.88.0830.000

Dokumentnummer

JJT_19880830_OGH0002_0020OB00080_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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