TE OGH 1989/5/23 10ObS125/89

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Veröffentlicht am 23.05.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr. Wolfgang Dorner (Arbeitgeber) und Mag. Michael Zawodsky (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ernst G***, Pensionist, 4822 Bad Goisern, Lasern 8, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei A*** U***, 1200 Wien,

Adalbert Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr. Adolf Fiebich, Dr. Vera Kremslehner und Dr. Josef Milchram, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. Jänner 1989, GZ 13 Rs 136/88-18, womit das Urteil des Kreisgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 22. Juni 1988, GZ 25 Cgs 1258/87-12, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Der praktische Arzt Dr. Rudolf B*** in Bad Goisern zeigte der beklagten Partei am 26. August 1987 (eingelangt 27. August 1987) an, daß beim Kläger die Berufskrankheit "chronischer Vibrationsschaden beider Hände Spondylopathie" vorliege oder angenommen werde, wegen der er seit Jahren behandelt werde und seit April 1987 arbeitsunfähig sei. Die Berufskrankheit sei durch die vom 20. April 1950 bis 31. März 1987 dauernde Beschäftigung als Motorsägearbeiter der Österreichischen Bundesforste Bad Ischl verursacht worden. Durch die angenommene Berufskrankheit sei eine dauernde Gesundheitsschädigung entstanden oder in absehbarer Zeit zu erwarten.

Die Forstverwaltung Bad Ischl der Österreichischen Bundesforste zeigte der beklagten Partei am 21. September 1987 (eingelangt 22. September 1987) an, daß bei dem in ihrem Betrieb seit 20. April 1950 als Waldfacharbeiter bei Schlägerungen beschäftigten Kläger die Berufskrankheit Weißfingerkrankheit vorliegen soll, die durch Vibrationen durch Motorsägen bei der Forstarbeit hervorgerufen worden sein soll, mit denen der Kläger aber nicht ausschließlich gearbeitet habe. Der Kläger klage über seit 1982 aufgetretene Gefühllosigkeit in den Fingern und führe diese Erkrankung auf Motorsägenarbeiten zurück. Der erstzugezogene Arzt sei Dr. Rudolf B***.

Der Facharzt für innere Medizin Dr. Peter W*** hielt in seinem vertrauensärztlichen Gutachten vom 14.Oktober 1987 unter anderem fest, daß der Kläger über Gefühllosigkeit in den Fingern und darüber klage, daß er die Motorsäge nicht mehr halten könne. Die Armreflexe waren unauffällig, der Faustschluß kräftig, bei der Dopplersonographie der Finger waren sämtliche Pulse bis zur Systemdruckhöhe nachweisbar. Der Vertrauensarzt diagnostizierte ein chronisches Cervikalsyndrom bei Osteochondrose der unteren Halswirbelsäule mit mittleren Funktionseinschränkungen und rezidivierenden Reizerscheinungen und eine mäßige Emphysembronchitis. Eine Durchblutungsstörung im Handbereich und eine entschädigungspflichtige Berufskrankheit im Sinn einer Weißfingerkrankheit liege nicht vor.

Nachdem sich Primar Dr. P*** diesem Gutachten angeschlossen hatte, lehnte die beklagte Partei mit Bescheid vom 18. November 1987 (zugestellt 20. November 1987) den Anspruch auf Entschädigung aus Anlaß der Erkrankung, die sich der Kläger nach seiner Angabe im Betrieb Forstverwaltung Bad Ischl als nach § 4 Abs. 1 Z 1 ASVG unfallversicherter Waldfacharbeiter zugezogen habe, ab, weil die Voraussetzungen des § 177 ASVG nicht vorlägen. Es bestehe keine entschädigungspflichtige Berufskrankheit nach Anlage 1 Nr. 20. Die dagegen rechtzeitig erhobene Klage richtet sich auf eine Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß, mindestens jedoch 20 vH der Vollrente, ab "Antragstellung". Sie stützt sich darauf, daß der Kläger, seit der 1. Juni 1987 eine Invaliditätspension bezieht und seit 1960 immer mit Motorsägen gearbeitet habe, bereits seit einigen Jahren immer wieder Schwierigkeiten mit den Händen gehabt habe. Er habe teilweise überhaupt kein Gefühl mehr gehabt. Es würden immer wieder Lähmungserscheinungen auftreten. Dabei handle es sich um eine Berufskrankheit im Sinn der LfdNr 20 der Anlage 1 zum ASVG. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Bei der zur Sachverständigen bestellten Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, Dr. Brigitta G***, brachte der Kläger vor, er habe 25 Jahre lang mit der Motorsäge gearbeitet. In den letzten vier bis fünf Jahren (vor dem 30. März 1988) seien immer wieder zeitweise sehr heftige Schmerzen an beiden Handgelenken und Unterarmen aufgetreten. Es habe auch immer wieder Lähmungserscheinungen und Gefühlsstörungen im Bereich der Hände gegeben. Seit er nicht mehr arbeite, sei er beschwerdefrei. Die Behandlung habe aus Bestrahlungen und Moorbädern bestanden und sei durch den Hausarzt vorgenommen worden. Einen Neurologen habe er nie aufgesucht.

In der Tagsatzung vom 22. Juni 1988 beantragte der qualifiziert vertretene Kläger die Ergänzung des erwähnten Gutachtens dahin, ob bei einer Wiederaufnahme der ursprünglichen Beschäftigung die Leiden im Sinn eines Karpaltunnelsyndroms wieder aufleben würden, ob es sich dabei um eine Berufskrankheit handeln würde und wie hoch die Minderung der Erwerbsfähigkeit seit der Beendigung der Berufstätigkeit bzw. nach Wiederaufnahme derselben wäre. Das Erstgericht lehnte die Ergänzung des Gutachtens ab und wies die Klage ab.

Es stellte im wesentlichen fest, daß die erste ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit des Klägers am 27. August 1987 bei der beklagten Partei einlangte und daß der seit 20. April 1950 als Waldfacharbeiter bei der Forstverwaltung Bad Ischl der Österreichischen Bundesforste beschäftigte Kläger seit 1960 häufig mit Motorsägen arbeitete. In den letzten Jahren vor seiner Pensionierung litt er an einem Karpaltunnelsyndrom (beidseits), das durch den beim Bedienen der Motorsäge erforderlichen kräftigen Faustschluß hervorgerufen wurde. Durch Überanstrengung der kleinen Handmuskulatur infolge des notwendigen festen Faustschlusses ist es zu Sehnenscheidenentzündungen mit Schwellung derselben und dadurch zum Druck auf den durch einen engen Sehnenkanal vom Unterarmbereich zur Hohlhand hin verlaufenden Nervus medianus gekommen. Dieses sogenannte Karpaltunnelsyndrom führt klinisch zu starken Schmerzen, die vom Handgelenksbereich in die Hohlhand und in den Unter- und Oberarm ausstrahlen. Hält die Druckeinwirkung durch die geschwollenen Sehnenscheiden auf den Nervus montagelang an, so können auch Lähmungserscheinungen in Form von motorischen Lähmungen und Sensibilitätsstörungen auftreten. Der Kläger ist derzeit völlig beschwerdefrei. Nach der Pensionierung ist die zur Heilung der Sehnenscheidenentzündung erforderliche Ruhigstellung erfolgt, die Entzündungen sind abgeklungen, irgendwelche irrevisible Schäden sind nicht festzustellen. Es fanden sich auch keine neurologischen Ausfallerscheinungen zum Zeitpunkt der erstmaligen Anzeige der vermuteten Berufskrankheit, und es liegt auch eine Minderung der Erwerbsfähigkeit durch das Karpaltunnelsyndrom nicht mehr vor. Nach der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes sei beim Kläger ursprünglich eine Berufskrankheit im Sinn der LfdNr 20 der Anlage 1 zum ASVG vorgelegen, doch seien die diesbezüglichen Beschwerden zur Zeit der Einleitung des Verfahrens vor dem Versicherungsträger bereits abgeklungen gewesen. Seither liege auf Grund der ursprünglichen Erkrankung keine Minderung der Erwerbsfähigkeit mehr vor. Nach § 203 Abs. 1 ASVG bestehe Anspruch auf eine Versehrtenrente nur, wenn die Erwerbsfähigkeit durch eine Berufskrankheit über drei Monate nach Eintritt des Versicherungsfalles hinaus um mindestens 20 vH vermindert sei. Nach § 174 Z 2 ASVG gelte der Versicherungsfall bei Berufskrankheiten bei Beginn der Krankheit oder, wenn dies für den Versicherten günstiger sei, mit dem Beginn der Minderung der Erwerbsfähigkeit als eingetreten. Leistungen aus der Unfallversicherung fielen jedoch nach § 86 Abs. 4 leg.cit. erst mit dem Tag der Antragstellung bzw. Einleitung des Verfahrens, das zur Feststellung des Anspruchs führe, an, wenn nicht innerhalb von zwei Jahren nach Eintritt des Versicherungsfalles entweder der Anspruch von Amts wegen festgestellt oder ein Antrag auf Feststellung des Anspruches gestellt worden sei. Da die durch die beschriebene Krankheit verursachten Beschwerden bereits seit einigen Jahren vor der erstmaligen Meldung an die beklagte Partei aufgetreten seien, sei der Versicherungsfall bereits mehr als zwei Jahre vor dem Tag der Einleitung des Verfahrens eingetreten. Leistungen aus der Unfallversicherung könnten daher frühestens ab dem Tag der Einleitung des Verfahrens anfallen, seit welchem aber keine Minderung der Erwerbsfähigkeit mehr bestehe. Es könne sein, daß die beschriebenen Beschwerden bei einer Wiederaufnahme der früheren Tätigkeit des Klägers wieder auftreten und zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 vH führen. Bei der Beurteilung der Minderung der Erwerbsfähigkeit auf Grund einer Berufskrankheit sei jedoch nur auf den aktuellen Leidenszustand abzustellen und nach diesem zu beurteilen, ob eine Versehrtenrente gebühre. Anders sei es nur bei den Berufskrankheiten, bei denen in der Anlage 1 zum ASVG ausdrücklich festgehalten sei, daß sie als Berufskrankheiten gelten, "wenn und solange sie zur Aufgabe schädigender Erwerbsarbeit zwingen". Die LfdNr 20 falle nicht unter diese Ausnahmen. Das Berufungsgericht gab der wegen Mangelhaftigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung des Klägers Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Rechtssache unter Rechtskraftvorbehalt zur Verhandlung und Urteilsfällung an das Erstgericht zurück.

Nach der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes spielt die Frage des Anfalls der begehrten Leistung nur insoweit eine Rolle, als es nach § 203 Abs. 1 letzter Satz ASVG der Fall sein könne, daß zu diesem Zeitpunkt eine vorher bestehende Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht mehr gegeben sei. Sonst sei auf den Eintritt des Versicherungsfalles abzustellen und zu prüfen, ob die Erwerbsfähigkeit durch eine Berufskrankheit über drei Monate im vom Gesetz geforderten Ausmaß vermindert sei. Im vorliegenden Fall sei innerhalb von zwei Jahren nach dem Eintritt des Versicherungsfalls der Anspruch weder von Amts wegen festgestellt, noch ein Antrag auf Feststellung des Anspruchs erhoben worden, weshalb nach § 86 Abs. 4 ASVG als frühester Zeitpunkt der Leistung der 27. August 1987 (Einlangen der ärztlichen Anzeige über eine Berufskrankheit des Klägers bei der beklagten Partei) in Betracht komme. Da der Versicherungsfall mehr als zwei Jahre vor diesem Zeitpunkt eingetreten sei, sei für diesen Zeitpunkt zu prüfen, ob die Erwerbsfähigkeit auf Grund der Berufskrankheit noch um mindestens 20 vH vermindert sei. Ziehe das Erstgericht ernsthaft in Betracht, daß das Leiden des Klägers noch latent vorhanden sei, obgleich es festgestellt habe, daß das Karpaltunnelsyndrom nicht mehr vorliege und auch keinerlei irrevisible Schäden nachzuweisen seien, so bedeute dies wohl nur die Feststellung der momentanen Beschwerdefreiheit und des Abklingens der Sehnenscheidenentzündung als Ursache des Karpaltunnelsyndroms. Die Frage, ob dieses bei Wiederaufnahme der bisherigen Tätigkeit oder anderer Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wieder auftreten werde, sei, weil darüber kein Ergänzungsgutachten eingeholt worden sei, bewußt offengeblieben. Der diesbezügliche Beweisantrag des Klägers sei zwar insofern zu eng, als er nur auf die Auswirkungen der Wiederaufnahme der ursprünglichen Beschäftigung abstelle, wobei abgesehen von den Berufskrankheiten im Sinn der Nummer 19 und 30 der Anlage 1 zum ASVG, in denen eine unmittelbare Anknüpfung an die vom Versicherten ausgeübte Tätigkeit erfolgen könne, grundsätzlich die Auswirkungen einer Unfallverletzung oder Berufskrankheit auf die Einsatzmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu prüfen seien. Der Beweisantrag stelle jedoch die völlige Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit in Abrede. Die Berufskrankheiten im Sinne der Nummer 19 und 30 unterschieden sich von den anderen Berufskrankheiten in der Frage, ob eine unmittelbare Anknüpfung an die vom Versicherten vor dem Eintritt des Versicherungsfalles ausgeübte Tätigkeit zu erfolgen habe. Zum aktuellen Leidenszustand gehöre jedoch in jedem Fall auch ein latentes Leiden. Bestehe kein akuter Leidenszustand, seien die Auswirkungen einer Wiederaufnahme einer Berufstätigkeit zu bedenken und sei die Minderung der Erwerbsfähigkeit insofern abstrakt, bezogen auf den aktuellen Leidenszustand, zu prüfen. Andernfalls wäre der Versicherte im Fall einer späteren Antragstellung gezwungen, eine schädigende Tätigkeit aufzunehmen, um beim Wiederausbruch der latenten Berufskrankheit die Versehrtenrente begehren zu können. Die abstrakte Prüfung des Grundes der Minderung der Erwerbsfähigkeit bestehe in der Gegenüberstellung der Durchschnittsverdienste in den Arbeitsmöglichkeiten, die dem Versicherten bis zum Eintritt des Versicherungsfalles offen gestanden seien, mit den Durchschnittsverdiensten in den ihm im Hinblick auf die Unfallfolgen (Berufskrankheit) verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten. Diese seien dann gemindert, wenn - wie hier noch ungeklärt sei - eine latente Krankheit bei Aufnahme der verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten sofort wieder ausbrechen würde. § 174 Z 2 ASVG verweise bezüglich des Eintritts des Versicherungsfalles auf den Beginn der (behandlungsbedürftigen) Krankheit (§ 120 Abs. 1 Z 1 ASVG), wobei letztere als regelwidriger Körper- oder Geisteszustand definiert sei. Ein solcher bestehe auch, wenn eine latente Krankheit vorhanden sei und unter bestimmten Bedingungen zum Ausbruch komme. Im Bereich der Krankenversicherung werde der Eintritt der Arbeitsfähigkeit auch dann verneint, wenn durch die Wiederaufnahme der arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeit eine Schädigung der Gesundheit oder eine Verschlechterung des Körperzustandes des Versicherten zu erwarten sei, so daß auch das latente Leiden als regelwidriger Körperzustand gewertet werde. Es bedürfe daher zwar keiner Verfahrensergänzung in Richtung einer Berufskrankheit im Sinn der Nummer 20 der Anlage 1 zum ASVG, sondern im Sinn der Nummer 22 dieser Anlage (Lähmung der Nerven). Es stehe nämlich fest, daß die Ursache des Karpaltunnelsyndroms der bei der Bedienung der Motorsäge erforderliche kräftige Faustschluß und nicht die Vibration der Motorsäge sei. Ursache der Schmerzen sei die Druckeinwirkung der geschwollenen Sehnenscheiden auf den Nervus medianus mit möglichen Lähmungserscheinungen und Sensibilitätsstörungen. Es stehe daher fest, daß die Erkrankung des Klägers durch den notwendigen festen Faustschluß beim Halten eines Gerätes hervorgerufen worden sei. Würde eine latente Erkrankung durch den beim Halten von Geräten notwendigen Faustschluß in Zukunft akut, wäre dadurch die Erwerbsfähigkeit abstrakt gemindert. Vorher sei freilich durch die Ergänzung des neurologischen Gutachtens zu klären, ob es sich bei der Erkrankung des Klägers um eine Berufskrankheit nach der LfdNr 22 der Anlage 1 zum ASVG handle und bejahendenfalls, ob diese latente Krankheit wegen ihres Wiederauftretens bei Wiederaufnahme von Beschäftigungen, bei denen ein fester Faustschluß an Arbeitsgeräten erforderlich sei, eine Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit darstelle. Daß der Nervus medianus durch den Druck von Werkzeugen gegen die Hohlhand betroffen werde und daß dies zu einer Drucklähmung der Nerven führen könne, sei durch die Ausführungen von Mollowitz, Der Unfallmann 331, belegt. Eine Verfahrensergänzung durch das Berufungsgericht würde im Vergleich zur Zurück(ver)weisung die Erledigung verzögern oder einen erheblichen Mehraufwand von Kosten verursachen.

Gegen den im Berufungsverfahren ergangenen Beschluß des Berufungsgerichtes wendet sich der nach § 519 Abs. 1 Z 3 und Abs. 2 ZPO iVm § 45 Abs. 5 ASGG statthafte, vom Kläger nicht beantwortete Rekurs der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen.

Rechtliche Beurteilung

Das Rechtsmittel ist nicht berechtigt.

Der Kläger begehrt von der beklagten Partei eine Versehrtenrente "ab Antragstellung" (gemeint: ab dem Einlangen der Berufskrankheitsanzeige des praktischen Arztes Dr. B*** bei der beklagten Partei am 27. August 1987).

Anspruch auf Versehrtenrente besteht, wenn die Erwerbsfähigkeit des Versehrten durch die Folgen eines Arbeitsunfalles oder eine Berufskrankheit über drei Monate nach dem Eintritt des Versicherungsfalles hinaus um mindestens 20 vH vermindert ist; die Versehrtenrente gebührt für die Dauer der Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 20 vH (§ 203 Abs. 1 ASVG). Leistungen aus der Unfallversicherung fallen, wenn innerhalb von zwei Jahren nach Eintritt des Versicherungsfalles weder der Anspruch von Amts wegen festgestellt noch ein Antrag auf Feststellung des Anspruches gestellt wurde, mit dem Tag der späteren Antragstellung bzw. mit dem Tag der Einleitung des Verfahrens an, das zur Feststellung des Anspruches führt (§ 86 Abs. 4 ASVG). Besteht für eine durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit verursachte Arbeitsunfähigkeit ein Anspruch auf Krankengeld, so fällt die Versehrtenrente mit dem Tage nach dem Wegfall des Krankengeldes, spätestens mit der 27. Woche nach dem Eintritt des Versicherungsfalles an (§ 204 Abs. 1 ASVG). In allen übrigen, nicht in den Abs. 2 bis 4 der zit. Gesetzesstelle genannten Fällen fällt die Versehrtenrente nach Abs. 5 dieses Paragraphen mit dem Tage nach dem Eintritt des Versicherungsfalles an.

Der Versicherungsfall gilt als eingetreten:

1.

bei Arbeitsunfällen mit dem Unfallereignis;

2.

bei Berufskrankheiten mit dem Beginn der Krankheit (§ 120 Abs. 1 Z 1) oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, mit dem Beginn der Minderung der Erwerbsfähigkeit (§ 203) (§ 174 ASVG). Das Berufungsgericht hat daraus zutreffend abgeleitet, daß die eingeklagte Leistung frühestens mit dem 27. August 1987 als dem Tag der Einleitung des zur Feststellung des Anspruches führenden Verfahrens anfallen kann.

Nach den erstgerichtlichen Feststellungen waren die mit dem Karpaltunnelsyndrom zusammenhängenden Beschwerden des Klägers, die auf eine Berufskrankheit zurückgeführt werden könnten, zum erwähnten Zeitpunkt zwar bereits so weit ohne irrevisible Schäden abgeklungen, daß die Erwerbsfähigkeit dadurch nicht mehr vermindert war. Unter Bedachtnahme auf die Ausführungen des Erstgerichtes, es könnte durchaus sein, daß die früheren Beschwerden bei einer Wiederaufnahme der früheren Tätigkeit wieder auftreten und zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 vH führen, doch müßte dies mangels Entscheidungswesentlichkeit nicht geklärt werden, ging das Berufungsgericht zutreffend davon aus, daß das Erstgericht nur die "momentane" (richtig: die seit 27. August 1987 bestehende) Beschwerdefreiheit und das Abklingen der Sehnenscheidenentzündung als Ursache des Karpaltunnelsyndroms festgestellt, die Frage, ob dieses bei Wiederaufnahme der bisherigen oder einer anderen Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wieder auftreten werde, jedoch unter Zurückweisung der vom Kläger beantragten Gutachtensergänzung offengelassen hat.

Dem Berufungsgericht ist auch darin beizupflichten, daß das Verfahren erster Instanz deshalb an einem wesentlichen, eine erschöpfende und gründliche Beurteilung der Streitsache verhindernden Mangel leidet und auch nach Inhalt der Prozeßakten erheblich scheinende Tatsachen nicht festgestellt wurden. Die Sachverständige für Neurologie führte auf S 5 (AS 19) ihres schriftlichen Gutachtens ON 4 zwar aus, daß der Kläger an einem Karpaltunnelsyndroms bds gelitten habe und völlig beschwerdefrei sei, erklärte aber weiters, daß nach seiner Pensionierung die zur Heilung der Sehnenscheidenentzündung erforderliche Ruhigstellung erfolgt sei, die Entzündungen abgeklungen seien. Da sich der Kläger seit März 1987 im Krankenstand befunden habe, sei mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit bis Sicherheit anzunehmen, daß nach mehrmonatiger Ruhigstellung die Beschwerden Anfang September 1987 voll abgeklungen gewesen seien.

Diese Ausführungen der neurologischen Sachverständigen legen den Schluß nahe, daß das nach dem erwähnten Gutachten durch den beim Bedienen der Motorsäge erforderlichen kräftigen Faustschluß hervorgerufene bds Karpaltunnelsyndrom, das zu starken Schmerzen vom Handgelenksbereich in die Hohlhand und in den Unter- und Oberarm führt und bei monatelangem Anhalten der Druckeinwirkung der geschwollenen Sehnenscheiden auf den Nervus medianus zu Lähmungserscheinungen in Form motorischer Lähmungen und Sensibilitätsstörungen führen kann, ohne die Ruhigstellung während des monatelangen Krankenstandes und seit der an diesen anschließenden Pension des Klägers nicht abgeklungen wäre, sondern sich bei Fortsetzung der vor dem Krankenstand ausgeübten Beschäftigung, möglicherweise auch bei ebenfalls zu Überanstrengungen der kleinen Handmuskulatur führenden anderen Tätigkeiten nicht gebessert oder sogar noch verschlimmert hätte. Es dürfte sich daher um eine Erkrankung handeln, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten zwingt, die für ihre Entstehung oder Verschlimmerung oder ihr Wiederaufleben ursächlich waren oder sein könnten.

Bei solchen Erkrankungen, die bei Fortsetzung oder Aufnahme schädigender Erwerbsarbeit wieder ausbrechen können, kann es sich auch während der Latenz um Berufskrankheiten handeln, durch deren Folgen die Erwerbsfähigkeit gemindert wird, weil sich dadurch die Fähigkeit des Versicherten, sich auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens einen Verdienst zu erwerben (SSV-NF 1/64 ua), einengt. Während Hauterkrankungen (LfdNr 19 der Anlage 1) und Erkrankungen an Asthma bronchiale (LfdNr 30 dieser Anlage) überhaupt nur als Berufskrankheiten gelten, wenn und solange sie zur Aufgabe schädigender Erwerbsarbeit zwingen, worunter die letzte Erwerbstätigkeit zu verstehen ist (SSV-NF 1/65), wobei allerdings auch die Auswirkungen der Aufnahme auch anderer Erwerbstätigkeiten auf die Entwicklung dieser Krankheiten zu prüfen ist (SSV-NF 2/104), ist bei den übrigen (latenten) Berufskrankheiten die Aufgabe der schädigenden Erwerbsfähigkeit nicht Voraussetzung der Anerkennung als Berufskrankheit.

Ob überhaupt und welcher LfdNr der Liste der Berufskrankheiten Anlage 1 zum ASVG das langdauernde bds Karpaltunnelsyndrom zugeordnet werden kann, wann der Versicherungsfall bei einer allfälligen Berufskrankheit als eingetreten gilt und ob, seit wann und in welchem Ausmaß die Erwerbsfähigkeit dadurch gemindert ist, kann erst nach den vom Berufungsgericht dem Erstgericht aufgetragenen Verfahrensergänzungen verläßlich beurteilt werden. Der angefochtene Aufhebungsbeschluß war daher zu bestätigen.

Anmerkung

E18360

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:010OBS00125.89.0523.000

Dokumentnummer

JJT_19890523_OGH0002_010OBS00125_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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