TE OGH 1989/5/23 10ObS173/89

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.05.1989
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Wolfgang Dorner (Arbeitgeber) und Mag.Michael Zawodsky (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Alois W***, Kaufmann, 6020 Innsbruck, Höhenstraße 5, vertreten durch Dr.Paul Ladurner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei P***

DER A***, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Aufrechnung infolge Rekurses der klagenden Partei gegen Punkt 2 des Beschlusses des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21.Februar 1989, GZ 5 Rs 5/89-14, womit aus Anlaß der Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 11. Oktober 1988, GZ 42 Cgs 70/88-7, und das ihm vorangegangene Verfahren als nichtig aufgehoben und die Klage zurückgewiesen wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Punkt 2 des berufungsgerichtlichen Beschlusses wird aufgehoben.

Dem Berufungsgericht wird aufgetragen über die Berufung des Klägers zu entscheiden.

Die Rekurskosten sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Mit Bescheid vom 8.Februar 1988 rechnete die beklagte P*** DER A*** die Nachzahlung an Berufsunfähigkeitspension des Klägers für die Zeit vom 1. Oktober 1985 bis 30.November 1987 von 291.932,90 S zur Hälfte mit einer ihr gegen den Kläger zustehenden Forderung an Beiträgen zur Pensionsversicherung auf. Mit Bescheid vom 7.März 1988 rechnete sie von einer weiteren Nachzahlung von 19.915,20 S 8.261,20 S mit der erwähnten Beitragsforderung auf.

In der dagegen erhobenen Klage behauptete der Kläger, daß ihm von diesen Nachzahlungen nur 19.760 S abgezogen werden dürften. Er begehrte, die beklagte Partei zur Zahlung von 134.467,70 S samt 13,5 % Zinsen zu verurteilen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und erkannte den Kläger schuldig, die Aufrechnungen zu dulden.

Dagegen erhob der Kläger Berufung wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung, in der er die Abänderung im klagestattgebenden Sinn, allenfalls die Aufhebung des erstgerichtlichen Urteiles beantragte. Er erstattete auch eine Replik auf die Berufungsbeantwortung. Das Berufungsgericht wies die Berufungsreplik zurück (Punkt 1), hob aus Anlaß der Berufung das angefochtene Urteil und das ihm vorangegangene Verfahren als nichtig auf und wies die Klage zurück (Punkt 2).

Es vertrat die Rechtsansicht, daß der Rechtsstreit ausschließlich darüber geführt werde, in welchem Ausmaß die beklagte Partei die zuerkannte Leistung dem Kläger auszuzahlen habe. Bei den nach § 367 Abs 2 ASVG bei Aufrechnung auf eine Geldleistung zu erlassenden Bescheiden handle es sich zwar um solche in Leistungssachen, doch führe § 354 ASVG solche Angelegenheiten ebensowenig an wie § 65 Abs 1 ASGG. Deshalb handle es sich bei der vorliegenden Rechtssache um keine Sozialrechtssache. Auch das Zinsenbegehren sei nach einhelliger Ansicht unzulässig (Kuderna, ASGG 358; SSV 16/83).

Gegen Punkt 2 des berufungsgerichtlichen Beschlusses richtet sich der nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO statthafte, vor der beklagten Partei nicht beantwortete Rekurs des Klägers mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und die Rechtssache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist berechtigt.

Das im Siebenten Teil des ASVG geregelte Verfahren gliedert sich nach § 353 in das Verfahren in Leistungssachen (§ 354) und das Verfahren in Verwaltungssachen (§ 355).

Leistungssachen sind die Angelegenheiten, in denen es sich handelt um

1. die Feststellung des Bestandes, des Umfanges oder des Ruhens eines Anspruches auf eine Versicherungsleistung ..,

2. Feststellung der Verpflichtung zum Rückersatz einer zu Unrecht empfangenen Versicherungsleistung,

3. ..., 4. ... (§ 354).

Alle nicht gemäß § 354 als Leistungssachen geltenden Angelegenheiten, für die nach § 352 die Bestimmungen des Siebenten Teiles des ASVG gelten, sind Verwaltungssachen (§ 355 S 1). Nach dem zum Abschnitte II (Verfahren in Leistungssachen)

1. Unterabschnitt (Feststellung von Leistungsansprüchen durch die Versicherungsträger) gehörenden § 367 Abs 2 (Bescheide der Versicherungsträger in Leistungssachen) ist Abs 1 dieser - die Pflicht zur Bescheiderlassung regelnden - Gesetzesstelle entsprechend anzuwenden ... bei Aufrechnung auf eine Geldleistung ... Nach dem dem durch § 96 Z 8 ASGG aufgehobenen 3. Unterabschnitt (Leistungsstreitverfahren erster Instanz) des Abschnittes II des Siebenten Teiles des ASVG angehörenden § 371 (Sachliche Zuständigkeit der Schiedsgerichte) waren die Schiedsgerichte in erster Instanz ausschließlich zuständig zur Entscheidung von Streitigkeiten

1. in Leistungssachen nach § 354, 2. in Verfahrenskostensachen nach § 359 Abs 2 und 4.

Seit 1.Jänner 1987 sind zur Entscheidung über ...

Sozialrechtssachen die ordentlichen Gerichte berufen (§ 2 Abs 1 ASGG).

Nach § 65 (Gegenstand der Sozialrechtssachen) Abs 1 ASGG sind

Sozialrechtssachen Rechtsstreitigkeiten über

1. den Bestand, den Umfang oder das Ruhen eines Anspruchs auf

Versicherungsleistungen, ... (§ 354 Z 1 ASVG, ...);

2. die Pflicht zum Rückersatz einer zu Unrecht empfangenen

Versicherungsleistung (...);

3. ...; 4. ...; 5. ...; 6. ...; 7. ... und 8. ...

Das ASGG verwendet im § 67 Abs 1 für Sozialrechtssachen nach § 65 Abs 1 Z 1, 4 und 6 bis 8, im § 69 für Sozialrechtssachen nach § 65 Abs 1 Z 2, im § 70 Abs 1 für Sozialrechtssachen nach § 65 Abs 1 Z 3 und im § 71 Abs 1 für Sozialrechtssachen nach § 65 Abs 1 Z 1, 2 oder 4 bis 8 den Begriff "Leistungssachen".

Nach § 103 ASVG dürfen die Versicherungsträger auf die von ihnen zu erbringenden Geldleistungen aufrechnen:

1. von Anspruchsberechtigten dem leistungspflichtigen Versicherungsträger geschuldete fällige Beiträge, soweit das Recht auf Einforderung nicht verjährt ist;

2. von Versicherungsträgern zu Unrecht erbrachte, vom Anspruchsberechtigten rückzuerstattende Leistungen, soweit das Recht auf Rückforderung nicht verjährt ist;

3. von Versicherungsträgern gewährte Vorschüsse (§§ 104 Abs 1 letzter S, 368 Abs 2) (Abs 1). Die Aufrechnung nach Abs 1 Z 1 und 2 ist nur bis zur Hälfte der zu erbringenden Geldleistung zulässig (Abs 2). Ist im Zeitpunkt des Todes des Anspruchsberechtigten eine fällige Geldleistung noch nicht ausgezahlt, ist die Aufrechnung nach Abs 1 Z 1 und 2 ohne Begrenzung bis zur vollen Höhe der noch nicht ausgezahlten Geldleistung zulässig (Abs 3).

Daß bei Aufrechnung auf eine Geldleistung nach § 367 Abs 2 ASVG in entsprechender Anwendung des Abs 1 dieser Gesetzesstelle ein Bescheid zu erlassen ist, wurde schon erwähnt.

Aus den zitierten Gesetzesstellen ergibt sich, daß es sich bei der Aufrechnung auf die von den Versicherungsträgern zu erbringenden Geldleistungen um die gänzliche oder teilweise Aufhebung des Anspruches des Versicherten auf eine von dem Versicherungsträger zu erbringende Versicherungsleistung durch eine Gegenforderung eines Versicherungsträgers gegen den Versicherten, also um die Feststellung des Bestandes oder des Umfanges eines Anspruches auf eine Versicherungsleistung betreffende Angelegenheiten und damit um Leistungssachen iS des § 354 Z 1 ASVG und um Sozialrechtssachen (Leistungssachen) iS des § 65 Abs 1 Z 1 (§ 67 Abs 1 und § 71 Abs 1) ASGG handelt.

Diese Rechtsauffassung entspricht der ständigen Rechtsprechung des Oberlandesgerichtes Wien als bis 31.Dezember 1986 letzter Instanz in Leistungsstreitsachen (zB SSV 5/54, 19/50 und 21/107). Die letztgenannte Entscheidung wird bei Kuderna, ASGG § 65 Erl 3 unzutreffend dahin zitiert, daß ein Streit darüber, ob Beitragsrückstände auf eine Pensionsnachzahlung aufgerechnet werden dürfen, keine Leistungssache sei. Tatsächlich berief sich das Oberlandesgericht in dieser Entscheidung darauf, es habe bereits zu SSV 5/54 ausgeführt, daß § 367 Abs 2 ASVG die Bescheidpflicht bei Aufrechnung auf eine Geldleistung ausdrücklich anordne. "Damit könnte die Zuständigkeit des Erstgerichtes gemäß § 371 Z 1 und § 354 Z 1 ASVG gegeben sein (SSV 19/50)". Im fortgesetzten Verfahren werde das Erstgericht allerdings zu beachten haben, daß über die Aufrechnung von geschuldeten Beiträgen auf die vom Versicherungsträger zu erbringenden Geldleistungen vom Schiedsgericht nur unter der Voraussetzung entschieden werden darf, daß die Beitragsschuld entweder unbestritten ist oder im Verwaltungsverfahren bereits rechtskräftig festgestellt wurde. Hingegen führt Kuderna aaO unter Berufung auf SSV 18/101 aus, daß der Streit "über die Aufrechnung eines nachzuzahlenden Pensionsbeitrages (richtig: Pensionsbetrages) mit Leistungen aus der Arbeitslosenfürsorge und einem Fürsorgeverband" eine Leistungssache nach (§ 65) Abs 1 Z 1 (ASGG) sei.

Teschner-Fürböck weisen in MGA ASVG 46. ErgLfg § 103 FN 1a zutreffend darauf hin, daß der über die Aufrechnung zu erlassende Bescheid gemäß § 2 ASGG durch Klage bei Gericht angefochten werden könne und daß die Bemerkung in der RV (zum ASVG 599 BlgNR 7.GP 49), die Rechtmäßigkeit und das Ausmaß der Aufrechnung seien im Verwaltungsrechtsweg (also nicht durch das Gericht) überprüfbar, mit dem Gesetzestext nicht im Einklang sei und daher nicht als maßgebend anerkannt werden könne. Sie berufen sich dabei zutreffend auf Traindl, der diese Meinung in SozSi 1960, 196 vertrat. Es sei nämlich die Erlassung eines Bescheides über die Aufrechnung in Abschnitt II (Verfahren in Leistungssachen) des Siebenten Teiles, und zwar im § 367 (Bescheide der Versicherungsträger in Leistungssachen) angeordnet. Der Gesetzgeber gehe also davon aus, daß ein solcher Bescheid im weiteren Sinn den Umfang eines Leistungsanspruches betreffe und daher unter § 354 Z 1 (ASVG) falle. Nach § 2 ASGG seien aber die Gerichte zur Entscheidung von Streitigkeiten in Leistungssachen nach § 354 (ASVG) berufen. Übrigens sei auch nach bisherigem Recht das Schiedsgericht zur Entscheidung über die Bestreitung der Aufrechnung berufen gewesen. Rechtsstreitigkeiten über die Zulässigkeit der Aufrechnung auf die von den Versicherungsträgern zu erbringenden Leistungen (§ 103 ASVG) werden daher nicht bloß über die Auszahlung von Versicherungsleistungen, sondern über den Bestand oder den Umfang eines Anspruchs auf Versicherungsleistungen geführt. Es handelt sich dabei also um Sozialrechtssachen nach § 65 Abs 1 Z 1 ASGG. Auch die nur als Nebenforderungen geltend gemachten Zinsen (§ 54 Abs 2 JN) bleiben bei der Frage der Zulässigkeit des Rechtsweges unberücksichtigt (aA Kuderna aaO und SSV 16/83). Diese richtet sich vielmehr nur nach der Hauptforderung.

Der angefochtene Beschluß war daher aufzuheben und dem Berufungsgericht aufzutragen, über die Berufung zu entscheiden. Der Vorbehalt der Entscheidung über den Ersatz der Rekurskosten beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Anmerkung

E17472

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:010OBS00173.89.0523.000

Dokumentnummer

JJT_19890523_OGH0002_010OBS00173_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten