TE Vfgh Beschluss 2001/10/3 G221/01

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Veröffentlicht am 03.10.2001
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
ASVG §225
ASVG §227 Abs1 Z7, Z8

Leitsatz

Zurückweisung des Individualantrags auf Aufhebung von Bestimmungen des ASVG betreffend die Wirkung von Präsenzdienstzeiten für die Pensionsversicherung mangels Legitimation; Verfahren vor dem Pensionsversicherungsträger zur Feststellung der Versicherungszeiten zumutbar

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1.1. Der Antragsteller leistete in den Jahren 1988 bis 2000 Wehrdienst als Zeitsoldat. Gemäß §22 Abs1 Z1 des (in diesem Zeitraum noch anzuwendenden) Heeresgebührengesetzes 1992, BGBl. Nr. 422/1992, war ein Zeitsoldat, der Anspruch auf berufliche Bildung hat, im letzten Jahr seines Wehrdienstes als Zeitsoldat in der gesetzlichen Pensionsversicherung nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955 idgF, pflichtversichert (vgl. auch §8 Abs1 Z5 ASVG).

1.2. Er stellt den Antrag, §225 sowie §227 Abs1 Z7 und 8 ASVG als verfassungswidrig aufzuheben. §225 ASVG bestimmt, welche Zeiten als Beitragszeiten anzusehen seien. Gemäß §227 Abs1 Z7 und 8 sind Zeiten, in denen ua. Präsenz- oder Ausbildungsdienst geleistet wurde - ausgenommen jene, die von §8 Abs1 Z5 ASVG erfaßt würden -, Ersatzzeiten in der gesetzlichen Pensionsversicherung.

Zur Zulässigkeit des Antrags führt der Antragsteller im wesentlichen aus, ihm gehe es

"um die Klärung der Wirkung (s)einer Präsenzdienstzeit auf die ASVG-Pensionsversicherung".

Dafür sei bis zum Eintritt des Pensionsanfalls kein Verfahren vorgesehen; auch sei auch nicht zu ersehen,

"was durch eine allfällige Feststellungsentscheidung zusätzlich zu den völlig eindeutigen und unbestritten feststehenden Gegebenheiten tatsächlicher und rechtlicher Art geklärt werden könnte".

Ob die inkriminierten gesetzlichen Regelungen Bestand hätten oder als verfassungswidrig beseitigt würden, sei

"jetzt schon wesentlich für von (ihm) zu treffende Entscheidungen über den Erwerb weiterer Versicherungszeiten, und auch die Entscheidung über den Pensionsantritt wird fallen müssen, ehe auf dem Wege von Individualentscheidungen die damit im Zusammenhang stehende Anrufung des Hohen Verfassungsgerichtshofes möglich werden könnte".

2. Der Antrag ist unzulässig.

2.1. Gemäß Art140 Abs1 letzter Satz B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch die Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit dem Beschluß VfSlg. 8009/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, daß das Gesetz in die Rechtssphäre der Betroffenen unmittelbar eingreift und diese - im Falle seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt.

Nicht jedem unmittelbar betroffenen Normadressaten aber kommt diese Antragsbefugnis zu. Es ist (wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Beschluß VfSlg. 8009/1977 ausgeführt und in seiner Rechtsprechung mehrfach, zB in VfSlg. 8148/1977, 8241/1978, 8276/1978 und 8485/1979, bekräftigt hat) für die Antragslegitimation darüber hinaus auch erforderlich, daß dem Antragsteller ein anderer zumutbarer Weg zur Geltendmachung der von ihm behaupteten Verfassungswidrigkeit nicht zur Verfügung steht.

2.2. Ein solcher zumutbarer Weg steht dem Antragsteller im vorliegenden Fall aber - wie vom Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Zurückweisungsbeschluß vom 4. Oktober 2000, G92/00, ohne nähere Prüfung angedeutet (vgl. Pkt. 1.2.c), S 4 dieses Beschlusses) - zur Verfügung:

Gemäß §247 erster Satz ASVG ist jeder Versicherte berechtigt, frühestens zwei Jahre vor Vollendung eines für eine Leistung aus dem Versicherungsfall des Alters maßgebenden Lebensalters beim leistungszuständigen Pensionsversicherungsträger (vgl. hiezu §246 iVm §245 ASVG) einen Antrag auf Feststellung der nach den österreichischen Rechtsvorschriften zu berücksichtigenden Versicherungszeiten zu stellen.

Zur Feststellung der Versicherungszeiten ist somit ein Verfahren vor dem zuständigen Pensionsversicherungsträger (§367 Abs1 iVm §354 Z4 ASVG) - wobei jedenfalls ein Bescheid zu erlassen ist (§367 Abs1 zweiter Satz ASVG) - und im Streitfall im Wege einer sukzessiven Zuständigkeit ein gerichtliches Leistungsstreitverfahren iS der §§64 ff ASGG (vgl. ausdrücklich §65 Abs1 Z4 ASGG) vorgesehen. Für den Fall, daß das in zweiter Instanz einschreitende Gericht die verfassungsrechtlichen Bedenken des Antragstellers teilen sollte, wäre dieses verpflichtet, diese Bedenken im Wege eines Antrags auf Gesetzesprüfung (Art89 Abs2 zweiter Satz iVm Art140 Abs1 erster Satz B-VG) an den Verfassungsgerichtshofs heranzutragen (vgl. zB VfSlg. 9220/1981, 10.592/1985, 12.779/1991).

Dabei ist die Frage, ob und inwieweit das in zweiter Instanz zuständige Gericht sich veranlaßt sieht, der Kritik der Partei an der Verfassungsmäßigkeit einer Gesetzesbestimmung zu folgen, nicht ausschlaggebend (vgl. VfSlg. 9926/1984, 13.226/1992, 13.754/1994). Denn es kommt nicht auf die materiellen Erfolgschancen des dem Antragsteller zur Verfügung stehenden Rechtsweges an, sondern primär darauf, daß im Zuge eines derartigen Verfahrens Gelegenheit besteht, den Verfassungsgerichtshof mit den vom Antragsteller angenommenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Gesetzesbestimmung zu befassen (vgl. VfSlg. 8552/1979, 9170/1981, 9394/1982, 10.592/1985).

Es ist dem Antragsteller auch zumutbar, dieses Verfahren zu beschreiten. Daran vermag auch nichts zu ändern, daß ein Feststellungsantrag erst - wie gesagt - frühestens zwei Jahre vor Vollendung eines für einen möglichen Pensionsantritt erforderlichen Lebensalters zulässig ist. Maßgebend für die Feststellung, ob ein Versicherungsfall eingetreten ist und auch die übrigen Erfordernisse für einen Anspruch vorliegen, ist nämlich jene Rechtslage, die am Stichtag besteht (vgl. hiezu §223 Abs2 ASVG; es ist dies der Tag der Antragstellung - falls die Antragstellung auf einen Monatsersten fällt -, sonst der dem Tag der Antragstellung folgende Monatserste). Davon, daß dieser Weg für den Antragsteller allein deshalb unzumutbar wäre, weil er bis dahin - wie er behauptet - keine "Rechtssicherheit" hätte und für allfällige berufliche Dispositionen daher keine verläßlichen rechtlichen Grundlagen bestünden, kann also keine Rede sein.

3. Da somit ein dem Antragsteller zumutbarer Weg besteht, die Frage der Verfassungsmäßigkeit der in Rede stehenden Bestimmungen des ASVG anders als im Wege des - als bloß subsidiärer Rechtsbehelf ausgestalteten (vgl. hiezu allgemein zB den hg. Beschluß vom 26. September 2000, G197/98 (Pkt. 2.2.)) - Individualantrags heranzutragen, war der Antrag mangels Legitimation des Antragstellers als unzulässig zurückzuweisen.

4. Dies konnte ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden (§19 Abs3 Z2 lite VerfGG 1953).

Schlagworte

Sozialversicherung, Pensionsversicherung, Pensionsalter, Ersatzzeiten, VfGH / Individualantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2001:G221.2001

Dokumentnummer

JFT_09988997_01G00221_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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