TE OGH 1988/12/6 10ObS212/88

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Veröffentlicht am 06.12.1988
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Josef Mandak (Arbeitgeber) und Reinhard Horner (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Elly A***, Wachaustraße 1, 3382 Loosdorf, vertreten durch Dr. Peter Z***, Handelskammer Niederösterreich, dieser vertreten durch Dr. Leander Schüller, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei A*** U***, Adalbert Stifter-Straße 65, 1200 Wien,

vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. Feber 1988, GZ 31 Rs 54/88-7, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 10. Juni 1987, GZ 33 Cgs 1058/87, 1059/87-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

1. Das angefochtene Urteil wird teilweise dahin abgeändert, daß es als

Teilurteil

lautet: "Es wird festgestellt, daß die Unfälle der Klägerin vom 20. November 1979 und vom 31. Jänner 1983 in 3382 Loosdorf, Wachaustraße 1 Arbeitsunfälle im Sinne des § 176 Abs. 1 Z 6 ASVG waren."

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit

S 1.286 bestimmten anteiligen Revisionskosten binnen 14 Tagen zu bezahlen.

2. Im übrigen werden die Urteile beider Vorinstanzen aufgehoben und die Rechtssache insoweit zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. In diesem Umfang sind die Kosten der Revision weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit den beiden Bescheiden vom 29. Oktober 1986 lehnte die beklagte Partei die Ansprüche der Klägerin auf Entschädigung anläßlich der Unfälle vom 20. November 1979 und 31. Jänner 1983 ab, weil weder eine Pflichtversicherung noch eine freiwillige Versicherung der Klägerin in der gesetzlichen Unfallversicherung vorgelegen sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren, es werde festgestellt, daß es sich bei den Unfällen vom 20. November 1979 und vom 31. Jänner 1983 um Arbeitsunfälle handle, sowie daß die beklagte Partei schuldig sei, aus den beiden Arbeitsunfällen eine Versehrtenrente zu gewähren, ab. Es traf folgende Feststellungen:

Der Ehemann der Klägerin betreibt in Loosdorf ein Geschäft. Im gleichen Gebäude ist auch die Wohnung der Eheleute untergebracht. Die Klägerin führte den Haushalt und half etwa einmal pro Monat im Geschäft über Ersuchen ihres Ehemannes aus. Diese Aushilfe fand höchstens stundenweise statt, die Klägerin war nicht zur Sozialversicherung gemeldet. Bei dem Vorfall im Jahr 1979 war die Klägerin zufällig im Geschäft, sie hat niemanden bedient und auch sonst keine geschäftlichen Tätigkeiten verrichtet, bis das Telefon läutete. Am Weg zum Telefon, welches sie bedienen wollte, stürzte die Klägerin und verspürte in der Folge Schmerzen im Knie. Bei dem Unfallgeschehen im Jahre 1983 wollte die Klägerin Ausverkaufsware, die bereits von einer Angestellten zusammengeschlichtet und aussortiert war, vom ersten Stock ins Parterre des Geschäftslokales bringen. Dies geschah nach Geschäftsschluß und ohne besondere Anweisung ihres Ehemannes. Dabei stürzte sie auf der Stiege und erlitt eine Verletzung.

Rechtlich verneinte das Erstgericht den Unfallversicherungsschutz, weil beiden Tätigkeiten, während welcher die Unfälle geschehen seien, keine betriebliche Unterordnung zugrunde gelegen sei.

Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der Klägerin keine Folge. Gemäß § 176 Abs. 1 Z 6 ASVG seien den Arbeitsunfällen gleichgestellte Unfälle solche, die sich bei einer betrieblichen Tätigkeit ereignen, wie sie sonst ein nach § 4 ASVG Versicherter versehe, auch wenn dies nur vorübergehend geschehe. Die durch die bloß zufällige Anwesenheit der Klägerin im Geschäft ihres Mannes veranlaßte Absicht, ein Telefonat entgegenzunehmen, sei als spontane kurze Hilfeleistung und nicht als ernstliche ins Gewicht fallende betriebliche Tätigkeit, die als Arbeit zu verstehen sei, anzusehen. Es fehle wegen der Kürze auch das Erfordernis der Einordenbarkeit unter mögliche Weisungen des Betriebsinhabers. Die faktische Handlung habe keine Möglichkeit eröffnet, nach den den Arbeitsvorgang bestimmenden Weisungen des Unternehmers tätig zu sein, wie dies unter Umständen bei einem aktiven Telefongespräch der Fall sein könnte.

Das Tragen der Ausverkaufsware vom ersten Stock in das Verkaufslokal sei zwar grundsätzlich anders zu beurteilen. Auch wenn diese Tätigkeit nach Dienstschluß stattgefunden habe, so könnte doch die Fertigstellung einer begonnenen Arbeit unter Versicherungsschutz stehen, wenn dazu eine betriebliche Notwendigkeit bestanden hätte. Behauptungen darüber, daß der Arbeitsvorgang noch nach Geschäftsschluß vom Unternehmer geplant oder notwendig gewesen wäre, seien von der beweispflichtigen Klägerin nicht aufgestellt worden. Eine Einordnung in den Betrieb wäre nur dann anzunehmen, wenn eine vom Unternehmer erkennbar zum Ausdruck gebrachte Absicht bestanden hätte, diese Arbeiten fertigzustellen oder wenn diese Arbeiten nach der Sachlage objektiv notwendig oder unaufschiebbar gewesen wären. Eine bloß eigenmächtige, wenn auch nützliche Hilfeleistung außerhalb der Geschäftszeit und ohne erkennbare Notwendigkeit auf Grund des üblichen Geschäftsablaufes sowie ohne unmittelbare Einordnung in das Unternehmen könne nicht als normale betriebliche Tätigkeit, die sonst von Arbeitnehmern verrichtet werde, angesehen werden. Es müsse daher von einem reinen Gefälligkeitsakt ausgegangen werden, der nicht unter Versicherungsschutz stehe.

Rechtliche Beurteilung

Der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Revision kommt Berechtigung zu.

Nach § 176 Abs. 1 Z 6 ASVG sind Unfälle, die sich bei einer betrieblichen Tätigkeit ereignen, wie sie sonst ein nach § 4 Versicherter ausübt, auch wenn dies nur vorübergehend geschieht, Arbeitsunfällen gleichgestellt. Es entspricht der ständigen Judikatur des Obersten Gerichtshofes, daß für das Vorliegen einer betrieblichen Tätigkeit wesentlich ist, daß es sich um eine, wenn auch nur kurzfristige Arbeit handelt, die hiefür erbrachte Arbeitsleistung dem ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entspricht und für ihn von wirtschaftlicher Bedeutung ist. Es muß sich um eine ernstliche, dem in Frage stehenden Unternehmen dienende Tätigkeit handeln und es muß durch diese Tätigkeit ein innerer ursächlicher Zusammenhang mit dem Unternehmen hergestellt sein (SZ 42/39). Unter einer ernstlichen Arbeit versteht man Handlungen, die sonst in dem Betrieb anfallen und die üblicherweise von einem Arbeitnehmer im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses verrichtet werden. Erforderlich ist, daß der Unfallbetroffene in den fremden Betrieb eingegliedert war. Die Beweggründe der Tätigkeit im Sinne des § 176 Abs. 1 Z 6 ASVG sind dabei unmaßgeblich (SSV-NF 1/17 mwN). Ein Verhältnis persönlicher oder wirtschaftlicher Abhängigkeit zum Unternehmen ist ebensowenig erforderlich wie Weisungsgebundenheit. Leistet jemand Hilfe nur vorübergehend und aus Gefälligkeit, so steht es ihm zwar frei, seine Tätigkeit einzustellen und seine weitere Mitarbeit zu verweigern. So lange er aber an der Ausführung des Planes des Unternehmers mit dessen ausdrücklichem oder nach der Sachlage zu vermutenden Willen mitwirkt, zeigt er damit seine Bereitschaft, sich den dazu erforderlichen Weisungen des Unternehmers zu fügen (SZ 48/50 ua). War der Helfer mit den im Rahmen seiner Hilfstätigkeit auszuführenden Arbeiten so vertraut, daß er zu ihrer Verrichtung keiner Weisung mehr bedurfte, so stellt sich bereits die den innerbetrieblichen Gepflogenheiten entsprechende Tätigkeit als "betriebliche Tätigkeit" im Sinne des Gesetzes dar. Ob diese Tätigkeit dem Unternehmen nützlich sein konnte, muß aus ihrem Zweck erschlossen werden (SZ 52/66).

Alle diese Voraussetzungen treffen im vorliegenden Fall zu. Eine nur kurz dauernde Tätigkeit ist geradezu typisch für die Anwendbarkeit des § 176 Abs. 1 Z 6 ASVG. Wenn die Klägerin auch nur zufällig, also ohne ausdrückliches Ersuchen des Unternehmers in dessen Geschäft anwesend war, so war sie doch wegen ihrer gelegentlichen Aushilfe und auch als Ehefrau des Unternehmers mit den geschäftlichen Gepflogenheiten vertraut und entfaltete ihre Tätigkeit sowohl als sie das Telefon bedienen wollte, als auch beim beabsichtigten Einräumen von schon vorbereiteter Ausverkaufsware in das Geschäftslokal auch nach objektiven Gesichtspunkten nach dem mutmaßlichen Willen des Unternehmers. Beide Tätigkeiten stellen sich als solche dar, wie sie üblicherweise von einem Arbeitnehmer verrichtet werden; es kann wohl nicht bezweifelt werden, daß beide Unfälle, wären sie einem Angestellten unterlaufen, unter Versicherungsschutz stünden - und waren jedenfalls im betrieblichen Interesse. Daß durch die freiwilligen Tätigkeiten auch ein objektiver Nutzen erzielt wird, ist nicht erforderlich. Die beiden Unfälle der Klägerin erfüllen daher alle Kriterien des § 176 Abs. 1 Z 6 ASVG.

Da wegen der abweichenden Rechtsansicht der Vorinstanzen keine Feststellungen zum Leistungsbegehren vorliegen - hiezu wird die Klägerin aufzufordern sein, ihr Begehren hinsichtlich der Art der begehrten Leistung (Kuderna, Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz Erl 4 zu § 82) zu präzisieren - konnte nur ein Teilurteil gefällt werden, im übrigen aber ist das Verfahren noch ergänzungsbedürftig. Da die Klägerin bereits teilweise obsiegt hat, waren ihr die halben verzeichneten Kosten zuzusprechen, der Vorbehalt der weiteren Kosten beruht auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E16103

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:010OBS00212.88.1206.000

Dokumentnummer

JJT_19881206_OGH0002_010OBS00212_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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