TE OGH 1989/2/23 12Os14/89 (12Os15/89)

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Veröffentlicht am 23.02.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 23.Februar 1989 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Felzmann, Dr. Massauer und Dr. Rzeszut als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Tegischer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Heinz V*** wegen des Vergehens des Ungehorsams nach § 12 Abs. 1 Z 2 MilStG über die von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes gegen die Beschlüsse des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 11. und vom 14. Oktober 1988, GZ 10 E Vr 9669/88-2 und 5, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Tschulik, und des Verteidigers Dr. Schultschik, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird verworfen.

Text

Gründe:

Das Kommando des Panzerstabsbataillons 9 zeigte am 11. Oktober 1988 (die schriftliche Anzeige langte erst am 14. Oktober 1988 ein) bei der Staatsanwaltschaft Wien an, daß der am 18. Juni 1969 geborene Grundwehrdiener Wehrmann Heinz V*** am 5. Oktober 1988 auch nach förmlicher Belehrung und Abmahnung durch den Kommandanten die Annahme der Handfeuerwaffe StG 77 verweigerte, worauf er nach § 41 HDG festgenommen und zu drei Tagen Disziplinarhaft verurteilt wurde. Nach Verbüßung dieser Strafe nahm Heinz V*** am 10.Oktober 1988 am Dienst teil, verweigerte aber neuerlich selbst nach Abmahnung durch die zuständigen Kommandanten, aus religiösen Gründen die Annahme der Waffe. Nach neuerlicher Festnahme und Einleitung des militärischen Disziplinarverfahrens stellte der Journalstaatsanwalt beim Journalrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien am 11.Oktober 1988 den Antrag auf Erlassung eines Haftbefehles aus dem Haftgrund des § 175 Abs. 1 Z 4 StPO. Dieser Haftbefehl wurde wegen "Tatbegehungs- bzw. Tatwiederholungsgefahr" erlassen, und zwar "im Hinblick auf die beharrliche Weigerung des Genannten, den ihm erteilten Befehl zu befolgen" (ON 2).

Am 14.Oktober 1988 verkündete der Untersuchungsrichter dem Verdächtigen den Beschluß auf Einleitung der Voruntersuchung wegen des Verdachtes in Richtung § 12 Abs. 1 Z 2 MilStG, worauf sich Heinz V*** schuldig bekannte und erklärte, er werde auch im Falle seiner Enthaftung weiterhin die Annahme der Waffe verweigern. Er verzichtete auf Beschwerde gegen diesen Beschluß und den ihm weiter bekanntgemachten Beschluß auf Verhängung der Untersuchungshaft aus dem Haftgrund des § 180 Abs. 2 Z 3 lit b StPO (ON 4, 5). Mit dem rechtskräftigen Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 14.November 1988, GZ 10 E Vr 9669/88-14, wurde Heinz V*** wegen des Vergehens des Ungehorsams nach § 12 Abs. 1 Z 2 MilStG schuldig erkannt, vom 3. bis 11.Oktober 1988 zu wiederholten Malen den ihm erteilten Befehl, die Waffe anzunehmen, nicht Folge geleistet und trotz Abmahnung im Ungehorsam verharrt zu haben. Er wurde zu einer gemäß § 43 Abs. 1 StGB für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Wochen verurteilt, wobei ihm die Vorhaft vom 11.Oktober 1988, 11,45 Uhr, bis 14.November 1988, 9,25 Uhr, angerechnet wurde. Nach Meinung der Generalprokuratur stehen die beiden Beschlüsse, mit denen über Heinz V*** die Verwahrungs- und die Untersuchungshaft verhängt wurden, mit dem Gesetz nicht im Einklang. Sie führt hiezu wörtlich aus:

"Grundvoraussetzung für die Anordnung der Vorführung oder vorläufigen Verwahrung eines einer gerichtlich strafbaren Handlung Verdächtigen und für die Verhängung der U-Haft (wegen Tatbegehungsgefahr) über eine Person, die im dringenden Verdacht eines bestimmten Verbrechens oder Vergehens steht, ist die in bestimmten Tatsachen begründete Annahme, dieser werde eine strafbare Handlung begehen, welche gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet ist wie die ihm angelastete, oder die ihm angelastete versuchte oder angedrohte Tat ausführen. Die Bestimmungen der §§ 175 Abs. 1 Z 4 und 180 Abs. 2 Z 3 StPO sind also nur anwendbar, wenn bestimmte Tatsachen die Befürchtung rechtfertigen, der Beschuldigte werde eine weitere gegen dasselbe Rechtsgut gerichtete Straftat begehen oder eine bloß versuchte oder angedrohte Tat ausführen. Sie kommen folglich in Fällen nicht zum Tragen, bei denen schon die Tatbestandsverwirklichung als solche - wie hier beim "Beharren in Ungehorsam" - die Fortsetzung eines deliktischen Verhaltens über eine bestimmte Zeitdauer erfordert. Insbesondere ist eine Haft allein aus dem Grund der Tatbegehungsgefahr aber bei Unterlassungsdelikten unzulässig. Besteht nämlich die Tat in einer Unterlassung eines Tuns, zu dessen Vornahme der Täter verpflichtet ist, kann die Fortsetzung oder Wiederholung der Straftat nicht dadurch verhindert werden, daß der Täter in Haft genommen und es ihm dadurch erst recht unmöglich gemacht wird, seiner Pflicht zu positivem Handeln zu entsprechen; er wird vielmehr durch eine solche Maßnahme geradezu daran gehindert, seiner Handlungspflicht nachzukommen. In solchen Fällen würde die Verhängung und Aufrechterhaltung der Haft den Charakter einer Beugehaft annehmen, den diese ihrer rechtspolitischen Zielsetzung nach aber nicht haben kann (Mayerhofer-Rieder1, II/1, Anm 7 zu § 175 StPO; JBl 1962, 613 - vgl auch den der Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien 24 Bs 22/88 zugrundeliegenden, im wesentlichen gleichgelagerten Fall).

Gegen den des Unterlassungsdeliktes nach § 12 Abs. 1 Z 2 MilStG (dringend) verdächtigen Heinz V*** hätte daher aus den Gründen der §§ 175 Abs. 1 Z 4 und 180 Abs. 2 Z 3 StPO ein Haftbefehl nicht erlassen und über ihn die U-Haft nicht verhängt werden dürfen."

Hiezu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Die Generalprokuratur stützt ihre Rechtsmeinung auf eine Kommentarstelle und Judikatur, denen eine nicht mehr aktuelle Fassung der Bestimmungen über die Verwahrungs- und Untersuchungshaft zugrundeliegt, und läßt die Neufassung der gesetzlichen Regelungen der §§ 175 Abs. 1 Z 4 und 180 Abs. 2 Z 3 StPO durch das STRÄG 1971, BGBl 273/1971, und das StVÄG 1983, BGBl 168/1983, völlig außer acht; sie haben - fallbezogen - folgenden Wortlaut:

§ 175 (1) Auch ohne vorangegangene Vorladung kann der Untersuchungsrichter die Vorführung oder vorläufige Verwahrung des eines Verbrechens oder Vergehens Verdächtigen anordnen:

.......

4. wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, er werde

eine strafbare Handlung begehen, die gegen dasselbe Rechtsgut

gerichtet ist wie die ihm angelastete, oder .....

§ 180 (2) Die Verhängung der Untersuchungshaft setzt ...voraus,

daß auf Grund bestimmter Tatsachen die Gefahr besteht, der

Beschuldigte werde auf freiem Fuße

.....

3. ungeachtet des gegen ihn geführten Strafverfahrens

......

b) eine strafbare Handlung mit nicht bloß leichten     Folgen

begehen,die gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet ist wie die ihm

angelastete strafbare Handlung,  ... wenn ihm nunmehr wiederholte und

fortgesetzte Handlungen angelastet werden;

......

......

(3) ........ Bei Beurteilung des Haftgrundes nach Abs. 2 Z 3 ist

zu berücksichtigen, inwieweit eine Minderung der dort

bezeichneten Gefahr dadurch eingetreten ist, daß sich die

Verhältnisse, unter denen die dem Beschuldigten angelastete Tat

begangen worden ist, geändert haben.

(4) ......

Auf Grund des § 7 der Allgemeinen Dienstvorschriften für das Bundesheer (ADV), BGBl 43/1979, ist jeder Untergebene seinen Vorgesetzten gegenüber zu Gehorsam verpflichtet. Er hat die ihm erteilten Befehle nach besten Kräften vollständig, gewissenhaft und pünktlich auszuführen. Wer einen (gesetzmäßig erteilten) Befehl nicht befolgt, indem er trotz Abmahnung im Ungehorsam verharrt, macht sich des Vergehens des Ungehorsams nach § 12 Abs. 1 Z 2 MilStG schuldig. Es ist daher nicht schon die Befehlsverweigerung als solche gerichtlich strafbar, sondern erst das Verharren im Ungehorsam trotz Abmahnung. Nach Verstreichen eines - fallbezogen unterschiedlich langen, mit Augenblicken bis zu Stunden anzusetzenden - Zeitraumes, während dessen der Soldat den Befehl nicht ausführt, ist die Tat selbst dann strafbar, wenn dem Befehl nachträglich (verspätet) doch noch entsprochen wird (Foregger-Kunst2 Anm 3 zu § 12 MilStG).

Das bedeutet für den vorliegenden Fall, daß Heinz V*** das Vergehen des Ungehorsams mindestens zweimal (also wiederholt) begangen hat, nachdem er sich am 5.Oktober 1988 und dann nach Verbüßung einer Disziplinarhaft am 10.Oktober 1988 neuerlich geweigert hatte, den Befehl zur Annahme der Waffe auszuführen; außerdem kündigte er an, dieses Verhalten fortsetzen zu wollen, weil er aus Gesinnungsgründen keine Waffe annehmen könne. Mit diesem eindeutig dokumentierten Verhalten des verdächtigen Soldaten lagen sohin zum Zeitpunkt der Anzeigeerstattung bestimmte Tatsachen vor, die erwarten ließen, er werde die ihm angelastete Tat sofort wiederholen, wenn er auf freiem Fuß belassen würde. Damit waren zum Zeitpunkt der Erlassung des Haftbefehles die Voraussetzungen für die Verhängung der Verwahrungshaft nach § 175 Abs. 1 Z 4 StPO gegeben. Da sich Heinz V*** aber vor dem Untersuchungsrichter gleichlautend verantwortete, bestand auch zum Zeitpunkt der Verhängung der Untersuchungshaft am 14.Oktober 1988 die Gefahr, er werde im Fall einer Enthaftung ungeachtet des bereits eingeleiteten Verfahrens sein strafbares Verhalten wiederholen und fortsetzen, sodaß auch die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 180 Abs. 2 Z 3 lit b und Abs. 3 StPO gegeben waren (siehe zu all dem: Kunst, Die Änderungen des Rechts der Untersuchungshaft durch das Strafverfahrensänderungsgesetz 1983, ÖJZ 1983 S 310).

Rechtliche Beurteilung

Bei der gegebenen Fallgestaltung kann aber auch nicht gesagt werden, daß der inhaftierte Soldat gerade durch die Verhängung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft daran gehindert wurde, sich befehlsgemäß zu verhalten. Er wurde vielmehr davon abgehalten, sich neuerlich einschlägig strafbar zu machen und weiterhin durch demonstrativ zur Schau gestellte Befehlsverweigerung die Aufrechterhaltung der militärischen Disziplin und Ordnung nicht nur unerheblich zu gefährden. Daß er diesen strafgesetzwidrigen Erfolg durch Unterlassung bewirkt hatte und weiterhin bewirken wollte, verschlägt nichts, weil unter strafbarer Handlung (im Sinn des § 180 Abs. 2 Z 3 StPO) schon unter Bedachtnahme auf § 2 StGB sowohl Begehungs- als auch Unterlassungsdelikte verstanden werden müssen.

Dem Einwand, bei Unterlassungsdelikten käme die Verhängung der Untersuchungshaft wegen Tatbegehungsgefahr einer Beugehaft gleich, ist entgegenzuhalten, daß diesem Haftgrund immer auch präventive Erwägungen zugrundeliegen, und der Gesetzgeber nicht darauf verzichten wollte, der - konkret vorhersehbaren - Gefahr der Begehung weiterer strafbarer Handlungen mit nicht bloß leichten Folgen schon vor der Verurteilung des (gefaßten mutmaßlichen) Täters durch eine Haftverhängung entgegenzuwirken (vgl hiezu RV zum STRÄG 1971, 39 der Beil. NR XII. GP S 24, 25), gleichgültig, ob es um die Verhinderung weiteren kriminellen Tuns oder aber strafbaren passiven Verhaltens eines mutmaßlichen Täters geht (siehe oben). Der weitere Einwand der Generalprokuratur, diese Überlegung könne bei einem Delikt wie dem Verharren im Ungehorsam deshalb nicht zum Tragen kommen, weil schon die Tathandlung als solche "die Fortsetzung eines deliktischen Verhaltens durch eine bestimmte Zeitdauer erfordert", geht an den - bereits dargelegten - anders liegenden Tatbestandserfordernissen des § 12 Abs. 1 Z 2 MilStG vorbei. Unbeschadet dessen, daß ein Gesinnungstäter (wie V***) die wiederholten Befehlsverweigerungen im Fortsetzungszusammenhang begeht (vgl hiezu Leukauf-Steininger2 RN 29 bis 41 zu § 28 StGB), handelt es sich um die Aufeinanderfolge gleichartiger, zeitlich getrennter, aber von einem einheitlichen Willensentschluß getragener Befehlsverweigerungen, denen jeweils die Erteilung eines Befehles und dessen abermalige Mißachtung trotz neuerlicher Abmahnung zugrundeliegen.

Wie bei allen Haftentscheidungen wird aber durch die genaue Prüfung des Vorliegens "bestimmter Tatsachen" und der Befürchtung "nicht bloß leichter Folgen" die erforderliche restriktive Heranziehung dieses Haftgrundes zu erreichen und überdies durch die Beachtung des - auch an der Anwendbarkeit der §§ 37, 43, 43 a StGB Maß nehmenden - Verhältnismäßigkeitsprinzips (§ 193 Abs. 2 StPO) möglichst kurz zu halten sein.

Der Oberste Gerichtshof kommt daher zum Ergebnis, daß die Verhängung der Verwahrungs- und Untersuchungshaft in diesem Straffall, auch wenn es sich um das Unterlassungsdelikt des Verharrens im Ungehorsam gehandelt hat, rechtens war (so auch Mayerhofer-Rieder2 Anm 8 zu § 180 StPO).

Die von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes erhobene Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Anmerkung

E17144

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0120OS00014.89.0223.000

Dokumentnummer

JJT_19890223_OGH0002_0120OS00014_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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