TE OGH 1988/9/22 7Ob642/88

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Veröffentlicht am 22.09.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Redl als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Kurt B***, Sozialhilfeempfänger, München 80, Osserstraße 34, BRD, vertreten durch Dr. Birgit Roessler-Thaler, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Leopold B***, Oberst in Ruhe, Wien 7, Mariahilferstraße 22-24, vertreten durch Dr. Josef Lenz, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterhalt (Streitwert S 360.000,--), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 30. Mai 1988, GZ 43 R 1036/88-20, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 15. Februar 1988, GZ 1 C 16/87-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, dem Beklagten die mit S 11.901,-- bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 1.081,50 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist der am 14. Dezember 1940 geborene Sohn des Beklagten. Er hat eine Lehre besucht, verschiedene Berufe ausgeübt und war selbsterhaltungsfähig. Seit 25. Juni 1987 bezieht er eine monatliche Sozialunterstützung von DM 1.396,-- (DM 420,-- als Haushaltsvorstand, DM 110,58 als Krankenkassenbeitrag, DM 790,-- für Unterkunft, DM 75,-- für Heizkosten). Diese Unterstützung wird in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) gewährt.

Der Beklagte hat ein monatliches Durchschnittsnettoeinkommen von S 24.954,87. Er ist für seine Ehegattin sorgepflichtig, die über kein eigenes Einkommen verfügt.

Die Vorinstanzen haben das auf Zahlung eines monatlichen Unterhaltes von S 10.000,-- gerichtete Klagebegehren abgewiesen, wobei sie die Rechtsansicht vertraten, die Unterhaltspflicht des Beklagten sei zwar durch die Gewährung einer Sozialhilfe an den Kläger nicht erloschen, doch sei der Unterhaltsanspruch des Klägers gegenüber dem Beklagten mit Null zu bemessen, weil durch die Sozialhilfe die Lebensbedürfnisse des Klägers hinreichend gedeckt seien.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Kläger gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes wegen § 503 Abs 1 Zif. 2 bis 4 ZPO erhobene Revision ist ungeachtet der Bestimmung des § 502 Abs 1 Zif. 1 ZPO zulässig, weil die Beurteilung der Frage, inwieweit gesetzlich vorgesehene Sozialhilfeleistungen der Geltendmachung eines Unterhaltsanspruches entgegenstehen, nicht in den Bereich der bloßen Unterhaltsbemessung fällt (7 Ob 766/81, 6 Ob 632/85 ua).

Die Revision ist allerdings nicht gerechtfertigt.

Unter den Revisionsgründen der Aktenwidrigkeit und der Mangelhaftigkeit des Verfahrens zeigt der Kläger weder einen Widerspruch der angefochtenen Entscheidung zur Aktenlage noch Verfahrensmängel auf. Auch der Oberste Gerichtshof kann bei Durchsicht der Akten das Vorliegen eines dieser Revisionsgründe nicht erkennen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Daß der Sozialhilfeträger (auch in der Bundesrepublik Deutschland, wie die vom Berufungsgericht zitierten Gesetzes- und Literaturstellen zeigen) keine Unterhaltsleistung erbringt, sondern eine eigene gesetzliche Verpflichtung erfüllt und daß demnach durch solche Leistungen bestehende Unterhaltspflichten nicht schlechthin erlöschen, wurde vom Obersten Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen (so etwa in EvBl 1988/16, 7 Ob 766/81 ua). Dem aus diesem Gedanken in der Entscheidung EvBl 1988/16 gezogenen Schluß, wonach falls der Gesetzgeber durch die Anordnung einer Legalzession zugunsten des Sozialhilfeträgers zum Ausdruck gebracht hat, daß die Unterhaltspflicht nicht erlöschen solle, die Sozialhilfeleistung so lange bei der Unterhaltsbemessung nicht berücksichtigt werden könne, als die Geltendmachung der Legalzession noch möglich ist, kann sich der erkennende Senat nicht anschließen. Die erwähnte Entscheidung vermengt nämlich hier den Grund des Unterhaltsanspruches einerseits und die Unterhaltshöhe andererseits. Zweck der Anordnung des § 140 ABGB ist es, dem Unterhaltsberechtigten die Deckung jener Bedürfnisse zu sichern, die im § 672 ABGB aufgezählt sind. Nur soweit der Unterhaltsberechtigte nicht imstande ist, diese Bedürfnisse aus Eigenem zu decken, wird der Unterhaltspflichtige hiezu herangezogen. Dies ergibt sich aus § 140 Abs 3 ABGB. Zweck der Unterhaltsbestimmungen ist es nicht, eine bestimmte Person (Unterhaltspflichtiger) zu belasten, sondern den Unterhaltsberechtigten in den Stand zu versetzen, bestimmte Lebensbedürfnisse entsprechend zu befriedigen. Werden diese Bedürfnisse auf andere Weise befriedigt - etwa durch Leistungen Dritter - so würde es dem Ziel der die Unterhaltspflicht regelnden gesetzlichen Bestimmungen geradezu widersprechen, wenn man einer weiteren Person die Pflicht auferlegen würde, die zur Deckung dieser Bedürfnisse erforderlichen Beträge neuerlich an den Unterhaltsberechtigten zu zahlen. Diesfalls käme es nämlich zu einer doppelten Befriedigung dieser Bedürfnisse. Soweit also Zuwendungen Dritter, und dazu müssen ihrem Wesen nach auch Leistungen des Sozialhilfeträgers gezählt werden, der Deckung der im § 672 ABGB genannten Bedürfnisse dienen, ist der diesbezügliche Unterhalt des Unterhaltsberechtigten gedeckt, sodaß kein Platz für eine entsprechende Forderung gegen den Unterhaltsberechtigten bleibt. Dies hat der Oberste Gerichtshof in mehreren Entscheidungen (7 Ob 766/81, 7 Ob 645/86, SZ 55/129 ua) zum Ausdruck gebracht. Nur dort, wo mit der Drittleistung ein bestimmter Sonderbedarf gedeckt werden soll, bleiben dieser Bedarf und diese Beihilfe bei der Unterhaltsbemessung außer Betracht (Pichler in Rummel, Rz 11 zu § 140). Die zur Deckung eines bestimmten Bedarfes gegebenen Leistungen dürfen also nicht auf jenen Anspruch angerechnet werden, der zur Befriedigung anderer Leistungen besteht. Dies entspricht durchaus dem Gedanken des § 140 ABGB.

Die von der Entscheidung EvBl 1988/16 aus der Tatsache einer Legalzession abgeleiteten Erwägungen übersehen, daß die gesetzliche Aufrechterhaltung der Unterhaltspflicht nicht den Sinn hat, dem Unterhaltsberechtigten die doppelte Befriedigung seiner Lebensbedürfnisse zu verschaffen, sondern dem Legalzessionar die spätere Geltendmachung des auf ihn übergegangenen Anspruches zu ermöglichen. Würde nämlich durch die Sozialhilfeleistung der Unterhaltsanspruch erlöschen, so könnte der Sozialhilfeträger nachträglich keinen auf ihn übergegangenen Anspruch geltend machen. Nur dieser Zweck wird mit der gesetzlichen Aufrechterhaltung des Unterhaltsanspruches verfolgt. Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß durch die Erbringung der Sozialhilfeleistung zur Befriedigung von Bedürfnissen, die sich aus § 672 ABGB ergeben, diese Bedürfnisse tatsächlich befriedigt sind und demnach ein Anspruch auf nochmalige Befriedigung der Höhe nach nicht mehr besteht (ein Rückforderungsanspruch des Sozialleistungsträgers gegen den Empfänger der Sozialleistung besteht hier nicht). Lediglich der Sozialleistungsträger hätte gegen den Unterhaltspflichtigen unter gewissen Umständen auf Grund der Legalzession einen Ersatzanspruch. Die zur Stützung des gegenteiligen Anspruches angestellten Erwägungen, daß falls der Sozialleistungsträger die Legalzession nicht geltend macht, dies zu einer ungerechtfertigten Entlastung des Unterhaltspflichtigen kommen würde, gehen an der Sache vorbei. Die die Unterhaltspflicht regelnden gesetzlichen Bestimmungen haben wie bereits angeführt nicht den Zweck eine bestimmte Person zu belasten, sondern den Lebensunterhalt des Unterhaltsberechtigten zu sichern. Es ist daher nicht gerechtfertigt diese Bestimmungen gewissermaßen als eine Art Strafmaßnahme gegen Unterhaltspflichtige zu benützen. Durch die Erbringung der Sozialleistung an den Unterhaltsberechtigten wird das Ziel des Gesetzes, nämlich die Lebensbedürfnisse des Unterhaltsberechtigten zu befriedigen, erreicht. Es ist dann Sache des Sozialhilfeträgers, den vom Gesetz angestrebten Ausgleich durch Geltendmachung der Legalzession zu bewirken. Unterläßt er dies, so tritt nicht eine Bereicherung des Unterhaltspflichtigen zum Nachteil des Unterhaltsberechtigten sondern höchstens zum Nachteil des Sozialhilfeträgers ein, der es jedoch in der Hand hätte, diesen Nachteil abzuwenden. Zusammenfassend ergibt sich also, daß durch die Erbringung einer Sozialhilfeleistung an den Unterhaltsberechtigten, die den Zweck hat, die im § 672 ABGB genannten Bedürfnisse zu decken, der Unterhaltsanspruch des Unterhaltsberechtigten zwar dem Grunde nach nicht erlischt, dieser auch vor Geltendmachung der Legalzession durch den Sozialhilfeträger nach wie vor aktiv zur Geltendmachung seines Unterhaltsanspruches legitimiert ist, daß jedoch die vom Sozialhilfeträger erbrachten Leistungen bei der Beurteilung des Unterhaltsanspruches der Höhe nach in Betracht gezogen werden müssen, weil es andernfalls zu einer doppelten Alimentierung kommen würde. Anders wäre die Lage nur, wenn die Sozialhilfeleistung nur bedingt erbracht worden wäre und soweit eine Rückzahlungsverpflichtung des Unterhaltspflichtigen bestünde. Dies wurde hier aber nicht einmal behauptet.

Ob durch die gewährte Sozialhilfe der Unterhalt des Unterhaltsberechtigten zur Gänze gedeckt ist, ist eine Bemessungsfrage (7 Ob 645/86 ua), auf die der Oberste Gerichtshof gemäß § 502 Abs 2 Zif. 1 ZPO nicht eingehen kann. Die Vorinstanzen haben die volle Deckung des Unterhalts des Klägers durch die Sozialhilfe bejaht und daher mit Recht den Unterhaltsanspruch des Klägers mit Null bemessen. Wie bereits dargelegt, ist der Oberste Gerichtshof nicht berechtigt, in diesem Punkt in die vorinstanzlichen Entscheidungen einzugreifen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E16396

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0070OB00642.88.0922.000

Dokumentnummer

JJT_19880922_OGH0002_0070OB00642_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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