TE OGH 1988/10/25 10ObS239/88

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Veröffentlicht am 25.10.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Mag. Robert Renner (Arbeitgeber) und Dipl.Ing. Herbert Ehrlich (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Zdena P***, Klarstraße 4 a/8, 4405 Steyr, vertreten durch Dr. Johannes Grund, Dr. Wolfgang Polte, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei

P*** DER A***, Friedrich

Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vertreten durch Dr. Erich und Dr. Richard Proksch, Rechtsanwälte in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Sozialrechtssachen vom 16.Mai 1988, GZ 13 Rs 51/88-29, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Steyr als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 17.November 1987, GZ 13 Cgs 4/87-26, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Die Revisionskosten sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Mit Bescheid vom 4.Juni 1985 lehnte die beklagte Partei den Antrag der Klägerin auf Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitspension ab.

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, der Klägerin eine Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. April 1985 zu gewähren. Es traf im wesentlichen folgende Feststellungen:

Die am 9.März 1929 geborene Klägerin ist befähigt, leichte bis mittelschwere Arbeiten im Gehen, Stehen und Sitzen bei möglichst wechselnder Körperhaltung ohne zusätzliche Arbeitspausen zu verrichten. Zu vermeiden sind Arbeiten, die mit dem Heben und Tragen von Lasten über 8 kg verbunden sind und die häufiges Bücken bis zum Boden erfordern. Ebenso sind Arbeiten ausgeschlossen, die mit einer stundenlangen ununterbrochenen Beanspruchung der kleinen Handmuskulatur verbunden sind (wie Greifen, Packen usw.). Arbeiten, die mit unvermeidbarer Durchnässung und Erkältung sowie in starkem Temperaturgefälle durchzuführen sind, die häufige Überstundenleistungen, Akkordarbeit, Nachtarbeit, häufiges Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie unter Zeitdruck erfordern. Weiters scheiden Arbeiten aus, die mit überdurchschnittlicher psychischer Belastung einhergehen, etwa durch intensiven Parteien- und Kundenverkehr oder mit überdurchschnittlicher Verantwortung über Menschen und Material. Schließlich scheiden Arbeiten überwiegend oder dauernd an Bildschirmgeräten und an automatischen und elektronischen Büromaschinen aus, bei denen das Arbeitstempo durch die Maschine bestimmt wird.

Die aus der Tschechoslowakei stammende Klägerin besuchte dort 8 Jahre die Elementarschule und eine 2-jährige Handelsschule. Später holte sie in Abendkursen die Matura nach. Von 1943 bis 1946 war sie kaufmännischer Lehrling und von 1946 bis 1970 Verkäuferin und kaufmännische Angestellte in der CSSR. In Österreich war sie vom 1. August 1970 bis 28.Februar 1979 bei der S***-D***-P*** AG als Registraturkraft im technischen Schrifttum in der Verwendungsgruppe II, 8 Verwendungsgruppenjahre mit einem Bruttolohn von S 8.910,-- beschäftigt. Sie verlor diesen Arbeitsplatz, weil ihr Ehemann ebenfalls in den S***-W*** beschäftigt war und damals bevorzugt Doppelverdiener gekündigt wurden. In der Zeit von November 1979 bis zum Konkurs ihrer Arbeitgeberfirma im Februar 1982 war sie als Buchhalterin tätig. Vom 27.Februar 1981 bis 19. Februar 1984 und seit 16.April 1984 war die Klägerin wieder in den S***-W*** beschäftigt, mußte sich aber mit der Tätigkeit einer Kontrollarbeiterin von Waffenlenkteilen in der Waffenkontrolle begnügen. Bei dieser Tätigkeit waren fallweise Teile mit einem Gewicht von über 10 kg aufzuheben. Die Klägerin verdiente vor Beginn des Krankenstandes im November 1984 brutto S 12.186,35 und war als Kontrollor C entsprechend der Kollektivvertragsgruppe 7 eingestuft. Neben diesen Tätigkeiten führte die Klägerin in den Jahren 1977 bis 1983 in Teilzeitbeschäftigung für die Firma J*** Handelsgesellschaft mbH die Buchhaltung einschließlich der Erstellung von Handelsbilanzen und Steuererklärungen, arbeitete bei der Erstellung von Steuerbilanzen mit und war später auch mit Behördenverkehr und Fragen der Finanzierung befaßt. Die Bezahlung erfolgte im wesentlichen entsprechend den Ansätzen der Verwendungsgruppe 5 des Kollektivvertrages für Handelsangestellte. Die Klägerin könnte weiterhin die früher ausgeübte Tätigkeit als Kartei- und Registraturkraft ausüben, weil es sich dabei um eine einfache Tätigkeit ohne überdurchschnittliche psychische Belastungen handelt. Die bei der Firma J*** Handelsgesellschaft mbH ausgeübte Tätigkeit einer Buchhalterin wäre ihr aber nur mehr in Teilzeitarbeit (4 Stunden täglich) zumutbar, weil die mit einer solchen ganztägigen Berufstätigkeit verbundene psychische Belastung und erforderliche Konzentration über das medizinische und arbeitspsychologische Leistungskalkül der Klägerin hinausgehen. Aus diesen Feststellungen folgerte das Erstgericht rechtlich, daß bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit der Klägerin die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Kontrollarbeiterin außer Betracht zu bleiben habe. Es sei von jenem Angestelltenberuf auszugehen, den sie zuletzt ausgeübt habe. Dies Tätigkeit als Buchhalterin, die auch der Ausbildung, den Kenntnissen und Fähigkeiten der Klägerin entspreche und der Verwendungsgruppe 4 (normale Buchhaltung) bis 5 (Bilanzbuchhaltung) der Handelsangestellten zuzurechnen sei, könne der Klägerin nicht mehr (ganztägig) zugemutet werden. Mit einer Verweisung auf die ihr noch möglichen Handelsberufe der Verwendungsgruppe 2 (einfache Bürotätigkeiten) wäre nicht nur ein eklatanter Lohnabfall sondern auch ein unzumutbarer sozialer Abstieg verbunden. Daran ändere auch nichts, daß die Klägerin mehrere Jahre in einem solchen Tätigkeitsgebiet eingesetzt gewesen sei. Die Klägerin sei daher berufsunfähig im Sinne des § 273 Abs 1 ASGG. Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das Ersturteil im Sinne einer Klageabweisung ab. Bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit sei zwar grundsätzlich von jenem Angestelltenberuf auszugehen, den der Versicherte zuletzt ausgeübt habe. Andererseits habe die Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß ein Versicherter, der viele Jahre als Arbeiter, dazu aber so lange als Angestellter tätig und versichert gewesen sei, daß die Leistungszuständigkeit der Pensionsversicherung der Angestellten gegeben sei, auch wieder auf Arbeitertätigkeiten verwiesen werden dürfe. Würde man die zuletzt die ausgeübte Tätigkeit der Klägerin als Kontrollarbeiterin zur Beurteilung der Berufsunfähigkeit heranziehen, so ergäbe sich daraus eine Schlechterstellung von Personen, die überwiegend als Angestellte tätig gewesen seien, gegenüber Arbeitern. Dies entspreche nicht dem Gesetz. Wenn aber ein Versicherter zunächst als Angestellter, dann aber als Arbeiter tätig gewesen sei, müsse in analoger Anwendung des § 255 ASVG für die Prüfung der Berufsunfähigkeit jene Tätigkeit herangezogen werden, die in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag überwiegend ausgeübt worden sei. Dies sei aber die Tätigkeit der Klägerin als Kartei- und Registraturkraft gewesen, welche sie nach ihrem Leistungskalkül noch ausüben könne. Unabhängig davon, daß die Klägerin zum Stichtag nicht 180 Versicherungsmonate erworben habe, komme auch eine Berufsunfähigkeit nach § 273 Abs 3 ASVG nicht in Betracht, weil auch nach dieser Bestimmung die in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag überwiegend ausgeübte Tätigkeit zur Beurteilung der Berufsunfähigkeit heranzuziehen sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es aufzuheben und das Ersturteil wiederherzustellen.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Ergebnis berechtigt.

Hat ein Versicherter Versicherungsmonate in mehreren Zweigen der Pensionsversicherung erworben, so kommen für ihn gemäß § 245 Abs 1 ASVG die Leistungen des Zweiges der Pensionsversicherung in Betracht, dem er leistungszugehörig ist. Im vorliegenden Fall steht die Leistungszugehörigkeit zur Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten unbestritten fest. Aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit ist aus der Pensionsversicherung der Angestellten die Berufsunfähigkeitspension zu leisten (§ 222 Abs 1 Z 2 lit d ASVG). Die besonderen Leistungsvoraussetzungen für die Berufsunfähigkeitspension finden ihre Regelung in § 273 ASVG. Nur wenn im Hinblick auf die vom Versicherten tätsächlich ausgeübte Tätigkeit - weil dieser etwa ausschließlich Arbeitertätigkeiten verrichtet hätte - diese auf Angestelltentätigkeiten abgestellten Bestimmungen unanwendbar wären, wäre die Frage zu erörtern, ob auf eine analoge Anwendung des § 255 ASVG zurückzugreifen ist (10 Ob S 113/87, 10 Ob S 89/88). Dies trifft aber im vorliegenden Fall nicht zu, weil die Klägerin in ihrem Berufsleben in den letzten 15 Jahren vor Antragstellung zum größten Teil Angestelltentätigkeiten verrichtet hat, was ja auch zur Begründung der Leistungszuständigkeit der beklagten Partei führte. Die Frage, ob ein Pensionsanspruch wegen geminderter Arbeitsfähigkeit besteht, ist daher ausgehend von § 273 ASVG und nicht in analoger Anwendung der Bestimmungen des § 255 Abs 1 ASVG - in § 273 Abs 2 wird ausschließlich auf § 255 Abs 4 verwiesen - zu prüfen. Die Tätigkeit der Klägerin als Kontrollarbeiterin muß daher außer Betracht bleiben. Der Berufsverlauf der Klägerin ist, soweit er ihre Angestelltentätigkeit betrifft, jedoch ungenügend und zum Teil widersprüchlich festgestellt, sodaß eine abschließende rechtliche Beurteilung noch nicht möglich ist.

Nach den Feststellungen des Erstgerichtes war die Klägerin von November 1979 bis zum Konkurs "des Arbeitgebers" im Februar 1982 als Buchhalterin tätig. Vom 27.Februar 1981 bis 19.Februar 1984 und seit 16. April 1984 war sie als Arbeiterin in den S***-W*** beschäftigt und führte neben diesen Tätigkeiten in den Jahren 1977 bis 1983 in Teilzeitbeschäftigung für die Firma J*** Handelsgesellschaft mbH die Buchhaltung. Diese Feststellungen ließen zunächst darauf schließen, daß die Buchhaltungstätigkeit vom November 1979 bis Februar 1982 bei einem anderen Arbeitgeber als der Firma J*** und ganztägig ausgeübt wurde. Damit aber steht nicht nur die Angabe der Klägerin im Pensionsantrag vom 4.März 1985 in Widerspruch, die eine Angestelltentätigkeit der Klägerin vom 1.November 1979 bis 28. Februar 1982 bei der Firma J*** Handelsgesellschaft mbH ausweist, sondern auch die Feststellung, daß die Klägerin bereits seit 27. Februar 1981 bei den S***-W*** beschäftigt war. Dies könnte doch nur möglich gewesen sein, wenn die Tätigkeit bei der Firma J*** Handelsgesellschaft mbH (immer) nur eine Teilzeittätigkeit gewesen ist. Schließlich scheint als versicherungspflichtige Dienstzeit im Versicherungsverlauf und den Dienstgeberinformationen im Anstaltsakt bei der Firma J*** Handelsgesellschaft mbH nur der Zeitraum von November 1979 bis Februar 1982 auf. Es liegt daher der Schluß nahe, daß die übrige Teiltätigkeit für diese Firma von 1977 (ab welchem Monat?) bis November 1979 und nach deren Konkurs von März 1982 bis 1983 (bis zu welchem Monat?) nicht im Rahmen eines versicherten Angestelltenverhältnisses erfolgte. Darauf deutet auch die Bestätigung der Firma J*** Handelsgesellschaft mbH vom 27.Mai 1986 (ON 10 dA) hin, in welcher eine Tätigkeit der Klägerin von 1977 bis 1983 "nebenberuflich oder in Teilzeitbeschäftigung" bestätigt wird. Im fortgesetzten Verfahren wird daher der Berufsverlauf der Klägerin, insbesondere Art, Dauer und Umfang ihrer Tätigkeit für die Firma J*** Handelsgesellschaft mbH oder allenfalls auch einen anderen Dienstgeber im einzelnen zu klären und festzustellen sein. Erst dann kann abschließend beurteilt werden, ob und auf welche Angestelltentätigkeiten die Klägerin verwiesen werden kann. Die Entscheidung über den Vorbehalt der Revisionskosten beruht auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E15541

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:010OBS00239.88.1025.000

Dokumentnummer

JJT_19881025_OGH0002_010OBS00239_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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