TE OGH 1988/9/13 4Ob359/86

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Veröffentlicht am 13.09.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Friedl sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schlosser, Dr. Angst und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*** G*** U***

W***, Wien 4., Schwarzenbergplatz 14, vertreten durch Dr. Walter Prunbauer und Dr. Friedrich Prunbauer, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei B*** Warenhandel Aktiengesellschaft, Wiener Neudorf, Industriezentrum NÖ.-Süd, Straße 3, Objekt 16, vertreten durch Dr. Hans Perner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert S 200.000,--) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 20. März 1986, GZ 2 R 12/86-13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes St. Pölten als Handelsgericht vom 11. Oktober 1985, GZ 3 Cg 136/85-8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit S 12.305,40 (darin S 36,-- Barauslagen und S 1.115,40 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 17.360,65 (darin S 10.000,-- Barauslagen und S 669,15 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die beklagte Gesellschaft betreibt von ihrem Hauptstandort in Wiener Neudorf aus in einer Reihe von Filialen den Einzelhandel mit Lebensmitteln. In ihrer Filiale in Ybbs an der Donau, Burgwiesenring, bot sie seit dem 13. April 1985 0,5 Liter-Flaschen Brau AG-Kaiser Märzen-Bier zum Preis von S 4,40 an. Mit der Behauptung, daß dieser Preis unter dem Einstandspreis der Beklagten von S 5,18 je Flasche liege, der beanstandete Verkauf somit gegen §§ 3 a und 3 b des Nahversorgungsgesetzes (NVG) in Verbindung mit der Verordnung BGBl. 1980/389 verstoße, beantragt der klagende Schutzverband die Verurteilung der Beklagten, im geschäftlichen Verkehr beim Einzelhandel mit Lebens- und Genußmitteln es zu unterlassen, Bier unter dem Einstandspreis zuzüglich der Umsatzsteuer und aller sonstigen Abgaben für die Dauer der Rechtswirksamkeit der Verordnung vom 19. August 1980 BGBl. 389 zum Verkauf anzubieten oder zu verkaufen. Die Klage werde auf "alle denkbaren Anspruchsgrundlagen, insbesondere wettbewerbsrechtliche Vorschriften, wie das UWG" gestützt. Bei der Ermittlung des Einstandspreises dürften Naturalrabatte, die anderen Filialen gewährt wurden, nicht berücksichtigt werden; vielmehr sei von der "gesamten Liefersumme für die gesamte B*** Warenhandels-Kette bzw. sämtliche Filialen" auszugehen. Ein den §§ 1 bis 3 a NVG zu unterstellendes Verhalten verstoße gegen die guten Sitten iS des § 1 UWG; darüber hinaus bewirke der Verkauf von Brau AG-Bier um S 4,40 nicht nur einen übertriebenen Anlockeffekt, sondern auch einen leistungsfremden und daher sittenwidrigen Verdrängungseffekt, weil die Gefahr bestehe, daß kleine und mittlere Unternehmen, die keine solchen Nachlässe erhalten, auf dem Markt behindert, wenn nicht überhaupt vom Markt verdrängt würden. Mit ihrem Vorbringen, für die Eröffnung neuer Filialen einen Mengenrabatt von

7.800 Flaschen Bier erhalten zu haben, habe die Beklagte ein sittenwidriges Anzapfen oder Ausnützen von Wettbewerbsvorteilen zugestanden, die aus Sonderleistungen ohne Gegenleistung resultierten. Da der Marktpreis von Bier den Konsumenten bekannt sei, bewirke der Verkauf von Bier unter dem Einstandspreis einen besonderen Anlockeffekt. Ob die beanstandete Verkaufsaktion tatsächlich schon vor der Einbringung der Klage beendet wurde, sei ohne rechtliche Bedeutung.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Sie habe aus Anlaß der Eröffnung dreier neuer Filialen in Wien von der Österreichischen Brau AG einen Mengenrabatt von je 130 Kisten Brau AG-Kaiser Märzen-Bier, das sind insgesamt 7.800 Flaschen zu 0,5 Liter, erhalten. Diesen als Verkaufsförderung gedachten Rabatt habe sie nicht für die drei neuen Filialen in Wien, sondern für ihre Filiale in Ybbs an der Donau verwendet und dort zwischen dem 13. April und dem 20. April 1985 insgesamt 23.460 Flaschen zum Preis von S 4,40 verkauft. Da sich der normale Einstandspreis der Beklagten für Brau AG-Kaiser Märzen-Bier auf S 3,60 je Flasche belaufe, hätte der Abgabepreis an die Konsumenten unter Berücksichtigung der Umsatzsteuer, der Getränkesteuer und der Alkoholsondersteuer S 5,18 je Flasche betragen; durch die Verwendung von 7.800 Flaschen zum Einstandspreis von (S 3,60 x 7.800 =) S 28.080,-- "zur Stützung des Abgabepreises" habe sich jedoch bei

23.460 Flaschen eine "Stützung" von rund S 1,20 je Flasche ergeben, welche vom normalen Einstandspreis von S 5,18 je Flasche abzuziehen sei. Der tatsächliche Abgabepreis von S 4,40 sei damit sogar um 42 Groschen je Flasche höher gewesen, als er bei voller Berücksichtigung des Naturalsonderrabattes hätte liegen können. Von einem Verstoß gegen § 3 a NVG könne unter diesen Umständen keine Rede sein. Die Brau AG habe es der Beklagten überlassen, den ihr eingeräumten Sonderrabatt nach eigenem Gutdünken zu Werbezwecken einzusetzen.

Ein bloßer Verstoß gegen Bestimmungen des Nahversorgungsgesetzes könne im übrigen für sich allein noch nicht sittenwidrig sein. Da die Abgabe einer verhältnismäßig kleinen Menge von Bier während einer sehr kurzen Zeit weder eine Marktverstopfung herbeiführen noch den Geschäftsgang der Konkurrenten habe beeinträchtigen können, habe die Beklagte auch sonst nicht unlauter gehandelt. Einen dem Publikum bekannten "Marktpreis" von Bier gebe es nicht; von einem besonderen "Anlockeffekt" des von der Beklagten für eine Flasche Bier verlangten Preises von S 4,40 könne aber auch deshalb keine Rede sein, weil andere in- und ausländische Biersorten sogar noch billiger abgegeben würden.

Das Erstgericht erkannte im Sinne des Klagebegehrens und nahm folgenden Sachverhalt als erwiesen an:

Bei einem Einstandspreis von S 3,60 müßte der Abgabepreis einer Flasche Brau AG-Kaiser Märzen-Bier unter Berücksichtigung von Umsatzsteuer, Getränkesteuer und Alkoholsondersteuer S 5,18 betragen. Die Beklagte hatte anläßlich der Eröffnung dreier neuer Filialen in Wien von der Österreichischen Brau-AG einen Mengenrabatt in Form von 7.800 Flaschen Kaiser Märzen-Bier erhalten; diesen Nachlaß verwendete sie zur Stützung des Preises in ihrer Filiale in Ybbs an der Donau.

Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, daß gemäß § 6 NVG ein Verstoß gegen die Bestimmungen dieses Gesetzes nur bei Hinzutreten weiterer, eine Sittenwidrigkeit begründender Umstände auch dem UWG unterstellt werden könne. Der beanstandete Verkauf einer 0,5 Liter-Flasche Brau AG-Kaiser Märzen-Bier um S 4,40 habe angesichts eines Einstandspreises (einschließlich Umsatzsteuer und aller sonstigen Abgaben) von S 5,18 gegen § 3 a NVG verstoßen. Der anläßlich der Eröffnung neuer Filialen in Wien von der Österreichischen Brau-AG gewährte Sonderrabatt habe bei sinnvoller Auslegung des Nahversorgungsgesetzes nicht zur Gestaltung des Verkaufspreises der Beklagten in Ybbs an der Donau herangezogen werden dürfen. Selbst wenn man aber in diesem Punkt der gegenteiligen Auffassung der Beklagten folgen wollte, wäre damit für sie nichts gewonnen: Das Annehmen eines Rabattes ohne Gegenleistung verstoße gegen § 1 Abs 2 NVG. Dabei könnte Sittenwidrigkeit nur dann verneint werden, wenn der - ohne Pression oder mißbräuchliche Machtausübung des Händlers erlangte - Rabatt allein dazu benützt würde, den am neuen Standort bisher fehlenden Bekanntheitsgrad der Beklagten durch ein besonders vorteilhaftes Angebot zu steigern. Die Verwendung des Rabattes, um in der rund 100 km entfernten Filiale in Ybbs an der Donau Bier unter dem Einstandspreis verkaufen zu können, sei jedenfalls sittenwidrig gewesen, habe doch die Beklagte dadurch ihre Marktmacht dazu ausgenützt, um ihre Mitbewerber im Raum Ybbs zu verdrängen, zumindest aber in ihren Verkaufsmöglichkeiten zu beeinträchtigen. Sei damit der beanstandete Verkauf unter dem Einstandspreis nur durch Ausnützung eines gesetzwidrig erlangten Rabattes möglich gewesen, dann begründe allein dieser doppelte Verstoß gegen wettbewerbsregelnde Normen des Nahversorgungsgesetzes eine Sittenwidrigkeit iS des § 1 UWG.

Das Berufungsgericht wies die Klage ab und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 15.000,--, nicht aber S 300.000,-- übersteige und die Revision zulässig sei. Ob ein Verstoß gegen das Nahversorgungsgesetz - insbesondere gegen §§ 3 a und 3 b dieses Gesetzes - als Verletzung einer wettbewerbsrechtlichen Norm zugleich auch gegen die guten Sitten iS des § 1 UWG verstößt, könne dahingestellt bleiben, weil die Beklagte den §§ 3 a und 3 b NVG iVm den dazu erlassenen Verordnungen nicht zuwidergehandelt habe:

Die Beklagte habe die ihr anläßlich der Eröffnung der drei neuen Filialen in Wien als "Mengenrabatt" kostenlos überlassenen

7.800 Flaschen Brau AG-Kaiser Märzen-Bier in ihrer Filiale in Ybbs an der Donau zusammen mit 15.660 entgeltlich erworbenen Flaschen der gleichen Sorte um S 4,40 je Flasche abgegeben; der Einstandspreis von S 3,60 für die von ihr bezahlten Flaschen habe sich dardurch auf S 2,40 verringert. Unter Berücksichtigung der Verkaufsabgaben von zusammen S 1,58 ergebe sich daraus ein Betrag von S 3,98, welcher immer noch unter dem Abgabepreis von S 4,40 liege. Die Meinung des Klägers, daß bei der Ermittlung des Einstandspreises die "gesamte Liefersumme für die gesamte B*** Warenhandels-Kette bzw. sämtliche Filialen" zu berücksichtigen sei, könne ebensowenig gebilligt werden wie die Auffassung des Erstgerichtes, wonach es darauf ankomme, für welche Filiale der Mengenrabatt gewährt wurde. Nach dem Wortlaut des Gesetzes sei vielmehr allein ausschlaggebend, welche Kosten der Händler für die konkreten, von ihm zu einem bestimmten Preis angebotenen Waren aufzuwenden habe. Welche Preise er für andere Waren gezahlt hatte oder in welche von mehreren Geschäftsräumlichkeiten diese Waren ursprünglich geliefert wurden, könne nicht maßgebend sein; auch sei nicht einzusehen, weshalb die Beklagte nicht berechtigt gewesen wäre, die ihr unentgeltlich nach Wien gelieferten Waren an einem andern Ort abzugeben. Bei dieser Sachlage könnte der vom Kläger erhobene Unterlassungsanspruch nach § 1 UWG nur dann bejaht werden, wenn ein sonstiges sittenwidriges Verhalten der Beklagten erwiesen wäre; das treffe aber schon nach dem Vorbringen des Klägers nicht zu: Der Verkauf einer 0,5 Liter-Flasche Bier um S 4,40 bedeute kein "übertriebenes Anlocken" von Kunden; die Vorteile einer solchen Preisherabsetzung seien nicht geeignet, den Kunden in einem solchen Ausmaß unsachlich zu beeinflussen, daß er seine Entscheidung nicht mehr nach dem Leitbild des Leistungswettbewerbs treffe. Daß die Beklagte die Absicht gehabt hätte, mit ihrer - nur

kurzfristigen - Aktion Mitbewerber zu verdrängen oder zu vernichten, habe der Kläger nicht einmal behauptet; mangels einer solchen Absicht sei aber das zeitweilige, ja sogar das wiederholte oder ständige Anbieten einer Ware unter dem Selbstkosten- oder Einstandspreis grundsätzlich zulässig. Daß die Beklagte solche Preisunterbietungen "zum Übermaß gesteigert" hätte, sei weder behauptet noch festgestellt worden. Ob aber die Beklagte den Mengenrabatt von 7.800 Flaschen Bier auf sittenwidrige Weise erlangt hatte, sei schon deshalb ohne Belang, weil die Klage nicht auf das Verbot einer solchen Maßnahme gerichtet sei. Da somit kein Verstoß der Beklagten gegen § 1 UWG zu erkennen sei, habe das Klagebegehren abgewiesen werden müssen.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird seinem ganzen Inhalt nach vom Kläger mit Revision aus den Gründen des § 503 Abs 1 Z 2 bis 4 ZPO bekämpft; der Kläger beantragt, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß seinem Unterlassungsbegehren vollinhaltlich stattgegeben werde.

Die Beklagte beantragt, dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Gemäß § 3 a Abs 1 Satz 1 NVG idF der Novelle 1980 BGBl. 121 konnte auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wer im geschäftlichen Verkehr bestimmte, hier taxativ aufgezählte Lebensmittel "zum oder unter dem Einstandspreis zuzüglich der Umsatzsteuer und aller sonstigen Abgaben, die beim Verkauf anfallen, verkauft oder zum Verkauf anbietet". Diese Bestimmung war nach der - auf Grund des § 3 b Abs 1 NVG erlassenen und zuletzt durch die Verordnung BGBl. 1987/301 bis zum 31. August 1988 verlängerten - Verordnung BGBl. 1980/389 auch auf Bier anzuwenden. (Nunmehr ist das Verbot des Verkaufes um den oder unter dem Einstandspreis durch die mit 30. Juli 1988 in Kraft getretene Neufassung des § 3 a Abs 1 NVG durch Art. I Z 1 der Novelle BGBl. 1988/424 auf "Waren" schlechthin ausgedehnt worden). "Einstandspreis" iS des § 3 a Abs 1 NVG ist nach dem zweiten Satz dieser Gesetzesstelle - sowohl in der ursprünglichen als auch in der neuen Fassung - "der Preis, der sich nach Abzug aller Rabatte oder sonstiger Preisnachlässe ergibt, die vom Lieferanten im Zeitpunkt der Rechnungstellung eingeräumt werden". Diese Regelung entspricht dem Wesen des Rabattes als eines (individuellen) Nachlasses von dem Preis, den der Verkäufer für die betreffende Ware sonst ankündigt oder allgemein fordert (also dem sogenannten "Laden- oder Listenpreis"; vgl. § 1 Abs 2 RabG). Schon daraus ergibt sich aber die Unrichtigkeit der Auffassung des Klägers, daß bei der Beurteilung des Einstandspreises im vorliegenden Fall "von der gesamten Liefersumme für die gesamte B*** Warenhandels-Kette bzw. sämtliche Filialen auszugehen" sei; dem angefochtenen Urteil ist vielmehr darin zu folgen, daß es nach dem Wortlaut und dem Sinn des § 3 a Abs 1 NVG nur auf jene Kosten ankommen kann, die der Händler für die konkreten, von ihm zu einem bestimmten Preis angebotenen Waren aufzuwenden hatte. Dabei ist es aber entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes keineswegs bedeutungslos, "welche Preise er für andere Waren bezahlt hat oder in welche seiner mehreren Geschäftsräumlichkeiten diese Waren ursprünglich geliefert wurden": Ein aus welchem Grund immer gewährter (individueller) Preisnachlaß kann schon begrifflich nur den Kaufpreis jener Waren reduzieren, bei deren Bezug er - etwa wegen sofortiger Barzahlung (Barzahlungsnachlaß) oder wegen Abnahme einer größeren Menge (Mengennachlaß) - dem Verkäufer eingeräumt wurde. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte selbst vorgebracht (ON 3 S 9), daß ihr die Österreichische Brau AG anläßlich der Eröffnung von drei neuen Filialen in Wien einen "Mengenrabatt von je 130 Kisten Brau AG-Kaiser Märzen-Bier" gewährt hatte. Diesen Preisnachlaß durfte sie nach dem bisher Gesagten nur in der Form berücksichtigen, daß sie in jeder der drei neuen Filialen den Einstandspreis des dort verkauften Brau AG-Kaiser Biers unter Berücksichtigung von jeweils 130 unentgeltlich gelieferten Kisten (= 2.600 Flaschen) errechnete und dadurch zu einem niedrigeren als dem "normalen" Einstandspreis von S 5,18 je Flasche kam. Sie war aber entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes nicht befugt, diesen "Mengenrabatt", welcher ihr offenkundig für die Abnahme größerer Mengen Biers für jede der drei neuen Wiener Filialen eingeräumt worden war, "auf die Filiale Ybbs umzudisponieren" und ihn zur "Stützung" des dortigen Abgabepreises zu verwenden; andernfalls könnte sie ja praktisch jeden noch so niedrigen Verkaufspreis als "Einstandspreis" kalkulieren. Hat die Beklagte damit in ihrer Filiale in Ybbs an der Donau durch den - wenngleich zeitlich begrenzten - Verkauf von Brau AG-Kaiser Märzen-Bier um S 4,40 je Flasche den (dortigen) Einstandspreis von S 5,18 erheblich unterschritten und damit dem § 3 a Abs 1 NVG zuwidergehandelt, dann hängt die Entscheidung über die Revision des Klägers von der Beantwortung der Frage ab, ob dieser Verstoß gegen das Nahversorgungsgesetz zugleich auch den guten Sitten im geschäftlichen Verkehr (§ 1 UWG) zuwiderläuft, zumal ja § 9 NVG die "Vorschriften gegen den unlauteren Wettbewerb" ausdrücklich unberührt läßt. Schon das Berufungsgericht hat in diesem Zusammenhang mit Recht darauf verwiesen, daß diese Frage in der Lehre unterschiedlich beantwortet wird: Während nach John (G***nt 1978, 343 ff 346 f) Verstöße gegen das Verbot nicht leistungsgerechten Wettbewerbs nach dem Nahversorgungsgesetz in jedem Fall einen Vorsprung gegenüber gesetzestreuen Mitbewerbern bewirken und daher sittenwidrig iS des § 1 UWG sind, und auch Schuhmacher ("Quo vadis" Österreichisches Wettbewerbsrecht?, ÖJZ 1978, 314 ff 317 f) meint, daß die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Sittenwidrigkeit der Verletzung von Vorschriften mit wettbewerbsregelndem Charakter dazu zwingen werde, die Einhaltung des Nahversorgungsgesetzes auch über § 1 UWG durchsetzen zu können, vertreten Barfuß (Das Bundesgesetz zur Verbesserung der Nahversorgung und der Wettbewerbsbedingungen "NVG", ÖZW 1978, 10 ff 14), Karsch (Verletzungen des NahversorgungsG als Wettbewerbsverstoß? ÖBl 1979, 91 f), Harrer (Normverstoß und § 1 UWG, ÖBl 1981, 89 ff 95) und Koppensteiner (Wettbewerbsrecht2, 263 f) die Auffassung, daß ein "bloßer" Verstoß gegen das Nahversorgungsgesetz - ohne Hinzutreten "typischer Unlauterkeitskriterien" (Karsch aaO) - nicht auch dem § 1 UWG unterstellt werden könne. Dem kann zwar insoweit gefolgt werden, als eine Verletzung des Nahversorgungsgesetzes schon im Hinblick auf das in §§ 6 f dieses Gesetzes vorgesehene besondere Verfahren vor dem Kartellgericht jedenfalls nicht "ohne weiteres" auch dem § 1 UWG unterstellt werden kann. Der Oberste Gerichtshof vertritt aber in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, daß eine dem Beklagten subjektiv vorwerfbare, in der Absicht, im Wettbewerb einen Vorsprung vor den gesetzestreuen Mitbewerbern zu erlangen, begangene Gesetzesverletzung immer auch einen Verstoß gegen die guten Sitten iS des § 1 UWG bedeutet. Warum das gerade für die - durchwegs wettbewerbsregelnden - Bestimmungen des Nahversorgungsgesetzes nicht gelten sollte, ist nicht zu sehen (in diesem Sinn auch Schuhmacher aaO 318). Die angeführten "Unlauterkeitskriterien" sind aber auch im vorliegenden Fall gegeben: Daß die Beklagte nicht mit gutem Grund von der Rechtsmäßigkeit ihres Verhaltens ausgehen durfte, vielmehr eine zumindest fahrlässige Verletzung des § 3 a Abs 1 NVG zu verantworten hat, ergibt sich schon aus dem insoweit klaren und unmißverständlichen Wortlaut der angeführten Gesetzesstelle; ihre Absicht, sich durch den beanstandeten Verkauf von Bier unter dem Einstandspreis einen sachlich nicht gerechtfertigten Wettbewerbsvorsprung vor ihren gesetzestreuen Mitbewerbern im Raum Ybbs an der Donau zu verschaffen, bedarf aber schon auf Grund des objektiven Charakters eines solchen Verhaltens keines Beweises (und ist im übrigen auch von der Beklagten gar nicht in Abrede gestellt worden). Unter diesen Umständen ist aber der vom Kläger gegen die Beklagte erhobene Vorwurf eines Verstoßes (auch) gegen § 1 UWG gerechtfertigt.

Der begründeten Revision des Klägers war daher Folge zu geben und in Abänderung der angefochtenen Entscheidung das stattgebende Urteil der ersten Instanz wiederherzustellen.

Die Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz der Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E15007

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0040OB00359.86.0913.000

Dokumentnummer

JJT_19880913_OGH0002_0040OB00359_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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