TE OGH 1989/5/10 2Ob535/89

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Veröffentlicht am 10.05.1989
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als weitere Richter in der Pflegschaftssache des am 29.Juli 1983 geborenen mj. Patrick H***, infolge Revisionsrekurses des Vaters Eduard H***,

Lieglerstraße 38, 1228 Wien, vertreten durch Dr. Ernst Karner, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgericht vom 23.Februar 1989, GZ 43 R 974/88-233, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 31. Oktober 1988, GZ 4 P 190/82-226, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Der mj. Patrick befindet sich seit der Scheidung der Ehe seiner Eltern im Jahre 1984 bei seiner Mutter, der auch die elterlichen Rechte zustehen. Nach der Scheidung wurde dem Vater ein Besuchsrecht eingeräumt, das er regelmäßig ausübte mit Ausnahme jener Monate, während derer das Verfahren zur Aussetzung seines Besuchsrechtes anhängig war.

Der Vater beantragte, der Mutter die elterlichen Rechte zu entziehen und diese ihm zuzuweisen; er begründete diesen Antrag im wesentlichen damit, daß bei ihm die Voraussetzungen für die Erziehung des Kindes besser seien als bei der Mutter. Die Mutter sprach sich gegen den Antrag aus und erklärte, nach wie vor ihren Pflichten gegenüber dem Kind nachzukommen. Das Erstgericht wies den Antrag des Vaters ab, wobei es im wesentlichen von folgenden Feststellungen ausging:

Der Minderjährige ist ein körperlich altersentsprechend entwickelter Bub, er ist lebhaft und durch die Konfliktsituation der Eltern deutlich irritiert. Seine häusliche Förderung ist unauffällig. Die primäre Bezugsperson stellt derzeit die Mutter dar, dem Vater gegenüber verhält sich das Kind ambivalent. Dieser Umstand ist weitgehend auf die negative Haltung der Mutter dem Vater gegenüber zurückzuführen. Im letzten Jahr bemerkte nämlich die Mutter bestimmte Irritationen des Kindes nach den Besuchstagen und nahm diese zum Anlaß, weitere Besuchskontakte des Vaters acht Monate lang zu unterbinden. Erst nach Abweisung ihres diesbezüglichen Antrages auf Aussetzung der Besuchskontakte verhielt sie sich wieder kooperativ und ließ die Besuche des Vaters zu. Beide Elternteile sind um das Wohl des Kindes bemüht. Die Kindesmutter ist derzeit jedoch eher in der Lage, dem Kind emotional Halt und Sicherheit zu bieten. Für ein Kind in Patricks Alter kommt der Beziehung zur Mutter - wie auch in der einschlägigen Fachliteratur immer wieder festgestellt wurde - eine besondere Bedeutung zu. Eine radikale Trennung von dieser - wie der Vater sie vorschlägt - würde zu einer weiteren massiven psychischen Irritation des Kindes führen. Die Erziehungshaltung beider Elternteile ist unterschiedlich, der Vater tendiert eher zu einem autoritären Erziehungsstil, während die Mutter das Kind mehr gewähren läßt, fallweise jedoch auch inkonsequent in ihrer Erziehungshaltung ist. Was die Förderung des Kindes betrifft, ist festzustellen, daß Patrick derzeit ein intellektuell knapp durchschnittlich entwickeltes Kind ist, die häusliche Förderung ist unauffällig. Das Kind ist durch die seit langem bestehende Konfliktsituation zwischen den Eltern irritiert, es neigt in Konfliktsituationen zu regressiven Verhaltensweisen. Der Vater äußert die Ansicht, daß der beruflichen Zukunft eines Kindes eine so wesentliche Bedeutung zukommt, daß - um dies zu erreichen - auch eine massive emotionale Irritation verantwortet werden kann. Dem ist aus psychologischer Sicht zu widersprechen, da eine möglichst stabile emotionale Situation im Kindesalter für die Persönlichkeitsbildung und Ausbildung der Leistungs- und Gemeinschaftsfähigkeit von besonderer Bedeutung ist. Dem Vater kann zwar nicht die Erziehungsfähigkeit abgesprochen werden, er kann jedoch in seiner leistungsorientierten Einstellung die emotionalen Bedürfnisse eines fünfjährigen Kindes nicht in ausreichendem Ausmaß erfüllen. Die Mutter kommt ihren Pflichten betreffend Pflege und Erziehung des Kindes ausreichend nach.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, es liege kein Anlaß vor, vom Prinzip der Kontinuität in der Pflege und Erziehung abzugehen, weshalb der Antrag des Vaters mangels der Voraussetzungen des § 176 ABGB abzuweisen war.

Der Rekurs des Vaters blieb erfolglos. Das Rekursgericht führte aus, daß im Hinblick auf die rechtskräftige Übertragung der elterlichen Rechte an die Mutter seit 29.2.1984 eine Entziehung derselben und Übertragung an den Vater nur unter den Voraussetzungen des § 176 ABGB erfolgen könnte, also nur wenn die Mutter durch ihr Verhalten das Wohl des mj. Kindes gefährde. Eine solche Übertragung der elterlichen Rechte nach § 176 ABGB wäre nicht schon dann gerechtfertigt, wenn die Erziehung bei einem Elternteil besser wäre als die an sich ordnungsgemäße Betreuung beim derzeit erziehungsberechtigten Elternteil, sondern käme nur als äußerste Notmaßnahme bei Mißbrauch der Elternrechte oder Vernachlässigung der Pflege in Frage; ein Pflegeplatzwechsel könne nur aus schwerwiegenden Gründen erfolgen, wobei ein strenger Maßstab anzulegen sei. Die Rekursausführungen dahingehend, daß das Kind durch die Erziehung der Mutter schon einen beträchtlichen psychischen Schaden erlitten habe, und bei der Mutter einer unhaltbaren Situation ausgesetzt sei, fänden in sämtlichen Verfahrensergebnissen keine Deckung. Die Stellungnahme des Jugendamtes, welche vom Rekurswerber ohne nähere Ausführungen als unrichtig bezeichnet werde, finde im Gutachten der psychologischen Sachverständigen Dr. G*** volle Bestätigung. Soweit sich die Rekursausführungen mit der Wiedergabe des Verhaltens der Mutter anläßlich der Befundaufnahme durch die psychologische Sachverständige sowie mit der Persönlichkeit der Mutter und deren Gesundheitszustand befaßten, könnten sie am Verfahrensergebnis nichts ändern. Insbesondere aus dem psychologischen Gutachten ON 220 sei ersichtlich, daß die Mutter intellektuell knapp durchschnittlich begabt sei und ein leicht neurotisch gefärbtes Persönlichkeitsbild mit einer leicht erhöhten Affektlabilität und erhöhten Konfliktbereitschaft mit der Umgebung aufweise, sowie daß der Vater intellektuell gut durchschnittlich begabt sei und persönlichkeitsmäßig ein deutlich neurotisch gefärbtes Persönlichkeitsbild mit deutlichen neurotischen Verdrängungsmechanismen und einem erhöhten psychischen Spannungsdruck zeige. In diesem Zusammenhang könne das weitere Gutachtensergebnis, wonach der mj. Patrick eine insgesamt knapp durchschnittliche intellektuelle Leistungsfähigkeit zeige, nicht als unerwartet oder ungewöhnlich bezeichnet werden. In diesem Gutachten sei auch wiederholte Male hervorgehoben worden, daß das Kind durch die lang andauernde Konfliktsituation der Eltern deutlich irritiert sei. Es falle auf, daß einerseits die Mutter Schwierigkeiten in der Entwicklung des mj. Patrick im wesentlichen auf das Verhalten des Vaters zurückführe, während andererseits der Vater jegliche Störung in der Entwicklung des Kindes ausschließlich dem Verhalten der Mutter anlaste, es müßte beiden Elternteilen mittlerweile erkennbar sein, daß das Kind die Trennungssituation der Eltern nur dann psychisch bewältigen könne, wenn es sowohl aus den persönlichen Spannungen herausgehalten als auch, wa seine persönlichen Lebensverhältnisse betreffe, keiner weiteren Verunsicherung ausgesetzt werde. Daß dabei sowohl die - mittlerweile beendeten - Versuche der Mutter, das Besuchsrecht des Vaters zu verhindern, als auch die Bemühungen des Vaters, das Kind in seine Pflege und Erziehung übertragen zu bekommen und damit aus seinem bisherigen Lebensbereich gänzlich herauszunehmen, die Entwicklung des Kindes belasten und eine Stabilisierung erschweren, sei verständlich. Sämtliche Rekursausführungen dahingehend, daß Entwicklungsstörungen des Kindes auf den negativen Erziehungseinfluß der Mutter zurückzuführen seien, hätten in den Verfahrensergebnissen keine Deckung gefunden. Die Streitigkeiten zwischen den Eltern über die Besuchsrechtsausübung des Vaters stellten für das Kind, soweit es davon Kenntnis erhalte, zweifelsohne eine Belastung dar, die im Falle getrennt lebender Eltern wiederholt vorkomme, aber für sich allein nicht als Gefährdung des Kindeswohls durch den erziehungsberechtigten Elternteil qualifiziert werden könne. Meinungsverschiedenheiten zwischen den Elternteilen über die Höhe der Unterhaltsansprüche des Kindes hätten auf eine Elternrechtsentscheidung keinen Einfluß. Es sei zutreffend, daß nach der Aktenlage der Vater vor dem nunmehr entschiedenen Antrag bereits zweimal die Übertragung der Elternrechte an ihn beantragt habe, dies habe jedoch für die vorliegende Entscheidung keine Bedeutung. Zusammenfassend sei zu sagen, daß mögliche Entwicklungsschwierigkeiten des mj. Patrick aus der jahrelangen Belastung des Kindes durch die Konfliktsituation der Eltern resultierten, das Verfahren jedoch keineswegs ergeben habe, daß das Verhalten der Mutter eine Gefährdung des Wohls der Entwicklung des mj. Patrick darstellen würde. Dem Kindeswohl sei am meisten durch eine Festigung seiner Lebensverhältnisse und eine Unterbindung weiterer Verunsicherungen gedient.

Gegen den Beschluß des Rekursgerichtes wendet sich der Revisionsrekurs nach § 16 AußStrG des Vaters aus den Anfechtungsgründen der Aktenwidrigkeit, der Nichtigkeit und der offenbaren Gesetzwidrigkeit mit dem Antrag auf Übertragung der elterlichen Rechte im Sinn des § 144 ABGB an ihn; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist unzulässig.

Unter dem Anfechtungsgrund der Aktenwidrigkeit rügt der Rechtsmittelwerber die Feststellung des "Erstgerichtes" (richtig wohl des Rekursgerichtes), es seien bloß Versuche von der Kindesmutter gemacht worden, das Besuchsrecht des Vaters zu verhindern, weiters die Feststellung des Rekursgerichtes, die Bemühungen des Vaters, das Kind in seine Pflege und Erziehung übertragen zu erhalten, würde die Entwicklung des Kindes belasten. Die Mutter habe das Besuchsrecht des Vaters von Mitte Oktober 1987 bis einschließlich Juni 1988 beharrlich rechtswidrig verweigert; der Vater habe sich nur bemüht, auf dem gesetzlichen Weg die Pflege und Erziehung des minderjährigen Patrick übertragen zu erhalten, um für das Kind eine bessere Erziehungssituation zu schaffen. Der Rechtsmittelwerber zitiert einzelne Stellen aus dem Gutachten der Gerichtssachverständigen Dr. Angelika G***, um die psychische Labilität und inkonsequente Erziehungshaltung der Mutter darzulegen, die eine Irritation des Kindes und Sprachschwierigkeiten sowie Verhaltensstörungen bewirken.

Diesen Ausführungen ist zu erwidern, daß der Rechtsmittelgrund der Aktenwidrigkeit nur dadurch erfüllt wird, daß das Gericht die Tatsache oder den Inhalt einer Verfahrenserklärung eines Beteiligten oder eines schriftlichen oder schriftlich beurkundeten Auskunftsmittels abweichend von ihrer aktenkundigen Abfassung als tragende Entscheidungsgrundlage heranzieht (EFSlg.52.813 ua.). Eine derartige Aktenwidrigkeit vermag der Rechtsmittelwerber jedoch nicht aufzuzeigen. Seine Ausführungen stellen vielmehr, soweit sie nicht einer Bekämpfung rechtlicher Schlußfolgerungen des Rekursgerichtes zu unterstellen sind, einen im Rahmen eines außerordentlichen Revisionsrekurses unzulässigen Angriff auf die Beweiswürdigung dar (vgl. EFSlg.52.746 ua.).

Unter dem Anfechtungsgrund der Nichtigkeit rügt der Rechtsmittelwerber die Nichtbeachtung von ihm in seinem Rekurs gegen den Beschluß des Erstgerichtes vorgebrachter Neuerungen durch das Rekursgericht.

Diesen Ausführungen ist zu erwidern, daß die Nichtbeachtung von Neuerungen grundsätzlich bloß die Behauptung eines Verfahrensmangels darstellt, der im Rahmen eines außerordentlichen Revisionsrekurses, wenn überhaupt, nur aufgegriffen werden könnte, wenn er in seinen Auswirkungen einer Nichtigkeit gleichkäme (EFSlg.19.048 ua.), etwa, wenn dadurch tragende Grundsätze des Pflegschaftsverfahrens wie die Beachtung des Kindeswohls, vernachlässigt würden. Davon kann aber bezüglich der Rekursausführungen, die im wesentlichen darauf abzielen, die charakterliche Eignung der Mutter zur Pflege und Erziehung des Kindes in Frage zu stellen, keine Rede sein, weil die dort aufgestellten Behauptungen nicht geeignet sind, die auf der objektiven Grundlage des Gutachtens der Sachverständigen Dr. G*** getroffenen Feststellungen der Vorinstanzen zu erschüttern und eine Gefährdung des Kindeswohls bei Belassung der Minderjährigen bei seiner Mutter darzutun. Es liegt somit auch der Anfechtungsgrund der Nichtigkeit nicht vor.

Unter dem Anfechtungsgrund der offenbaren Gesetzwidrigkeit führt der Rechtsmittelwerber aus, die Vereitelung seines Besuchsrechtes durch die Mutter sei vom Rekursgericht nicht entsprechend als Gefährdung des Kindeswohls bewertet worden, was im Widerspruch zur klaren Regelung des § 176 ABGB stehe; die Mutter sei auf Grund ihrer psychischen Labilität nicht zur Pflege und Erziehung des Kindes geeignet.

Diesen Ausführungen ist zu erwidern, daß eine offenbare Gesetzwidrigkeit jedoch nur dann vorliegt, wenn ein Fall im Gesetz selbst ausdrücklich und so klar gelöst ist, daß kein Zweifel über die Absicht des Gesetzgebers aufkommen kann und trotzdem eine damit im Widerspruch stehende Entscheidung gefällt wurde (SZ 44/180; SZ 46/98 uva.) oder das Gericht gegen ein Grundprinzip der Rechtsordnung, etwa durch gänzliche Außerachtlassung des Kindeswohls, verstoßen hat (EFSlg.52.759 uva.). Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, daß eine Änderung der Zuerkennung der elterlichen Rechte und Pflichten im Sinne des § 177 ABGB ein Verhalten eines Elterteiles voraussetzt, das die Interessen seines Kindes gefährdet. Eine solche Änderung darf nur angeordnet werden, wenn sie im Interesse des Kindes dringend geboten ist, wobei bei Beurteilung dieser Frage grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen ist (EvBl 1979/42, EvBl 1979/185; EFSlg.35.998, 38.362, 40.865, 45.846, 48.395 ua.). Wenn die Elternrechte bereits einem Elternteil zuerkannt sind, kann eine Übertragung an den anderen nur unter den Voraussetzungen des § 176 ABGB erfolgen (EFSlg.38.360, 43.321, 45.841, 48.397 ua.). Eine Entscheidung nach § 176 ABGB hat aber zur Voraussetzung, daß die Eltern durch ihr Verhalten das Wohl, des Minderjährigen gefährden, was dann der Fall ist, wenn sie ihre Pflichten objektiv nicht erfüllen oder subjektiv gröblich vernachlässigen (EFSlg.51.279 uva.). Dafür, daß bei der vom Rekursgericht im Rahmen des § 176 ABGB zu treffenden Ermessensentscheidung das Wohl des Minderjährigen völlig mißachtet worden wäre, bieten die Verfahrensergebnisse keine Anhaltspunkte. Eine weitergehende Prüfung der Ermessensentscheidung der Vorinstanzen hat aber der Oberste Gerichtshof im Rahmen des § 16 AußStrG nicht vorzunehmen. Der Rechtsmittelwerber vermochte daher auch das Vorliegen einer offenbaren Gesetzwidrigkeit nicht darzutun. Der Revisionsrekurs war daher zurückzuweisen.

Anmerkung

E17229

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0020OB00535.89.0510.000

Dokumentnummer

JJT_19890510_OGH0002_0020OB00535_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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