TE OGH 1988/12/13 4Ob603/88

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Veröffentlicht am 13.12.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichthofes Prof. Dr. Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith, Dr. Kodek, Dr. Niederreiter und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Edith Grete B***, geboren am 6. November 1941 in Wien, Angestellte, Wien 10, Bleigasse 14/2/4, vertreten durch Dr. Ferdinand Pieler, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Adolf Karl B***, geboren am 2. Mai 1941 in Wien, Versicherungsangestellter, Wien 10, Bleigasse 14/2/4, vertreten durch Dr. Walter Mardetschläger und Dr. Peter Mardetschläger, Rechtsanwälte in Wien, wegen Ehescheidung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 16. Juni 1988, GZ 44 R 5008/88-19, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Favoriten vom 15. März 1988, GZ 1 C 1046/87-14, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:

Spruch

1. Der Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung vor dem Revisionsgericht wird abgewiesen.

2. Der Revision wird Folge gegeben; das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 10.594,85 S bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin enthalten 1.538 S Barauslagen und 823,35 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben am 4. Juni 1965 vor dem Standesamt Wien-Margareten die beiderseits erste Ehe geschlossen; ihr entstammt die am 26. März 1968 geborene Tochter Alexandra. Beide Streitteile sind österreichische Staatsbürger; sie haben einen gemeinsamen Wohnsitz in Wien.

Mit der am 14. August 1987 eingebrachten Klage begehrt die Klägerin die Scheidung der Ehe aus dem alleinigen Verschulden des Beklagten. Der Beklagte habe schon vor ca. 9 Jahren ein zwei bis drei Jahre andauerndes Verhältnis zu einer anderen Frau angeknüpft und mit dieser die Ehe mehrfach gebrochen. Er habe dieses Verhältnis vor 6 Jahren aufgegeben; die Streitteile hätten sich versöhnt und versucht, die Ehe wieder fortzusetzen. Vor etwa 2 Jahren sei die Klägerin aber "draufgekommen", daß der Beklagte Beziehungen zu einer anderen Frau unterhalte. Die Streitteile hätten im Oktober 1986 in ihrem Urlaub in Italien Marianne M*** kennengelernt und sie 14 Tage nach Urlaubsende in München besucht. Am letzten Tag ihres Aufenthaltes habe die Klägerin den Beklagten im Bademantel und Marianne M*** im Nachthemd und Schlafrock "eng umschlungen schmusend" überrascht. Der Beklagte habe sich bis heute bei der Klägerin nicht entschuldigt. Der letzte Geschlechtsverkehr zwischen den Streitteilen habe am 26. Oktober 1987 stattgefunden. Die Klägerin habe mit Rücksicht auf die Ende des Schuljahres 1986/87 stattfindende Reifeprüfung der Tochter mit ihrer Scheidungsklage zugewartet. Seit dem "Vorfall in München" herrsche zwischen den Streitteilen ein sehr gespanntes Verhältnis. Der Beklagte lehne es ab, in der Wohnung "irgend etwas zu machen"; er repariere nichts mehr und lasse auch nichts mehr reparieren, so etwa weder die im Oktober kaputtgegangene Geschirrspülmaschine noch die reparaturbedürftigen Fenster. Er komme seither nur noch zum Schlafen nach Hause und erkläre dies damit, daß er geschäftlich unterwegs oder bis 20 oder 22 Uhr im Büro gewesen sei; dort könne er aber telefonisch nicht erreicht werden. Nunmehr habe die Klägerin auch feststellen müssen, daß der Beklagte bereits im November 1985 ihre Zeichnungsberechtigung für sein Gehaltskonto habe löschen lassen. Dem Beklagten sei "Lieblosigkeit und Vernachlässigung" vorzuwerfen; er entziehe sich in seiner Freizeit und an den Wochenenden der ehelichen Gemeinschaft, gehe fischen und besuche im Winter an Samstagen morgens den Flohmarkt, dann die Marchfelder-Sauna und kehre erst um 19 oder 20 Uhr zurück. Am Abend des 4. August 1987 habe der Beklagte erklärt, er fahre einige Tage auf Urlaub nach Kärnten, um sich dort die Fischereimöglichkeiten anzusehen. Er sei aber am darauffolgenden Montag nicht zurückgekehrt, habe sich in Wahrheit seinen Urlaub um eine Woche verlängern lassen und dies der Klägerin erst anläßlich eines Anrufes am 11. August 1987 mitgeteilt. Ehewidrige Beziehungen des Beklagten zu Marianne M*** hätten auch im Juni/Juli 1987, insbesondere in Abano, stattgefunden (ON 4 S 41).

Der Beklagte bestritt die ihm zur Last gelegten Eheverfehlungen; für den Fall der Scheidung stellte er den Antrag, das überwiegende Verschulden der Klägerin an der Zerrüttung der Ehe auszusprechen. Diese habe ihn vernachlässigt und sei zu ihm lieblos gewesen. Sie wolle deshalb geschieden werden, weil sie schon seit längerer Zeit ehewidrige Beziehungen zu Ing. Karl W*** unterhalte, mit dem sie auch einen Teil ihrer Freizeit verbringe. Der Beklagte habe selbst mitansehen müssen, wie die beiden im Auto Küsse und Zärtlichkeiten ausgetauscht hätten. Er werde von der Klägerin auch immer wieder auf ordinärste Weise mit dem "Götz-Zitat" und Ausdrücken wie "Arschloch" etc. beschimpft. Der Beklagte habe seine krebskranke und am 25. Juli 1987 verstorbene Mutter vor März 1987 teilweise und danach voll betreuen und pflegen müssen. Die Klägerin habe immer gewußt, wo er sich aufhielt; sie habe aber kein Verständnis dafür gezeigt, daß ein Sohn für die Betreuung seiner Mutter sorge. In den letzten Wochen habe die Klägerin Arbeitskollegen des Beklagten angerufen und Ehegeheimnisse ausgeplaudert, wodurch der Beklagte dem Spott ausgesetzt gewesen sei (ON 9 S 69).

Das Erstgericht schied die Ehe aus dem alleinigen Verschulden des Beklagten und ging dabei von folgenden Tatsachenfeststellungen aus:

Die Streitteile hatten sich bereits im Jahre 1958 als Arbeitskollegen bei der "I***" kennengelernt und gemeinsame Urlaube verbracht. Nach der Geburt der Tochter - einem Wunschkind - blieb die Klägerin bis 1978, als sie wiederum einen Halbtagsposten bei der Z*** annahm, zu Hause. Bis dahin verlief die Ehe durchaus normal.

1978 knüpfte der Beklagte zu der um ca. 14 Jahre jüngeren Christa B*** eine Beziehung an. Er traf sich mit dieser Bürokollegin beim Tennisspielen und beim Heurigen. Zwischen den beiden kam es zu Vertraulichkeiten (Spazierengehen Hand in Hand), die sich aber außerhalb der sexuellen Sphäre hielten. Eine intime geschlechtliche Beziehung zwischen dem Beklagten und Christa B*** ist nicht erwiesen. Ab 1978 verhielt sich der Beklagte der Klägerin gegenüber zudem lieb- und gefühllos; er vernachlässigte sie, indem er den Großteil seiner Freizeit allein verbrachte. Nach dem Ende seiner Beziehung zu Christa B*** besserte sich zwar die Situation, dies aber nur für kurze Zeit.

Im Oktober 1986 lernte der Beklagte während eines Kuraufenthaltes der Streitteile in Abano die Münchnerin Marianne M*** kennen. Die beiden entwickelten füreinander - vor allem durch ihre gemeinsame Vorliebe für klassische Musik, über die sie sich intensiv unterhielten - Sympathie und Interesse. Die Streitteile hatten wegen des Kurbetriebes getrennte Schlafzimmer. Der Beklagte war manchmal im Zimmer der Marianne M***. 14 Tage nach dem Ende des Kuraufenthaltes besuchten die Streitteile Marianne M*** auf deren Einladung in ihrer Münchener Wohnung; die Eheleute schliefen dort in den Ehebetten, Marianne M*** im Wohnzimmer. Der Beklagte stand immer eine Stunde früher auf als die Klägerin, um im Haus schwimmen zu gehen. Als die Klägerin am letzten Besuchstag auch früher aufstand und die Küche betrat, hielt dort der Beklagte Marianne M*** eng umschlungen und küßte sie auf den Mund; beide waren mit Bademänteln bekleidet. Nach dieser "peinlichen Situation" erklärte Marianne M*** der Klägerin beim Frühstück, es sei ein falscher Eindruck entstanden, sie sei am Beklagten nicht interessiert. Die Klägerin wartete nach der Heimkehr vergeblich auf eine Entschuldigung des Beklagten. Geschlechtliche Beziehungen des Beklagten zu Marianne M*** sind nicht erwiesen.

Vor 2 Jahren hat der Beklagte der Klägerin die Zeichnungsberechtigung für sein Konto entzogen, ohne sie darüber zu informieren. In letzter Zeit kümmerte er sich nicht mehr um die Ehewohnung und den Haushalt; vor allem unterließ er die Vornahme dringend notweniger Reparaturen und verringerte das Wirtschaftsgeld der Klägerin. Seit der Rückkehr der Streitteile aus Abano ist auch die Geschlechtsgemeinschaft zwischen ihnen aufgehoben. Der Beklagte wollte seine kranke Mutter ausdrücklich allein betreuen, die Klägerin wusch aber auch deren Wäsche. Der Beklagte verwendete für die Pflege seiner Mutter nicht seine gesamte Freizeit; er ging daneben auch fischen und besuchte den Flohmarkt sowie die Marchfelder-Sauna.

Am 4. August 1987 trat der Beklagte allein einen Urlaub an, um nach Kärnten zum Fischen zu fahren; er nahm aber auf diese Reise auch Bekleidung mit (Anzug, "alles in Blau"), die zum Fischen an sich nicht notwendig ist. Der Beklagte fuhr dann auch nach einem kurzen Aufenthalt am Millstättersee nach Abano, wo er Karten für Opernaufführungen in Verona bekam. Ein Zusammentreffen des Beklagten mit Marianne M*** in Abano ist nicht erwiesen. Er traf dann erst verspätet - nach 10 Tagen - wieder in Wien ein. Die Klägerin wurde von seiner Urlaubsverlängerung nicht rechtzeitig informiert. Die Streitteile und das Ehepaar W*** sind Wochenendnachbarn in Drosendorf und kennen einander seit 10 Jahren. Die Klägerin ist mit Ing. W*** auch per Du. Begrüßungsküsse sind in Drosendorf üblich, auch die Frauen begrüßen sich auf diese Weise. In Gesellschaft mit anderen Bekannten kam es vor, daß die Klägerin und Ing. W*** einander zutranken und zuküßten und sich auch mit den Füßen berührten. Ing. W*** nahm die Klägerin auch ein paarmal mit seinem Wagen zum Einkaufen nach Drosendorf mit. Der Beklagte befragte die Klägerin einmal über ihre Beziehungen zu Ing. W***, worauf sie erwiderte, daß sein Verdacht unbegründet sei; damit war für den Beklagten die Sache erledigt. Daß sich die Klägerin und Ing. W*** in der Nähe der Hütte in Drosendorf eng umschlungen geküßt hätten, ist nicht feststellbar.

Beschimpfungen des Beklagten durch die Klägerin wurden vom Beklagten nicht ernst genommen. Auf Anraten des Klagevertreters rief die Klägerin die Sekretärin des Beklagten und andere Personen an, um etwas über Freundinnen des Beklagten zu erfahren.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Ansicht, daß die Ehe der Streitteile durch das schuldhafte Verhalten des Beklagten unheilbar zerrüttet sei. Als schwere Eheverfehlungen seien ihm sein gefühl- und liebloses Verhalten sowie die Vernachlässigung der Klägerin vorzuwerfen, ebenso die mangelnde Sorge um den ehelichen Haushalt und die Ehewohnung, der Entzug der Kontozeichnungsberechtigung der Klägerin und sein Verhalten im Zusammenhang mit dem Urlaub im August 1987. Auch sein Verhältnis zu Marianne M*** habe die Grenzen einer noch vertretbaren Freundschaft zu einer fremden Frau überschritten. Dasselbe gelte für sein ehestörendes Verhältnis zu Christa B***, auf welches trotz zwischenzeitiger Verzeihung noch zur Unterstützung der anderen Eheverfehlungen zurückgegriffen werden könne. Im Hinblick auf das ehestörende Verhalten des Beklagten sei die Bekanntschaft der Klägerin mit Ing. W*** als zum Teil berechtigte Reaktion zu werten. Ihre Beschimpfungen habe der Beklagte nicht ernst genommen. Daß sie ihm bei der Pflege seiner Mutter nicht geholfen habe, könne der Klägerin nicht vorgeworfen werden, weil der Beklagte die Mutter wunschgemäß allein betreuen wollte und die Klägerin zudem ihre Wäsche gewaschen habe. Die auf Anraten ihres Anwaltes eingeholten Erkundigungen in der Firma des Beklagten könnten nicht als Eheverfehlungen gewertet werden, da die Ehe damals bereits unheilbar zerrüttet gewesen sei.

Das Berufungsgericht wies das Scheidungsbegehren ab. Es verneinte die vom Beklagten geltend gemachten Mängel des erstgerichtlichen Verfahrens und erachtete auch dessen Beweisrüge überwiegend als unbegründet. Die Beweisrüge sei aber insoweit berechtigt, als sie sich gegen die Feststellungen über den Entzug der Zeichnungsberechtigung der Klägerin auf dem Gehaltskonto des Beklagten und über die von ihm unterlassenen Reparaturen im Haushalt bzw. sein "Nichtkümmern" um die Ehewohnung richteten. Diesen - jedenfalls auch noch ergänzungsbedürftigen - Feststellungen komme jedoch schon aus rechtlichen Gründen keine Bedeutung zu. Selbst wenn man nämlich den gesamten vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt zugrundelege, könne daraus noch keine unheilbare Zerrüttung der 23 Jahre lang andauernden Ehe erschlossen werden. Hiefür sei das "Gesamtbild der Beziehung der Ehegatten zueinander" maßgeblich. Danach reichten aber die aufgezeigten und festgestellten Vorfälle noch keinesfalls für eine Ehescheidung aus, wenngleich sicherlich nicht zu verkennen sei, daß zwischen den Streitteilen nur noch eine äußerst schmale Ehebasis bestehe. Sie hätten jahrelang ein gegenseitig distanziertes Verhalten an den Tag gelegt, so daß auch die Vorgangsweise des Beklagten im Zusammenhang mit seinem Urlaub im August 1987 in einem milderen Licht gesehen werden müsse. Gemäß § 59 Abs. 2 EheG könne die Klägerin zwar auch verziehene und verfristete Eheverfehlungen des Beklagten zur Unterstützung heranziehen, doch lägen seine ehewidrigen Beziehungen zu Christa B*** schon lange zurück und sein "Kußaustausch" mit Marianne M*** bilde für sich allein noch keine schwere Eheverfehlung. Diesen Vorfall habe die Klägerin offensichtlich auch nicht als ehezerrüttend angesehen. Dasgleiche gelte für die vom Erstgericht nur mangelhaft festgestellte Streichung der Zeichnungsbefugnis der Klägerin für das Gehaltskonto des Beklagten und die von ihm angeblich vorgenommene Verringerung des Wirtschaftsgeldes, habe doch die Klägerin diesbezüglich die Scheidungsklage erst mehr als 6 Monate später eingebracht.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung der Entscheidung im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteils; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Revision enthält auch eine Anfechtung der Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens.

Der Beklagte stellt in seiner Revisionsbeantwortung den Antrag, dem Rechtsmittel der Klägerin nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Zur Entscheidung über die Revision bedarf es keiner mündlichen Verhandlung vor dem Revisionsgericht (§ 509 Abs. 2 ZPO); der darauf gerichtete Antrag der Revisionswerberin war daher abzuweisen. Im übrigen ist die Revision im Sinne ihres Abänderungsantrages berechtigt.

Zutreffend wendet sich die Klägerin gegen die Rechtsansicht des angefochtenen Urteils, wonach schon auf Grund des festgestellten Gesamtverhaltens der Streitteile eine unheilbare Ehezerrüttung zu verneinen sei. Eine solche Zerrüttung liegt nämlich immer dann vor, wenn die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten objektiv und wenigstens bei einem Ehegatten auch subjektiv zu bestehen aufgehört hat (EFSlg. 43.629, 46.178, 48.763, 51.601 ua). Dabei ist die Bereitwilligkeit des schuldigen Ehegatten zur Fortsetzung der Ehe unerheblich (EFSlg. 48.767, 51.602 ua), da es genügt, daß der klagende Ehegatte die eheliche Gesinnung verloren hat (EFSlg. 48.764, 51.602 ua). Wesentlich ist nur, ob das Verhalten des schuldigen Ehegatten geeignet war, dem anderen die Fortsetzung der Ehe unerträglich zu machen, und ob es diese Wirkung gehabt hat (EFSlg. 48.765, 51.603 ua), wobei in der Regel schon die Erhebung der Scheidungsklage dafür spricht, daß die als Scheidungsgrund geltend gemachten Eheverfehlungen auch tatsächlich als ehezerstörend empfunden werden (EFSlg. 27.438, 34.024, 41.263, 51.605 ua). Das Vorliegen einer unheilbaren Ehezerrüttung wurde hier vom Erstgericht - entgegen der Meinung des Gerichtes zweiter Instanz - zutreffend bejaht, weil auf Grund des festgestellten Verhaltens des Beklagten eine geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten objektiv nicht mehr besteht und die Klägerin jegliches Interesse an der Fortsetzung der Ehe verloren hat.

Eheverfehlungen sind Handlungen und Unterlassungen, die sich gegen das Wesen der Ehe und die damit verbundenen Pflichten richten (EFSlg. 33.398, 46.148, 51.576 ua). Eine schwere Eheverfehlung im Sinne des § 49 EheG setzt ein Verhalten voraus, das mit dem Wesen der Ehe als einer alle Lebensbereiche umfassenden Lebensgemeinschaft unvereinbar ist (EFSlg. 29.494, 38.638, 46.149, 51.577 ua). In diesem Zusammenhang haben die Vorinstanzen zutreffend erkannt, daß gemäß § 59 Abs. 2 EheG auch Eheverfehlungen, die für sich allein bereits verfristet wären oder verziehen wurden, nach Ablauf der Frist des § 57 Abs. 1 EheG zur Unterstützung einer auf andere Eheverfehlungen gegründeten Scheidungsklage herangezogen werden können. Diese neuen Eheverfehlungen dürfen zwar nicht vollkommen belanglos sein, sie müssen aber auch nicht für sich allein zur Scheidung ausreichen; es genügt vielmehr, daß alle Eheverfehlungen insgesamt schwer sind und einen Scheidungsgrund bilden (EFSlg. 36.773, 43.674, 48.814 ua). Hier steht nun aber jedenfalls fest, daß der Beklagte die Klägerin ab 1978 - abgesehen von einer nur kurzfristigen Besserung nach dem Ende seiner Beziehungen zu Christa B*** - bis zuletzt lieb- und gefühllos behandelte, indem er sie auch in seiner Freizeit allein ließ (vgl. zum Beginn des Fristenlaufes gemäß § 57 Abs. 1 EheG bei einem solchen fortgesetzten Verhalten: EFSlg. 48.810, 48.811, jeweils mwN); er hat sie auch im August 1987 von seiner Urlaubsverlängerung nicht rechtzeitig verständigt. Diese Eheverfehlungen des Beklagten sind keineswegs ganz belanglos (vgl. dazu EFSlg. 46.156, 51.584, 51.585 ua), weshalb auch auf die verfristeten und verziehenen Eheverfehlungen zurückgegriffen werden kann. Hier fallen aber die langjährigen ehewidrigen Beziehungen des Beklagten zu Christa B*** entscheidend ins Gewicht (vgl. EFSlg 43.614, 43.617, 46.166, 51.588, 51.589 ua), weil sie ganz offensichtlich das auslösende Moment für die Zerrüttung der Ehe bildeten. Darüber ist die Klägerin trotz nachfolgender Versöhnung innerlich nicht hinweggekommen, zumal sich das Verhalten des Beklagten ihr gegenüber in der Folge auch nur kurzfristig gebessert hatte. Ebenso ist das festgestellte Verhalten des Beklagten gegenüber Marianne M*** im Gegensatz zur Meinung des Berufungsgerichtes eine schwere Eheverfehlung; die Feststellungen lassen dessen Annahme, die Klägerin habe den zwischen den beiden in enger Umschlingung ausgetauschten Kuß nicht als ehestörend empfunden, nicht zu, hat sie doch vergeblich auf eine Entschuldigung des Beklagten gewartet.

Es liegt daher sehr wohl eine unheilbare Ehezerrüttung vor, die auf das schuldhafte Verhalten des Beklagten zurückzuführen ist. Letzteres ergibt sich bereits aus den vom Berufungsgericht als unbedenklich übernommenen Feststellungen, so daß es insoweit auf die vom Erstgericht festgestellten weiteren Eheverfehlungen des Beklagten (Entzug der Zeichnungsberechtigung der Klägerin auf seinem Gehaltskonto, Unterlassen von Reparaturen im Haushalt bzw. "Nichtkümmern" um die Ehewohnung), deren Vorliegen das Gericht zweiter Instanz ungeachtet der Beweisrüge der Berufung dahingestellt sein ließ, nicht mehr ankommt; dies umso mehr, als nach den im Ergebnis zutreffenden Ausführungen des Erstgerichtes aus dem festgestellten Verhalten der Klägerin keine für die Zerrüttung der Ehe ursächlichen und schuldhaften schweren Eheverfehlungen abgeleitet werden können. Ihre Beziehungen zu Ing. W*** haben nach den Feststellungen die im Rahmen des Drosendorfer Gesellschaftskreises der Streitteile üblichen Grenzen eines harmlosen und freundschaftlichen Umganges mit Bekannten nicht überschritten. Auch die festgestellten Telefonanrufe der Klägerin bei Bürokollegen des Beklagten im Zuge des erstgerichtlichen Verfahrens können in diesem Zusammenhang vernachlässigt werden, müssen sie doch schon im Hinblick auf die längst eingetretene Ehezerrüttung in einem milderen Licht erscheinen.

Da somit bereits feststeht, daß allein der Beklagte durch seine schweren Eheverfehlungen schuldhaft die unheilbare Ehezerrüttung herbeigeführt hat, war in Stattgebung der Revision das Ersturteil wiederherzustellen.

Der Ausspruch über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Mit ihrer - im übrigen unzulässigen (§ 528 Abs. 1 Z 2 ZPO) - Anfechtung im Kostenpunkt wird die Rechtsmittelwerberin auf diese Entscheidung verwiesen.

Anmerkung

E16356

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0040OB00603.88.1213.000

Dokumentnummer

JJT_19881213_OGH0002_0040OB00603_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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