TE OGH 1989/4/27 6Ob578/89

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Veröffentlicht am 27.04.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Schlosser und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Christian H***, Platten- und Fliesenlegermeister, Feldstraße 9, 4861 Schörfling, vertreten durch Dr. Erich Gugenberger, Rechtsanwalt in Frankenmarkt, wider die beklagte Partei A***- und B*** Baugesellschaft mbH, Zweigniederlassung Regau, 4844 Regau 95, vertreten durch Dr. Franz Gütlbauer, Rechtsanwalt in Wels, wegen S 260.000 s.A. und Feststellung (Gesamtstreitwert S 310.000) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 26. Jänner 1989, GZ 6 R 279/88-22, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wels vom 2. August 1988, GZ 4 Cg 346/87-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 11.745 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 1.957,50 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger kam am 2. März 1987 in Schörfling auf dem Vorplatz des neuen Amtsgebäudes und Bauhofes der Marktgemeinde Schörfling zum Sturz und verletzte sich dabei.

Er begehrte die Verurteilung der beklagten Partei zur Zahlung eines Schmerzengeldes von S 120.000 und zum Ersatz des mit S 140.000 bezifferten Verdienstentganges sowie die Feststellung, daß ihm die beklagte Partei für sämtliche Schäden, die eine Folge dieses Unfalles seien, hafte. Er brachte vor, er habe im Auftrag der O.Ö. Gemeindegebäudeleasinggesellschaft mbH Fliesenarbeiten am Neubau des Amtsgebäudes und Bauhofes der Marktgemeinde Schörfling verrichtet. Die beklagte Partei sei mit der Gestaltung der Vorplätze beauftragt gewesen. Am 2. März 1987 sei er über den Vorplatz zum Bauhof gegangen, um eingelagerte Fliesen zu holen. Vor dem Einfahrtstor sei eine mit Gitterrosten abgedeckte Regenrinne verlegt gewesen. Bei Betreten der Regenrinne sei der Kläger ausgeglitten und zum Sturz gekommen. Die Regenrinnen seien nicht ordnungsgemäß verlegt und die Arbeiten der beklagten Partei überhaupt noch nicht fertiggestellt gewesen, ohne daß zu erkennen gewesen wäre, daß die Regenrinnen damals noch nicht hätten betreten werden dürfen. Die beklagte Partei habe jedoch die Gefahrenstelle auch nicht entsprechend abgesichert, wozu sie umso mehr verpflichtet gewesen wäre, als die Regenrinne das Niveau des Platzes um zumindest 3 cm überragt habe. Der Kläger habe durch den Sturz eine Spaltung der Kniescheibe erlitten. Diese Verletzung rechtfertige ein Schmerzengeld von S 120.000. Die Einschränkung der Beweglichkeit des linken Kniegelenkes sowie die "Verschmächtigung der Muskulatur" reichten für das Feststellungsinteresse aus. Auf Grund dieses Unfalles habe der Kläger in der Zeit zwischen 2. März und 12. Juni 1987 seiner Arbeit als Fliesenleger nicht nachgehen können und dadurch einen Verdienstausfall von S 140.000 erlitten. Die beklagte Partei wendete insbesondere ein, sie treffe keine Haftung, weil die Baustelle ordnungsgemäß abgesichert worden sei. Dem selbst auf der Baustelle tätig gewesenen Kläger sei der Zustand der Baustelle im übrigen bestens bekannt gewesen. Wegen des am Unfallstag herrschenden Eisregens seien Sicherungsmaßnahmen gar nicht möglich gewesen. Außerdem bestritt die beklagte Partei das Schadenersatzbegehren auch der Höhe nach ebenso wie das Feststellungsinteresse.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest:

Sowohl der Kläger wie auch die beklagte Partei waren von der O.Ö. Gemeindegebäudeleasinggesellschaft mbH mit Arbeiten am Neubau des Amtsgebäudes und Bauhofes der Marktgemeinde Schörfling betraut. Die beklagte Partei war unter anderem mit der Ausgestaltung des Vorplatzes beauftragt. Im Zuge dieser Arbeiten hatte sie vor dem Feuerwehrzeughaus eine Abflußrinne verlegt, die sie auch mit einem Regengitter versehen hatte. Sie räumte die Baustelle vor Weihnachten 1986, weil sie die Arbeiten erst nach dem Winter 1986/87 fortsetzen konnte. Auf dem Vorplatz fehlte nur mehr der Feinasphaltbelag. Vor Verlassen der Baustelle sicherte die beklagte Partei den Bereich der Regenrinne durch mit Holzlatten verbundene Eisen- und Holzständer ab, um Beschädigungen der Rinnen durch das Überfahren mit Fahrzeugen des Bauhofes zu vermeiden.

Am 2. März 1987 ging der Kläger, der mit Fliesenlegerarbeiten am Neubau beauftragt war, um etwa 7.30 Uhr vom Amtsgebäude über den Vorplatz zum Bauhof (bzw. Feuerwehrzeughaus), wo er Fliesen gelagert hatte. Schon seit 28. Februar 1987 fiel in Schörfling Regen. Gegen 5.00 Uhr des Unfallstages unterschritt die Lufttemperatur den Gefrierpunkt, sodaß der Regen von nun an auf unterkühlten Oberflächen gefror und diese mit einer Eisschicht überzog. Auf Verkehrsflächen kam es bereits ab etwa 6.30 Uhr zur Eisbildung; die Lufttemperatur lag im Unfallsbereich gegen 7.30 Uhr bei etwa minus 2 Grad C, sodaß der Niederschlag auf dem unterkühlten Boden sofort gefror.

Der Kläger wollte an diesem Tag den etwa 1,5 m breiten Durchgang zwischen der Absperrung und dem Feuerwehrzeughaus benützen. Dabei konnte nicht festgestellt werden, wann die ursprünglich bis zum Feuerwehrzeughaus reichende Absperrung entfernt worden war und wer dies gemacht hatte. Im Unfallszeitpunkt reichte die Absperrung jedenfalls nicht mehr an die Mauerkante des Feuerwehrzeughauses heran. Dabei mußte der Kläger die mit Eis überzogene Regenrinne überqueren. Er stieg zunächst mit dem linken Fuß auf den Rost, ohne die Rinne bewußt wahrzunehmen, rutschte auf der Rinne aus und schlug mit dem linken Knie auf ihr auf. Der Höhenunterschied zwischen dem Grobasphaltniveau und dem oberen Rand der Regenrinne betrug etwa 3 bis 4 cm. Der Kläger trug "Jogger-Schuhe" mit griffiger Sohle. Er wußte, daß er sich auf einem Baustellenbereich befand. Er hatte den Weg bereits öfters - und zwar in der Woche durchschnittlich zwei- bis dreimal - benützt. Diesen Weg schlug er immer dann ein, wenn er etwas vom Bauhof holen wollte und die Absperrung nicht bis zur Mauerkante reichte. Keineswegs war der Kläger über die durch die verlegte Regenrinne gebildete Erhöhung gestolpert. Infolge seines Sturzes erlitt er einen Bruch der linken Kniescheibe. Leute der beklagten Partei waren in der Zeit zwischen Weihnachten 1986 und Frühjahr 1987 nicht auf der Baustelle. In dieser Zeit wurde die Absperrung entlang der Regenrinne von der beklagten Partei nicht überprüft.

Rechtlich meinte das Erstgericht, wer eine Gefahrenquelle schaffe, habe auch die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, um Schäden tunlichst abzuwenden. Der dieser Verkehrssicherungspflicht anzulegende Sorgfaltsmaßstab dürfe jedoch nicht überspannt werden. Da der Kläger kurze Zeit nach Einsetzen eines Eisregens auf dem vereisten Rost ausgerutscht und nicht etwa über die Erhöhung der Regenrinne gestolpert sei, liege ein unglücklicher Zufall vor, der eine Haftung der beklagten Partei ausschließe. Von dieser habe nicht verlangt werden können, die Regenrinne sofort nach Einsetzen eines Eisregens vom Eis zu befreien bzw. zur Gänze abzusperren. Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 300.000 übersteige. Es hielt das erstinstanzliche Verfahren nicht für mangelhaft, übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und führte in Erledigung der Rechtsrüge aus, dem Kläger sei auf Grund der Abgrenzungen erkennbar gewesen und er selbst habe auch zugegeben, daß er gewußt habe, sich auf einer Baustelle zu befinden. Der Bauunternehmer sei zwar grundsätzlich verpflichtet, die Baustelle - als

Gefahrenquelle - abzusichern, doch dürften die Sorgfaltsanforderungen nicht überspannt werden, weil sonst eine verschuldensunabhängige Haftung statuiert würde. Von den auf der Baustelle arbeitenden Handwerkern werde erwartet, daß ihnen die Gefährlichkeit einer Baustelle bekannt sei und sie daher erhöhte Vorsicht walten ließen. So könne der Bauunternehmer auch damit rechnen, daß die übrigen Professionisten die erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen über die Gefahren einer Baustelle haben. Regelmäßig müsse auf Baustellen, insbesondere auf nicht fertiggestellten Vorplätzen, mit Niveauunterschieden gerechnet werden. Einem Professionisten seien diese Gefahren bekannt; er brauche vor ihnen nicht besonders gewarnt zu werden. Der Kläger habe bei Betreten des Vorplatzes gerade deshalb, weil der Feinasphalt noch nicht aufgetragen gewesen sei, mit Niveauunterschieden rechnen müssen. Daß die beklagte Partei den ohnedies sehr geringen Niveauunterschied der Regenrinne nicht in deren gesamten Verlauf gekennzeichnet habe, sei ihr nicht als Sorgfaltswidrigkeit anderen, auf der Baustelle tätigen Professionisten gegenüber vorzuwerfen. Der Kläger sei außerdem infolge der Vereisung des Rostes ausgerutscht. Wäre der Rost nicht vereist gewesen, hätte der Niveauunterschied den Schritt des Klägers möglicherweise geringfügig beeinträchtigt, doch wäre es nach allgemeiner Lebenserfahrung deshalb noch nicht zu einem Sturz gekommen. Abgesehen davon, daß es fraglich sei, ob die beklagte Partei hiezu überhaupt verpflichtet gewesen wäre, könne ihr auch kein Vorwurf dahin gemacht werden, daß sie den Rost nicht vom Eis befreit habe. Die Vereisung sei erst kurz vor dem Unfall aufgetreten und überdies wäre es immer wieder zur Vereisung des Rostes gekommen, so lange die Wetterlage wie im Unfallszeitpunkt fortbestanden habe. Aus den Allgemeinen Vertragsbedingungen der O.Ö. Gemeindegebäudeleasinggesellschaft mbH sei für den Kläger nichts zu gewinnen, weil diese mit allen Vertragspartnern, also auch mit dem Kläger, vereinbart worden seien.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt, wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat, nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Dem in Lehre und Rechtsprechung (vgl. Die Nachweise bei Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 4 zu § 1294) anerkannten Ingerenzprinzip zufolge hat, wer - auch erlaubtermaßen - eine Gefahrenquelle schafft, dafür Sorge zu tragen, daß daraus keine Schäden entstehen. Dementsprechend hat auch der Bauunternehmer die Baustelle auf geeignete Weise abzusichern. Dabei sind alle erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, um Schäden nach Tunlichkeit hintanzuhalten. So wie ganz allgemein können allerdings auch von demjenigen, der eine Gefahrenquelle geschaffen hat, nur zumutbare Sicherungsmaßnahmen gefordert werden. Insbesondere dürfen die Sorgfaltsanforderungen nicht überspannt werden, weil ihm dann letztlich eine vom Verschulden losgelöste Haftung aufgebürdet würde. Es muß aber auch erwartet werden, daß jene Personen, die befugtermaßen auf der Baustelle tätig sind, insbesondere daher alle Handwerker, zu denen im Unfallszeitpunkt auch der Kläger zählte, mit den auf einer Baustelle lauernden Gefahren vertraut sind und mit Rücksicht auf die erhöhte Gefährlichkeit ihres Umfeldes auf der Baustelle auch entsprechende Vorsicht walten lassen (Harrer in Schwimann, ABGB, V, § 1295 Rz 57; vgl. auch ZVR 1978/19, JBl 1967, 34 ua.). Selbst wenn die beklagte Partei daher die Baustelle nicht durch eine entsprechende Warntafel abgesichert haben sollte, fehlte es an dem für die Schadenszurechnung gebotenen Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der Unterlassung und dem Personenschaden des Klägers, weil dieser selbst wußte, daß er sich auf einer Baustelle befand.

Der Kläger war ebenso wie die beklagte Partei mit Arbeiten am Neubau eines Amtsgebäudes der Marktgemeinde Schörfling beauftragt. Es mußte ihm deshalb klar sein, daß der Vorplatz noch nicht fertiggestellt war. Noch mehr aber hätte es ihm auffallen müssen, daß die auf dem Vorplatz verlegten und mit Gitterrosten versehenen Regenrinnen das Niveau der befestigten Oberfläche deshalb um einige Zentimeter überragten, weil die Verschleißdecke noch nicht aufgebracht war. Die Leute der beklagten Partei, die die Regenrinnen, ehe sie die Baustelle vor dem Wintereinbruch verließen, einwandfrei und deutlich erkennbar durch auf Baustellen übliche Planken abgesichert hatten, durften damit rechnen, daß jene Handwerker, die den Vorplatz danach trotz mangelnder Fertigstellung überquerten, die durch die Regenrinnen gebildeten, deutlich wahrnehmbaren Erhöhungen beachten würden, zumal deren Auffälligkeit auch durch die Planken, selbst wenn sie im Unfallszeitpunkt nicht ganz an die Mauerkante reichten, noch wesentlich erhöht wurde. Schon deshalb kann der beklagten Partei im Zusammenhang mit den vom Kläger geltend gemachten Schäden kein schuldhafter Verstoß gegen das Ingerenzprinzip zur Last fallen.

Im übrigen war der Kläger nach den Feststellungen, letztlich aber schon nach seinen eigenen Behauptungen (ON 1, S. 2; ON 4, AS. 10) gar nicht über die Erhöhung gestolpert, sondern auf der Regenrinne infolge der unmittelbar vorher aufgetretenen witterungsbedingten Vereisung der Gitterroste ausgeglitten und deshalb zum Sturz gekommen. Soweit der Kläger die Feststellung, er sei infolge der Vereisung gestürzt, anzweifelt, entfernt er sich unzulässigerweise vom festgestellten Sachverhalt. Zutreffend hat das Berufungsgericht im übrigen hervorgehoben, daß die beklagte Partei gar nicht in der Lage gewesen wäre, vor dem Unfall gegen die Vereisung der Gitterroste entsprechende Vorkehrungen zu treffen, weil der Regen erst unmittelbar vorher eingesetzt hatte. Im übrigen stützte der Kläger das Ersatzbegehren auch gar nicht auf die Unterlassung solcher Maßnahmen. Er hat im Gegenteil die Vereisung überhaupt bestritten (ON 4, AS. 11).

Der Revision war aus allen diesen Gründen ein Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E17337

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0060OB00578.89.0427.000

Dokumentnummer

JJT_19890427_OGH0002_0060OB00578_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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