TE OGH 1989/5/31 8Ob602/89

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Veröffentlicht am 31.05.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch, Dr. Huber, Dr. Schwarz und Dr. Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien

1./ Verlassenschaft nach Herbert T***, gestorben am 11. Oktober 1985, 2./ Friederike T***, Hauseigentümerin, Hernalser Hauptstraße 44-46, 1170 Wien, beide vertreten durch Dr. Karl Zingher, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei S*** Gesellschaft mbH, Billrothstraße 41, 1190 Wien, vertreten durch Dr. Johannes Ruckenbauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert S 30.000), infolge außerordentlicher Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgerichtes vom 7. September 1988, GZ. 41 R 372/88-15, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Döbling vom 30. März 1988, GZ. 5 C 2532/87p-11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

In Abänderung der angefochtenen Entscheidung wird das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit S 9.837,99 (einschließlich S 754,54 Umsatzsteuer und S 1.538 Barauslagen) bestimmten Kosten des gesamten Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagenden Parteien sind Eigentümer der Liegenschaft Billrothstraße 41 im 19. Wiener Gemeindebezirk. Die beklagte Partei hat dort verschiedene Räumlichkeiten und Flächen zu betrieblichen Zwecken gemietet. Mit der vorliegenden Klage begehrten die Kläger die Verurteilung der beklagten Partei zur Unterlassung des Abstellens von Kraftfahrzeugen ihrer Dienstnehmer auf der Liegenschaft Billrothstraße 41 in Wien 19. Zur Begründung dieses Begehrens brachten sie vor, sie und ihre Rechtsvorgänger hätten es der beklagten Partei unentgeltlich und gegen jederzeitigen Widerruf gestattet, daß deren Dienstnehmer auf der Liegenschaft ihre Kraftfahrzeuge abstellen dürften. Die Baubehörde habe den klagenden Parteien mit Bescheid vom 18. März 1987 aufgetragen, die Einstellung von Kraftfahrzeugen ohne Bewilligung gemäß § 3 Abs. 1 lit. b Wr.GaragenG auf unbebauten Teilen ihrer Liegenschaft aufzulassen. Am 15. Juni 1987 sei die beklagte Partei aufgefordert worden, das Abstellen von Kraftfahrzeugen ihrer Dienstnehmer auf der Liegenschaft zu unterlassen. Die beklagte Partei habe diese Aufforderung aber nicht befolgt.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wandte ein, ihr Bestandrecht umfasse auch die Abstellung von Kraftfahrzeugen auf bestimmten Teilen des Hofes der Bestandliegenschaft. Dieses Recht sei von ihr bereits seit Jahrzehnten in der gehandhabten Form ausgeübt worden. Durch den Erwerb der Liegenschaft im Jahr 1981 seien die klagenden Parteien an diese Vereinbarungen gebunden. Im übrigen hätten sie sich bisher nie gegen die Benützung der Hofflächen für PKW-Abstellplätze ausgesprochen. Außerdem liege es an den klagenden Parteien, die Bewilligung für die Abstellung von Fahrzeugen durch die beklagte Partei im Hof zu erwirken.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Die beklagte Partei mietete im Jahre 1934 verschiedene Räumlichkeiten der Liegenschaft Billrothstraße 41 im 19. Wiener Gemeindebezirk, u.a. auch einen Holzplatz im hinteren Hofbereich zum Betrieb des Tischlereigewerbes. Die Hoffläche des Hauses wurde von ihr von Anfang an zum Zufahren, Beladen und Abstellen ihrer Lieferlastkraftwägen benutzt. Ab etwa 1955 stellten die Chefs und Angestellten der beklagten Partei ihre Privatkraftfahrzeuge im Hof ab. Ähnlich gingen auch andere Kraftfahrzeugbenützer verschiedener ebenfalls im gleichen Objekt tätiger Unternehmungen, nämlich einer Schlosserei, einer weiteren Tischlerei, einer Malerei und einer Weinhandlung, vor. Bis Ende 1960 hatte die beklagte Partei die von ihr benutzten Parkplätze mit dem Schild "Parkplätze der Firma S***" gekennzeichnet, sodann verrottete dieses Schild und wurde nicht mehr ersetzt. Ob zwischen den (seinerzeitigen) Vermietern und der beklagten Partei Absprachen über die Parkplätze bestanden, konnte das Erstgericht nicht feststellen. Den früheren Hauseigentümern, welche selbst im Hause wohnten, war jedenfalls bekannt, daß die Leute der beklagten Partei ihre Fahrzeuge regelmäßig auf bestimmte Flächen in den Hof stellten. Sie ließen die Firmen "machen, was sie wollten", und sprachen sich nie gegen das Abstellen aus. Ab 1977 wurden durchschnittlich zehn Fahrzeuge von Angestellten der Beklagten im Hof abgestellt, zuletzt waren es 12 bis 15 Fahrzeuge.

Im Jahr 1980 wurde von den Rechtsvorgängern der klagenden Parteien Besitzstörungsklagen gegen zwei Angestellte der beklagten Partei wegen Benützung von Parkflächen eingebracht. Diese Klagen wurden wegen Feststellung eines seit Jahres bestehenden ruhigen Besitzes der beklagten Partei an solchen Parkflächen abgewiesen. Zwischen den Streitteilen gab es auch Kontakte wegen eines Entgeltes für die Parkplatzbenützung. Dennoch wurde die Benützung des Hofs für Privatfahrzeuge der beklagten Partei von den klagenden Parteien nicht untersagt. Erst wieder vor einem Jahr (offenbar: vor dem gegenständlichen Verfahren) wandte sich der Vertreter der klagenden Partei neuerlich an die beklagte Partei, um mit dieser ein Entgelt für die Abstellung der Fahrzeuge auszuhandeln. Dies lehnte der Geschäftsführer der beklagten Partei im Hinblick auf das Ergebnis der Besitzstörungsverfahren ab.

Beim Erwerb der Liegenschaft durch die klagenden Parteien im Jahr 1981 wurde mit den Verkäufern nicht über "Stellplätze im Hof" (gemeint wohl: Berechtigungen zum Abstellen von Kraftfahrzeugen) gesprochen. Ab 1982 wurde das Haus renoviert. Dabei fiel den klagenden Parteien und ihrem Hausverwalter auf, daß viele Autos im Hof abgestellt sind. Sie ließen fallweise die Autokennzeichen notieren und an einzelne Fahrzeuge Zettel stecken, wonach sich die Fahrzeugbesitzer mit der Hausverwaltung (offenbar wegen der Frage der Berechtigung) in Verbindung setzen sollten. Die beklagte Partei sprachen die klagenden Parteien nicht darauf an.

Der Magistrat der Stadt Wien, Mag.Abt. 37, Baupolizei, trug den klagenden Parteien mit Bescheid vom 18. März 1987 auf, binnen sechs Monaten nach Rechtskraft des Bescheides das Einstellen von Kraftfahrzeugen ohne Bewilligung auf den unbebauten Teilen der Liegenschaft Wien 19., Billrothstraße 41 (EZ 2158 KG Oberdöbling) aufzulassen. In der Bescheidbegründung wurde angeführt, daß im rückwärtigen Teil der Liegenschaft ca. 20 Kraftfahrzeuge ohne behördliche Bewilligung gemäß § 3 Abs. 1 lit. b Wr.GaragenG iVm §§ 60 und 70 oder 71 der BO für Wien abgestellt würden. In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, mangels Feststellbarkeit einer vertraglichen Vereinbarung über die Mitvermietung der Hoffläche beim Vertragsabschluß könne es sich bei dem von der beklagten Partei behaupteten Recht nur um eine vermeintliche schlüssige Erweiterung des Mietrechtes handeln. Handlungen (Unterlassungen) von Parteien, welche die Annahme einer stillschweigenden Verpflichtungserklärung des Vermieters im Sinne einer Umänderung des Vertrages nahelegten, dürfte keine übermäßige Bedeutung zuerkannt werden. Eine Erweiterung von Rechten dürfe nur dort vermutet werden, wo kein vernünftiger Grund daran zu zweifeln bestehe, insbesondere daher dann, wenn der Eigentümer sie jahrelang in dem Bewußtsein geduldet habe, daß der Mieter mit der erweiterten Nutzung ein dauerndes Recht in Anspruch nehme. Im Zweifel könne dies nicht angenommen werden, selbst wenn der Vermieter eine Nutzung jahrelang geduldet habe, wenn dieses Recht von erheblichem wirtschaftlichem Wert (wie hier die entgeltliche Vermietbarkeit von Parkflächen) sei. Daher könne nicht davon ausgegangen werden, daß die beklagte Partei durch das ständig zunehmende Abstellen von Fahrzeugen ihrer Dienstnehmer ein Recht auf dauernde unentgeltliche Benützung des Hofs der Bestandliegenschaft in dem Umfang, wie sie es zuletzt ausgeübt habe, erworben habe.

Infolge Berufung der beklagten Partei änderte das Berufungsgericht die erstinstanzliche Entscheidung dahin ab, daß es das Klagebegehren abwies. Auf der Grundlage der Urteilsfeststellungen des Erstgerichtes sei davon auszugehen, daß die klagenden Parteien bzw. ihre Rechtsvorgänger schlüssig den mit der beklagten Partei mündlich geschlossenen Bestandvertrag dahin erweitert hätten, daß sie für die Dauer des Bestandverhältnisses zum gleichen Bestandentgelt berechtigt sei, ihren Dienstnehmern im zuletzt geübten Umfang die Abstellung von Fahrzeugen auf der Hoffläche der Bestandliegenschaft zu gestatten. Der vorliegende Sachverhalt erlaube nicht, die Rechtslage zwischen den Streitteilen bzw. den Rechtsvorgängern der klagenden Parteien als jederzeit widerrufliche Bittleihe im Sinne des § 974 ABGB zu beurteilen. Das behördliche Einstellungsverbot behindere keineswegs die angenommene Abstellberechtigung der beklagten Partei, verpflichte vielmehr die klagenden Parteien, nach den Grundsätzen des Bestandvertrages der beklagten Partei als Bestandnehmerin den bedungenen Gebrauch der Bestandsache durch entsprechende Antragstellungen bei der Behörde zu ermöglichen.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen das Urteil des Gerichtes zweiter Instanz von den klagenden Parteien erhobene außerordentliche Revision ist sowohl zulässig, weil der Rechtsfrage der Begründung schlüssiger Vertragsbeziehungen, bei denen die unentgeltliche Pflichtenerweiterung der stillschweigenden untätigen Vertragspartei im Vordergrund steht, schon wegen der Wahrung der Rechtseinheit und Rechtssicherheit erhebliche Bedeutung im Sinne des § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO zukommt; die Revision ist auch berechtigt.

Gemäß § 863 Abs. 1 ABGB kann der Vertragswille nicht nur ausdrücklich durch Worte und allgemein angenommene Zeichen, sondern auch stillschweigend durch solche Handlungen (Unterlassungen) erklärt werden, welche mit Überlegung aller Umstände keinen vernünftigen Grund, daran zu zweifeln, übrig lassen. In Bezug auf die Bedeutung und Wirkung von Handlungen und Unterlassungen ist gemäß § 863 Abs. 2 ABGB auf die im redlichen Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche Rücksicht zu nehmen. Es entspricht allgemein anerkannter Ansicht, daß für die Schlüssigkeit eines Verhaltens im Hinblick auf rechtsgeschäftlichen Willen § 863 ABGB einen strengen Maßstab anlegt und daß bei Annahme einer stillschweigenden Willenserklärung besondere Vorsicht geboten ist (Rummel in Rummel, ABGB, § 863 Rz 14 mwH). Darnach kommt es bei der Beurteilung eines Verhaltens gemäß § 863 ABGB grundsätzlich nicht darauf an, was der sich in einer bestimmten Weise Verhaltende allenfalls wollte, sondern vielmehr darauf, welche Schlüsse der Rechtspartner daraus nach Treu und Glauben abzuleiten berechtigt ist (SZ 58/11; JBl. 1987, 315 uva.). Das festgestellte Verhalten der Vertragsteile muß mit Überlegung aller Umstände des Falles unter Berücksichtigung der im redlichen Verkehr geltenden Gewohnheiten unzweifelhaft den zwingenden Schluß zulassen, sie hätten einen Vertrag schließen oder inhaltlich ändern wollen (3 Ob 552/83; 2 Ob 727/86).

Davon kann in dem hier zur Entscheidung gestellten Fall nicht die Rede sein.

Die Annahme einer konkludenten Zustimmung des Liegenschaftseigentümers zum Abschluß oder zur Erweiterung eines Bestandvertrags im Sinne des § 863 ABGB setzt nämlich auch voraus, daß die privatrechtlich in Anspruch genommene Rechtsausübung auch öffentlich-rechtlich, insbesondere nach den baupolizeilichen Rechtsnormen, ohne weitere Veranlassung durch den dadurch privatrechtlich Belasteten erlaubt ist, denn es kann nach den Grundsätzen des redlichen Verkehrs niemand guten Glaubens annehmen, daß der durch das ohne Rechtsgrund in Anspruch genommene Privatrecht Belastete durch die bloße Unterlassung von Abwehrmaßnahmen auch zum Ausdruck bringe, er werde die für die öffentlich-rechtliche Legalisierung der Rechtsanmaßung erforderlichen Schritte auf sich nehmen und auf diese Weise dem in Anspruch genommenen Privatrecht die notwendige Grundlage öffentlichen Rechts verschaffen, damit ein in jeder Beziehung einwandfreies Privatrechtsverhältnis - diesfalls ein Mietvertrag - zwischen den Beteiligten geschaffen wird und ihm dadurch keinerlei Nachteile in anderen Rechtsbereichen erwachsen. Bei Berücksichtigung dieser Umstände kann vernünftigerweise kein Grund gesehen werden, daß die klagenden Vermieter und Liegenschaftseigentümer und ihre Rechtsvorgänger der von der beklagten Partei eigenmächtig und unentgeltlich in Anspruch genommenen Erweiterung des Bestandobjekts auf Abstellplätze für Kraftfahrzeuge durch die Unterlassung von Abwehrmaßnahmen zugestimmt und damit auch die beschwerliche Verpflichtung zur Schaffung der dazu erforderlichen öffentlich-rechtlichen (insbesondere baupolizeilichen) Grundlagen übernommen haben, wie das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit der beklagten Partei in Verkennung der Rechtslage annimmt. Die äußerste Auslegungsgrenze des stillschweigenden Verhaltens der klagenden Parteien und ihrer Rechtsvorgänger im Sinne des § 863 ABGB gestattet daher nur die Annahme ihrer bloßen Duldung der Benützung der Abstellflächen für Kraftfahrzeuge durch die beklagte Partei und deren Dienstnehmer bis zum Eintritt öffentlich-rechtlicher Maßnahmen gegen diesen Zustand, so daß die von den klagenden Parteien zufolge des Bescheides der Baubehörde vom 18. März 1987 gegenüber der beklagten Partei ausgesprochene künftige Untersagung der Inanspruchnahme von Abstellplätzen für Kraftfahrzeuge durchaus rechtens ist. Aus den dargelegten Gründen ist in Abänderung der berufungsgerichtlichen Entscheidung die Entscheidung der ersten Instanz wieder herzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E17802

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0080OB00602.89.0531.000

Dokumentnummer

JJT_19890531_OGH0002_0080OB00602_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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