TE OGH 1988/8/31 9ObA505/87

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Veröffentlicht am 31.08.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier und Dr. Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Ernst Oder und Peter Pulkrab als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der antragstellenden Partei R*** Ö***, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wider den Antragsgegner Ö*** G***, Gewerkschaft der Post- und Fernmeldebediensteten, Wien 1., Biberstraße 5, vertreten durch den Obmann des Zentralausschusses RegR Norbert T***, Wien 1., Postgasse 8, über den gemäß § 54 Abs 2 ASGG gestellten Feststellungsantrag in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Es wird festgestellt, daß Überstunden, die von Radar-Flugverkehrskontrolloren beim Bundesamt für Zivilluftfahrt im Schichtdienst geleistet werden und die nach den Bestimmungen des Kollektivvertrages für die BAZ-Bediensteten zu entschädigen sind, nach Maßgabe des Art. VI des Kollektivvertrages abzugelten sind und hiebei jeweils ein 157stel des dem betreffenden Dienstnehmer zustehenden Gehaltes nach Anhang I des Kollektivvertrages zur Grundlage der Berechnung des Grundstundengehaltes zu nehmen ist.

Text

Begründung:

Die Antragstellerin ist gemäß § 7 ArbVG eine kollektivvertragsfähige Körperschaft der Arbeitgeber. Der Antragsgegner ist eine kollektivvertragsfähige Körperschaft der Arbeitnehmer im Sinne des § 4 Abs 2 ArbVG. Die ihm schon vor dem 1. Juli 1974 zuerkannte Kollektivvertragsfähigkeit besteht gemäß § 165 ArbVG auch nach dem Inkrafttreten des ArbVG weiter (Floretta-Strasser ArbVG 1025 f). Beide Teile sind daher im Sinne des § 54 Abs 2 erster Satz ASGG als Parteien des besonderen Feststellungsverfahrens legitimiert. Die Antragstellerin führt zur Begründung ihres aus dem Spruch ersichtlichen Antrags aus, daß Radar-Flugverkehrskontrollore nach dem Kollektivvertrag für die Bediensteten des Bundesamtse für Zivilluftfahrt (kurz Kollektivvertrag) bis 31. Dezember 1981 zufolge ihrer besonderen Beanspruchung die Begünstigung hatten, daß jeweils 50 Minuten einer ununterbrochenen Dienstleistung vor dem Bildschirm bereits als eine Arbeitsleistung von 60 Minuten gegolten habe. Diese Bestimmung über eine fiktive Umrechnung von Arbeitszeiten sei zwar aus dem Kollektivvertrag eliminiert worden, doch sehe eine in Ergänzung des Kollektivvertrages abgeschlossene "freie Betriebsvereinbarung" ab 1. Jänner 1982 vor, das den Radar-Flugverkehrskontrolloren, die in einem Schichtdienstplan Dienst versehen, bei Dienststellen mit 24stündigem Radarbetrieb sieben Achtel der im Art. IV Z 2 des Kollektivvertrages angegebenen Dienstzeit als Solldienstzeit zugestanden werde. Dadurch komme es zwar dazu, daß Überstunden in einem früheren Zeitpunkt anfielen, doch sei die Verminderung der Solldienstzeit nicht mit einer Änderung der Vereinbarung über die Höhe der Überstundenabgeltung laut Art. VI Z 2 des Kollektivvertrages verknüpft worden. Demnach sei die Überstundenvergütung auf der Grundlage von 1/157stel des Gehaltes laut Anlage I des Kollektivvertrages zuzüglich eines Zuschlages von 50 % bzw. 100 % zu ermitteln. Da dem Wortlaut dieser Regelung unmittelbar zu entnehmen sei, welcher Teiler für die Berechnung des Grundstundengehaltes aller dem Kollektivvertrag unterliegenden Bediensteten des Bundesamtes für Zivilluftfahrt heranzuziehen sei, bestehe für eine Veränderung (Anhebung um ein Siebtel) des Grundstundengehalts hinsichtlich des in Z 11 der freien Betriebsvereinbarung erfaßten Personenkreises keine kollektivvertragliche Deckung.

Über diese Frage habe sich eine Meinungsverschiedenheit zwischen der Antragstellerin und der Arbeitnehmervertretung beim Bundesamt für Zivilluftfahrt ergeben, weil diese die Ansicht vertrete, daß sich aus der Verringerung der Dienstzeit ein Anspruch auf eine höhere Überstundenabgeltung, als sie in Art. VI Z 2 des Kollektivvertrages vorgesehen sei, ergebe. Die begehrte Feststellung sei für mehr als drei Arbeitnehmer der Antragstellerin von Bedeutung. Der Antragsgegner wandte in seiner Stellungnahme ein, daß keineswegs an eine Änderung des Grundstundengehalts von 1/157stel gedacht sei, sondern daß sich durch die Reduzierung der Solldienstzeit vielmehr das Problem ergebe, wie diese Reduktion auf die Überstundenleistung in Anschlag zu bringen sei. So habe das Bundesamt für Zivilluftfahrt etwa mit allgemeiner Dienstanweisung Nr. 26 angeordnet, daß alle außergewÄhnlichen Umstände, die eine Dienstverhinderung eines Radar-Flugverkehrskontrollors ergäben, auf der Basis von sieben Achtel bzw. elf Zwölftel der für Schichtbedienstete gültigen monatlichen Dienstzeit abzurechnen seien. Teilweise sei sogar auf ein Wochensoll von 35 bzw. 36,7 Stunden zurückgegriffen worden. Demgemäß müsse die höhere Belastung der Radar-Flugverkehrskontrollore auch hinsichtlich der Leistung von Überstunden in der Weise anerkannt werden, daß diese Arbeitnehmer bezugsrechtlich so gestellt werden, als ob sie nach 52,5 Minuten Dienst bereits 60 Minuten Dienst verrichtet hätten. Es "wäre daher die Feststellung zu beantragen", daß bei Überstundenleistung der Radar-Flugverkehrskontrollore mit 24stündigem Radarbetrieb die Abgeltung der Dienstleistung im gleichen Verhältnis (sieben Achtel bzw. elf Zwölftel) zu erfolgen habe, wie die Verrechnung der monatlichen Dienstzeit bzw. wie bei Dienstverhinderung laut allgemeiner Dienstanweisung Nr. 26. Über Aufforderung äußerte sich die Antragstellerin zu dieser Stellungnahme dahin, daß auf Grund der Monatsentlohnung der Bediensteten kein unmittelbarer rechnerischer Zusammenhang zwischen der Ableistung der Solldienstzeit und der Auszahlung des Monatslohnes bestehe. Die Monatsentlohnung erfahre auch dann keine Veränderung, wenn sich die kollektivvertraglich festgelegte Dienstzeit ändere. Die Frage, wieviele Arbeitsstunden ein Bediensteter im Monat zu erbringen habe, sei daher von der Frage, in welcher Weise das Entgelt für die Leistung von Überstunden zu berechnen sei, völlig zu trennen. Die im Wege der "freien Betriebsvereinbarung" zugestandene Verkürzung der monatlichen Solldienstzeit der Radar-Flugverkehrskontrollore habe zwar den früheren Anfall einer Überstunde bewirkt, doch sei die Kollektivvertragsbestimmung über die Höhe der Überstundenentschädigung nicht geändert worden. Jede zeitliche Mehrdienstleistung sei nach Maßgabe der im Kollektivvertrag unter Art. VI Z 2 getroffenen Regelung abzugelten. Die "freie Betriebsvereinbarung" enthalte keinen Hinweis darauf, daß die Verkürzung der Dienstzeit auch für Überstunden zu gelten habe. Das Begehren, für 52 bzw. 55 Minuten Mehrdienstleistung bereits eine Überstundenentlohnung auf der Basis von 1/157stel der Monatsentlohnung zuerkannt zu erhalten, sei einem Begehren gleich, für eine volle Arbeitsstunde Mehrdienstleistung ein entsprechend erhöhtes Grundstundengehalt, also mehr als 1/157stel des Monatslohnes zu beanspruchen. Es bestehe daher ein "Interesse an einer Entscheidung im Sinne des gestellten Beschlußantrages". Der Oberste Gerichtshof hat auf der Grundlage des von der Antragstellerin behaupteten Sachverhalts (§ 54 Abs 4 erster Satz ASGG) über den Feststellungsantrag erwogen:

Nach Art. IV Z 2 des Kollektivvertrages beträgt die monatliche Dienstzeit für Bedienstete im Schichtdienst in Monaten mit 31 Tagen 169 Stunden in Monaten mit 30 Tagen 164 Stunden im Monat Februar 154 Stunden.

Art. VI des Kollektivvertrages enthält unter anderem folgende Regelungen:

"1. Als Überstunde gilt jede vom Dienstgeber .... ausdrücklich angeordnete Dienstzeit, welche nicht schon im Dienstplan vorgesehen ist ....

2. Die Überstundenvergütung besteht aus einem Grundgehalt bzw. einer Grundvergütung und einem Zuschlag. Die Grundlage für die Berechnung des Grundstundengehaltes ist 1/157stel des Gehaltes nach Anhang I.

Der Überstundenzuschlag beträgt an Werktagen in der Zeit von 6 Uhr bis 22 Uhr 50 %, in der Zeit von 22 Uhr bis 6 Uhr 100 % ...." Nach Z 11 lit. a der in Ergänzung des Kollektivvertrages abgeschlossenen "freien Betriebsvereinbarung" beträgt die Dienstzeit für Radar-Flugverkehrskontrollore für die Dauer ihrer Verwendung in einem Schichtdienstplan bei Dienststellen mit 24stündigem Radarbetrieb sieben Achtel, bei allen anderen Dienststellen mit Radarbetrieb elf Zwölftel der in Z 2 in Art. IV des Kollektivvertrages angeführten Dienstzeit.

Gemäß lit. c gilt Z 11 der "freien Betriebsvereinbarung" die mit der Tätigkeit als Radar-Flugverkehrskontrollor verbundene Belastung ab.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen der Ansicht der Antragstellerin geht es im vorliegenden Fall nicht um eine Auslegung des Art. VI Z 2 des Kollektivvertrags, dessen Anwendung unbestritten ist, sondern wie der Antragsgegner zutreffend erkannte, um die Frage, ob durch die Verkürzung der Arbeitszeit auch eine durchgreifende Verkürzung der jeweiligen Einheit einer Mehrdienstleistung erfolgte. Die Verkürzung der Arbeitszeit ist Inhalt der "freien Betriebsvereinbarung", welche im Sinne des beiderseitigen Vorbringens Inhalt der Einzelarbeitsverträge wurde (Arb. 9.832 ua), so daß es auf deren objektiven Erklärungswert ankommt (Rummel in Rummel ABGB § 863 Rz 8; Arb. 10.486 ua).

Wie die Antragstellerin selbst vorbrachte, galt vor der Arbeitszeitverkürzung durch die "freie Betriebsvereinbarung" für die Radar-Flugverkehrskontrollore die kollektivvertragliche Begünstigung, daß eine Dienstleistung von jeweils 50 Minuten einer vollen Stunde entsprach. Auch wenn diese Bestimmung seit 1. Jänner 1982 nicht mehr im Kollektivvertrag enthalten ist und die "freie Betriebsvereinbarung" nur auf eine Reduktion der monatlichen Dienstzeit Bezug nimmt, wäre es sinnwidrig, gerade bei einer noch intensiveren Inanspruchnahme der Radar-Flugverkehrskontrollore durch die Mehrdienstleistung die ohnehin schon gegebene erhöhte psychische und physische Belastung durch den Dienst am Radarbildschirm zu vernachlässigen. Eine solche Absicht ist der "freien Betriebsvereinbarung", mit welcher die Normalarbeitszeit gerade wegen dieser besonderen Belastungen gekürzt wurde, nicht zu entnehmen. Da im Überstundenrecht Überstundenarbeit überdies im allgemeinen nur eine Fortsetzung der Normalarbeit ist, hätte es daher wegen des aufgezeigten Wertungswiderspruches eines ausdrücklichen Vorbehalts bedurft, wenn die Vertragspartner Mehrdienstzeiten von der allgemeinen Verkürzung der Dienstzeit hätten ausnehmen wollen.

Unabhängig davon, daß die Entlohnung der Radar-Flugverkehrskontrollore nicht nach Arbeitsstunden erfolgt, ist daher davon auszugehen, daß durch die "freie Betriebsvereinbarung" nicht nur eine allgemeine Verkürzung der Dienstzeit erfolgte, sondern auch eine entsprechende Reduktion der als "Überstunde" anzunehmenden Zeiteinheit. Dies ändert aber nichts daran, daß für die Ermittlung der Überstundenvergütung nach wie vor Art. VI Z 2 des Kollektivvertrages anzuwenden ist. Der Antragstellerin wurde deshalb Gelegenheit gegeben, ihren Feststellungsantrag im Sinne der Anregung des Antragsgegners zu modifizieren. Da sie dieser Anregung nicht nachgekommen ist, war ihrem von vorneherein nicht bestrittenen Feststellungsbegehren Folge zu geben, obwohl sich ihr Standpunkt im Ergebnis als unzutreffend herausgestellt hat. Über das weiters gestellte Eventualbegehren wäre nur für den Fall der Abweisung des Hauptbegehrens zu entscheiden gewesen.

Anmerkung

E15068

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:009OBA00505.87.0831.000

Dokumentnummer

JJT_19880831_OGH0002_009OBA00505_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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