TE OGH 1988/9/6 10ObS41/88

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Veröffentlicht am 06.09.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Christian Kleemann (AG) und Karl Klein (AN) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Richard K***, Gramatneusiedlerstraße 8/7/1, 2435 Ebergassing, vertreten durch Dr. Wolfgang Taussig, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER

A***, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, vertreten durch Dr. Kurt Scheffenegger, Rechtsanwalt in Wien, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. September 1987, GZ 34 Rs 102/87-23, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Niederösterreich vom 17. Dezember 1986, GZ 16 C 37/86-19 (nunmehr 16 Cgs 37/86 des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien), bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 2.859,75 bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin S 257,25 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 13. August 1938 geborene Kläger bezog bis 30. April 1986 eine befristete Invaliditätspension. Mit Bescheid vom 20. Juni 1986 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 19. März 1986 auf Weitergewährung der Invaliditätspension über den 30. April 1986 hinaus, ab.

Dem Kläger sind leichte und mittelschwere Arbeiten mit den üblichen Pausen in der üblichen Arbeitszeit möglich. Besonders feine Fingerarbeiten und Arbeiten an gefährdenden Stellen sowie solche, die ein beidäugiges Sehen erfordern, sind ausgeschlossen. Fabriksmilieu ist möglich, Anlernbarkeit und Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes sind gegeben.

Der Kläger war vom 2. Jänner 1961 bis 23. Februar 1967 bei der Forstdirektion Schönborn als Traktorfahrer beschäftigt. Er hatte dort nicht nur Arbeiten als Traktorführer zu leisten, sondern auch als Vertretung im Kuhstall (40 bis 60 Rinder) zu arbeiten, das Füttern nach einem Fütterungsplan vorzubereiten, einzufüttern und auszumisten. Als Traktorführer mußte er alle Feldarbeiten einschließlich des Einstellens der Sämaschine nach Anweisung ausführen. Er verrichtete alle Wartungsarbeiten an Traktoren und Landmaschinen sowie kleine Reparaturen. Im forstwirtschaftlichen Bereich hatte er nur mit der Holzabholung aus dem Wald, dem Verladen und Transport des Holzes zu tun.

Vom 24. Jänner 1972 bis Ende 1985 war der Kläger als Traktorführer bei der W***-D***'S*** Gutsverwaltung Aichhof beschäftigt. Bei diesem Unternehmen handelt es sich um einen gemischt landwirtschaftlichen Betrieb mit Zuckerrüben-, Getreide- und Hackfruchtbau, auf dem bis 1979 auch eine Schweinezucht und -mast geführt wurden. Der Kläger hatte in dem Betrieb neben seiner Arbeit als Traktorführer auch alle Tätigkeiten zu verrichten, die sonst nur von landwirtschaftlichen Facharbeitern ausgeführt werden. Er erhielt vom Gutsverwalter nur die großen Richtlinien, alle Detaildurchführungen mußte er selbst bestimmen und selbständig bewältigen. Bei der Schädlingsbekämpfung entschied der Kläger selbst, welches Spritzmittel für welchen Schädling eingesetzt werden sollte, er kannte alle Schädlinge. Sämtliche im Feldbau und in der Gründlandpflege anfallenden Arbeiten führte der Kläger selbständig aus. Er vertrat auch den Schweinemeister während Urlauben und Krankheit. Dabei sorgte er selbständig für die Fütterung, die Entmistung und die medikamentöse Behandlung der Schweine, wobei er die leichter erkennbaren Krankheiten selbst wahrnahm und auch die erforderlichen Medikamente einsetzte. Er war mit der Schweinezucht - Körung, Kreuzung - selbständig befaßt und konnte alle Arbeiten, auch Hygienearbeiten wie das Legen von Seuchenteppichen, durchführen. Insgesamt leistete er Arbeiten, die zu den Obliegenheiten von landwirtschaftlichen Facharbeitern, teilweise sogar von Landwirtschaftsmeistern gehören. Der Kläger wartete Traktoren und andere Landmaschinen und führte auch Reparaturarbeiten an diesen durch, er beherrschte dabei auch Schweiß- und Elektrikerarbeiten.

Das Erstgericht gab dem auf Weitergewährung der Invaliditätspension gerichteten Klagebegehren statt. Unter Berücksichtigung der in Gutsbetrieben vorkommenden Wirtschaftsformen sei der Kläger einem dort beschäftigten landwirtschaftlichen Facharbeiters als angelernter Facharbeiter gleichzuhalten. Da die Tätigkeiten eines landwirtschaftlichen Facharbeiter, auch alle Teiltätigkeiten eines solchen immer auch schwere körperliche Belastungen und gefährdende Arbeitsplätze mit sich brächten, Tätigkeiten, bei denen diese Gefährdungen wegfielen, seien nur mehr als landwirtschaftliche Hilfsarbeitertätigkeiten zu werten, sei der Kläger als invalide im Sinne des § 255 Abs. 2 ASVG anzusehen. Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei keine Folge. Der Kläger habe unter Berücksichtigung der in Gutsbetrieben vorkommenden Wirtschaftsformen durch praktische Tätigkeit Kenntnisse erworben, wie sie ein dort beschäftigter landwirtschaftlicher Facharbeiter besitze. Alle Kenntnisse und Fähigkeiten, wie sie im Lehrberuf eines landwirtschaftlichen Facharbeiters vorausgesetzt würden, seien bei der heute üblichen arbeitsteiligen Organisation faktisch nicht erreichbar und zur Annahme des Berufsschutzes auf Grund angelernter Tätigkeit auch nicht erforderlich. In ihrer Revision bekämpft die beklagte Partei die Annahme einer angelernten Tätigkeit im Sinne des § 255 Abs. 2 ASVG und beantragt, das Urteil im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Voraussetzung für die Qualifikation als angelernter Arbeiter ist es, daß der Versicherte hinsichtlich seiner Fähigkeiten und Kenntnisse den Anforderungen entspricht, die üblicherweise an Absolventen eines Lehrberufes gestellt werden. Grundlage für die Lösung dieser Rechtsfrage bilden einerseits die Anforderungen, die an einen gelernten Arbeiter im Lehrberuf üblicherweise gestellt werden und andererseits die Kenntnisse und Fähigkeiten, über die der Versicherte im einzelnen Fall verfügt (SSV-NF 1/48). Es genügt daher nicht, daß ein Versicherter nur praktische Kenntnisse und Fähigkeiten in einem Teilbereich eines Lehrberufes erworben hat, während gelernte Arbeiter umfangreichere Tätigkeitsbereiche beherrschen. Andererseits muß aber ein angelernter Beruf keinem gesetzlich geregelten Lehrberuf entsprechen. Es ist durchaus möglich, durch praktische Arbeit Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben, die Teiltätigkeiten aus mehreren gesetzlich geregelten Lehrberufen entsprechen (Mischberuf) oder für die es überhaupt (noch) keinen gesetzlich geregelten Lehrberuf gibt, wenn nur die in der Praxis erworbenen Fähigkeiten und Kenntnisse an Qualität und Umfang jenen in einem Lehrberuf gleichzuhalten sind (SSV-NF 1/70). Nach § 136 des Landarbeitergesetzes BGBl. 140/1948 idF des BGBl. 238/1965 sind zur Erlassung von Ausbildungs- und Prüfungsordnungen die Landwirtschaftskammern berufen. In der gemäß § 135 Abs. 7 der NÖ. Landarbeitsordnung LGBl. 9020-2 und auf Grund der NÖ. land- und forstwirtschaftlichen Berufsausbildungsordnung 1979 LGBl. 5030 erlassenen Verordnung der land- und forstwirtschaftlichen Lehrlings- und Fachausbildungsstelle für Niederösterreich vom 3. Oktober 1980, mit der eine Ausbildungs- und Prüfungsordnung erlassen wurde, sind mehrere Ausbildungszweige vorgesehen. Der Ausbildungs- und Prüfungsplan zum landwirtschaftlichen Facharbeiter (Anlage A 1) sieht Kenntnisse und Fähigkeiten in Pflanzenproduktion, Tierproduktion, Landtechnik und theoretisches Grundwissen in Standes- und Staatbürgerkünde sowie Schriftverkehr und Rechnen vor. Im Ausbildungsplan zum Landwirtschaftsmeister (Anlage B 1) finden sich dieselben Ausbildungsfächer, es werden nur wesentlich umfangreichere, detailliertere Kenntnisse gefordert. Im Ausbildungsplan zum landwirtschaftlichen Facharbeiter (Anlage A 1 Einleitung zum 1. Teil) wird eingangs ausdrücklich darauf Bezug genommen, daß die im folgenden verlangten Kenntnisse und Fähigkeiten in den Arbeitsgebieten der Landwirtschaft "unter Berücksichtigung des Produktionsgebietes des Prüfungswerbers" zu vermitteln und zu prüfen sind. Dies bedeutet, daß weitgehend auf regionale Unterschiede in den Produktionsformen Rücksicht zu nehmen und der Lehrling in jenen Zweigen der Landwirtschaft, die seiner Region nicht entsprechen, offensichtlich nur Grundkenntnisse, nicht aber eine umfassende Ausbildung aufweisen muß.

Es ist der Revisionswerberin zwar zuzustimmen, daß ein landwirtschaftlicher Facharbeiter auch Grundkenntnisse in Rinderhaltung und Waldwirtschaft erwerben muß, welche der Kläger durch praktische Arbeit wegen der Art der Betriebe in denen er tätig war, sich nicht aneignen konnte, doch darf nicht übersehen werden, daß der Kläger in jenen Bereichen, in denen er tätig war, insbesondere auf dem Gebiete der Pflanzenproduktion, der Schweinezucht und der medizinischen und hygienischen Maßnahmen Kenntnisse und Fähigkeiten erworben hat, die nach dem Ausbildungs- und Prüfungsplan nur von einem Landwirtschaftsmeister gefordert werden. Dazu kommt noch, daß er nicht nur jene technischen Fähigkeiten besitzt, die von einem landwirtschaftlichen Facharbeiter, der als Traktorführer eingesetzt wird, gefordert werden (Wartung von landwirtschaftlichen Fahrzeugen) sondern darüber hinaus selbständig Landmaschinen nicht nur warten, sondern einschließlich Elektriker- und Schweißarbeiten auch so reparieren kann, daß ihm sein letzter Dienstgeber bescheinigte, sämtliche sonst von Professionisten geleisteten Arbeiten zu beherrschen, so daß er "in Kategorie 2 A Gutshandwerker mit abgeschlossener Lehre" eingereiht wurde (Beilage 10).

Insgesamt hat der Kläger daher durch praktische Arbeit qualifizierte Fähigkeiten und Kenntnisse erworben, welche denen in einem erlernten Beruf nicht nur nahekommen, sondern jedenfalls gleichzuhalten sind, in Teilgebieten sogar darüber hinausgehen. Die Vorinstanzen sind daher zu Recht davon ausgegangen, daß dem Kläger Berufsschutz im Sinne des § 255 Abs. 2 ASVG zukommt. Daß aber unter dieser Voraussetzung das Leistungskalkül des Klägers zur Ausübung seines bisherigen Berufes nicht mehr ausreicht und es auch keine geeigneten Verweisungstätigkeiten mehr für ihn gibt, wurde von der beklagten Partei nicht bekämpft.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten der Revisionsbeantwortung beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit. b ASGG.

Anmerkung

E15287

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:010OBS00041.88.0906.000

Dokumentnummer

JJT_19880906_OGH0002_010OBS00041_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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