TE OGH 1989/6/14 9ObA116/89

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Veröffentlicht am 14.06.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshof Hon.-Prof. Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Gamerith und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Herbert Bauer und Dr.Bernhard Schwarz als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Wolfgang E***, Angestellter, Wien 16, Kirchstetterngasse 48/1/7, vertreten durch Dr.Georg Grießer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei C*** Versicherungs-AG, Wien 1, Börsegasse 14, vertreten durch Dr.Rudolf Hoppel, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Streitwert 31.000 S) und Zahlung von 66.623,70 S brutto sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. November 1988, GZ 33 Ra 19/88-22, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 22.Oktober 1987, GZ 14 Cga 1184/87-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger begehrt die Feststellung, daß sein Dienstverhältnis mit der beklagten Partei über den 17.Oktober 1986 hinaus in ungekündigtem Zustand aufrecht bestehe. Ferner begehrt er die Zahlung eines Betrages von 66.623,75 S brutto sA. Mit Schreiben vom 16. Oktober 1986, welches dem Kläger am 17.Oktober 1986 zugekommen sei, sei er von der beklagten Partei entlassen worden. Die Entlassung sei nicht berechtigt. Außerdem sei die Entlassung nicht wirksam, weil kein ordnungsgemäßes Disziplinarverfahren durchgeführt worden sei. Da der Kläger gemäß § 4 des Kollektivvertrages der Versicherungsunternehmen - Innendienst definitiv angestellt sei, sei sein Dienstverhältnis daher über den 17.Oktober 1986 hinaus in ungekündigtem Zustand aufrecht.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage und legte ein Erkenntnis der Disziplinarkommission vom 15.Oktober 1986 vor, wonach die Mitglieder der Disziplinarkommission den Kläger der ihm zur Last gelegten Vergehen der wiederholten eklatanten Pflichtverletzung und der Verweigerung von Auskünften in dienstlichen Angelegenheiten einstimmig für schuldig erkannt und mit einem Stimmenverhältnis von 3 : 2 dem Strafantrag auf strafweise Entlassung ohne Abfertigung zugestimmt hätten.

In der Tagsatzung vom 12.März 1987 vereinbarten die Streitteile nach Vorlage des Erkenntnisses der Disziplinarkommission durch die beklagte Partei "ewiges Ruhen" des Verfahrens.

Der Kläger beantragte am 16.Juni 1987 die Fortsetzung des Verfahrens und brachte vor, daß die Vereinbarung "ewigen Ruhens" durch einen Irrtum des Klagevertreters veranlaßt worden sei, der eine Bindung des Gerichtes an das vom Beklagtenvertreter vorgelegte Disziplinarerkenntnis angenommen habe; darüber hinaus sei an eine Fortsetzung des Verfahrens gedacht worden.

Die beklagte Partei wandte ein, daß der übereinstimmende Parteiwille darauf gerichtet gewesen sei, das Verfahren nicht mehr fortzusetzen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren mit Urteil zurück und stellte folgenden Sachverhalt fest:

In der Tagsatzung vom 12.März 1987 wurden Vergleichsgespräche geführt, wobei der Beklagtenvertreter das Verhalten des Klägers bei der beklagten Partei informativ erläuterte. Schließlich legte der Beklagtenvertreter das Erkenntnis der zuständigen Disziplinarkommission vom 15.Oktober 1986 vor, worüber der Klagevertreter überrascht war. Die Vorsitzende regte daraufhin die Rückziehung der Klage an. Der Klagevertreter lehnte dies aus Kostengründen sowie deshalb ab, weil er nur substitutionsweise für die aktführende Sekretärin einschreite. In der Folge erklärte sich der Klagevertreter aber mit einem "ewigen Ruhen" einverstanden. Dabei war klar, daß an eine Fortsetzung des Verfahrens durch den Kläger nicht mehr gedacht war.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß dem Klagevertreter bewußt gewesen sei, daß mit dem "ewigen Ruhen" ein materieller Anspruchsverzicht und damit eine endgültige Prozeßbeendigung verbunden sei. Ob ihm bei der Frage der Bindungswirkung von Disziplinarerkenntnissen ein Irrtum unterlaufen sei, sei irrelevant, weil ihm auf Grund seiner juristischen Ausbildung und seiner Tätigkeit als Parteienvertreter habe bekannt sein müssen, daß derartige Disziplinarerkenntnisse die Gerichte nicht binden.

Mit dem angefochtenen Urteil bestätigte das Berufungsgericht das Ersturteil mit der Maßgabe, daß das Klagebegehren nicht zurück-, sondern abgewiesen werde. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und vertrat die Rechtsauffassung, daß ein allfälliger Irrtum des Klagevertreters über die Rechtsfolgen des Disziplinarerkenntnisses weder den Inhalt der beiderseitigen Erklärungen noch den der getroffenen Vereinbarungen betreffe und daher als unbeachtlicher Motivirrtum zu qualifizieren sei. Der Kläger habe mit der Vereinbarung "ewigen Ruhens" auf seine Ansprüche verzichtet und an eine Fortsetzung nicht mehr gedacht. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der klagenden Partei aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung (an die Vorinstanzen) zurückzuverweisen. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Unter dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens macht der Revisionswerber lediglich in dem Bereich der Rechtsrüge fallende Feststellungsmängel geltend.

Zu Unrecht wendet er sich gegen die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes. Wie der Oberste Gerichtshof im ersten Rechtsgang zu 9 Ob A 181/88 ausgesprochen hat, hindert die Vereinbarung "ewigen Ruhens" die Parteien nicht, den Prozeß nach Ablauf der gesetzlichen Mindestfrist fortzusetzen. Im fortgesetzten Verfahren ist sodann vom Gericht die materiellrechtliche Wirkung der Ruhensvereinbarung (etwa Verzicht des Klägers auf seinen Anspruch) bei der Sachentscheidung über das Klagebegehren zu berücksichtigen.

Der Vereinbarung des "ewigen Ruhens" lag hier materiellrechtlich ein Verzicht des Klägers auf seinen Anspruch und ein Verzicht der beklagten Partei auf ihren bis dahin entstandenen Kostenanspruch zugrunde; es handelte sich daher entgegen der Ansicht des Revisionswerbers nicht um einen unentgeltlichen Verzicht, sondern um einen Vergleich im Sinne des § 1380 ABGB. Dies gilt ungeachtet der unterschiedlichen Höhe dieser beiden Ansprüche, weil bei einem Vergleich auch das Prozeßrisiko einzukalkulieren ist (SZ 36/17). Da der Vergleich der Bereinigung strittiger und zweifelhafter Rechtsverhältnisse dient, würde eine weitherzige Regelung der Irrtumsanfechtung den Sinn dieses Rechtsinstitutes in Frage stellen. Das Gesetz hat daher im § 1385 ABGB die Irrtumsanfechtung auf die "Wesenheit" der Personen oder des Gegenstandes beschränkt, sodaß vom Vergleich und seiner Bereinigungswirkung das tatsächliche und rechtliche Bestehen des strittigen und zweifelhaften Rechtes erfaßt wird (siehe Ertl in Rummel ABGB § 1387 Rz 1). Auch ein Rechtsirrtum einer Partei berechtigt daher nicht zur Anfechtung eines Vergleiches (siehe auch Harrer in Schwimann ABGB V § 1385 Rz 9). Eine Anfechtung ist nur wegen eines Irrtums über die von beiden Parteien als feststehend angenommenen Umstände (Vergleichsgrundlage) möglich, die sie nicht der Streitbereinigung unterwerfen wollten (siehe Koziol-Welser Grundriß I8 273, Ertl aaO § 1385 Rz 1; SZ 47/8; SZ 47/102; ZVR 1989/15). Der Irrtum über einen von der Bereinigungswirkung erfaßten Streitpunkt (Vergleichspunkt) berechtigt nur bei listiger Irreführung durch den Gegner zur Anfechtung (Koziol-Welser aaO; Ertl aaO § 1385 Rz 2). Streitpunkt war im vorliegenden Fall die von strittigen Tatsachen und ihrer rechtlichen Beurteilung abhängige Frage, ob die Entlassung des Klägers berechtigt war. Ein Irrtum des Klagevertreters über die Frage der Bindung des Gerichtes an das Ergebnis eines Disziplinarverfahrens wäre daher als Irrtum über einen von der Bereinigungswirkung des Vergleiches erfaßten Streitpunkt anzusehen. Da vom beweispflichtigen Kläger nicht einmal behauptet wurde, dieser Irrtum sei vom anderen Teil arglistig herbeigeführt oder ausgenützt worden - es wurde weder behauptet noch bewiesen, daß der Klagevertreter seine irrige Rechtsansicht, das rechtskräftige Disziplinarerkenntnis sei für das Gericht bindend, in der Tagsatzung vom 12.März 1987 kundgetan hat - war die Frage, ob dem Klagevertreter nun tatsächlich ein derartiger Irrtum unterlaufen ist, rechtlich unerheblich.

Ebensowenig war die nur bei Anfechtbarkeit nach § 871 ABGB relevante Frage der bloßen Veranlassung des Irrtums durch den Gegner oder seiner rechtzeitigen Aufklärung zu prüfen. Da dem Klagevertreter vom Kläger eine Prozeßvollmacht ohne Einschränkung erteilt worden war - nach dem Inhalt der vorgelegten Vollmachtsurkunde ist darin überdies die ausdrückliche Ermächtigung enthalten, über den Streitgegenstand zu verfügen - war er gemäß §§ 33 und 31 Abs 1 Z 2 ZPO auch zum Abschluß von Vergleichen berechtigt (vgl. Kuderna Arbeits- und SozialgerichtsG 200). Gegenstand des Vergleiches war der Rechtsstreit über die Frage, ob das Dienstverhältnis des Klägers mit der beklagten Partei mit 17. Oktober 1986 rechtswirksam durch gerechtfertigte Entlassung aufgelöst wurde oder ob es über diesen Zeitpunkt hinaus aufrecht besteht, sodaß durch den diesen Rechtsstreit bereinigenden Vergleich auch diese Frage im Sinne der zuerst genannten Lösung erledigt wurde. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 40, 50 ZPO.

Anmerkung

E18174

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:009OBA00116.89.0614.000

Dokumentnummer

JJT_19890614_OGH0002_009OBA00116_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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