TE OGH 1989/3/21 10ObS96/89

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Veröffentlicht am 21.03.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr. Rudolf Oezelt (AG) und Mag. Michael Zawodsky (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Harald K***, ohne Beschäftigung, 1140 Wien,

Reinlgasse 16/3/18, vertreten durch Dr. Erhard Doczekal, Dr. Rudolf Mayer und Dr. Helge Doczekal, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER A***

(Landesstelle Wien), 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 5. Oktober 1988, GZ 32 Rs 188/88-18, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 10. Mai 1988, GZ 5 Cgs 1232/87-14, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an

das Prozeßgericht erster Instanz zurückverwiesen.

Die Kosten der Berufungsbeantwortung und der Revision sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Weil die beklagte Partei seinen Antrag auf Invaliditätspension vom 6. Mai 1987 mit Bescheid vom 25. August 1987 mangels Invalidität abgelehnt hatte, erhob der Kläger rechtzeitig Klage. Ihr Begehren ist auf eine Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab dem Stichtag (1. Juni 1987) gerichtet und stützt sich darauf, daß der Kläger, der gelernter Schlosser und in den letzten 15 Jahren als Schlosser und Kraftfahrer beschäftigt gewesen sei, wegen Schmerzen im rechten Arm und in der rechten Hand nach einem Arbeitsunfall im März 1984, (die ihn praktisch einem Linkseinarmigen gleichsetzen,) keiner geregelten Arbeit mehr nachgehen könne.

Die beklagte Partei wendete ein, daß der in den letzten 15 Jahren als Büromöbelmonteur, Schlosser und Kraftfahrer beschäftigt gewesene Kläger noch alle Arbeiten für funktionell Einhändige verrichten und daher zB noch als Botengänger, Telefonist, Portier und Saaldiener wenigstens die Hälfte des Normallohnes eines gesunden Arbeiters erwerben könne.

Rechtliche Beurteilung

Da sich der Kläger vor dem Erstgericht zunächst zulässigerweise (§ 39 Abs 3 ASGG) nicht vertreten ließ, konnte er die Klage zu Protokoll geben (Abs 2 Z 2 leg cit) und wurden ihm auch richtigerweise die Klagebeantwortung, die Ladung zu zwei vom Vorsitzenden angeordneten ärztlichen Untersuchungen, die schriftlichen Gutachten der ärztlichen Sachverständigen und die Ladung zur für den 26. Jänner 1988 anberaumten Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung zugestellt.

Nach Zustellung der letztgenannten Ladung legte Franz F*** von der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien, eine nach § 40 Abs 1 Z 2 ASGG zur Vertretung vor den Gerichten erster und zweiter Instanz qualifizierte Person, die ihm vom Kläger am 16. Dezember 1987 erteilte Vollmacht vor, die auch eine Prozeßvollmacht enthält, und teilte im am 17. Dezember 1987 eingelangten Begleitschriftsatz mit, daß der Termin der für den 26. Jänner 1988, 14.00 Uhr, Saal E des Erstgerichtes, anberaumten Tagsatzung vorgemerkt worden sei.

In dieser Tagsatzung, bei der für die Klägerseite nur der Kläger anwesend war, trug dieser die Klage und die beklagte Partei die Klagebeantwortung vor, wurde die Begutachtung durch Sachverständige für Chirurgie, Neurologie und Berufskunde beschlossen, der Pensionsakt verlesen, von der beklagten Partei nach Einsicht in den Lehrbrief und das Lehrabschlußzeugnis außer Streit gestellt, daß der Kläger den Schlosserberuf erlernt hat, vom Kläger "außer Streit gestellt", daß er in den letzten 15 Jahren vor dem Antrag nicht überwiegend in seinem erlernten Beruf als Schlosser tätig war, und die Tagsatzung schließlich zur Einholung des berufskundlichen Gutachtens und zur Erörterung des neurologischen Gutachtens auf unbestimmte Zeit erstreckt.

Eine Abschrift des Protokolls über diese Tagsatzung, eine Ausfertigung des berufskundlichen Gutachtens und die Ladung zur auf den 10. Mai 1988 anberaumten Tagsatzung zur fortgesetzten mündlichen Verhandlung wurden entgegen § 93 Abs 1 ZPO nicht dem ausgewiesenen Vertreter des Klägers, sondern diesem selbst zugestellt. Der Kläger kam auch ohne seinen qualifizierten Vertreter zur Tagsatzung, bei der die Verhandlung wegen geänderter Senatsbesetzung neu durchgeführt wurde, die Parteien wie früher vortrugen, der gleiche Beweisbeschluß gefaßt und der bisherige Akteninhalt verlesen wurde, die Sachverständigen für Neurologie und Berufskunde ihre Gutachten ergänzten und nach Abstandnahme von weiteren Beweisen das "Verfahren" geschlossen wurde.

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger ab 1. Juni 1987 eine Invaliditätspension zu gewähren, ohne dem Versicherungsträger nach § 89 Abs 2 ASGG aufzutragen, bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides eine vorläufige Zahlung zu erbringen.

Es stellte im wesentlichen fest, daß der Kläger den Beruf eines Schlossers erlernt hat, aber in den letzten 15 Jahren vor dem Antrag nicht überwiegend in diesem Beruf, sondern als Büromöbelmonteur und Kraftfahrer tätig war. Er ist einem Linkseinarmigen gleichzusetzen und deshalb auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht verweisbar, weshalb er invalid iS des § 255 Abs 3 ASVG sei.

Dagegen richtete sich die Berufung der beklagten Partei wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit den Anträgen, das angefochtene Urteil im klageabweisenden Sinn abzuändern oder es allenfalls aufzuheben. Die Berufungswerberin bekämpfte die Ablehnung ihres Antrages auf Beiziehung eines weiteren berufskundlichen Sachverständigen und die unterlassene Vernehmung eines Vertreters des Arbeitsamtes für Körperbehinderte über die Einsatzfähigkeit Einarmiger auf dem Arbeitsmarkt und vertrat die Ansicht, daß diese für verschiedene Tätigkeiten gegeben sei.

Der Kläger führte in der Berufungsbeantwortung aus, daß er seinen erlernten Beruf als Stahlrohrmöbelschlosser in den letzten 15 Jahren ausgeübt habe, und zwar bis 1974 und 1978 bis 1980 direkt als Schlosser, 1976 bis 1978 als Büromöbelmonteur und 1974 bis 1976 und von 1980 bis zu seinem Arbeitsunfall als Kraftfahrer mit Schlosserkenntnisse erfordernden Reparaturarbeiten. Er genieße daher Berufsschutz iS des § 255 Abs 1 ASVG.

Das Berufungsgericht gab der Berufung Folge und änderte das angefochtene Urteil im klageabweisenden Sinn ab.

Es verneinte die geltend gemachte Mangelhaftigkeit, erachtete aber "ausgehend von den Außerstreitstellungen in der Tagsatzung vom 26. Jänner 1988 und den erstgerichtlichen Feststellungen" die Rechtsrüge als berechtigt, weil Einarmige zB als Fabriksportier oder Pförtner, Aufzugswärter und Bürobote auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzbar seien. Der Kläger sei (nach der Außerstreitstellung) in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag nicht überwiegend in seinem erlernten Beruf tätig gewesen und daher nicht invalid iS des § 255 Abs 3 ASVG.

Dagegen richtet sich die von der beklagten Partei nicht beantwortete Revision des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache) mit den Anträgen, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder es allenfalls zwecks Verfahrensergänzung und neuerlicher Entscheidung durch das Berufungsgericht oder das Erstgericht aufzuheben.

Der Revisionswerber macht im wesentlichen geltend, daß sein ausgewiesener Vertreter nicht zur Tagsatzung vom 10. Mai 1988 geladen worden und er selbst bei seiner in dieser Tagsatzung abgegebenen, inhaltlich unrichtigen Außerstreitstellung, in den letzten 15 Jahren vor dem Antrag nicht überwiegend im erlernten Beruf als Schlosser tätig gewesen zu sein, nicht durch eine qualifizierte Person vertreten gewesen sei. Die Vorinstanzen hätten daher nach § 87 Abs. 3 ASGG die Vorschriften über zugestandene Tatsachen nicht anwenden dürfen. Das Erstgericht hätte den Kläger vielmehr zu genauen Angaben über seine Tätigkeiten in den letzten 15 Jahren anleiten und darüber Feststellungen treffen müssen. Daher beruhten die Urteile der Vorinstanzen auch auf einer mangelhaften Feststellung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes. Die nach § 46 Abs 4 ASGG ohne die Beschränkungen des Abs 2 dieser Gesetzesstelle zulässige Revision ist berechtigt. Die Vorschriften über zugestandene Tatsachen (§§ 266, 267 ZPO) sind nach § 87 Abs 3 ASGG nur gegenüber einer Partei, die Versicherungsträger ist oder als Versicherter von einer qualifizierten Person vertreten wird, anzuwenden. Diese Voraussetzung ist bei ausdrücklich zugestandenen Tatsachen (§ 266 Abs 1 ZPO) nur dann erfüllt, wenn der Versicherte bei der Abgabe des Geständnisses selbst durch eine qualifzierte Person vertreten wird, wenn also der das Geständnis enthaltende vorbereitende Schriftsatz vom qualifizierten Vertreter unterfertigt ist oder dieser bei der mündlichen Verhandlung oder vor einem beauftragten oder ersuchten Richter das Geständnis selbst abgibt oder das vom miterschienenen Versicherten, also in Anwesenheit des qualifzierten Vertreters, abgegebene Geständnis nicht sofort widerruft oder berichtigt. Wenn der Versicherte zwar - wie im vorliegenden Fall - einer qualifizierten Person Prozeßvollmacht erteilt hat, diese Person aber an der mündlichen Verhandlung, in der das Geständnis abgegeben wurde, nicht teilnimmt, ist die Anwendung des § 266 Abs 1 ZPO nach § 87 Abs 3 ASGG unzulässig. Die Vorinstanzen hätten daher nicht davon ausgehen dürfen, daß der Kläger während der letzten 15 Jahren vor der Antragstellung (richtig: vor dem Stichtag) nicht überwiegend in seinem (unbestritten) erlernten Beruf als Schlosser tätig war. Über die vom Kläger in diesem Zeitraum ausgeübten Tätigkeiten wären vielmehr nach Aufnahme sämtlicher notwendig erscheinenden Beweise (§ 87 Abs 1 ASGG) alle für die Beurteilung der Frage wesentlichen Feststellungen zu treffen gewesen, ob der Kläger während dieser Zeit überwiegend in erlernten (angelernten) Berufen tätig war, und die Frage seiner Invalidität demnach nach § 255 Abs 1 oder Abs 3 ASVG zu beantworten ist.

Die Urteile der Vorinstanzen waren daher aufzuheben und die Sozialrechtssache zur Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurückzuverweisen.

Der Vorbehalt der Entscheidung über den Ersatz der Kosten der Berufungsbeantwortung und der Revision beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Anmerkung

E17114

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:010OBS00096.89.0321.000

Dokumentnummer

JJT_19890321_OGH0002_010OBS00096_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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