TE OGH 1988/11/30 1Ob675/88

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Veröffentlicht am 30.11.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Hofmann, Dr. Redl und Dr. Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Hildegard S***, Kellnerin, Siezenheim 286, vertreten durch Dr. Harald Heinrich, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei Ö*** S*** B*** Gemeinnützige registrierte

Genossenschaft mbH, Salzburg, St. Julien-Straße 2, vertreten durch Dr. Michael Wonisch, Rechtsanwalt in Salzburg, Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei U*** G***

Gesellschaft mbH, Wien 1., Wächtergasse 1, vertreten durch Dr. Herbert Troyer, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen S 502.249,64 samt Anhang infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 23. Februar 1988, GZ 3 R 9/88-55, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Zwischenurteil des Landesgerichtes Salzburg vom 29. Oktober 1987, GZ 2 Cg 410/84-44, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Prozeßkosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist auf Grund eines Kaufvertrages aus dem Jahre 1972 Alleineigentümerin der Liegenschaft EZ 858 KG Siezenheim I, Grundstück 702/5, mit dem in den Jahren 1974 bis 1976 erbauten Haus Siezenheim 286. Die beklagte Partei erwarb mit Kaufvertrag vom 18. April 1979 die südlich angrenzenden Grundstücke 730/1, 730/2, 732/2 und 1130/8 je KG Siezenheim I. Sie errichtete auf ihren Grundstücken Wohnbauten, die sie später zum Teil als Wohnungseigentum verkaufte. Mit den Baumeisterarbeiten war die Firma Dr. V*** Gesellschaft mbH betraut, die mit der für den Bau notwendigen Rammpfählung die Nebenintervenientin als Subunternehmerin beauftragte. Ohne daß Bodenuntersuchungen und Beweissicherungsmaßnahmen ordnungsgemäß durchgeführt worden wären, wurden von der Nebenintervenientin die Rammpfahlarbeiten in der Zeit vom 20. Oktober 1980 bis 21. Jänner 1981 ausgeführt. Die Arbeitsweise entsprach zwar den für solche Arbeiten üblichen Maßstäben, bei jedem Herabfallen des Rammbären wurden aber Vibrationen ausgelöst, die sich im Boden über die gesamte Gegend fortsetzten. Zehn Tage nach Beginn der Rammpfahlarbeiten wurden bereits Risse und Sprünge im Haus der Klägerin festgestellt. Haus und Grundstück der Klägerin weisen jetzt folgende Schäden auf:

Sprünge im Mauerwerk, Abrisse zwischen Decken und Wänden sowie vertikale Risse, Ablösungen und Brüche von Wandfliesen, Putzablösungen; das an den Hausmauern angrenzende betonierte Traufenpflaster hat sich abgelöst, das Pflaster der Gartenfläche und an der Klärgrube hat ebenfalls mehrfach stärkere Risse. Die Klägerin begehrt den Zuspruch des Betrages von

S 502.249,64 samt Anhang. Durch die auf den Nachbargrundstücken durchgeführten Rammpfahlarbeiten seien eine Reihe von Schäden an ihrem Haus und ihrem Grundstück eingetreten. Das Haus habe vorher keine Rißbildungen gezeigt; diese seien unmittelbar nach Beginn der Rammpfahlarbeiten aufgetreten. Der Schaden betrage mindestens

S 600.000,--, davon habe die Nebenintervenientin S 97.750,16 ersetzt. Die beklagte Partei sei grundbücherliche Alleineigentümerin der Nachbargrundstücke gewesen, als die Rammpfahlarbeiten durchgeführt worden seien. Der Klägerin stehe ein verschuldensunabhängiger Ausgleichsanspruch zu; das Begehren werde aber auf alle in Betracht kommenden Klagsgründe gestützt. Die beklagte Partei bezeichnete es zwar als richtig, daß sie seinerzeit die Nachbargrundstücke erworben habe, nunmehr sei sie aber nicht mehr deren Alleineigentümerin. Ein Kausalzusammenhang zwischen dem Baugeschehen und den Schäden am Objekt der Klägerin läge nicht vor. Die Bodenbewegungen seien unabhängig von diesen Arbeiten entstanden. Ein Ausgleichsanspruch stehe der Klägerin nicht zu, weil es sich bei dem Bauvorhaben der beklagten Partei nicht um eine behördlich genehmigte Anlage im Sinn des § 364 a ABGB gkhandelt habe. Die Klägerin hätte nur einen Unterlassungsanspruch geltend machen können. Der Höhe nach wurde das Begehren mit dem Betrag von

S 1,-- außer Streit gestellt.

Das Erstgericht, das das Verfahren auf den Grund des Anspruches eingeschränkt hat, sprach mit Zwischenurteil aus, daß das Klagebegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe. Es stellte fest: Bis zum Beginn der Rammpfahlarbeiten auf den Grundstücken der beklagten Partei habe das Haus der Klägerin mit Ausnahme kleinerer Haarrisse keine Sprünge, Risse oder sonstige Setzungserscheinungen aufgewiesen. Das Haus der Klägerin sei bautechnisch einwandfrei errichtet worden. Ursache für die Schäden am Haus und am Grundstück der Klägerin seien Setzungen des Untergrundes, die nicht durch die Hauslast selbst, sondern durch die von den Rammarbeiten auf dem Nachbargrund ausgegangenen Vibrationen entstanden seien. Diese Vibrationen seien die alleinige Schadensursache. Zur Sanierung sei es notwendig, die Bodenbewegungen, die noch immer vorhanden seien, zum Stillstand zu bringen. Eine Versteifung des Bodens durch Zementinjektionen wäre zweckmäßig. Nach Auftreten der Beschädigungen habe sich die Klägerin an die beklagte Partei gewandt. Sie sei mit Schreiben vom 4. Mai 1983 von der beklagten Partei an ihre Haftpflichtversicherung zwecks Schadensregulierung verwiesen worden. Rechtlich legte das Erstgericht dar, daß, wie bereits in der Entscheidung SZ 55/28, der ein nahezu identer Sachverhalt zugrundegelegen sei, ausgeführt worden sei, in Analogie zu § 364 a ABGB der Klägerin ein verschuldensunabhängiger Ausgleichsanspruch zustehe. Die passive Klagslegitimation sei gegeben, weil es nur darauf ankomme, wer im Zeitpunkt der schädigenden Arbeiten Eigentümerin der Nachbargrundstücke gewesen sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Die Beweisrüge sei unbegründet. Das Berufungsgericht legte seiner Entscheidung den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt zugrunde. Ein verschuldensunabhängiger Ausgleichsanspruch in Analogie zu § 364 a ABGB stehe dem Geschädigten immer dann zu, wenn ihm ein Abwehrrecht genommen worden sei, das ihm nach dem Inhalt seines Eigentums an sich zugestanden wäre. Die Analogie sei angebracht, wenn die Abwehr der Einwirkung infolge der mit einer behördlichen Genehmigung zunächst verbundenen Annahme der Gesetzmäßigkeit und Gefahrlosigkeit der bewilligten Maßnahme praktisch erschwert oder unmöglich gemacht werde. Eine solche Situation bestehe bei nicht abwendbaren Schäden an einem Haus durch baubehördlich genehmigte Arbeiten, etwa Verwendung von Rammpfählen, die zu Erschütterungen am Nachbargrundstück und in weiterer Folge zu Setzungsschäden an dem dort errichteten Haus geführt hätten. Die Gefährlichkeit der Rammarbeiten sei für die Klägerin erst nach Auftreten der ersten Schäden an ihrem Haus erkennbar gewesen. Damit genüge ein Hinweis auf die Dauer des Prozesses, um das Argument der beklagten Partei zu entkräften, die Klägerin hätte sich erfolgreich mit einer Unterlassungsklage gegen die nur drei Monate dauernden Rammarbeiten zur Wehr setzen können. Die Passivlegitimation der beklagten Partei sei nicht zweifelhaft, weil sie zur Zeit der Rammarbeiten Alleineigentümerin der Nachbargrundstücke und Auftraggeberin gewesen sei. Durch eine nachträgliche Veräußerung der Liegenschaft könne sich die beklagte Partei nicht von ihrer Ersatzpflicht befreien.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der beklagten Partei ist nicht berechtigt. Die gerügte Mangelhaftigkeit liegt, wie der Oberste Gerichtshof prüfte (§ 510 Abs 3 ZPO), nicht vor.

Die Bejahung oder Verneinung des natürlichen Ursachenzusammenhanges gehört in das Gebiet der Beweiswürdigung und kann daher im Revisionsverfahren (abgesehen von Denkwidrigkeiten) nicht mehr überprüft werden (SZ 58/143; SZ 52/136 uva). Mit den Revisionsausführungen, es könne "nicht akzeptiert werden", daß die Setzung des Untergrundes in den Vibrationen der Rammarbeiten ihre Ursache habe, wird daher die irrevisible Beweiswürdigung der Vorinstanzen bekämpft. Ein Vorbringen, derselbe Schaden am Grundstück und am Gebäude der Klägerin wäre auch ohne die Rammpfahlarbeiten später aus anderen Gründen eingetreten, wurde in erster Instanz nicht erstattet.

Für Klagen aus dem Nachbarrecht ist der Eigentümer des Grundstückes, von dem die Störung ausgeht, sowie jeder, der das Grundstück für eigene Zwecke benützt, passiv legitimiert (SZ 53/11 mwN uva, zuletzt 1 Ob 43/86; Spielbüchler in Rummel, ABGB, Rz 5 zu § 364, Rz 7 zu § 364 a; Pimmer in Schwimann, ABGB, Rz 9, 13 zu § 364, Rz 1 zu § 364 a; Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht2 II 320). Beide Voraussetzungen sind für die beklagte Partei gegeben. Die Aktivlegitimation der Klägerin wurde von der beklagten Partei nie in Zweifel gezogen, sie stellte vielmehr das Eigentumsrecht der Klägerin außer Streit und bestritt nicht deren ausdrückliches Vorbringen, sie sei auch zum Zeitpunkt der Rammpfahlarbeiten Eigentümerin der Liegenschaft EZ 858 KG Siezenheim I gewesen.

Es liegen aber auch die weiteren Voraussetzungen für die Bejahung eines verschuldensunabhängigen Ausgleichsanspruches vor. Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung ist ein vom Verschulden unabhängiger Anspruch in den Fällen des § 364 Abs 2 ABGB und des § 364 b ABGB zuzubilligen, wenn sich ausreichende Anhaltspunkte für eine Analogie zu § 364 a ABGB ergeben (JBl 1986, 782; SZ 58/121; SZ 58/195 uva). § 364 a ABGB regelt einen der Enteignung verwandten Tatbestand. Der Geschädigte hat deshalb einen Ersatzanspruch, weil er im Interesse des Nachbarn Eingriffe in sein Eigentum hinnehmen muß, die über die normale Duldungspflicht des § 364 Abs 2 ABGB hinausgehen. Die Interessen des Nachbarn sind also von der Rechtsordnung oft wegen dahinterstehender Gründe des öffentlichen Wohles höher bewertet als das Eigentumsrecht des Betroffenen (SZ 55/28 mwN). Jede Analogie zu § 364 a ABGB hat an diese Grundsituation anzuknüpfen: Dem Geschädigten muß ein Abwehrrecht genommen sein, das ihm nach dem Inhalt seines Eigentums an sich zugestanden wäre. Eine solche Situation bestand auch für die Klägerin. Die Schäden an ihrem Haus entstanden durch baubehördlich genehmigte Arbeiten. Eine baubehördliche Genehmigung ist zwar nicht als Genehmigung im Sinn des § 364 a ABGB anzusehen (SZ 56/158 mwN); die Klägerin konnte aber damit rechnen, daß die Aufträge der Baubehörde so gehalten waren, daß ihre Interessen als Nachbarin weitgehend gesichert waren, so daß keine bzw. keine ins Gewicht fallenden Schäden auftreten würden. Durch die Baubewilligung wird der Anschein der Gefahrlosigkeit und damit der Rechtmäßigkeit der bewilligten Maßnahme hervorgerufen und dadurch die Abwehr zwar nicht rechtlich ausgeschlossen, aber derart erschwert, daß der Nachbar die Maßnahme praktisch hinnehmen muß. Trotz der anscheinend verläßlichen Vorsorge gegen Immissionen wird eine dennoch vorhandene Gefährlichkeit oft erst erkennbar, wenn der Eingriff in das Eigentumsrecht des Nachbarn bereits stattgefunden hat. In solchen Fällen hat die baubehördliche Bewilligung wie bei einer behördlichen Anlagengenehmigung im Sinn des § 364 a ABGB die tatsächliche Wirkung, daß der Grundnachbar die anscheinend gefahrlose Maßnahme hinnehmen muß (SZ 59/5; SZ 56/158 mwN). Das gilt insbesondere für die Folgen des Einsatzes von Baumaschinen (SZ 51/47). Daß mit den von den Grundstücken der beklagten Partei ausgehenden Immissionen eine Schädigung des Eigentums der Klägerin verbunden war, war erst erkennbar, als nach Beginn der Arbeiten die Risse im Gebäude aufgetreten waren. Die Klägerin konnte die ersten Schäden zwar bereits nach zehn Tagen erkennen, hatte jedoch keine Beweise in Händen, um mit einer einstweiligen Verfügung die Fortsetzung der schädigenden Maßnahmen verhindern zu können; daß die Klägerin nur den Beginn der Schäden gleichzeitig mit den Arbeiten der Nebenintervenientin, nicht aber deren Kausalität für den Eintritt der Schäden glaubhaft machen hätte müssen, wie die Revision behauptet, ist unrichtig. Daß aber die beklagte Partei bereit gewesen wäre, bloß auf Grund außergerichtlicher Behauptung des Unterlassungsanspruches die Rammpfahlarbeiten durch ihren Erfüllungsgehilfen einstellen zu lassen, wurde nicht festgestellt. Im Gegenteil, als die Klägerin an die beklagte Partei herantrat, wurde sie an deren Haftpflichtversicherer verwiesen. Der Revision ist der Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 393 Abs 4, 52 Abs 2 ZPO (SZ 23/243 uva).

Anmerkung

E15915

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0010OB00675.88.1130.000

Dokumentnummer

JJT_19881130_OGH0002_0010OB00675_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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