TE OGH 1989/4/18 10ObS116/89

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Veröffentlicht am 18.04.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Dafert (Arbeitgeber) und Alfred Klair (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Friederike L***, 8552 Eibiswald, Aichberg 47, vertreten durch Dr. Josef Faulend-Klauser, Rechtsanwalt in Deutschlandsberg, wider die beklagte Partei P*** DER A***, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. Oktober 1988, GZ 7 Rs 151/88-22, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 18. April 1988, GZ 33 Cgs 1173/87-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:

"Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei ab 1. April 1987 eine Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, wird abgewiesen." Die klagende Partei hat die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 27. Juli 1987 lehnte die beklagte Partei den Antrag der Klägerin vom 24. März 1987 auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension ab.

Das Erstgericht stellte fest, daß das Klagebegehren, die beklagte Partei schuldig zu erkennen der Klägerin eine Berufsunfähigkeitspension in gesetzlicher Höhe ab 1. Juli 1987 zu bezahlen, dem Grunde nach zu Recht bestehe und trug der beklagten Partei eine vorläufige monatliche Zahlung auf. Das Mehrbegehren für die Zeit vom 24. März 1987 bis 30. Juni 1987 wurde abgewiesen. Nach den Feststellungen ist die am 15. Februar 1931 geborene Klägerin noch in der Lage, alle leichten und mittelschweren Arbeiten im Sitzen ohne Einschränkung durchzuführen, dauerndes Gehen und Stehen sowie Bück- und Hebearbeiten sind bei gleichmäßiger Verteilung nur mehr zu zwei Drittel eines Arbeitstages zumutbar. Die Arbeiten können im Freien und in geschlossenen Räumen durchgeführt werden. Tätigkeiten, die ein Feingefühl in den Händen voraussetzen, sind ebensowenig zumutbar wie Akkord- und Fließbandarbeit sowie solche Tätigkeiten, die diesen in ihrer zeitlichen und psychischen Belastung gleichkommen oder das Lenken eines Kraftfahrzeuges erfordern. Seit 1. Juli 1987 sind Arbeiten an exponierten Stellen, besonders auf Leitern und Gerüsten udgl. wegen der bestehenden Somatisierungssymptome nicht mehr zumutbar, weil die Klägerin dabei Unsicherheitsgefühle empfinden würde und damit erhöhte Verletzungsgefahr verbunden wäre.

Die Klägerin hat den Beruf einer Damenkleidermacherin erlernt. Zwischen 1976 und 1987 arbeitete sie im Büro der Bau- und Möbeltischlerei ihres Sohnes. Seit April 1987 ist sie arbeitslos. Bei ihrem Sohn war die Klägerin für 30 Stunden teilzeitbeschäftigt. Sie hatte Büroarbeiten zu machen, Postwege zu erledigen und daneben auch zusammenzuräumen und zu putzen. Die für die Arbeit der Klägerin nötigen Buchhaltungsunterlagen befinden sich in der über der Werkstätte gelegenen Wohnung in einer Stellage. Um alle Unterlagen zu erreichen ist der Gebrauch eines Stockerls nötig. Rechtlich führte das Erstgericht aus, die Berufsunfähigkeit der Klägerin sei nach § 273 Abs.3 ASVG zu beurteilen. Es sei nur zu prüfen, ob die Klägerin noch in der Lage sei, die in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag überwiegend ausgeübte gleiche oder gleichartige Tätigkeit in ihrer konkret ausgeübten Form noch zu verrichten. Unter der seit 1. April 1987 bestehenden Einschränkung um Tätigkeiten an exponierten Stellen, wie Leitern und Gerüsten udgl. sei zweifellos auch die Benützung eines Stockerls zu verstehen. Ab diesem Zeitpunkt bestehe der Anspruch der Klägerin daher zu Recht.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei, in welcher nur bekämpft wurde, daß unter exponierten Stellen auch das gelegentliche Besteigen eines Stockerls zu subsumieren sei, keine Folge. Die Frage, unter welchen Umständen auf das Vorhandensein einer Gefährdung geschlossen werden könne, sei eine Rechtsfrage. Es bedürfe keiner besonderen Erörterung, daß jemand, der Arbeiten an exponierten Stellen nicht mehr verrichten könne und stehend auf einem Stockerl (Hocker) Buchhaltungsunterlagen über Kopf herausnehmen bzw. ablegen solle, der Gefahr zu stürzen und sich dabei ernstlich zu verletzen ausgesetzt sei. Weil die Klägerin ihre bisherige Tätigkeit nicht mehr ausüben könne, sei sie berufsunfähig gemäß § 273 Abs.3 ASVG.

Rechtliche Beurteilung

Die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision der Klägerin ist berechtigt.

Fest steht, daß der Klägerin Arbeiten an exponierten Stellen, besonders auf Leitern und Gerüsten wegen bestehender Somatisierungssymptome nicht mehr zumutbar sind, weil die Klägerin dabei Unsicherheitsgefühle empfinden würde und damit erhöhte Verletzungsgefahr verbunden wäre.

Wenn von Arbeiten an exponierten Stellen gesprochen wird, so ist Voraussetzung, daß solche Arbeiten wegen der besonderen Art der Arbeitsbedingungen (etwa laufende Maschinen, Funkenflug udgl.) oder der Benützung des Arbeitsgerätes (wie Leitern oder Gerüste) für jedermann einsichtig ein erhöhtes Verletzungsrisiko mit sich bringen. Das nur gelegentlich erforderliche Benützen eines "Stockerls" aber kann doch nur so verstanden werden, daß bestenfalls geringfügige Höhenunterschiede überwunden werden mußten. Das Besteigen eines trittfesten Sockels an einem ordnungsgemäß ausgestatteten Arbeitsplatz, an welchem die laufend benötigten Unterlagen doch wohl in Griffhöhe untergebracht und nur selten gebrauchte Stücke in größerer Höhe gelagert werden, aber birgt schon nach der allgemeinen Lebenserfahrung kaum größere Gefahren als das Besteigen einer Treppe. Von Arbeiten an exponierten Stellen kann dabei jedenfalls nicht gesprochen werden.

Da der Klägerin die in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag überwiegend ausgeübte Tätigkeit weiterhin zumutbar ist, war das Klagebegehren abzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten der Revisionsbeantwortung beruht auf § 77 Abs.1 Z 2 lit b ASGG.

Anmerkung

E17489

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:010OBS00116.89.0418.000

Dokumentnummer

JJT_19890418_OGH0002_010OBS00116_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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