TE OGH 1989/5/24 9ObA132/89

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Veröffentlicht am 24.05.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier und Dr. Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Kurt Resch und Anton Liedlbauer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Karl.S. K***, derzeit ohne Beschäftigung, Wien 5, Vogelsanggasse 8/4, vertreten durch Dr. Heinz-Wilhelm Stenzel, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei S*** S*** G*** M.B.H., Düsseldorf, Schwannstraße 12, BRD, vertreten durch Dr. Günther Dallinger, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 399.701 sA und Feststellung (Gesamtstreitwert S 499.701,--), infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. Februar 1989, GZ 34 Ra 25/88-17, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluß des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 10. November 1987, GZ 18 Cga 1092/87-13, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß er zu

lauten hat:

"Die Klage wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 50.325,-- bestimmten Kosten des Verfahrens in erster und zweiter Instanz (darin enthalten S 4.574,90 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen."

Die klagende Partei ist weiters schuldig der beklagten Partei die mit S 17.317,80 bestimmten Kosten des Revisionsrekurses (darin enthalten S 2.886,30 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Kläger, der österreichischer Staatsbürger ist, mietete am 2. Oktober 1980 eine Wohnung in Wien 5, Vogelsanggasse 8/4. Im Jahr 1982 ging der Kläger mit seiner Gattin nach Nigeria, wo er bis 1985 für die Steyr-Daimler-Puch AG tätig war. Über eine Annonce, in der die Stelle eines Geschäftsführers der F*** & SAX AG, eines Tochterunternehmens der beklagten Partei, angeboten wurde, trat der Kläger mit der beklagten Partei in Verbindung und schloß beginnend mit 1. Juli 1985 einen Dreijahresvertrag für eine Tätigkeit für die S*** LTD. N*** in Nigeria ab. Sowohl von der Steyr-Daimler-Puch AG wie auch von der beklagten Partei wurde dem Kläger eine Wohnung in Nigeria zur Verfügung gestellt; der Kläger wohnte mit seiner Gattin von 1982 bis 1986 in Lagos. Das Ehepaar verbrachte jeden Urlaub (ca vier Wochen jährlich) in Österreich. Die Frau des Klägers fuhr darüber hinaus nur zur Erledigung wichtiger Dinge nach Europa. Während der Tätigkeit in Nigeria vermietete der Kläger die Wohnung in Wien nicht weiter; er bezahlte Miete, Gas und Strom. Im Jahr 1973 kaufte er eine Kücheneinrichtung und ließ 1986 in der Wohnung einen Telekabel-Anschluß installieren. Der Kläger war seit 1977 durchgehend in der Wählerevidenz in Wien eingetragen. Die Tätigkeit in Nigeria nahm der Kläger wegen der besseren Verdienstmöglichkeiten an. Nach Ablauf des Dreijahresvertrages mit der beklagten Partei wollte der Kläger, der während seiner Tätigkeit in Nigeria bei der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten in Österreich freiwillig weiterversichert war, nach Österreich zurückkehren, um hier ein Haus zu bauen. Mit Schreiben vom 12. November 1986 löste die beklagte Partei das Dienstverhältnis mit dem Kläger mit sofortiger Wirkung auf.

Der Kläger begehrt die Feststellung, daß das Arbeitsverhältnis bis (offenbar richtig) 30. Juni 1988 aufrecht bestehe sowie die Zahlung eines Betrages von S 399.701,-- sA an Gehalt, Urlaubsentschädigung, Übersiedlungskosten und Reisespesen. Da ein sachlich gerechtfertigter Grund zur vorzeitigen Auflösung des befristeten Dienstverhältnisses nicht vorliege, bestehe das Dienstverhältnis nach wie vor aufrecht. Das angerufene Gericht sei gemäß § 4 Abs 1 Z 1 lit a ASGG zuständig, weil der Kläger während der beruflichen Tätigkeit im Ausland seinen Wohnsitz in Wien beibehalten habe.

Die beklagte Partei wendete die örtliche Unzuständigkeit des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien sowie den Mangel der inländischen Gerichtsbarkeit ein. Der Kläger habe anläßlich des Antrittes seiner Tätigkeit in Lagos seinen Wohnsitz nach Nigeria verlegt. Er habe außerhalb der Zeit seines Urlaubes Anwesenheitspflicht in Nigeria gehabt. Die beklagte Partei sei vertraglich verpflichtet gewesen, ihm auch eine Wohnung bzw ein Haus in Lagos und einen Diener zur Verfügung zu stellen. Im Hinblick auf die Entfernung komme ein "ständiges Pendeln" nicht in Betracht. Auch wenn der Kläger seine frühere Wohnung nicht aufgegeben haben sollte, komme dieser der Charakter eines Wohnsitzes nicht zu. Dadurch, daß der Kläger einen mehrjährigen Dienstvertrag mit Dienstort Nigeria abgeschlossen und seine Tätigkeit dort aufgenommen habe, habe er seinen faktischen und wirtschaftlichen Lebensmittelpunkt nach Nigeria verlegt; durch einen Urlaubsaufenthalt allein werde jedoch ein Wohnsitz nicht begründet. Das Erstgericht erklärte sich für örtlich unzuständig und wies die Klage zurück. Der Kläger habe sich fünf Jahre in Nigeria aufgehalten. Wenn er auch möblierte Dienstwohnungen benützt habe, sei es doch seine Absicht gewesen, Lagos zumindest für bestimmte Zeit zum wirtschaftlichen und faktischen Mittelpunkt seines Lebens zu machen. Er habe damit in Nigeria einen Wohnsitz begründet. Wohl hebe die Begründung eines neuen Wohnsitzes den bisherigen nicht notwendigerweise auf, da die Möglichkeit bestehe, daß jemand mehrere Wohnsitze habe, soferne diese in annähernd gleichem Maß Mittelpunkt des wirtschaftlichen und privaten Lebens geworden seien. Die Wohnung in Wien sei jedoch nicht Mittelpunkt der Lebensführung des Klägers gewesen, zumal das notwendige Moment des tatsächlichen Aufenthaltes gefehlt habe, das auch durch einen Urlaubsaufenthalt von einmonatiger Dauer jährlich nicht erfüllt werde. Die inländische Gerichtsbarkeit bestehe nur dann, wenn sie entweder durch eine ausdrückliche gesetzliche Regelung oder die aus anderen Regelungen (etwa der Zuständigkeit) hervorgehenden allgemeinen Grundsätze oder Regeln des Völkerrechtes begründet werde. Da im vorliegenden Fall eine örtliche Zuständigkeit nicht begründet sei und auch sonst keine der angeführten Voraussetzungen vorliege, sei die inländische Gerichtsbarkeit nicht gegeben.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers Folge und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom Zurückweisungsgrund auf. Mit der Begründung eines neuen Wohnsitzes sei nicht notwendig die Aufgabe des bisherigen Wohnsitzes verbunden. Der Kläger habe die Absicht gehabt, nach Beendigung des Dienstverhältnisses mit der beklagten Partei nach Österreich zurückzukehren. Damit habe er seinen Wohnsitz in Wien, wo sein eigentlicher Lebensschwerpunkt gelegen sei, ungeachtet des langjährigen Auslandsaufenthaltes nicht verloren. Die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Gerichtsstandes nach § 4 Abs 1 Z 1 lit a ASGG seien erfüllt. Die örtliche Zuständigkeit eines inländischen Gerichtes ziehe auch die inländische Gerichtsbarkeit nach sich.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der Revisionsrekurs der beklagten Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß die Klage zurückgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist berechtigt.

Die inländische Gerichtsbarkeit ist vor der Zuständigkeit zu prüfen (JBl 1988, 387; Böhm JBl 1988, 388). Die von der Rechtsprechung (SZ 51/34; SZ 53/124; EvBl 1979/94; EvBl 1983/21; ZfRV 1979, 277; ZfRV 1979, 205 ua) und der älteren Lehre (Pollak, System2, 250; Sperl 28) vertretene Ansicht, die inländische Gerichtsbarkeit eines österreichischen Gerichtes sei zu bejahen, wenn ein inländischer Gerichtsstand gegeben ist, hat nicht ungeteilte Zustimmung gefunden. Insbesondere wurde vor der Anknüpfung an reine Klägergerichtsstände gewarnt (Pfersmann JBl 1978, 656; Böhm JBl 1988, 388 f). Nach der "Indikationentheorie" ist die inländische Gerichtsbarkeit zunächst indiziert, wenn ein gesetzlicher Tatbestand der örtlichen Zuständigkeit erfüllt ist; das erspart aber nicht die weitere Prüfung, ob die durch den vorliegenden Gerichtsstand repräsentierte Inlandsbeziehung auch insgesamt für die Bejahung des inländischen Justizbedürfnisses ausreicht. Allerdings wurde auch in der neuesten Lehre teilweise die Ansicht vertreten, mit der Normierung der Zuständigkeit eines inländischen Gerichtes habe der Gesetzgeber die ausreichende Nahebeziehung einer Rechtssache mit dem Inland vorweg festgestellt; es bedürfe keiner weiteren Voraussetzung für das Bestehen der inländischen Gerichtsbarkeit, wenn die örtliche Zuständigkeit vorhanden sei (vgl insbesondere Matscher, JBl 1983, 505 ff, bes 516 mwH; Loewe in ZfRV 1983, 184; Holzhammer, Österreichisches Zivilprozeßrecht2, 29; Kralik ZZP 1961, 26; SZ 57/143; EvBl 1988/33 mwH, ua).

Nach nunmehr herrschender Lehre und Rechtsprechung besteht die inländische Gerichtsbarkeit in Zivilsachen für alle Rechtssachen, die durch positiv-gesetzliche Anordnung, durch völkerrechtliche Regeln oder zufolge eines durch die inländischen Verfahrensordnungen anerkannten Anknüpfungspunktes an das Inland vor die österreichischen Gerichte verwiesen sind. Wenn jedoch zwar ein inländischer Gerichtsstand vorliegt, eine hinreichende Nahebeziehung zum Inland aber fehlt, ist trotzdem die inländische Gerichtsbarkeit zu verneinen (SZ 55/95; WBl 1987, 279). Besteht eine ausreichende inländische Nahebeziehung, fehlt es aber an einem inländischen Gerichtsstand, hat § 28 JN Abhilfe zu schaffen; ist hingegen ein inländischer Gerichtsstand gegeben, fehlt es aber an einer hinreichenden inländischen Anknüpfung, ist trotzdem die inländische Gerichtsbarkeit zu verneinen (JBl 1983, 542; Schwimann, JBl 1984, 9 ff, insbes 11).

Die vom Berufungsgericht vertretene Ansicht, daß in jedem Fall, in dem österreichische Verfahrensordnungen einen Gerichtsstand vorsehen, auch die inländische Gerichtsbarkeit gegeben ist, folgt der Lehre von der "Doppelfunktionalität" der Gerichtsstände, die als überholt anzusehen ist. Die vom Berufungsgericht hiezu (daher zu Unrecht) zitierten Entscheidungen gehen nicht von diesem Grundsatz aus, sondern stehen auf dem Boden der Indikationentheorie, die auch von Schwimann in der vom Berufungsgericht zitierten Veröffentlichung RdW 1985, 332 ff vertreten wird.

Die Frage, ob der Kläger ungeachtet seiner mehrjährigen Tätigkeit im Ausland seinen Wohnsitz im Sprengel des Erstgerichtes behalten hat, kann unerörtert bleiben. Selbst wenn man das Bestehen eines Wohnsitzes in Wien bejaht, wäre die inländische Gerichtsbarkeit nicht gegeben. Der Kläger war für die beklagte Partei, die ihren Sitz in der BRD hat, im Rahmen eines Dienstverhältnisses in Nigeria tätig. Im Zusammenhang mit den Rechtsbeziehungen der Streitteile ergibt sich kein Anhaltspunkt für eine Nahebeziehung zum Inland. Daß der Kläger während seiner Auslandstätigkeit seinen Wohnsitz im Inland behalten hätte, reicht für sich allein ebensowenig wie der Umstand, daß er österreichischer Staatsbürger ist, zur Herstellung einer die Annahme der inländischen Gerichtsbarkeit rechtfertigenden Nahebeziehung zum österreichischen Rechtsbereich aus.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E18171

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:009OBA00132.89.0524.000

Dokumentnummer

JJT_19890524_OGH0002_009OBA00132_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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