TE OGH 1988/12/6 2Ob149/88

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Veröffentlicht am 06.12.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik, Dr.Vogel, Dr.Melber und Dr.Kropfitsch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Helga E***, Invaliditätspensionistin, 4600 Wels, Raslweg 2, vertreten durch Dr.Günter Kottek, Rechtsanwalt in Wels, wider die beklagten Parteien 1./ Robert Horst R***, Tischler, 4600 Wels, Holterstraße 17, 2./ D*** A*** V***-Aktiengesellschaft, 1010 Wien,

Schottenring 15, beide vertreten durch Dr.Hans Maxwald und Dr.Georg Maxwald, Rechtsanwälte in Linz, wegen S 275.000,-- sA und Feststellung, infolge Revisionen der klagenden Partei und der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 1.Juli 1988, GZ 6 R 115/88-29, womit infolge Berufungen der klagenden Partei und der beklagten Parteien das Urteil des Kreisgerichtes Wels vom 12.Februar 1988, GZ 6 Cg 153/87-21, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Keiner der Revisionen wird Folge gegeben.

Die Klägerin ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 3.737,08 (darin keine Barauslagen und S 339,73 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Hingegen sind die beklagten Parteien zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin die mit S 8.721,07 (darin keine Barauslagen und S 792,82 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 3.August 1985 ereignete sich gegen 23 Uhr auf der Niederlaaber Gemeindestraße in Schickenhäuser, Gemeinde Buchkirchen, ein Verkehrsunfall, bei dem die Klägerin als Mitfahrerin in dem vom Erstbeklagten gelenkten PKW Audi 80, Kennzeichen O-516.157, schwer verletzt wurde. Die Zweitbeklagte war im Unfallszeitpunkt Haftpflichtversicherer des PKWs des Erstbeklagten. Der strafgerichtlich rechtskräftig verurteilte Erstbeklagte hat diesen Unfall insbesondere dadurch verschuldet, daß er wegen überhöhter Geschwindigkeit von der Fahrbahn abgekommen ist. Außerdem war er zum Unfallszeitpunkt alkoholisiert (Mindestwert: 0,91 %o bei einem durch den im Zivilverfahren beigezogenen Sachverständigen ermittelten Wert von 1,15 - 1,20 %o). Der Erstbeklagte war im Unfallszeitpunkt auch nicht im Besitz einer Lenkerberechtigung, welcher Umstand der Klägerin bekannt war. Der Klägerin wurde im Strafverfahren ein Teilschmerzengeld von S 3.000,-- zugesprochen. Unter Einbeziehung dieses Betrages hat die Zweitbeklagte am 28.2.1986 einen Teilbetrag von S 50.000,-- an die Klägerin überwiesen. Mit Anerkenntnisteilurteil vom 30.6.1987 ist im Rahmen des Zivilverfahrens ein weiterer Schmerzengeldbetrag von S 50.000,-- zugesprochen worden.

Die Klägerin begehrte im gegenständlichen Rechtsstreit auf Grund des obgenannten Unfalls ein Gesamtschmerzengeld in Höhe von S 1,200.000,--, wovon zwei geleistete Teilzahlungen in Höhe von je S 50.000,-- in Abzug gebracht wurden, so daß letztlich aus diesem Titel der Zuspruch eines Betrages von S 1,100.000,-- begehrt wurde. Außerdem begehrte die Klägerin den Zuspruch einer Verunstaltungsentschädigung in Höhe von S 200.000,--, sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige aus dem gegenständlichen Unfall allenfalls noch entstehende Schäden. Die Klägerin brachte vor, daß der Unfall vom Erstbeklagten allein verschuldet worden sei. Ein Mitverschulden könne die Klägerin nicht treffen, da weder die Alkoholisierung des Erstbeklagten noch der Nichtbesitz des Führerscheins für die Unfallsverletzungen der Klägerin kausal gewesen seien. Der Erstbeklagte habe über eine ausreichende Fahrpraxis verfügt. Seine Alkoholisierung sei für die Klägerin nicht erkennbar gewesen.

Die Beklagten bestritten die Forderungen der Klägerin als überhöht bzw überhaupt als unberechtigt und wendeten ein Mitverschulden der Klägerin im Ausmaß eines Drittels ein. Die Klägerin hätte die Alkoholisierung des Erstbeklagten und seine damit verbundene Fahruntüchtigkeit vor Antritt der Unglücksfahrt erkennen können; sie habe auch gewußt, daß er keinen Führerschein besitze. Das Erstgericht sprach der Klägerin mit Endurteil vom 12.Februar 1988 S 500.000,-- sA zu und stellte fest, daß die Beklagten der Klägerin für alle künftig auftretenden Schäden aus dem gegenständlichen Verkehrsunfall im Ausmaß von drei Vierteln zu haften hätten, die Zweitbeklagte jedoch nur bis zur Höhe des Deckungsfonds aus dem zwischen dem Erstbeklagten und der Zeitbeklagten hinsichtlich des PKWs Audi 80, Kennzeichen O-516.157, bestehenden Haftpflichtversicherungsvertrag. Das Mehrbegehren wurde abgewiesen.

Das Erstgericht ging im wesentlichen von nachstehendem Sachverhalt aus: Die am 15.2.1966 geborene Klägerin erlitt bei dem Unfall am 3.8.1985 - soweit zunächst diagnostiziert - ein schweres Schädel-Hirn-Trauma, nämlich einen offenen Schädelbruch mit beidseitiger temporobasaler Fraktur und einer 6 - 7 cm messenden schräg verlaufenden Rißquetschwunde. Es bestanden diffuse Hirnkontusionen mit Aphasie (Sprechstörungen) und Ataxie (Störungen der Koordination von Muskelbewegungen) sowie eine Schwerhörigkeit rechts; außerdem bestand eine leichte Lähmung des nervus oculomotorius links und es waren auch diskrete Halbseitenzeichen und eine rechtsseitige Facialislähmung vorhanden. Darüber hinaus hatte die Klägerin mehrfache Wunden im Bereich des rechten Armes (Oberarm, Ellenbogen und Unterarm) und eine Prellung des rechten Handrückens erlitten. Im Bereich beider Kniescheiben bestanden Hautabschürfungen (und auch Bänderzerrungen ohne Bandlockerung). Es bestand zunächst äußerste Lebensgefahr und ein schwerer Schockzustand. Die Klägerin lag 45 Tage auf der Intensivstation und befand sich annähernd drei Wochen im Koma. Während dieser Zeit konnte sie ihre Situation subjektiv nicht voll erfassen, jedoch kam es allmählich zu einer Aufhellung der Bewußtseinslage, so daß die Klägerin ihre Situation in zunehmendem Maße erkannte; dies war zunächst mit der Empfindung von Todesangst verbunden. Gleich zu Beginn der Krankenhausbehandlung wurden vier Trepanationsbohrlöcher gemacht, um eine allfällige epidurale oder subdurale Blutung zu beherrschen; aus dem rechten Arm wurden mehrere Glassplitter entfernt. Eine Acidose wurde durch das Spritzen einer Bicarbonatlösung beherrscht. Der Zustand der Klägerin stabilisierte sich nur sehr langsam und es traten verschiedene Komplikationen (zB Blasenentzündung durch den Katheter) und Verschlechterungen des Gesundheitszustandes (zB auch auf Grund einer am 8.9.1985 durchgeführten Computer-Tomographie) auf. Es wurde ein Mittelhirnsyndrom II/III festgestellt, welches allmählich einem apallischen Syndrom und einem organischen Psychosyndrom gewichen ist. Der Harnkatheter konnte am 2.9.1985 entfernt werden. Die Klägerin hatte Schluckschwierigkeiten, konnte allerdings bereits im September 1985 festere Nahrung zu sich nehmen. Es bestand bei ihr dann eine allgemeine Spastizität und eine deutliche Dysarthrie (Sprachstörung). Nachdem eine gewisse Kreislaufstabilität erreicht war, wurde die Klägerin am 17.9.1985 von der Intensivstation auf die Unfallstation des Krankenhauses Wels verlegt. Sie konnte gegen Ende September einzelne Worte sprechen und bekam eine intensive logopädische Behandlung, die allerdings mit sehr starken Verzögerungen verbunden war. Die Klägerin hatte schwere Gleichgewichtsstörungen und es bestanden Hemiparesezeichen links armbetont, rechts beinbetont mit Atexien und Gleichgewichtsstörungen. Daher wurde die Mobilisierung zunächst nur mit Gehbänkchen durchgeführt und war erst viel später mit zwei Stützkrücken möglich. Erst allmählich lernte die Klägerin, ohne Stock zu gehen, hat aber jetzt noch Schwierigkeiten, insbesondere beim Laufen und raschen Gehen oder beim Stiegensteigen (abwärts). Bei der Unfallaufnahme wurde eine Wirbelsäulenverletzung nicht festgestellt, jedoch später ein Bruch des 6.Halswirbels diagnostiziert mit Veränderungen der Deckplatte, wobei die Bruchlinie auch offenbar in den Wirbelkörper gegangen war. Der erste Krankenhausaufenthalt der Klägerin dauerte vom 4.8. bis 13.12.1985 und es erfolgte dann in der Zeit vom 8.1. bis 10.1.1986 eine stationäre Nachuntersuchung. Vom 19.8. bis 6.12.1986 erfolgte eine intensive Behandlung im Rehabilitationszentrum Wien-Meidling, wobei in erster Linie Heilgymnastik und eine logopädische Behandlung durchgeführt wurden. Bei der Klägerin traten Stimmbandknötchen auf, die sich offenbar auf kleine Granulome aufgesetzt hatten, welche sich wiederum durch die Intubation gebildet hatten. Die wesentlichen Folgen bzw Auswirkungen des festgestellten mittelgradigen Psychosyndroms sind neben der Störung der Sprache auch eine Verlangsamung des Gedankenganges, eine leichtere emotionale Erregbarkeit, eine verzögerte Reaktionsgeschwindigkeit, eine Beeinträchtigung der sensomotorischen Umstellbarkeit, eine verminderte Konzentrationsleistung und eine erhöhte Ermüdbarkeit. Insgesamt gesehen kann man von einer Hirnleistungsschwäche sprechen, die weitere Konzentrations- und Reaktionsübungen erforderlich macht. Wegen dieser Verletzungsfolgen bezieht die Klägerin nicht nur eine Pension von der P***, sondern auch den Hilflosenzuschuß. Die Klägerin, die Krankenschwester werden wollte, kann keinen Beruf ausüben. Sie hat nach der Hauptschule eine zweijährige Schule für den Sozialdienst besucht. Da sie die Krankenschwesternausbildung erst mit 18 Jahren beginnen konnte, hat sie zwischenzeitig die Friseurlehre (teilweise) absolviert; im Herbst 1985 sollte sie zur Lehrabschlußprüfung antreten. Die Klägerin, die vor dem Unfall ein normales junges Mädchen war, kann jetzt kaum Kontakt zu anderen Menschen (insbesondere gleichaltrigen) herstellen bzw aufrecht erhalten. Die mit dem Erstbeklagten bestandene Verlobung wurde zu Weihnachten 1986 aufgelöst (durch den Erstbeklagten, nach dessen Meinung das Verhalten des Vaters der Klägerin dazu beigetragen hat). Die Klägerin, die nach wie vor unverheiratet ist, geht zwar gelegentlich (etwa einmal in der Woche) aus (unter anderem auch in eine Diskothek), jedoch kann sie weder Tanzen (was sie früher häufig gemacht hat), noch kann sie die von ihr angestrebten Kontakte herstellen. Sie ist sich ihrer Behinderungen bzw der drastischen Änderung ihrer Psyche durchaus schmerzhaft bewußt. Dadurch werden wiederum Depressionen ausgelöst. Für Außenstehende ist am auffälligsten die schwankende und unsichere Gehweise (Gleichgewichtsstörungen), eine verlangsamte Reaktion und vor allem eine langsame, schlecht artikulierte, bemühte, an einen Spastiker erinnernde Sprechweise. Außerdem hat die Klägerin auf der Stirne rechts eine sichtbare Eindellung, die allerdings durch eine plastische Operation korrigierbar ist. Weitere Narben im Kopfbereich sind durch den Haarwuchs verdeckt. Darüber hinaus besteht eine Lidspaltenverengung links und ein Zurückbleiben des rechten Mundwinkels (jeweils nicht besonders auffallend); im Bereich des rechten Armes sind zahlreiche Narben vorhanden (durch kosmetische Operation korrigierbar). Da unfallskausal ein Teil der Ganglienzellen bzw der Hirnsubstanz ausgefallen ist, kann es in Hinkunft besonders zu Gehirnveränderungen im Sinne einer zunehmenden Hirnatrophie kommen; zu erwarten ist allerdings eher eine gewisse Beruhigung, Stabilisierung und weitere Besserung. In geraffter Darstellung hat die Klägerin unfallsbedingt durch etwa 45 Tage hindurch starke Schmerzen erlitten, durch 90 Tage mittelstarke Schmerzen und durch ein Jahr hindurch leichte Schmerzen (einschließlich der überschaubaren Restbeschwerden). Insbesondere der Schmerzzeitraum von einem Jahr stellt lediglich einen Richtwert dar, zumal in diesem Fall überhaupt (ausnahmsweise) die psychischen Schmerzen bei den angeführten Schmerzperioden bereits berücksichtigt sind; dies deshalb, da die psychischen Beeinträchtigungen das Schwergewicht der Unlustgefühle der Klägerin darstellen. Der Erstbeklagte hatte zum Unfallszeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von 1,15 bis 1,20 Promille. Er hatte während des dem Unfall vorangegangenen Gasthausbesuches drei halbe Liter Bier getrunken. Während dieser Zeit war die Klägerin ständig neben ihm gesessen. Er war aber durch diesen Alkoholkonsum nicht erkennbar alkoholisiert. Der Erstbeklagte hatte zum Unfallszeitpunkt zwar bereits die Fahrschule mit 10 Fahrstunden absolviert, aber den Führerschein noch nicht erlangt. Er war bei der theoretischen Prüfung durchgefallen, so daß er zur praktischen Prüfung gar nicht mehr antreten durfte.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß die Unfallsverletzungen der Klägerin und die daraus resultierenden Folgen ein Schmerzengeld in Höhe von rechnungsmäßig insgesamt S 650.000,-- rechtfertigten. Die massive Verunstaltung der Klägerin stelle eine wesentliche Behinderung in ihrem besseren Fortkommen dar und es sei die Verunstaltungsentschädigung der Höhe nach mit einem Betrag von S 150.000,-- auszumessen. Der Mitverschuldensanteil der Klägerin, um welchen die für Schmerzengeld und Verunstaltungsentschädigung als angemessen erachteten Beträge zu kürzen seien, erreiche ein Ausmaß von 25 %. Die Klägerin habe sich einem Fahrzeuglenker anvertraut, von dem sie auf Grund des beobachteten Alkoholkonsums annehmen mußte, daß seine Fahruntüchtigkeit beeinträchtigt sei und von dem sie überdies wußte, daß er keinen Führerschein besaß. Da der Alkoholisierungsgrad nicht besonders stark war und der Erstbeklagte, obwohl er keinen Führerschein besaß, sich bereits eine gewisse Fahrpraxis durch den Besuch einer Fahrschule erworben hatte, sei das Mitverschulden der Klägerin doch nicht sonderlich schwer zu bewerten und übersteige demnach nicht das Ausmaß von insgesamt 25 %.

Die Berufungen der Klägerin und der Beklagten blieben erfolglos; das Berufungsgericht sprach aus, daß der von der Bestätigung betroffene Wert des Streitgegenstandes S 60.000,-- und der Wert des Streitgegenstandes, über den das Berufungsgericht insgesamt entschieden hat, S 300.000,-- übersteigen; ausgehend von den unbekämpften Feststellungen des Erstgerichtes billigte es auch dessen rechtliche Beurteilung.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wenden sich die Revisionen die Klägerin und der Beklagten aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung; während die Klägerin unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von einem Viertel Abänderung im Sinne des Zuspruches eines weiteren Schmerzengeldes von S 75.000,-- beantragt, streben die Beklagten eine Schadensteilung im Verhältnis von 1 : 2 zu ihren Lasten und demgemäß Abänderung im Sinne der Feststellung ihrer Haftung für die künftigen Unfallsfolgen der Klägerin im Umfang von zwei Dritteln sowie, ausgehend von einem Gesamtbetrag von rechnerisch S 500.000,-- an Schmerzengeld und S 100.000,-- an Verunstaltungsentschädigung, unter Bedachtnahme auf die erfolgten Teilzahlungen von S 100.000,-- Abänderung im Sinne des Zuspruches von S 300.000,-- sA und Abweisung des Mehrbegehrens an. Die Klägerin und die Beklagten beantragen in ihren Revisionsbeantwortungen, der Revision der Gegenseite nicht Folge zu geben.

Keine der Revisionen ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1./ Zur Revision der Klägerin:

Die Klägerin erachtet unter Berücksichtigung ihrer schweren lebensgefährlichen Verletzungen, der langen Schmerzperioden, des komplizierten Heilungsverlaufes und der überaus schwerwiegenden unfallsbedingten Dauerschäden, die ihr nicht nur eine Berufsausübung unmöglich machen, sondern auch im privaten Bereich die Aufnahme von Kontakten zu anderen Menschen beträchlich erschweren und schwerwiegende psychische Beeinträchtigungen nach sich ziehen, ein Gesamtschmerzengeld von rechnerisch S 750.000,-- für gerechtfertigt. Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden.

Bei der Bemessung des Schmerzengeldes sind nach ständiger Rechtsprechung die Art und Schwere der Körperverletzung, die Art, Intensität und Dauer der Schmerzen sowie die Dauer der Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes des Verletzten überhaupt und ferner die damit verbundenen Unlustgefühle zu berücksichtigen (Jarosch-Müller-Piegler, Das Schmerzengeld5 176 mwN). Werden diese Grundsätze auf den im vorliegenden Fall festgestellten Sachverhalt angewendet und wird berücksichtigt, daß die Klägerin lebensgefährliche Verletzungen erlitten hat, die langdauernde Schmerzperioden und einen langwierigen, komplizierten Heilungsverlauf verursachten und daß sie durch die aus ihren Unfallsverletzungen resultierenden Dauerschäden lebenslänglich schwer beeinträchtigt ist und nunmehr keinen Beruf mehr ausüben kann sowie daß sie sich ihrer Behinderung bzw der drastischen Änderung ihrer Psyche durchaus schmerzhaft bewußt ist, kann in der vom Berufungsgericht vorgenommenen Bemessung des Schmerzengeldes mit rechnerisch insgesamt S 650.000,-- keine unrichtige rechtliche Beurteilung erblickt werden.

Der Revision der Klägerin war daher ein Erfolg zu versagen.

2./ Zur Revision der Beklagten:

Die Beklagten erachten mit Rücksicht darauf, daß die Klägerin in Kenntnis der Alkoholisierung des Erstbeklagten war, mit dem sie gemeinsam ein Gasthaus besucht und den Bierkonsum des Erstbeklagten von drei halben Litern Bier beobachtet hatte, und überdies wußte, daß der Erstbeklagte keine Lenkerberechtigung besaß und sich ihm dennoch zur Heimfahrt um 23 Uhr anvertraut hatte, ein Mitverschulden von einem Drittel zu vertreten habe.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden. Nach ständiger Rechtsprechung trifft den Fahrgast, der sich einem infolge Alkoholgenusses fahruntüchtigen Lenker anvertraut und bei einem von diesem verschuldeten oder mitverschuldeten Unfall Schaden erleidet, nur dann ein Mitverschulden, wenn er von der die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigenden Alkoholisierung Kenntnis hatte oder aus den Umständen Kenntnis haben mußte (vgl ZVR 1968/37; ZVR 1969/294; ZVR 1976/10 uva). Die Frage, ob jemand Kenntnis von einem bestimmten Sachverhalt hat, ist eine Tatfrage. Ob die Alkoholisierung des Fahrers durch den Fahrgast bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte erkannt werden müssen, ist hingegen eine Rechtsfrage. Die Erkennbarkeit einer derartigen Alkoholisierung kann sich für den Fahrgast entweder aus dem wahrnehmbaren Verhalten des Lenkers oder daraus ergeben, daß ihm die vom Lenker genossenen Alkoholmengen bekannt waren. Es ist nach den Umständen des Einzelfalles zu prüfen, ob der Fahrgast bei Berücksichtigung der Erfahrungen des täglichen Lebens damit rechnen mußte, daß sich der Lenker durch den Alkoholgenuß in einem seine Fahrtüchtigkeit beeinträchtigenden Zustand befinde. Zweifel darüber, ob diese Annahme gerechtfertigt gewesen wäre, gehen zu Lasten desjenigen, den die Beweispflicht für das Mitverschulden des Fahrgastes trifft (vgl ZVR 1969/294; ZVR 1970/33; ZVR 1978/306 ua).

Werden diese Grundsätze auf den im vorliegenden Fall festgestellten Sachverhalt angewendet und wird berücksichtigt, daß die im Unfallszeitpunkt knapp volljährige Klägerin im Auto ihres Verlobten in dem Bewußtsein mitgefahren ist, daß dieser zwar den Führerschein noch nicht erlangt hat, doch bereits eine gewisse Fahrpraxis besitzt und bereits eine Fahrschulausbildung hinter sich hat, und die Alkoholisierung des Erstbeklagten für die Klägerin nur insofern erkennbar war, als der Erstbeklagte in ihrer Gegenwart drei halbe Liter Bier getrunken hatte und sie bei gehöriger Aufmerksamkeit aus diesem Alkoholkonsum hätte erschließen können, daß der Erstbeklagte bei Antritt der Fahrt einen 0,8 %o übersteigenden Blutalkoholgehalt habe, vermag das Revisionsgericht unter Bedachtnahme auf die Umstände des gegenständlichen Falles in der Bemessung der Mitverschuldensquote der Klägerin mit einem Viertel keine Fehlbeurteilung des Berufungsgerichtes zu erblicken. Soweit die Beklagten ein Gesamtschmerzengeld von rechnerisch S 500.000,-- für angemessen erachten, sind sie auf die Ausführungen des Revisionsgerichtes zur Revision der Klägerin zu verweisen. Zur Höhe der Verunstaltungsentschädigung vertreten die Beklagten ausschließlich die Ansicht, daß schon bei der Bemessung des Schmerzengeldes psychische Einschränkungen der Klägerin berücksichtigt worden seien. Darüber hinaus sei festgestellt worden, daß die Klägerin etwa einmal in der Woche ausgehe, vor allem in Diskotheken; sie könne zwar nicht tanzen und die von ihr angestrebten Kontakte nicht herstellen. Gerade dieser Umstand sei aber ein Indiz dafür, daß offenbar die Klägerin in ihrem außeren Erscheinungsbild nicht gehindert sei, öffentliche Lokale, insbesondere Diskotheken aufzusuchen und daß sie offensichtlich trotz ihrer Behinderung willens und fähig sei, dies durchzuführen. Es sei daher der Zuspruch einer Verunstaltungsentschädigung von rechnerisch insgesamt S 100.000,-- hinreichend und gerechtfertigt. Auch in diesem Punkt kann der Revision nicht gefolgt werden. § 1326 ABGB bestimmt, daß bei Verunstaltungsentschädigung durch eine Körperverletzung auch Ersatz für die Verhinderung des besseren Fortkommens zu leisten ist. Die Verhinderung des besseren Fortkommens stellt einen besonderen Vermögensschaden dar, der daher neben dem Schmerzengeld wegen der Körperverletzung zu ersetzen ist. Der Schaden besteht im Entfall einer Verbesserung der Lebenslage; dazu gehören vor allem verschlechterte Berufsaussichten, aber auch der Entgang von Heiratschancen (vgl ZVR 1968/59 ua). Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, daß die auffällige schwankende und unsichere Gehweise sowie die sichtbare Eindellung der Stirne, die Lidspaltenverengung links und ein Zurückbleiben des rechten Mundwinkels sowie Narben im Bereich des rechten Armes zweifelsfrei das äußere Erscheinungsbild der Klägerin betreffen und die Klägerin hiedurch optisch beeinträchtigt ist, auch wenn die Eindellung der Stirne und die Narben des rechten Armes allenfalls durch eine kosmetische Operation noch korrigiert werden könnten. Darüber hinaus ist auch die Sprachstörung der Klägerin als Beeinträchtigung der äußeren Erscheinung und damit als Verunstaltung zu werten (vgl ZVR 1978/184 ua). Unter Bedachtnahme auf diese Umstände erscheint die vom Berufungsgericht zugesprochene Verunstaltungsentschädigung im Betrage von rechnerisch insgesamt S 150.000,-- nicht überhöht.

Es war daher auch der Revision der Beklagten ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E16182

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0020OB00149.88.1206.000

Dokumentnummer

JJT_19881206_OGH0002_0020OB00149_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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