TE OGH 1989/6/15 7Ob603/89

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Veröffentlicht am 15.06.1989
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurz, Dr.Warta, Dr.Egermann und Dr.Niederreiter als weitere Richter in der Pflegschaftssache des am 20.März 1972 geborenen mj.Peter P***, infolge Revisionsrekurses des Vaters Theodor P***, Angestellter, Maria Anzbach, Hofstatt 57, vertreten durch Dr.Karl Leutgeb, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgericht vom 13.April 1989, GZ 47 R 95/89-104, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Döbling vom 28.Dezember 1988, GZ 3 P 21/78-99, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß der Beschluß des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die Revisionsrekursbeantwortung wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die Ehe der Eltern des am 20.3.1972 geborenen Minderjährigen wurde im Jahr 1982 geschieden. Der Vater hatte die Ehewohnung bereits im November 1976 verlassen und die Pflege und Erziehung des Minderjährigen der Mutter überlassen. Mit Beschluß vom 2.12.1983 (ON 76) übertrug das Erstgericht die Elternrechte der Mutter. Die Mutter war stets bemüht, den Minderjährigen in seiner Entwicklung zu fördern, veranlaßte den Besuch einer privaten Mittelschule, sorgte für Musikunterricht und ließ den Minderjährigen - trotz seiner Blutererkrankung - auch seinen sportlichen Neigungen nachgehen. Der Minderjährige hatte auch regelmäßig Kontakt mit seinem Vater.

Der Minderjährige wohnt seit 5.4.1988 beim Vater, der zusammen mit seiner zweiten Ehefrau in einem Einfamilienhaus in Maria Anzbach lebt, will bei diesem bleiben und ist - trotz der Vorhalte vor dem Erstgericht - nicht bereit, zur Mutter zurückzukehren. Er fährt von Maria Anzbach nach Wien in die Schule. Nur einmal in der Woche - nach dem Tanzunterricht - nächtigt er in der Wohnung der väterlichen Großmutter in Wien. Diese bewohnt ihre Wohnung zwar nicht ständig. Dennoch ist der Minderjährige nicht immer allein, weil die Wohnung auch von anderen Personen (einer Tante und einer Angestellten) benützt wird.

Am 7.4.1988 beantragte der Vater, ihm die elterlichen Rechte zu übertragen. Der (damals) 16-jährige Minderjähriger lebe nunmehr bei ihm und wünsche auch zu bleiben.

Die Mutter sprach sich gegen den Antrag im wesentlichen mit der Begründung aus, daß der Vater die Krankheit des Minderjährigen nicht ernst nehme. Der Minderjährige sei nicht in der Lage, die Ernstlichkeit seiner Erkrankung zu beurteilen. Der Vater würde sich auch um die sonstigen täglichen Belange des Minderjährigen nicht so kümmern, wie sie.

Das Erstgericht übertrug das Recht, den Minderjährigen zu pflegen und zu erziehen, sein Vermögen zu verwalten und ihn gesetzlich zu vertreten, dem Vater. Der Minderjährige sei beim Vater gut untergebracht und besuche nach wie vor die Schule. Auch wenn er einmal in der Woche in Wien nächtige, sei er nicht allein. Der Minderjährige sei kräftig und ohne weiteres in der Lage, selbst mit seiner Krankheit umzugehen. Wenn auch die Mutter bei der Erziehung des Minderjährigen erfolgreich gewesen sei, müsse die Entscheidung des Minderjährigen, nunmehr beim Vater zu leben, respektiert werden. Das Rekursgericht wies den Antrag des Vaters ab. Wenn auch im Rekurs - wörtlich - nur beantragt worden sei, dem Vater lediglich das alleinige Recht, den Minderjährigen jährlich zu erziehen und zu pflegen, zuzusprechen, hingegen die Vermögensverwaltung und die gesetzliche Vertretung der Mutter zu belassen, sei aus den weiteren Rekursausführungen doch zu entnehmen, daß die Mutter nur den faktischen Zustand akzeptiere, dennoch aber auch die Übertragung der Pflege und Erziehung an den Vater bekämpfe. Ein Wechsel in der Pflege und Erziehung dürfe nur vorgenommen werden, wenn das Wohl des Kindes infolge der Vernachlässigung der elterlichen Pflichten durch den die Pflege und Erziehung wahrnehmenden Elternteil gefährdet werde. Der Kindeswunsch sei keine ausreichende Grundlage für eine derartige Maßnahme. Für eine Gefährdung des Wohles des Minderjährigen durch ein Verhalten der Mutter bestehe kein Anhaltspunkt. Der Mutter dürften daher die elterlichen Rechte nicht entzogen werden. Auf die Frage, wie weit die Lebensverhältnisse des Vaters geeignet seien, eine dem Kindeswohl entsprechende Betreuung zu gewährleisten, müsse daher nicht eingegangen werden. Die besondere gesundheitliche Situation des Minderjährigen würde gegebenenfalls aber auch hier einen besonders gravierenden Aspekt darstellen.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters mit dem Antrag, den Beschluß des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Die Revisionsrekursbeantwortung der Mutter ist unzulässig, weil im Außerstreitverfahren Rekurse und Revisionsrekurse grundsätzlich nicht zweiseitig sind und für das Rechtsmittelverfahren gegen Beschlüsse über die Pflege und Erziehung keine gesetzliche Ausnahme besteht. Sie war daher zurückzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist berechtigt.

Den Ausführungen im Revisionsrekurs, der erklärte Wille des (nunmehr 17 Jahre alten) Minderjährigen dürfe bei der Entscheidung über die Pflege und Erziehung nicht unberücksichtigt bleiben, es bestünden aber auch sonst keine Bedenken gegen die Eignung des Vaters, ist beizupflichten.

Bei der Zuteilung der elterlichen Rechte und Pflichten ist allein das Kindeswohl ausschlaggebend (EFSlg.48.420 uva). Auf die persönlichen Interessen der Eltern darf nicht Bedacht genommen werden. Ein Wechsel der Pflege- und Erziehungsverhältnisse kann vorgenommen werden, wenn besonders wichtige Gründe im Interesse des Minderjährigen eine Änderung geboten erscheinen lassen (EFSlg.35.997/3). Im Hinblick auf § 177 Abs 2 ABGB, wonach das Gericht vor der Entscheidung über die Pflege und Erziehung auf Antrag eines Elternteiles das mindestens 10-jährige Kind (und erforderlichenfalls die Bezirksverwaltungsbehörde) zu hören hat, soll dabei auf die Persönlichkeit des Kindes Rücksicht genommen und einem mündigen Kind deshalb womöglich nicht gegen seinen Willen die Erziehung durch einen Elterteil aufgezwungen werden (EFSlg.45.890; EFSlg.22.067; Pichler in Rummel, ABGB, Rz 3 zu § 148, Rz 1 zu § 177). Im vorliegenden Fall kommt dem Wunsch des - nunmehr bereits im 18.Lebensjahr stehenden - Minderjährigen schon deshalb erhebliche Bedeutung zu, weil eine gegen seinen Willen getroffene Entscheidung wegen des bereits vorgenommenen Wechsels zum Vater nicht vollstreckt werden könnte. Gegen die Unterbringung des Minderjährigen beim Vater bestehen auch wegen der vorliegenden Krankheit keine Bedenken. Anhaltspunkte, daß der Vater durch ein sorgloses Verhalten den Minderjährigen gefährdet hat, liegen nicht vor. Es ist aber bereits jetzt schon im Interesse des Minderjährigen, selbst die Verantwortung für seine Gesundheit zu übernehmen und der Gefahr von Verletzungen vorzubeugen. Auch nach den Erhebungen der Bezirksverwaltungsbehörde besteht kein Einwand gegen das Verbleiben des Minderjährigen beim Vater. Die Mutter selbst hat erklärt, gegen diesen faktischen Zustand nichts einzuwenden zu haben. Es ist aber im Wohl des Kindes gelegen, wenn der Elternteil, der tatsächlich die Pflege und Erziehung ausübt, es auch vertreten und ein allfälliges Vermögen verwalten kann (6 Ob 743/83).

Aus all diesen Gründen mußte der Beschluß des Erstgerichtes wiederhergestellt werden.

Anmerkung

E17950

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0070OB00603.89.0615.000

Dokumentnummer

JJT_19890615_OGH0002_0070OB00603_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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