TE OGH 1989/3/15 9ObA48/89

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Veröffentlicht am 15.03.1989
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Dietmar Strimitzer und Helga Kaindl als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Gabriele S***, St. Marienkirchen, Kleinwiesenhart 4, vertreten durch Dr. Walter Brandt, Rechtsanwalt in Schärding, wider die beklagte Partei Karl R***, Inhaber eines Betriebes für Steinharzbeläge, Ried i.I., Riedauerstraße 42, vertreten durch Dr. Johann Kahrer, Rechtsanwalt in Ried i.I., wegen 26.565,-- S sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. November 1988, GZ 12 Ra 109/88-13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Ried i.I. als Arbeits- und Sozialgericht vom 3. August 1988, GZ 5 Cga 1092/87-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:

"Das Begehren des Inhalts, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin einen Betrag von 26.565,-- S brutto samt 4 % Zinsen seit 30. September 1987 zu zahlen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 13.832,24 S bestimmten Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz (darin enthalten 1.143,84 S Umsatzsteuer und 1.000,-- S Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen". Die klagende Partei ist weiters schuldig, der beklagten Partei die mit 4.329,75 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 257,25 S Umsatzsteuer und 1.500,-- S Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war ab 6. April 1987 bei der beklagten Partei als Bürokaufmann tätig. Sie hatte nach der Hauptschule eine dreijährige kaufmännische Lehre bei der Firma K*** absolviert, war in verschiedenen Abteilungen, darunter auch in der Buchhaltung, jeweils über mehrere Monate ausgebildet worden und hatte die Lehre erfolgreich mit der Lehrabschlußprüfung abgeschlossen. Beim Vorstellungsgespräch mit dem Beklagten erklärte dieser der Klägerin, daß es ihre Aufgabe wäre, die gesamte Büroarbeit des Betriebes allein zu bewerkstelligen. Er teilte ihr mit, daß sie für diese Tätigkeit von Ilona F***, die seit 4. Jänner 1986 im Mutterschutzurlaub war, angelernt würde. In den ersten drei bis vier Tagen wurde die Klägerin von Ilona F*** eingeschult, die ihr alle bei der beklagten Partei anfallenden Büroarbeiten zeigte und deren Ausführung erklärte. Sie zeigte der Klägerin unter anderem die Führung des Kassabuches, das Schreiben der Rechnungen und die Durchführung der Lohnverrechnung. Als beide den Eindruck hatten, die Klägerin wisse nun Bescheid, vereinbarten sie, daß sich die Klägerin bei Auftreten von Problemen an Ilona F*** wenden solle. Diese Möglichkeit nahm die Klägerin in der Folge einige Male in Anspruch, doch erfüllte sie ihre Aufgaben nicht ordnungsgemäß. Sie war mit der Kassabuchführung erheblich (bis zu 2 Monate) im Rückstand, in den Kontoblättern und im Journal überpinselte sie mehrfach Eintragungen mit Lackierstift, in den Bankbüchern nahm sie überhaupt keine Eintragungen vor. Die Finanzamtabrechnungen stimmten ebensowenig wie die Gebarung der Vorschußauszahlungen. Anläßlich eines privaten Besuches in der Firma stellte Ilona F*** etwa Ende August 1986 bei oberflächlicher Durchsicht der Arbeiten der Klägerin Unregelmäßigkeiten fest, so zB daß die Klägerin in verschiedenen Unterlagen darüberschreibt bzw herumschmiert sowie daß die Belege herumliegen und nicht richtig verbucht worden sind. Ohne dem Beklagten Einzelheiten zu nennen, teilte Ilona F*** diesem die Wahrnehmungen mit und sagte auch, daß dies nicht in Ordnung sei. Der Beklagte gab den Inhalt dieses Gespräches sogleich der Klägerin weiter, die aber erklärte, daß schon alles in Ordnung sei. Der Beklagte gab ihr den Rat, sie solle sich an den Steuerberater wenden, wenn sie sich irgendwo nicht auskenne. Eine Nachprüfung der Buchhaltung hat der Beklagte weder selbst vorgenommen noch veranlaßt. Als er Ende September 1987 nicht unterfertigte bzw nicht im Kassabuch eingetragene Belege fand, verständigte er zunächst Ilona F***, die abermals im Journal Auslackierungen feststellte. Daraufhin wandte sich der Beklagte am Samstag, dem 26. September 1987 an den Steuerberater. Dieser sah die Buchhaltungsunterlagen durch und stellte die oben wiedergegebenen Fehler fest. Wegen des nicht ordnungsgemäßen Zustandes der Buchhaltung und der zu erwartenden Steuerprüfung gab der Steuerberater dem Beklagten den Rat, sämtliche Buchhaltungsunterlagen neu zu schreiben, da diese in der von der Klägerin geführten Form vom Finanzamt nicht akzeptiert würden und ihm daraus Nachteile erwachsen könnten. Am Montag, dem 28. September 1987 händigte der Beklagte der Klägerin das Entlassungsschreiben aus. Nach der Entlassung mußten das Kassabuch, die Lohnlisten und das Journal zur Gänze neu geschrieben werden, die Bankbücher nachgetragen und die Finanzamtabrechnungen korrigiert werden.

Die Klägerin begehrt die Zahlung eines Betrages von 26.565 S an Kündigungsentschädigung mit der Behauptung, die Entlassung sei ungerechtfertigt erfolgt.

Der Beklagte beantragt die Abweisung der Klage und brachte vor, die Arbeit der Klägerin habe gravierende Mängel gezeigt, welche die fristlose Entlassung gemäß § 27 Z 2 AngG rechtfertigen; die Entlassung sei auch unverzüglich nach Bekanntwerden der Unregelmäßigkeiten ausgesprochen worden.

Das Erstgericht gab dem Begehren der Klägerin statt. Die Klägerin habe zwar gegen elementare Grundsätze der kaufmännischen Buchführung, deren Kenntnis nach Abschluß einer kaufmännischen Lehre vorauszusetzen seien, verstoßen. Sie sei unfähig gewesen, die vereinbarten kaufmännischen Dienste im Betrieb der klagenden Partei zu leisten, sodaß die Voraussetzungen des § 27 Abs 2 AngG erfüllt seien. Die am 28. September 1987 ausgesprochene Entlassung sei jedoch verspätet erfolgt, weil bereits Ende August 1987 erkennbar gewesen sei, daß die Klägerin die aufgetragenen Dienste nicht erfüllen könne.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge, wobei es im wesentlichen der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes beitrat. Daß dem Beklagten Ende August 1987 der volle Umfang der Verstöße der Klägerin gegen die Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Führung der Bücher nicht bekannt geworden sei, sei nicht entscheidend, weil jedenfalls zu diesem Zeitpunkt gewisse Indizien für das Vorliegen eines Entlassungsgrundes zutage getreten seien. Wenn in einem solchen Fall der Dienstgeber dem Dienstnehmer davon Mitteilung mache, daß er auf Fehler bei der Arbeitsleistung hingewiesen worden sei, sich jedoch mit der Versicherung des Angestellten, es sei alles in Ordnung, begnüge und keine Überprüfungsmaßnahmen setze, so lasse dies nur den Schluß zu, daß er die ihm bekannt gewordenen Unregelmäßigkeiten nicht zum Anlaß für eine vorzeitige Auflösung des Dienstverhältnisses nehmen wolle. Später könne dann eine Entlassung aus diesem Grund nicht mehr erfolgen, auch wenn dem Dienstgeber zunächst keine Einzelheiten bekannt gewesen seien. Die Entlassung sei daher verspätet ausgesprochen worden, zumal die Vorgangsweise des Beklagten nicht so verstanden werden könne, daß er der Klägerin eine Chance zur Bewährung habe einräumen wollen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Klageabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Gemäß § 27 Z 2 AngG liegt ein wichtiger Grund, der den Dienstgeber zur Entlassung berechtigt, dann vor, wenn der Angestellte unfähig ist, die versprochenen oder den Umständen nach angemessenen Dienste zu leisten. Unfähigkeit bedeutet den völligen und dauernden Mangel der Fähigkeit zur Verrichtung der vereinbarten oder angemessenen Dienstleistung, wobei es gleichgültig ist, ob dem Angestellten die zur Bewältigung dieser Dienstleistungen notwendigen körperlichen geistigen oder rechtlichen Voraussetzungen fehlen (Kuderna, Entlassungsrecht, 90; Martinek-Schwarz, Angestelltengesetz6 614). Die Dienstleistungen des unfähigen Angestellten müssen für den Dienstgeber wertlos sein, um eine tatbestandsbegründende Wirkung zu zeitigen (Kuderna aaO). Im vorliegenden Fall steht fest, daß die Klägerin besonders gravierende Verstöße gegen die Grundsätze einer ordnungsgemäßen Buchführung beging, sodaß letztlich die komplette Neufassung der Buchhaltungsunterlagen erforderlich wurde. Darin offenbart sich, daß die Klägerin, die aufgrund ihrer Ausbildung mit den bei dieser Arbeit zu beachtenden Prinzipien vertraut sein mußte, nicht in der Lage war, die vereinbarten Aufgaben zu erfüllen. Ihre Arbeitsleistung war für den Beklagten nicht nur wertlos, sondern gereichte ihm sogar zum Schaden, weil die Neuerstellung der Buchhaltungsunterlagen erforderlich wurde. Der Entlassungstatbestand des § 27 Z 2 AngG ist daher erfüllt.

Hat ein Dienstnehmer einen wichtigen Grund zu vertreten, der den Dienstgeber zur vorzeitigen Auflösung des Dienstverhältnisses berechtigt, und ist dies dem Dienstgeber bekannt geworden, so gilt allgemein, daß dieser von seinem Entlassungsrecht unverzüglich Gebrauch machen muß. Bekannt geworden ist der Entlassungsgrund dem Dienstgeber, sobald ihm die für die Beurteilung des Vorliegens eines Entlassungsgrundes wesentlichen Einzelheiten zur Kenntnis gelangt sind, wobei der Dienstgeber verpflichtet ist, die zur Feststellung des Sachverhaltes erforderlichen und ihm zumutbaren Erhebungen ohne Verzögerung durchzuführen. Unterläßt er dies, kann ein solches Versäumnis zum Untergang des Entlassungsrechtes durch Verzicht oder Verwirkung führen (Kuderna aaO 16). Die Verpflichtung des Dienstgebers zur Nachforschung nach einem Entlassungsgrund besteht aber nur dann, wenn ihm konkrete Umstände zur Kenntnis gelangen, welche die Annahme rechtfertigen, daß das Verhalten des Dienstnehmers eine Entlassung rechtfertigen könnte. Hier steht fest, daß Ilona F*** dem Beklagten, nachdem sie Ende August 1987 bei oberflächlicher Durchsicht der Buchhaltungsunterlagen Unregelmäßigkeiten festgestellt hatte, ohne Nennung von Einzelheiten davon Mitteilung machte, daß "die Sache nicht in Ordnung" sei. Aufgrund dieser Mitteilung, mit der dem Beklagten nur in vager Form Unzukömmlichkeiten in der Buchhaltung zur Kenntnis gebracht wurden, war eine sofortige Entlassung nicht geboten. Nicht in jedem Verstoß gegen die Grundsätze einer ordnungsgemäßen Buchführung offenbart sich nämlich die Unfähigkeit des Angestellten zur Besorgung der ihm übertragenen Aufgaben; nicht jeder derartige Verstoß erfüllt den Tatbestand des § 27 Z 2 AngG. Aufgrund des Berichtes Ilona F***, in dem Details nicht mitgeteilt wurden, und dessen Richtigkeit von der Klägerin dem Beklagten gegenüber bestritten wurde, mußte dieser nicht annehmen, daß Umstände vorliegen, welche die Entlassung der Klägerin rechtfertigen könnten. Sein Informationsstand Ende August 1987 mußte ihn daher zu einer genauen Überprüfung der Frage, ob die Vorgangsweise der Klägerin allenfalls den Tatbestand eines Entlassungsgrundes erfüllt, nicht veranlassen, zumal ausreichende Anhaltspunkte in dieser Richtung nicht vorlagen und der Beklagte die Klägerin ohnehin aufforderte, sich in Zweifelsfällen an den Steuerberater zu wenden. Als dem Beklagten Ende September der Umfang der Unregelmäßigkeiten in der Buchhaltung zur Kenntnis kam, veranlaßte er umgehend eine entsprechende Überprüfung und sprach sofort nach Vorliegen des Ergebnisses die Entlassung aus. Die Entlassung erfolgte daher schon aus diesen Erwägungen fristgerecht, sodaß auf die sich für die Rechtzeitigkeit einer Entlassung bei Dauertatbeständen ergebenden Konsequenzen nicht mehr einzugehen ist. Dem Begehren der Klägerin, die ihre Ansprüche ausschließlich daraus ableitet, daß die Entlassung nicht unverzüglich erfolgt sei, kommt daher keine Berechtigung zu.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens gründet sich auf § 41 bzw bezüglich des Rechtsmittelverfahrens § 50 ZPO.

Anmerkung

E17092

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:009OBA00048.89.0315.000

Dokumentnummer

JJT_19890315_OGH0002_009OBA00048_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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