TE OGH 1989/6/6 10ObS161/89

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Veröffentlicht am 06.06.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Mag.Dr.Tschochner (Arbeitgeber) und Dr.Simperl (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Alexander D***, 6060 Hall, Fassergasse 37, vertreten durch Dr. Hans Mayr, Rechtsanwalt in Hall, wider die beklagte Partei P*** D*** A***,

1092 Wien, Roßauer Lände 3, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10. Jänner 1989, GZ 5 Rs 187/88-20, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 1. September 1988, GZ 45 Cgs 1191/87-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Erstgericht wies das auf Gewährung einer Invaliditätspension gerichtete Begehren des Klägers ab. Es stellte im wesentlichen fest, daß der am 29.Oktober 1936 geborene Kläger von 1963 bis 1973 als Arbeiter bei der Firma E*** Gesellschaft mbH & Co KG beschäftigt war. 1973 wurde er in das Angestelltenverhältnis übernommen, 1979 wurde dieses Dienstverhältnis beendet. Vom 26.März 1979 bis 30.April 1987 war der Kläger bei der Firma A*** als Kraftfahrer beschäftigt. Bei dieser Tätigkeit arbeitete er nicht im grenzüberschreitenden Verkehr. Der Kläger kann keinen Schriftverkehr durchführen und hat auch keine Fremdsprachenkenntnisse für den Bereich des Güterbeförderungsgewerbes.

Dem Kläger sind nur mehr leichte Arbeiten zumutbar. Diese sollen in wechselnder Körperhaltung bzw. im Wechsel zwischen Gehen und Stehen, vorwiegend in geschlossenen Räumen verrichtet werden, da Schutz vor Nässe, Kälte und Zugluft erforderlich ist. Ein normaler Acht-Stunden-Tag mit den gesetzlich vorgeschriebenen Pausen ist zumutbar. Arbeiten, die in vorgebeugter Körperhaltung durchzuführen sind, Arbeiten verbunden mit Bücken und Heben von schweren Lasten sind ebenso zu vermeiden, wie Fließbandarbeiten und solche auf Leitern und Gerüsten.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den Sachverhalt dahin, daß dem Kläger kein Berufsschutz im Sinne des § 255 Abs. 2 ASVG zukomme, weil er über keine Kenntnisse des grenzüberschreitenden Fernverkehrs verfüge und auch nicht in der Lage sei, einen Schriftverkehr zu führen. Der Kläger erfülle nicht die für das Berufsbild des Lehrberufes eines Kraftfahrers erforderlichen Voraussetzungen. Die Invalidität des Klägers sei daher nach § 255 Abs. 3 ASVG zu beurteilen. Nach seinem medizinischen Leistungskalkül seien dem Kläger beispielsweise noch die Tätigkeiten eines Amts- und Büroboten, Parkplatzwächters, Streckenwärters, Seilbahnbegleiters, Werkswächters oder eines Museumswärters weiterhin zumutbar. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge. Die Einholung eines berufskundlichen Gutachtens und eine eingehende Vernehmung des Klägers als Partei, um weitere Feststellungen zu treffen, über welche Kenntnisse und Fähigkeiten der Kläger verfüge, die in den Ausbildungsvorschriften für den Lehrberuf "Berufskraftfahrer" festgelegt wurden, sei hier nicht wesentlich. Nach § 255 Abs. 2 ASVG genüge es nicht, daß ein Versicherter Kenntnisse und Fähigkeiten, die einem Lehrberuf entsprechen, besitze, die Kenntnisse und Fähigkeiten müßten vielmehr Voraussetzung für die ausgeübte Berufstätigkeit gewesen sein. Weder aus den Prozeßbehauptungen des Klägers noch aus den Verfahrensergebnissen und auch nicht aus den Berufungsausführungen ergebe sich ein Anhaltspunkt dafür, daß der Kläger die in den erwähnten Ausbildungsvorschriften für den Lehrberuf "Berufskraftfahrer" festgelegten Kenntnisse und Fähigkeiten für seinen ausgeübten Beruf benötigt habe.

Da der Kläger jedenfalls die Tätigkeiten eines Museumswärters oder Portiers noch verrichten könne - zur Beurteilung dieser Frage sei ein berufskundliches Gutachten nicht erforderlich gewesen - sei er nicht invalide im Sinne des § 255 Abs. 3 ASVG.

Rechtliche Beurteilung

Die wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Ein angelernter Beruf im Sinne des § 255 Abs. 2 ASVG liegt vor, wenn der Versicherte eine Tätigkeit ausgeübt hat, für die es erforderlich ist, durch praktische Arbeit qualifizierte Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben, welche jenen in einem erlernten Beruf gleichzuhalten sind. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist es daher nicht entscheidend, ob ein Versicherter solche Kenntnisse besitzt oder auch ob sie üblicherweise von einem Dienstgeber gefordert werden, die Kenntnisse und Fähigkeiten müssen vielmehr während der praktischen Berufsausübung angewendet worden sein. Zur Abklärung dieser Frage hätte aber ein berufskundliches Gutachten nichts beitragen können. Aus den Ergebnissen des Verfahrens erster Instanz - dem Vorbringen des Klägers, seiner Parteiaussage und den vorgelegten Dienstgeberbestätigungen - im übrigen auch aus den Ausführungen in der Berufung und in der Revision ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, daß der Kläger die in den Ausbildungsvorschriften für den Lehrberuf "Berufskraftfahrer" (BGBl. 1987/396) festgelegten mannigfaltigen Kenntnisse und Fähigkeiten besitzen mußte, um als Kraftfahrer seine Berufstätigkeit bei der Firma A*** ausüben zu können. Daß dies nicht der Fall war, ergibt sich schon aus der Feststellung, der Kläger habe nicht im grenzüberschreitenden Verkehr gearbeitet, keinen Schriftverkehr geführt und keine Fremdsprachenkenntnisse für den Bereich des Güterbeförderungsgewerbes, wesentliche Teilgebiete, die im Lehrberuf "Berufskraftfahrer" beherrscht werden müssen. Wenn die Kenntnisse und Fähigkeiten des Versicherten nur ein Teilgebiet eines Tätigkeitsbereiches umfassen, der von gelernten Arbeitern ganz allgemein in viel weiterem Umfang beherrscht wird, liegt ein angelernter Beruf nicht vor (SSV-NF 1/48). Ein Kraftfahrer, dessen Kenntnisse nicht wesentlich über diejenigen hinausgehen, die von jedem Lenker eines Schwerkraftfahrzeuges anläßlich der Führerscheinprüfung verlangt werden, übt daher keinen angelernten Beruf aus (SSV-NF 2/66). Zutreffend haben die Vorinstanzen das Vorliegen von Invalidität nach § 255 Abs. 3 ASVG beurteilt. In einem solchen Fall aber ist das Verweisungsfeld mit dem allgemeinen Arbeitsmarkt ident. Die in § 255 Abs. 3 ASVG enthaltene Zumutbarkeitsformel soll nur in Ausnahmefällen eine Verweisung verhindern, die bei Berücksichtigung der schon ausgeübten Tätigkeiten als unbillig bezeichnet werden müßte (SSV-NF 2/34; 2/50). Dies aber kann bei den vom Berufungsgericht angeführten Verweisungsberufen eines Portiers oder Museumswächters nicht gesagt werden. Schließlich ist das Gericht in Sozialrechtssachen gerade wegen seiner besonderen Zusammensetzung durchaus in der Lage abzuschätzen, daß allgemein bekannte, gängige Verweisungsberufe wie die angeführten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in so ausreichender Zahl vorhanden sind, daß eine detaillierte Erhebung über deren exakte Anzahl nicht erforderlich ist (SSV-NF 2/20). Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Revisionskosten beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit. b ASGG.

Anmerkung

E18179

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:010OBS00161.89.0606.000

Dokumentnummer

JJT_19890606_OGH0002_010OBS00161_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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