TE Vfgh Erkenntnis 2001/10/9 G10/01

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Veröffentlicht am 09.10.2001
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Index

97 Vergabewesen
97/01 Vergabewesen

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
BundesvergabeG 1997 §6 Abs1
BundesvergabeG 1997 §15 Z2

Leitsatz

Gleichheitswidrigkeit auch des im Vergleich zum Bundesvergabegesetz 1993 modifizierten Schwellenwertsystems des Bundesvergabegesetzes 1997 aufgrund des gänzlichen Ausschlusses bestimmter öffentlicher Vergaben vom vergabespezifischen Rechtsschutz; Legitimation der beschwerdeführenden Gesellschaft im Anlaßverfahren mangels Zweifel an deren Auftraggebereigenschaft; Präjudizialität aufgrund denkmöglicher Anwendung der in Prüfung gezogenen Bestimmung durch die belangte Behörde

Spruch

Die Wortfolge "dann, wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer mindestens 5 Millionen ECU beträgt" in §6 Abs1 des Bundesvergabegesetzes 1997, BGBl. I Nr. 56/1997, war verfassungswidrig.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruchs im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B659/98 ein Verfahren über eine Beschwerde gegen einen Bescheid des Bundesvergabeamtes (BVA) vom 24. Oktober 1997, Z N-20/97-12, anhängig. Diesem Bescheid liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

a) Die im Anlaßbeschwerdeverfahren beschwerdeführende Alpenstraßen AG hat Anfang des Jahres 1997 zwei Aufträge über Straßenmarkierungsarbeiten auf der A 13 Brennerautobahn und der S 16 Arlbergschnellstraße im offenen Verfahren nach den Bestimmungen der ÖNORM A 2050 ausgeschrieben. Gegenstand der Ausschreibungen waren Einjahresverträge für das Jahr 1997 mit Verlängerungsmöglichkeit für zwei bzw. vier Jahre zusätzlich, optional also Drei- und Fünfjahresverträge. Insgesamt zwölf Bieter beteiligten sich an der Ausschreibung und gaben Angebote ab. Die Angebotsöffnung fand am 21. Februar 1997 statt.

Im Juli 1997 fanden - wie ein von der beschwerdeführenden Gesellschaft vorgelegtes Protokoll erweist - Gespräche mit den Bietern über eine geplante Beendigung des offenen Verfahrens statt, in denen diesen auch mitgeteilt wurde, daß beabsichtigt sei, die Vergabe der Leistungen für das Jahr 1997 in einem Verhandlungsverfahren durchzuführen, an dem jene Bieter beteiligt werden sollten, die im offenen Verfahren die besten Angebote gelegt hätten. Mit Schreiben vom 1. August 1997 erfolgte der Widerruf des offenen Verfahrens durch die beschwerdeführende Gesellschaft und die Einleitung des Verhandlungsverfahrens, das am 4. August 1997 zum Zuschlag an einen der Bieter führte.

Am 16. September 1997 stellten zwei im Verfahren als Bietergemeinschaft aufgetretene Gesellschaften als übergangene Bieter beim Bundesvergabeamt (in der Folge: BVA) einen Antrag auf Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens zur Nichtigerklärung der Entscheidungen der beschwerdeführenden Gesellschaft, das Vergabeverfahren zu widerrufen und ein (neues) Verhandlungsverfahren einzuleiten, sowie der Zuschlagsentscheidung, verbunden mit einem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung. In eventu wurde beantragt festzustellen, daß der Zuschlag wegen eines Verstoßes gegen das Bundesvergabegesetz nicht dem Bestbieter erteilt worden sei.

Bei diesen Anträgen gingen die antragstellenden Gesellschaften offensichtlich davon aus, daß die vergebende Gesellschaft öffentlicher Auftraggeber im Sinne des §11 Abs1 Z3 Bundesvergabegesetz 1997 (in der Folge: BVergG 1997) sei und der Auftrag als Dienstleistungsauftrag der Kategorie 1 (Instandhaltung und Reparatur) des Anhanges III zum BVergG 1997 zu qualifizieren sei. Bei den ausgeschriebenen Bodenmarkierungsarbeiten habe es sich um zusammengehörige Leistungen gehandelt, die gemäß §24 Abs1 BVergG 1997 ungeteilt zu vergeben gewesen wären, weshalb der nach §7 Abs3 leg.cit. kumulierte Wert der Aufträge - unter Anwendung von §7 Abs6 BVergG 1997 (Einbeziehung von Optionsrechten) - den maßgeblichen Schwellenwert des §7 Abs1 überschritten habe.

b) Mit Bescheid vom 19. September 1997, Z N-20/97-4, gab das BVA dem Antrag auf Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens statt (Spruchpunkt I), wies den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung ab (Spruchpunkt II) und die weiters gestellten Anträge dem Hauptverfahren zu (Spruchpunkt III). Die Frage der Auftragsqualifikation sowie die Frage, ob die einzelnen Bodenmarkierungsarbeiten zusammenzurechnen seien und so einen in Frage kommenden Schwellenwert übersteigen würden, sollten der Klärung im Hauptverfahren vorbehalten bleiben.

c) Die vergebende Gesellschaft erstattete im Nachprüfungsverfahren eine Stellungnahme, in der sie beantragte, das BVA möge die Nachprüfungsanträge mangels Anwendbarkeit des BVergG 1997 wegen Nichterreichens der Schwellenwerte zurückweisen bzw. in eventu abweisen sowie feststellen, daß der Widerruf des offenen Verfahrens und die Zuschlagserteilung im abgeführten Verhandlungsverfahren vergaberechtskonform erfolgt sei. Zudem beantragte sie festzustellen, daß die antragstellenden Gesellschaften im zugrundeliegenden Vergabeverfahren keine echte Chance auf Erteilung des Zuschlags gehabt hätten.

d) Mit Bescheid vom 24. Oktober 1997, Z N-20/97-12, wurden die Anträge der antragstellenden Gesellschaften vom 16. September 1997 "auf Widerruf des Vergabeverfahrens, Anordnung der Einleitung eines neuen Verhandlungsverfahrens und Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung" (richtig: auf Nichtigerklärung des Widerrufs des Vergabeverfahrens, Nichtigerklärung der Entscheidung, ein Verhandlungsverfahren einzuleiten, und auf Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung) zurückgewiesen (erster Teil des Spruches). Dem Antrag festzustellen, daß im gegenständlichen Vergabeverfahren der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt worden sei, wurde insofern stattgegeben, als festgestellt wurde, daß der Widerruf des Vergabeverfahrens betreffend die Vergabe von Bodenmarkierungsleistungen vom 1. August 1997 nicht im Einklang mit den diesbezüglichen Bestimmungen des BVergG 1997 und der hiezu ergangenen Verordnungen erfolgt sei (zweiter Teil des Spruches). Der Antrag der beschwerdeführenden Gesellschaft, festzustellen, daß die antragstellenden Gesellschaften keine echte Chance auf die Zuschlagserteilung gehabt hätten, wurde abgewiesen (dritter Teil des Spruches).

Seine Zuständigkeit begründete das BVA damit, daß Bodenmarkierungsarbeiten auf Fahrbahnen als Bauarbeiten zu qualifizieren seien, die geschätzte Auftragssumme zwar die in §6 BVergG 1997 festgelegten Schwellenwerte nicht erreichten, wohl aber die nach der Erstreckungsverordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten, BGBl. 802/1995, deren Geltung als Erstreckungsverordnung im Sinne des §14 BVergG 1997 es ohne nähere Begründung annahm, maßgeblichen Schwellenwerte.

2. a) Gegen diesen Bescheid wendet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten bzw. die Verletzung in Rechten wegen Anwendung mehrerer als verfassungswidrig erachteter Bestimmungen des BVergG 1997 behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt wird.

b) Bei Behandlung der Beschwerde entstanden beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge "dann, wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer mindestens 5 Millionen ECU beträgt" in §6 Abs1 des BVergG 1997, durch die die Bestimmungen des Gesetzes betreffend das Vergabeverfahren und den vergabespezifischen Rechtsschutz bei der Vergabe von Bauaufträgen und Baukonzessionsaufträgen auf Aufträge beschränkt wird, deren geschätztes Auftragsvolumen einen bestimmten Betrag übersteigt, entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher beschlossen, diese Wortfolge auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen. Er nahm vorläufig an, daß die Beschwerde zulässig ist und er bei ihrer Beurteilung unter anderem die geprüfte Wortfolge anzuwenden hätte. Da er Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der Schwellenwertregelung hegte und davon ausging, daß die angenommene Verfassungswidrigkeit ihren Sitz in der vorhin genannten Wortfolge des §6 Abs1 BVergG 1997 habe, beschloß er, diese Wortfolge in Prüfung zu nehmen.

Die Bundesregierung hat in ihrer Sitzung am 6. März 2001 beschlossen, von der Erstattung einer meritorischen Äußerung zu den vorläufigen Bedenken des Verfassungsgerichtshofes Abstand zu nehmen. Für den "Fall der Aufhebung" der geprüften Wortfolge stellte sie den Antrag, der Verfassungsgerichtshof wolle gemäß Art140 Abs5 B-VG für das Außerkrafttreten eine Frist von 18 Monaten bestimmen, um die erforderlichen legistischen Vorkehrungen zu ermöglichen.

Die im Anlaßverfahren beschwerdeführende Alpenstraßen AG hat eine Stellungnahme abgegeben, die im Ergebnis dahin zu verstehen ist, daß sie den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes zustimmt.

II. 1. Die in Prüfung gezogene Wortfolge steht im folgenden normativen Zusammenhang:

Das BVergG 1997 enthält gesetzliche Regelungen über das Vergabeverfahren und die Vergabekontrolle für die Vergabe von Lieferaufträgen, Bau- (einschließlich sogenannten Baukonzessions-)Aufträgen und Dienstleistungsaufträgen durch bestimmte öffentliche Auftraggeber oberhalb bestimmter Schwellenwerte. Für die Vergabe von Aufträgen unterhalb der Schwellenwerte bestimmt §13 BVergG 1997 unter anderem:

"(1) Unterhalb der in den §§5 bis 8 festgelegten Schwellenwerte haben die in §11 Abs1 Z1 bis 4 genannten Auftraggeber die Bestimmungen der ÖNORM A 2050 'Vergabe von Aufträgen über Leistungen - Ausschreibung, Angebot und Zuschlag - Verfahrensnorm' vom 1. Jänner 1993, Anlage zur Allgemeinen Bundesvergabeverordnung - ABVV, BGBl Nr. 17/1994, bei der Vergabe von Aufträgen anzuwenden, soweit ihr Inhalt nicht gemeinschaftsrechtlichen oder bundesgesetzlichen Regelungen - abgesehen von den Bestimmungen des 3. Teiles dieses Bundesgesetzes - oder auf Grund des 2. Teiles dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen widerspricht.

..."

Der unter der Rubrik "Erweiterung des Rechtsschutzbereiches" stehende §14 BVergG 1997 bestimmt weiters auszugsweise:

"(1) Die Bundesregierung kann mit Verordnung das 1., 2. und 4. Hauptstück des 4. Teiles dieses Bundesgesetzes für in §11 Abs1 Z1 bis 4 genannte Auftraggeber auch unterhalb der in den §§5 bis 8 festgelegten Schwellenwerte für bindend erklären, wenn dies im Interesse des Wettbewerbes, des Rechtsschutzes von Bewerbern oder Bietern und im Interesse einer einheitlichen Vorgangsweise bei der Vergabe von Aufträgen zweckmäßig ist und folgende Auftragswerte nicht unterschritten werden:

1. bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen gemäß §§1 und 3 eine Million Schilling ohne Umsatzsteuer,

2. bei Bau- und Baukonzessionsaufträgen gemäß §2 Abs1 Z2 und 3 und Abs3 sowie §11 Abs3 14 Millionen Schilling ohne Umsatzsteuer,

3. bei Bau- und Baukonzessionsaufträgen gemäß §2 Abs1 Z1 sieben Millionen Schilling ohne Umsatzsteuer.

...

(3) Bis zur Erlassung einer Verordnung der Bundesregierung gemäß Abs1 kann jeder Bundesminister für seinen Wirkungsbereich eine solche Verordnung erlassen."

Das 1., 2. und 4. Hauptstück des 4. Teiles des BVergG 1997 enthält Regelungen über den vergabespezifischen Rechtsschutz durch die Bundes-Vergabekontrollkommission und das BVA sowie zivilrechtliche Bestimmungen. Die in den bezogenen Ziffern des §11 Abs1 genannten öffentlichen Auftraggeber sind der Bund, bestimmte Einrichtungen des Bundes, bestimmte rechnungshofkontrollpflichtige Unternehmungen sowie die Sozialversicherungsträger und der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger.

2. Eine Ersteckungsverordnung im Sinne des §14 BVergG 1997 erließ der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten mit Wirkung ab 1. März 2000 (BGBl. II 35/2000). Nach Ansicht des BVA (vgl. etwa dessen Entscheidung N-16/98 vom 20.5.1998 = bbl. 1999,

82f.) und des verordnungserlassenden Bundesministers (vgl. den zweiten Satz des §3 der Verordnung BGBl. II 35/2000, der das Außerkrafttreten der Erstreckungsverordnung BGBl. 802/1995 mit Inkrafttreten der neuen Verordnung anordnet) wirkte die nach §8 des BVergG 1993 erlassene Erstreckungsverordnung BGBl. 802/1995 bis dahin als Verordnung im Sinne des §14 BVergG 1997. Diese (alte) Erstreckungsverordnung hatte im Sinne der bis zur Novelle BGBl. 776/1996 geltenden Fassung des BVergG 1993 die Geltung der gesetzlichen Vorschriften für Vergaben über den Schwellenwerten und die hiefür bestehenden vergabespezifischen Rechtsschutzregelungen auch für bestimmte Unterschwellenwertvergaben angeordnet.

3. Hinsichtlich der Schwellenwerte bei Bauaufträgen und Baukonzessionsaufträgen bestimmt §6 Abs1 BVergG 1997 (in der im vorliegenden Fall maßgeblichen Fassung vor der Novelle BGBl. I 80/1999; die in Prüfung genommene Wortfolge ist hervorgehoben):

"§6. (1) Dieses Bundesgesetz gilt für die Vergabe von Bauaufträgen und Baukonzessionsaufträgen dann, wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer mindestens 5 Millionen ECU beträgt."

(Durch die Novelle BGBl. I 80/1999 wurde das Wort "ECU" durch "Euro" ersetzt; der Betrag von 5 Millionen ECU entsprach zum maßgeblichen Zeitpunkt einem Betrag von etwas über 67 Mio. S.)

III. 1. Der Verfassungsgerichtshof ist im Prüfungsbeschluß vorläufig davon ausgegangen, daß die Beschwerde zulässig ist und daß er bei ihrer Behandlung die in Prüfung gezogene Wortfolge des §6 Abs1 BVergG 1997 idF BGBl. I 56/1997 anzuwenden habe, sodaß diese Vorschrift präjudiziell im Sinne des Art140 Abs1 B-VG sein dürfte.

2. An der Auftraggebereigenschaft der beschwerdeführenden Gesellschaft im Sinne des §15 Z2 BVergG 1997 - und sohin an ihrer Beschwerdelegitimation im Anlaßverfahren - besteht kein Zweifel: Die vorgelegten Verwaltungsakten belegen, daß die beschwerdeführende Gesellschaft das zugrundeliegende Vergabeverfahren (, in dem es um Bodenmarkierungsarbeiten, also keinesfalls um Aufgaben einer "begleitenden Kontrolle" (im Sinne des §10 Abs4 des Bundesgesetzes betreffend Maßnahmen im Bereich der Bundesstraßengesellschaften, BGBl. 826/1992, idF des ArtVII Z3 des Infrastrukturfinanzierungsgesetzes 1997, BGBl. I 113/1997), welche genaue Bedeutung diesem Begriff im einzelnen auch zukommen mag, gegangen ist,) im eigenen Namen und auf eigene Rechnung durchgeführt hat und den Zuschlag nicht etwa für die Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungsaktiengesellschaft (in der Folge: ASFINAG), sondern im eigenen Namen erteilt hat.

Diese Ansicht wird auch in den Stellungnahmen, die im Anlaßverfahren nach Aufforderung des Verfassungsgerichtshofes vom 27. Jänner 2000 erstattet wurden, vertreten: Dem Ersuchen, zur Frage Stellung zu nehmen, ob die beschwerdeführende Gesellschaft im Verfahren zur Vergabe der Bodenmarkierungsarbeiten bzw. im Nachprüfungsverfahren vor dem BVA im eigenen Namen oder im Namen der ASFINAG tätig geworden sei, sind das BVA sowie die beschwerdeführende Gesellschaft nachgekommen und haben Äußerungen erstattet, in denen im Ergebnis übereinstimmend die Ansicht vertreten wurde, daß die beschwerdeführende Gesellschaft im eigenen Namen und auf eigene Rechnung und sohin als vergaberechtlicher Auftraggeber tätig geworden sei. Das BVA bezeichnete in seiner Stellungnahme die beschwerdeführende Gesellschaft zwar mehrfach als "ausschreibende Stelle", was im Hinblick auf §15 Z3 BVergG mißverständlich ist, doch hält es explizit fest, daß "(d)ie beiden Zuschlagsschreiben ... von der Alpenstraßen AG im eigenen Namen gefertigt (wurden)", und verweist darauf, daß sich im Vergabeverfahren kein Hinweis auf eine rechtsgeschäftliche Vertretung findet. Die beschwerdeführende Gesellschaft geht auf die Frage ihrer Beziehung zur ASFINAG (vgl. dazu den Beschluß des Verfassungsgerichtshofs vom 2. März 2000, B1383/98, ÖZW 2000, 62 mit Kommentierung durch Raschauer) überhaupt nicht näher ein.

In den hier zu beurteilenden Vergabeverfahren wurde eine etwaige Vertretungsfunktion der beschwerdeführenden Gesellschaft nach außen weder kundgetan, noch wäre erkennbar gewesen, daß sie für einen anderen Auftraggeber tätig geworden wäre.

3. Es hat sich auch die vorläufige Annahme des Gerichtshofes bestätigt, daß er die hinsichtlich eines Teiles in Prüfung genommene Bestimmung des §6 Abs1 BVergG 1997 bei Beurteilung der Beschwerde anzuwenden hätte: Das BVA ist in seiner Bescheidbegründung davon ausgegangen, daß die gegenständlichen Vorhaben zwei separat voneinander zu beurteilende Bauvergaben darstellten, deren Auftragswerte für sich allein den in §6 Abs1 BVergG 1997 festgelegten Schwellenwert nicht überschreiten würden: Die belangte Behörde hat sohin §6 Abs1 BVergG 1997 in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I 56/1997 angewendet, indem sie die ausgeschriebenen Leistungen als Bauaufträge qualifizierte und das Erreichen des darin normierten Schwellenwertes von 5 Mio. ECU ausdrücklich verneinte. Dies war jedenfalls denkmöglich. Daß die Behörde auf Grundlage dieser Ansicht nicht zur Zurückweisung aller Anträge wegen Unzuständigkeit gelangte, sondern ihre Zuständigkeit auf die auf §8 BVergG 1993 gestützte Erstreckungsverordnung (vgl. oben Pkt. II.2.) gründete, ändert an der Präjudizialität des §6 BVergG 1997 nichts.

4. Keine der Annahmen des Verfassungsgerichthofes über die Zulässigkeit des Gesetzesprüfungsverfahrens wurde von der Bundesregierung bestritten. Da auch sonst nichts hervorgekommen ist, was der Zulässigkeit des Verfahrens entgegenstehen könnte, erweist sich dieses als zulässig.

IV. 1. In der Sache hatte der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, daß die "Schwellenwertregelung", wie sie im BVergG 1997 für Bauaufträge (im Bereich außerhalb der sog. geschützten Sektoren) enthalten ist, zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Differenzierung zwischen den Rechtspositionen von Bewerbern und Bietern im Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge führt.

Er begründete seine Bedenken wie folgt:

"Durch das Bundesvergabegesetz 1993, BGBl. 462/1993, wurden die öffentlichen Auftraggeber - außenwirksam - zur Einhaltung bestimmter Vorschriften bei der Vergabe öffentlicher Aufträge verpflichtet und den Bewerbern und Bietern wurden damit vice versa Rechtspositionen zur Durchsetzung der Einhaltung dieser Verpflichtungen eingeräumt. Daß diese Rechtslage nur für Aufträge vorgesehen war, die bestimmte Schwellenwerte übersteigen, widersprach - wie der Gerichtshof in seinem Erkenntnis vom 30. November 2000, G110, 111/99, erkannte - dem Gleichheitsgrundsatz. Denn eine sachliche Rechtfertigung dafür, daß der Gesetzgeber im Unterschwellenbereich auf eine außenwirksame Regelung, die den Bewerbern und Bietern wenigstens ein Minimum an Verfahrensgarantien zur Verfügung stellt, gänzlich verzichtet und die Bewerber und Bieter damit vom vergabespezifischen Rechtsschutz generell ausgeschlossen hat, war nicht erkennbar.

Mit dem durch die Novelle BGBl. 776/1996 geänderten §8 Abs1 BVergG 1993 (wiederverlautbart als §13 Abs1 BVergG 1997, BGBl. I 56/1997) wurde für Vergaben im Unterschwellenbereich (außerhalb des Bereichs der sog. 'geschützten Sektoren' und unter Ausnahme nicht-prioritärer Dienstleistungen) bestimmten öffentlichen Auftraggebern die verbindliche Anwendung der ÖNORM A 2050 in der Fassung Ausgabedatum 1. Jänner 1993 vorgeschrieben. Damit wurde für diese Bereiche eine außenwirksame Regelung geschaffen, die den Bewerbern und Bietern - anders als nach der früheren, mit der genannten Entscheidung vom 30. November 2000 als verfassungswidrig erkannten Rechtslage - subjektive Rechte einräumt. Zur Durchsetzung der sich daraus ergebenden Rechtspositionen bleiben den Bewerbern und Bietern jedoch die vergabespezifischen Rechtsschutzinstrumentarien, wie sie Bietern und Bewerbern im 'Oberschwellenwertbereich' durch Anwendung des vierten Teils des BVergG offenstehen, vorenthalten:

Der Verfassungsgerichtshof kann vorläufig nicht erkennen, was es rechtfertigen könnte, Bewerbern und Bietern um Aufträge oberhalb der Schwellenwerte Instrumente zur effektiven Durchsetzung der sich aus den gesetzlichen Vorschriften ableitenden vergaberechtlichen Positionen in Form des vergabspezifischen Rechtsschutzes vor dem BVA zur Verfügung zu stellen, im Unterschwellenwertbereich (zur Durchsetzung sich aus der ÖNORM A 2050 - in Verbindung mit §13 BVergG - ergebender Rechtspositionen) einen vergabespezifischen Rechtsschutz aber gänzlich vorzuenthalten.

Schon im Einleitungsbeschluß des Verfahrens G110,111/99, der zu der zitierten Entscheidung vom 30. November 2000 geführt hat, hat der Gerichtshof dargelegt, daß und warum der Umstand, daß das Gemeinschaftsrecht entsprechende Regelungen nur für Aufträge, die bestimmte Schwellenwerte übersteigen, verlangt, die Differenzierung im nationalen Recht angesichts der doppelten Bindung, der der Gesetzgeber bei der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht unterliegt, nämlich der Bindung an die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben und an den verfassungsgesetzlich gezogenen Rahmen, allein noch nicht rechtfertigt, und die Bundesregierung ist dieser Auffassung auch gar nicht entgegengetreten. Es bedarf also die sog. Schwellenwertregelung darüber hinaus einer sachlichen Rechtfertigung. Diese vermag der Verfassungsgerichtshof vorläufig nicht zu erkennen."

Dabei vertrat er die Auffassung, daß

"keine Bedenken dagegen (bestünden), daß der Gesetzgeber bei der Regelung des Rechtsschutzes im 'Unterschwellenbereich' nicht alle, gemeinschaftsrechtlich bloß für größere Aufträge erforderlichen Regelungen übernimmt, sondern andere, einfachere Vorschriften aufstellt - so wie er durch Verbindlicherklärung der ÖNORM A 2050 für diesen Bereich auch einfachere Verfahrensvorschriften angeordnet hat -, insbesondere indem er ein vereinfachtes Rechtsschutzverfahren für Vergaben im Unterschwellenbereich zur Verfügung stellt. Daß er aber in diesem Bereich Bewerber und Bieter vom vergabespezifischen Rechtsschutz gänzlich ausnimmt, dürfte sachlich nicht zu rechtfertigen sein, zumal - wie der Verfassungsgerichtshof bereits wiederholt zum Ausdruck gebracht hat (vgl. VfSlg. 15.106/1998, 15.204/1998 sowie insb. die zitierte Entscheidung vom 30. November 2000) -, ein gerichtlicher Bieterschutz in seiner derzeitigen Ausgestaltung nicht mit gleicher Effektivität Rechtspositionen sichern könne, wie dies der vergabespezifische Rechtsschutz zu leisten in der Lage ist. Denn es dürfte sachlich nicht zu rechtfertigen sein, für Aufträge geringeren Wertes ein komplizierteres und aufwendigeres Rechtsschutzverfahren vorzusehen als es der Gesetzgeber für größere Aufträge zur Verfügung stellt."

2. Der Verfassungsgerichtshof bleibt bei seiner im Prüfungsbeschluß geäußerten Ansicht, der auch die Bundesregierung nicht entgegengetreten ist:

Er hat in seinem bereits mehrfach zitierten Erkenntnis vom 30. November 2000, G110, 111/99 (ÖZW 2001/1, 11 ff. mit Kommentierung durch Thienel), aufbauend auf seiner diesbezüglichen bisherigen Rechtsprechung die Ansicht vertreten, daß es dem Gleichheitsgrundsatz widerspricht, im Unterschwellenbereich auf einen vergabespezifischen Rechtsschutz generell zu verzichten, und sieht sich nicht veranlaßt, von dieser ständigen Rechtsprechung abzugehen. Es erweist sich daher als gleichheitswidrig, unterhalb des in §6 Abs1 BVergG 1997 bezogenen Schwellenwertes Bewerbern und Bietern zwar sich aus der ÖNORM A 2050 ergebende Teilnahmerechte gesetzlich einzuräumen, zur effektiven Durchsetzung eben jener Rechte den für Vergaben oberhalb der Schwellenwerte als notwendig erachteten vergabespezifischen Rechtsschutz aber weiterhin nicht zur Verfügung zu stellen.

Dies ergibt sich auch aus der bisherigen einschlägigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes: So hat er bereits in seiner das Tiroler Vergabegesetz idF LGBl. 87/1994 betreffenden Entscheidung VfSlg. 15.106/1998 zum - damaligen - gänzlichen Ausschluß von Vergaben im sog. Sektorenbereich vom vergabespezifischen Rechtsschutz festgehalten, daß

"die vergabespezifischen Rechtsvorschriften des TirVergG sichern (sollen), daß den Bewerbern und Bietern ein den besonderen Anforderungen des Vergabewesens entsprechender, umfassender, rascher und effektiver Rechtsschutz gewährt wird, der die in der Lehre konstatierten Defizite bloß gerichtsförmiger Kontrolle des Vergabeverfahrens (vgl. insb. Aicher, Die Vergabekontrollkommission in ihrer Bedeutung für die österreichische Rechtsentwicklung und für die Angleichung an das Recht der EG, in: Korinek-Aicher, Vergabekontrollkommission, 1991, 19 ff., insb. 30 f.) ausgleichen soll".

Eine sachliche Rechtfertigung für den Ausschluß eines vergabespezifischen Rechtsschutzes für bestimmte Vergaben konnte der Gerichtshof nicht erkennen. In seiner das BVergG betreffenden Entscheidung VfSlg. 15.204/1998 bekräftigte er diese Auffassung und sieht sich auch im gegebenen Zusammenhang nicht veranlaßt, von ihr abzugehen.

Der Verfassungsgerichtshof hat in den zitierten Entscheidungen nicht zum Ausdruck gebracht, daß es unmöglich wäre, durch entsprechende Gestaltung der zivilverfahrensrechtlichen Vorschriften einen unter den in VfSlg. 15.106/1998 genannten Aspekten effektiven Rechtsschutz einzurichten. Er hat allerdings die Auffassung vertreten, daß es der derzeitigen Ausgestaltung des zivilrechtlichen Bieterschutzes in der Phase der Kontrolle des Vergabeverfahrens vor Zuschlagserteilung an der notwendigen Effektivität mangelt, sodaß die gänzliche Ausschaltung eines vergabespezifischen Rechtsschutzes für Teilbereiche der Vergabekontrolle den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht entspricht. Zwar wäre es nicht richtig anzunehmen, daß es immer dann, wenn ein vergabespezifischer Rechtsschutz nicht eingerichtet ist, an jeglichem Rechtsschutz mangle. Die jüngere zivilgerichtliche Judikatur hat in der Tat in verschiedenen Konstellationen Wege gefunden, auch in solchen Fällen einen gewissen Rechtsschutz zu gewährleisten (vgl. etwa die Hinweise bei Elsner, Vergaberecht, 1999, 90 f.). Der Verfassungsgerichtshof hat in den zitierten Entscheidungen dargelegt, daß und warum der gänzliche Ausschluß bestimmter öffentlicher Vergaben vom vergabespezifischen Rechtsschutz ungeachtet dessen dem Gleichheitsgrundsatz widerspricht.

Auch hinsichtlich des im Vergleich zum BVergG 1993, BGBl. 462/1993, modifizierten Schwellenwertsystems des BVergG 1997 kann nichts anderes gelten: Für die Effektivität des vergaberechtlichen Rechtsschutzes ist im Bereich der Kontrolle des Vergabeverfahrens vor der Zuschlagserteilung für den Bieter zum einen entscheidend, daß das Verfahren nicht allzu aufwendig gestaltet ist, und zum anderen, daß er rasch und einfach zu den (für den Bereich oberhalb der Schwellenwerte gemeinschaftsrechtlich verpflichtend vorzusehenden) Provisorialentscheidungen gelangen kann; für die betroffenen Auftraggeber und die zum Zuge gekommenen Bieter ist es hingegen von Bedeutung, daß die Entscheidungen rasch erfolgen und Vergabeverfahren und Zuschlagserteilung nicht ungebührlich verzögert werden. Nun fehlt es aber - wie auch in der Literatur betont wird (vgl. etwa Schlosser, Reformbedarf im Vergaberechtsschutz aus der Sicht eines Senatsvorsitzenden des Bundesvergabeamtes, JRP 1999, 242 f., und Aicher, Aspekte des Vergaberechtsschutzes vor den Zivilgerichten, JRP 1999, 253 ff.) - derzeit an geeigneten zivilverfahrensrechtlichen Vorschriften, die den besonderen Bedürfnissen einer raschen, vielfach keinen Aufschub duldenden, vergaberechtlichen Rechtskontrolle Rechnung tragen.

Das ist der Grund dafür, daß die vergaberechtlichen Vorschriften des Bundes und der Länder im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes vergabespezifische Rechtsschutzinstrumente für die Kontrolle der Einhaltung der Regelungen des Vergabeverfahrens vorsehen. Diese nur für Vergaben oberhalb bestimmter Schwellenwerte zur Verfügung zu stellen und bei Vergaben von Aufträgen geringeren Wertes zur Durchsetzung sich gemäß §13 Abs1 BVergG 1997 aus der ÖNORM A 2050 ergebender Rechte auf einen solchen zu verzichten und sich ansonsten mit einem weniger effektiven Rechtsschutz zu begnügen, nämlich den Rechtsschutz in diesem Bereich komplizierter und aufwendiger zu gestalten, ist sachlich nicht zu rechtfertigen:

Zwar bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine Regelung, die bei Verfahren unterhalb bestimmter Wertgrenzen Verfahrensvereinfachungen oder Verfahrensbeschleunigungen vorsieht, die die Entscheidungskompetenz Einzelrichtern überträgt, die denkbare Rechtszüge beschänkt o.ä. Nicht aber ist es sachlich gerechtfertigt, die Kontrolle der Einhaltung der (im Vergleich zu den Oberschwellenregelungen zulässigerweise vereinfachten) Vergabevorschriften der ÖNORM A 2050 aufwendiger zu gestalten, Provisorialentscheidungen zu erschweren und das Interesse des Auftraggebers an raschen Entscheidungen geringer zu veranschlagen.

Mit anderen Worten: Die Konsequenzen des gerichtlichen Bieterschutzes für die Kontrolle des Vergabeverfahrens vor der Zuschlagsentscheidung stehen in keiner sachlichen Relation zu den unterschiedlichen tatsächlichen Gegebenheiten, an die sie anknüpfen.

3. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes haben sich somit als gerechtfertigt erwiesen.

Da die im Anlaßverfahren angewendete und hier in Prüfung stehende Bestimmung inzwischen neu formuliert wurde (vgl. oben am Ende der Darstellung der Rechtslage in Pkt. II.3. dieser Entscheidung) war auszusprechen, daß die in Prüfung genommene Wortfolge verfassungswidrig war. Eine Fristsetzung kommt für den Fall eines solchen Ausspruchs nicht in Betracht.

V. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VerfGG iVm §2 Abs1 Z4 BGBlG.

VI. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Rechtsschutz, Vergabewesen, VfGH / Legitimation, VfGH / Präjudizialität, Selbstbindung, Geltung ÖNORM, VfGH / Anlaßverfahren, Rechte subjektive öffentliche

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2001:G10.2001

Dokumentnummer

JFT_09988991_01G00010_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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