TE OGH 1988/11/30 1Ob688/88

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Veröffentlicht am 30.11.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Hofmann, Dr. Redl und Dr. Graf als weitere Richter in der Abwesenheitspflegschaftssache des Dr. Rudolf F***, geb. am 28. August 1909, nunmehr 1302 W Lido Place, Appartment 1, Anaheim CA 92801, USA, vertreten durch Dr. Thomas W***, Rechtsanwalt in Perchtoldsdorf, infolge Revisionsrekurses des Dr. Rudolf F*** gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 26. Juli 1988, GZ 43 R 546/88-9, womit der Rekurs des Dr. Thomas W*** gegen den Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 16. Juli 1987, GZ 3 P 156/88-3, zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und dem Rekursgericht die neue Entscheidung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Text

Begründung:

Die R*** Ö*** erhob gegen Dr. Rudolf F*** zu

42 C 307/87 des Erstgerichtes Klage auf Bezahlung des Betrages von S 32.890,78 s.A. und Räumung der Wohnung Nr. 24 - 25 im Hause Wien 9, Maria-Theresienstraße 3, Stiege 4. Sie beantragte die Bestellung eines Abwesenheitskurators für den Beklagten mit der Behauptung, daß der Aufenthaltsort des Beklagten in den USA unbekannt sei. Zur Bescheinigung des unbekannten Aufenthaltes wurde eine Auskunft des Zentralmeldungsamtes vom 8. Mai 1987 vorgelegt, wonach sich Dr. Rudolf F*** am 28. März 1985 nach den USA abgemeldet habe. Dem Erstgericht lag auch ein Amtsvermerk vom 16. Juni 1987 über die telefonische Einvernahme des Dr. Ewald W***, Rechtsanwalt in Wien, als Auskunftsperson über den Aufenthaltsort des Dr. Rudolf F*** vor. Das Erstgericht bestellte mit Beschluß vom 16. Juli 1987 gemäß § 276 ABGB Dr. Thomas W***, Rechtsanwalt in Perchtoldsdorf, zum Abwesenheitskurator.

Mit dem am 24. Juni 1988 beim Erstgericht eingelangten Schriftsatz erhob Dr. Rudolf F*** Rekurs gegen diesen Beschluß. Er sei nie unbekannten Aufenthalts gewesen. Die Anschrift, unter der er in den Vereinigten Staaten von Amerika erreichbar gewesen wäre, sei seinem Vertreter Rechtsanwalt Dr. Karl B*** bekannt gewesen. Nach dessen Tod hätte die Anschrift in der Kanzlei Dris. Karl B*** in Erfahrung gebracht werden können. Er habe zudem an allen in Betracht kommenden Anschriften dafür Vorsorge getroffen, daß ihm Postsendungen an seine neue Anschrift in den Vereinigten Staaten übermittelt würden. Es seien demnach zumutbare Nachforschungen zur Ermittlung seines Aufenthaltsortes unterlassen worden. Das Rekursgericht wies den Rekurs zurück. Der Beschluß über die Bestellung des Abwesenheitskurators sei diesen am 27. Juli 1987 zugestellt worden. Demnach sei das vom Pflegebefohlenen erhobene Rechtsmittel verspätet. Eine Bedachtnahme auf das verspätete Rechtsmittel gemäß § 11 Abs.2 AußStrG komme nicht in Betracht, weil die im Verfahren 42 C 307/87 des Erstgerichtes klagende Partei bereits das Recht erlangt habe, das Verfahren gegen eine Partei zu führen, die in Wien einen Vertreter habe.

Rechtliche Beurteilung

Dem gegen den Beschluß des Rekursgerichtes erhobenen Rekurs des Dr. Rudolf F*** kommt Berechtigung zu.

Die Bestellung eines Abwesenheitskurators nach § 276 ABGB birgt stets die Gefahr in sich, daß durch zu weitherzige Auslegung der Bestellungsvoraussetzungen, durch zu großzügige Annahme der Abwesenheit oder durch wissentlich falsche Behauptung von Tatsachen die Kuratorbestellung und damit die Durchführung eines Verfahrens ermöglicht wird, in dem der Partei faktisch das rechtliche Gehör verweigert wird. Dieser Annahme steht auch nicht entgegen, daß der Kurator als gesetzlicher Vertreter ohnehin die Interessen des Kuranden wahrzunehmen und gegebenenfalls auch in gleicher Weise wahrgenommen hat wie der Kurand selbst. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs erfordert vielmehr die Beteiligung der Partei selbst am Verfahren. Auch durch ein formell dem Gesetz entsprechendes, aber ohne Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen durchgeführtes Verfahren zur Bestellung eines Abwesenheitskurators wird das rechtliche Gehör des Kuranden verletzt. Liegen die Voraussetzungen für die Kuratorsbestellung nicht vor, ist der Beschluß über die Bestellung des Kurators nicht nur dann, wenn die Bestellung geradezu erschlichen wurde, sondern auch wenn die Bestellung ohne hinreichende Nachforschungen über den Aufenthaltsort erfolgte, nichtig (§ 477 Abs.1 Z 4 ZPO). In einem solchen Fall kann der Beschluß über die Bestellung des Abwesenheitskurators rückwirkend behoben werden. Dem angeblich Abwesenden steht das Recht zu, den Bestellungsbeschluß mit Rekurs zu bekämpfen und auf diese Weise das Vorliegen der Voraussetzungen für die Bestellung des Abwesenheitskurators einer Überprüfung zuzuführen (JBl. 1953, 604; vgl. auch EvBl. 1951/235; Fasching, Komm. II, 613; Knell, Die Kuratoren im österreichischen Recht, 71, 72). Daß der Abwesenheitskurator ohne darauf abzielenden Antrag bestellt worden wäre, ist aktenwidrig (vgl. ON 1).Der Rekurs durfte somit nicht wegen Verspätung zurückgewiesen werden.

Aus den dargelegten Gründen ist spruchgemäß zu entscheiden.

Anmerkung

E15914

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0010OB00688.88.1130.000

Dokumentnummer

JJT_19881130_OGH0002_0010OB00688_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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