TE OGH 1989/2/7 1Ob506/89

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.02.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gertraud F***, geboren am 11. Oktober 1941 in Neukirchen a.d. Vöckla, Hausfrau, St. Pangratz, Schalchgraben 33, vertreten durch Dr. Johannes Kirschner, Rechtsanwalt in Wels, wider die beklagte Partei Karl Heinz Johann F***, geboren am 26. Juli 1940 in Schweinfurt, nunmehr Bundesrepublik Deutschland, Arbeiter, Wels, Kaiser-Josef-Platz 52, vertreten durch Mag. Dr. Rainhard Senendi, Rechtsanwalt in Wels, wegen Ehescheidung infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 25. Oktober 1988, GZ 1 R 36/88-39, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wels vom 23. November 1987, GZ 5 Cg 299/86-35, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 3.397,35 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 308,85 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben am 29. Oktober 1977 vor dem Standesamt Wels die Ehe geschlossen. Es war dies die vierte der Klägerin und die zweite des Beklagten.

Die Klägerin begehrte die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Beklagten. Sie sei in der Nacht zum 22. Juli 1986 vom Beklagten mißhandelt und verletzt worden. Seither wage sie sich nicht mehr in die Ehewohnung, weil sie vor dem Beklagten Angst habe. Er habe sie schon früher häufig geschlagen und dabei einmal sogar derart schwer verletzt, daß sie im Krankenhaus Wels versorgt habe werden müssen. Obwohl sie sich vor sechs Jahren einer schweren Unterleibsoperation habe unterziehen müssen, habe sie sich dem Beklagten nie verweigert. Er unterhalte aber seit längerer Zeit ehewidrige Beziehungen zu einer anderen Frau, mit der er eine Lebensgemeinschaft eingegangen sei. Trotz einstweiliger Verfügung habe der Beklagte keinen Unterhalt geleistet, so daß sie im Februar 1987 die Pfändung seiner Dienstbezüge habe beantragen müssen.

Der Beklagte trat dem Scheidungsbegehren nicht entgegen, beantragte jedoch den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens der Klägerin. Er habe sie in der Nacht zum 22. Juli 1986 nur aus Notwehr mißhandelt; sie habe damals das Seitenfenster seines PKWs vorsätzlich eingeschlagen. Sie habe ihn beschimpft, schon seit langem beabsichtigt, die eheliche Gemeinschaft aufzuheben, und sich ihm verweigert. Während der Ehe habe er sie nie mißhandelt. Die behauptete Kopfverletzung habe er ihr bereits vor der Eheschließung zugefügt. Seit ihn die Klägerin böswillig verlassen habe, müsse er sich die Hausarbeiten von einer anderen Frau verrichten lassen, unterhalte jedoch mit dieser keine ehewidrigen Beziehungen. Da die Klägerin im Mai 1986 ihre Arbeit bei der Firma N*** & F*** grundlos eingestellt habe, habe auch er seine Stellung als Hausbesorger in diesem Unternehmen und damit auch seine Dienstwohnung verloren.

Das Erstgericht schied die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden des Beklagten. Es stellte fest: Die Ehe der Streitteile sei anfangs harmonisch verlaufen. Beide seien bei der Firma N*** & F*** beschäftigt gewesen, doch sei das Dienstverhältnis der Klägerin aus gesundheitlichen Gründen im Mai 1986 einvernehmlich aufgelöst worden. Hiedurch sei auch der Dienstvertrag des Beklagten als Hausbesorger hinfällig geworden. Seit 1. November 1986 sei der Beklagte in diesem Unternehmen nur noch als Hilfsarbeiter beschäftigt; er habe auch aus der Dienstwohnung ausziehen müssen. Vor der Eheschließung sei die Klägerin vom Beklagten öfters geschlagen worden. Dabei habe er ihr auch einmal eine Kopfwunde zugefügt, die im Krankenhaus Wels habe genäht werden müssen. 1981 habe sich die Klägerin einer schweren Unterleibsoperation unterziehen müssen. Seither verspüre sie beim Geschlechtsverkehr Schmerzen, habe sich dem Beklagten aber dennoch nicht verweigert. Als dieser bemerkt habe, daß die Klägerin beim Verkehr unter Schmerzen litt, habe er von sich aus auf weiteren Geschlechtsverkehr verzichtet. Zwischen den Streitteilen sei es öfters zu Beschimpfungen gekommen. Der Beklagte habe die Klägerin wiederholt "Hure" und "Schlampe" genannt, die Klägerin wieder habe zu ihm gesagt, er sei ein "blöder Hund", weil er am Sonntag arbeite. Bereits vor ihrem Auszug aus der Wohnung habe die Klägerin mehrmals geäußert, sie würde von ihm weggehen. Wenn sie sich geärgert habe oder ausgegangen sei, habe sie gelegentlich Alkohol, allerdings nur in geringen Mengen, genossen. Als der Stiefsohn der Klägerin 1981 bei den Streitteilen gewohnt habe, sei sie zweimal betrunken gewesen. Ende 1986 sei die Klägerin auch zweimal in einem Gasthaus alkoholisiert gewesen. Am 21. Juli 1986 hätten die Streitteile an einer Geburtstagsfeier im Haus der Eltern des Beklagten in Natternbach teilgenommen. Die Feier sei fröhlich und ohne Streit verlaufen. Der Beklagte habe etwa vier Flaschen Bier, die Klägerin drei Achtel Liter Wein und gleichfalls Bier getrunken. Während der Feier habe die Klägerin ihrem Stiefsohn mitgeteilt, er dürfe ihr nicht böse sein, wenn sie dem Beklagten davonlaufe. Gegen 22.OO Uhr sei sie, ohne dem Beklagten etwas zu sagen, plötzlich aufgesprungen und habe sich zu Fuß auf den etwa 40 bis 50 Kilometer langen Heimweg gemacht, obwohl vereinbart gewesen sei, daß die Streitteile in Natternbach übernachten. Die Klägerin sei sichtlich alkoholisiert gewesen. Der Beklagte sei ihr nachgefahren und habe sie aufgefordert, ins Auto einzusteigen, und sie als sie sich geweigert habe, in den PKW geworfen und sei sodann losgefahren. Sie habe ihm darauf Kratzer im Gesicht zugefügt und während der Fahrt ins Lenkrad gegriffen, so daß der PKW im Zick-Zack-Kurs dahingefahren sei. Um nicht deshalb gegen eine Hausmauer zu fahren, habe der Beklagte das Fahrzeug abgebremst und die Klägerin mit beiden Händen so lange gewürgt, bis sie keine Luft mehr bekommen und das Lenkrad losgelassen habe. Als er darauf von ihr abgelassen habe, sei die Klägerin sofort aus dem PKW gesprungen und weggelaufen. Der Beklagte habe sie nun zu Fuß verfolgt, eingeholt und zum Auto zurückgezerrt. Schließlich habe er sie mit voller Wucht in den PKW hineingestoßen. Da ihre Beine beim Seitenfenster hinausgeragt hätten, habe er sie zur Gänze in das Auto gezogen und das Fenster hochgekurbelt. Darauf habe die Klägerin das Fenster mit beiden Beinen eingetreten; nun habe sie der Beklagte aus dem Wagen gestoßen und sei erzürnt in Richtung Wels gefahren. Nach etwa zwei bis drei Kilometern habe er sich eines anderen besonnen, sei umgekehrt und den Weg zu seinen Eltern zurückgefahren, um sie zu suchen. Er habe sie aber nicht mehr finden können, weil sich die Klägerin bei einem Bauern aufgehalten habe und von dort zunächst ihre Schwiegereltern und später auch die Gendarmerie angerufen habe. Der Stiefsohn der Klägerin sei dann mit deren Schwiegermutter zu diesem Bauern gefahren, um sie abzuholen. Sie sei jedoch nicht mitgefahren und habe sich neuerlich zu Fuß auf den Heimweg gemacht. In der Folge hätten der Beklagte, seine Eltern und mittlerweile eingetroffene Gendarmeriebeamte nach der Klägerin gesucht, sie jedoch nicht gefunden. Sie habe in einem Heustadel genächtigt und am nächsten Tag den Heimweg zu Fuß fortgesetzt. Im Gemeindegebiet von Grießkirchen sei sie dem Beklagten begegnet, der ihr versichert habe, er werde ihr nichts antun, worauf sie sich von ihm habe nach Wels heimbringen lassen. Er habe die Ehewohnung darauf gleich wieder verlassen und sei für einige Tage zu seinen Eltern gefahren. Die Klägerin sei für zwei Tage zu einer Freundin gezogen, sei danach aber wieder in die Ehewohnung zurückgekehrt. Auch der Beklagte habe sich dort am darauffolgenden Sonntag wieder eingefunden. Darauf sei die Klägerin jedoch aus der Ehewohnung ausgezogen. Seither hätten die Streitteile keine Versuche mehr unternommen, die eheliche Gemeinschaft wieder aufzunehmen. Bei dem Vorfall nach der Geburtstagsfeier am 21. Juli 1986 habe die Klägerin Hautabschürfungen am Hals und am Rücken sowie Hämatome an der Innenseite des rechten Oberschenkels erlitten; sie habe am 29. Juli 1986 einen Arzt aufgesucht, der ihr diese Verletzungen bescheinigt habe. Am selben Tag habe die Klägerin beim Bezirksgericht Wels den Antrag auf Feststellung, daß ihre gesonderte Wohnungsnahme rechtmäßig sei, gestellt, der Antrag sei jedoch abgewiesen worden. Nach dem Auszug der Klägerin aus der Ehewohnung habe ihr der Beklagte keinen Unterhalt mehr geleistet. Hierauf habe sie die Verpflichtung des Beklagten zur Zahlung des einstweiligen Unterhalts von monatlich S 2.000 erwirkt, der in der Folge auf Antrag des Beklagten auf S 1.700 eingeschränkt worden sei. Im Februar 1987 habe die Klägerin die Pfändung der Dienstbezüge des Beklagten beantragt, weil er weiterhin Unterhaltszahlungen verweigert habe. Im Oktober 1986 habe der Beklagte Helga W*** kennengelernt. Diese sei geschieden, wasche, bügle und koche für den Beklagten. Er bezahle ihr hiefür nichts, leiste jedoch Naturalbeiträge. Er suche sie etwa drei- bis viermal in der Woche auf und gehe mit ihr auch aus. Er übernachte aber nicht in ihrer Wohnung und unterhalte mit ihr auch keine geschlechtlichen Beziehungen. Einige Zeit nach dem Auszug der Klägerin aus der Ehewohnung sei es zwischen ihr und Helga W*** in einem Gasthaus zu einer Auseinandersetzung gekommen, in deren Verlauf sich die Klägerin zu Helga W*** geäußert habe, sie könne den Beklagten behalten, sie werde schon noch sehen, wenn sie vom Beklagten die ersten "Watschen" bekomme. Helga W*** habe darauf erwidert, ihr Schätzchen, ihr Mäuschen werde sie nie schlagen. In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, beide Teile hätten schwere Eheverfehlungen begangen. Der Klägerin sei der Auszug aus der Ehewohnung vorzuwerfen, wogegen dem Beklagten die schwerwiegenden Übergriffe sowie die Mißhandlungen der Klägerin durch ihn beim Vorfall am 21. Juli 1986 als solche Eheverfehlungen zur Last fielen, auch wenn er dabei von der Sorge um sie bestimmt gewesen sei. Der Klägerin könne dagegen ihr Verhalten am 21. Juli 1986 nicht als schwerwiegende Vernachlässigung der ehelichen Pflichten vorgeworfen werden; das gelte auch für den Alkoholkonsum. Daß die Klägerin ihre Tätigkeit bei der Firma N*** & F*** aufgegeben und der Beklagte deshalb seinen Hausbesorgerposten verloren habe, falle ihr nicht zur Last, weil dies aus gesundheitlichen Gründen geschehen sei. Auch die zwischen der bereits eingetretenen Zerrüttung und der Scheidung begangenen Eheverfehlungen könnten maßgeblich sein, wenn eine weitere Vertiefung der Zerrüttung nicht ausgeschlossen werden könne. Der Beklagte hätte nach dem Auszug der Klägerin weiterhin für ihren Unterhalt aufkommen müssen; die Verletzung dieser Pflicht sei bei der Verschuldensabwägung gleichfalls zu berücksichtigen. Dagegen könne ihm die Aufnahme von Beziehungen zu Helga W*** nicht zur Last gelegt werden. Die eheliche Gemeinschaft sei damals bereits tiefgreifend zerrüttet gewesen und die Klägerin habe noch unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß sie zum Beklagten nicht mehr zurückkehren werde. Dennoch überwiege das Verschulden des Beklagten.

Das Berufungsgericht änderte das erstinstanzliche Urteil im Verschuldensausspruch dahin ab, daß die Ehe aus gleichteiligem Verschulden geschieden wurde. Bei der Beurteilung der Frage, ob einem Ehepartner schwere Eheverfehlungen zur Last fallen, sei immer auf das Gesamtverhalten Bedacht zu nehmen. Selbst wenn auch einzelnen Verhaltensweisen für sich allein noch nicht das Gewicht einer schweren Eheverfehlung beigemessen werden könne, sei zu fragen, ob nicht die Dauer die Wiederholung und die dadurch gegebene Belastung das Gesamtverhalten zu einer schweren Eheverfehlung machten. Bei der Beurteilung des Mitverschuldens müßten die beiderseitigen Eheverfehlungen in ihrem Zusammenhang gesehen werden; maßgeblich sei vor allem, wie weit sie einander bedingten und welchen Anteil sie am Scheitern der Ehe hätten. Das überwiegende Verschulden eines Ehegatten sei nur auszusprechen, wenn seine Schuld erheblich schwerer wiege und das Verschulden des anderen Teils fast völlig in den Hintergrund trete. Nach unheilbarer Zerrüttung der Ehe begangene Eheverfehlungen spielten bei der Verschuldensabwägung hingegen keine entscheidende Rolle mehr; das gelte selbst für den Ehebruch. Gehe man von diesen Grundsätzen aus, so dürfe das Verhalten des Beklagten der Klägerin gegenüber nach Auflösung der ehelichen Gemeinschaft nicht überbewertet werden. Das gelte somit für die Aufnahme einer Beziehung zu Helga W***, so daß das Erstgericht diese Beziehung zutreffend nicht als Eheverfehlung gewertet habe. Schwere Eheverfehlungen des Beklagten seien jedoch die Verletzung seiner Unterhaltspflicht und seine überzogene Gewaltanwendung beim Vorfall zum 22. Juli 1986. Es könne nicht übersehen werden, daß sein Verhalten mit der Pflicht zur anständigen Begegnung nicht in Einklang stehe. Daß die Klägerin dieses Verhalten aber zumindest mitveranlaßt habe, dürfe hingegen bei der Beurteilung der Schwere diese Ehewidrigkeit nicht vernachlässigt werden. In diesem Zusammenhang sei auch noch auf die Feststellungen des Erstgerichtes über die eheliche Gesinnung der Klägerin einzugehen. Sie habe anläßlich der Geburtstagsfeier am 21. Juli 1986 ihrem Stiefsohn gegenüber zum Ausdruck gebracht, er dürfe nicht böse sein, wenn sie den Beklagten verlasse. Sie habe diese Ankündigung sodann auch wahrgemacht und sei gegen 22.00 Uhr weggegangen, ohne dem Beklagten etwas zu sagen. Wenn dieses Verhalten auch eine gewisse alkoholbeeinflußte Reaktion dargestellt haben möge, so habe sie damit doch einen nicht unwesentlichen Schritt zur Auflösung der ehelichen Gemeinschaft, in die sie nicht mehr habe zurückkehren wollen, unternommen. Das habe sie unmißverständlich einige Zeit später Helga W*** gegenüber zum Ausdruck gebracht. Aber auch der Beklagte habe keinerlei Versöhnungsbereitschaft bekundet. Beide hätten also jegliche eheliche Gesinnung missen lassen. Mitursache seien auch die vorangegangenen wechselseitigen Beschimpfungen gewesen, die wohl als Anzeichen für den Mangel an ehelicher Gesinnung zu werten seien. Dementsprechend könne nicht gesagt werden, daß das Verschulden eines der Streitteile erheblich schwerer wiege und das Verschulden des anderen Teiles fast völlig in den Hintergrund trete.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin, mit der sie den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens des Beklagten anstrebt, ist nicht berechtigt.

Überwiegendes Verschulden ist nur dann anzunehmen, wenn der graduelle Unterschied des beiderseitigen Verschuldens offenkundig ist (EFSlg 51.659, 51.660 und 51.661; Schwind in Klang2 I/1, 837), wenn also das Verschulden eines Teiles erheblich schwerer wiegt als das des anderen (EFSlg 51.658 uva). Für einen solchen Verschuldensausspruch ist es u.a. maßgeblich, wessen Verfehlung Anstoß für alle weiteren Verfehlungen war. Zu beachten ist ferner, auf wessen Verhalten es zurückzuführen ist, daß die Zerrüttung unheilbar wurde (EFSlg 51.647 uva). Demnach kann es nicht nur auf die Schwere der einzelnen Eheverfehlungen an sich ankommen. Die Prüfung der Frage, ob die Schuld des einen oder des anderen Teiles überwiegt, ist vielmehr vor allem auch darauf zu erstrecken, in welchem Umfang die beiderseitigen Verfehlungen zur Einleitung und schließlich zum Eintritt der Zerrüttung der Ehe beigetragen haben (EFSlg 51.645 uva). Damit ist auch der Zusammenhang zwischen den beiderseitigen Eheverfehlungen, insbesondere die gegenseitige Bedingtheit, in die Verschuldensabwägungen miteinzubeziehen (EFSlg 51.644 uva). Eheverfehlungen und selbst ehewidrige Beziehungen eines Teiles spielen allerdings bei der Abwägung des beiderseitigen Verschuldens dann keine entscheidende Rolle mehr, wenn sie erst nach Eintritt der unheilbaren Zerrüttung der Ehe begangen wurden (EFSlg 51.653 und 51.654 uva).

Dem Beklagten sind an schweren Eheverfehlungen vor Eintritt der mit dem Auszug der Klägerin aus der Ehewohnung besiegelten unheilbaren Zerrüttung der Ehe die laufenden Beschimpfungen der Klägerin sowie sein gewalttätiges Verhalten beim Vorfall in der Nacht zum 22. Juli 1986 zur Last zu legen. Seine dabei gezeigte Vorgangsweise der Klägerin gegenüber, vor allem daß er sie zweimal gewaltsam ins Auto stieß, ist zwar durch nichts zu rechtfertigen, doch darf nicht übersehen werden, daß er durch das vorangegangene Verhalten der Klägerin gewiß sehr aufgebracht war. Sie war bei einer fröhlich und angenehm verlaufenen Geburtstagsfeier plötzlich und, ohne dem Beklagten eine Erklärung zu geben, aufgesprungen und von der Feier weggelaufen. Sie hat sich geweigert, ins Auto des Beklagten zu steigen, der sie in Sorge um sie verfolgt und ersucht hatte, zu ihm ins Auto zu steigen; dazu war er berechtigt, war doch die zudem alkoholisierte Klägerin in der Nacht auf freier Landstraße unterwegs, um den 40 bis 50 km (!) langen Heimweg zu Fuß zurückzulegen. Sie hat ihn auch während der Fahrt im Gesicht gekratzt, ins Lenkrad gegriffen und beide hiedurch aufs Äußerste gefährdet. Es erscheint daher begreiflich, daß der Beklagte, der alles unternehmen wollte, um sie zum Mitkommen zu bewegen, sich in diesem Zustand zu der beschriebenen Gewalttätigkeit hinreißen ließ. Wenngleich es - wie schon gesagt - nicht zweifelhaft sein kann, daß der Beklagte durch sein gewalttätiges Verhalten eine schwerwiegende Eheverfehlung zu verantworten hat, kann auch die Klägerin in diesem Zusammenhang von einem Verhalten, das bei der Abwägung des beiderseitigen Verschuldens nicht unberücksichtigt bleiben kann, nicht losgezählt werden.

Zutreffend hat das Berufungsgericht hervorgehoben, daß die Klägerin schon vorher durch Beschimpfungen des Beklagten und durch ihre wiederholten Ankündigungen, daß sie ihn verlassen werde, keine eheliche Gesinnung mehr bekundet hatte. Die somit durch das beiderseitige Verhalten der Streitteile eingeleitete Zerrüttung wurde dann - gerade auf Seiten der Klägerin - jedenfalls unheilbar, als sie den Beklagten endgültig verließ und aus der Ehewohnung auszog. Damit hat die Klägerin im übrigen nur das vollzogen, was sie vorher - und zwar schon vor dem Vorfall in der Nacht zum 22. Juli 1986 - angekündigt hatte. Bei dieser Sachlage haben beide Streitteile zur unheilbaren Zerrüttung der Ehe derart maßgebliche Beiträge geliefert, daß nicht gesagt werden kann, das Verhalten des Beklagten überwiege in einem Ausmaß, daß das Fehlverhalten der Klägerin nahezu völlig in den Hintergrund tritt. Zu Recht hat das Gericht zweiter Instanz daher den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens des Beklagten abgelehnt.

An diesem Ergebnis kann auch die Verletzung der den Beklagten treffenden Unterhaltspflicht nichts ändern, weil die Ehe zu diesem Zeitpunkt bereits unheilbar zerrüttet war und sich keinerlei Anhaltspunkte dafür finden, daß der Verstoß die Zerrüttung noch zu vertiefen imstande gewesen wäre.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E16522

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0010OB00506.89.0207.000

Dokumentnummer

JJT_19890207_OGH0002_0010OB00506_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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