TE OGH 1989/6/20 10ObS235/88

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Veröffentlicht am 20.06.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Herbert Vesely und Dr. Ferdinand Podkowicz (beide AG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ökonomierat Paul G***, Landwirt,

6342 Niederndorferberg, Hausern 14 a, vertreten durch Dr. Peter Greil, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei S*** D*** B***, 1031 Wien, Ghegastraße 1,

diese vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Herstellung des gesetzlichen Zustands, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 4. März 1988, GZ 5 Rs 20/88-12, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 8. Oktober 1987, GZ 47 Cgs 1142/87-8, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Aus Anlaß der Revision werden die Urteile der Vorinstanzen, die im übrigen mangels Anfechtung unberührt bleiben, und das ihnen vorangegangene Verfahren als nichtig aufgehoben, soweit sie die mit den Bescheiden der beklagten Partei vom 7. Feber 1977 und 12. Jänner 1978 gewährten Leistungen betreffen. Die Klage wird in diesem Umfang zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit S 1.414,88 (darin S 128,63 Umsatzsteuer und keine Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Kläger ist Landwirt und Funktionär einer Landwirtschaftskammer. Er erlitt am 7. April 1976 einen Arbeitsunfall. Die beklagte Partei gewährte ihm deshalb mit Bescheid vom 26. August 1976 gemäß § 209 Abs. 2 ASVG zur Abfindung seiner Rentenansprüche eine Gesamtvergütung und sodann mit Bescheid vom 7. Februar 1977 ab 1. Jänner 1977 eine vorläufige Versehrtenrente; diese Rente stellte sie schließlich mit Bescheid vom 12. Jänner 1978 als Dauerrente fest. Keiner dieser Bescheide wurde vom Kläger bekämpft. Die Bemessungsgrundlage für die darin gewährten Leistungen wurden nur auf Grund der Tätigkeit des Klägers als Landwirt, nicht aber auch auf Grund seiner Tätigkeit als Funktionär einer Landwirtschaftskammer ermittelt.

Mit einem am 22. Juli 1987 bei der beklagten Partei eingelangten Antrag begehrte der Kläger, in rückwirkender Herstellung des gesetzlichen Zustandes die ihm gebührenden Leistungen nicht nur auf

Grund der sich aus seiner Tätigkeit als Landwirt, sondern auch auf

Grund der sich aus seiner Tätigkeit als Funktionär einer Landwirtschaftskammer ergebenden Bemessungsgrundlage zu gewähren. Die beklagte Partei lehnte mit Bescheid vom 29. Juli 1987 die "rückwirkende Erhöhung der mit Bescheid vom 26. August 1976 festgestellten Bemessungsgrundlage" unter Berufung auf § 101 ASVG mit der Begründung ab, daß die Voraussetzungen dieser Gesetzesstelle nicht gegeben seien, weil eine Verdoppelung der Bemessungsgrundlage nach festen Beträgen gemäß § 181 Abs. 2 Z 2 ASVG für den Kläger nicht vorgesehen sei.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger die Klage. Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, ihm in rückwirkender Herstellung des gesetzlichen Zustandes die in den Bescheiden vom 7. Februar 1977 und 12. Jänner 1978 festgestellten Leistungen unter Zugrundelegung der Bemessungsgrundlage nach festen Beträgen und einer zusätzlichen Bemessungsgrundlage nach § 74 Abs. 1 ASVG jeweils im gesetzlichen Ausmaßß zu gewähren; das Mehrbegehren, den gesetzlichen Zustand für die mit Bescheid vom 26. August 1976 gewährte Leistung herzustellen und die Bemessungsgrundlage unter Berücksichtigung auch der Funktionärstätigkeit zu bestimmen, sowie ein Eventualbegehren wies es ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und wies infolge Berufung der beklagten Partei das Klagebegehren zur Gänze ab.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich, soweit es nicht den Bescheid vom 26. August 1976 betrifft, die Revision des Klägers mit dem Antrag, es für die Bescheide vom 7. Februar 1977 und 12. Jänner 1978 im Sinne der Klagestattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat aus Anlaß der Revision erwogen:

Der Kläger hat seinen bei der beklagten Partei gestellten Antrag und sein Klagebegehren auf § 101 ASVG gestützt. Nach dieser Bestimmung ist mit Wirkung vom Tag der Auswirkung des Irrtums oder Versehens der gesetzliche Zustand herzustellen, wenn sich nachträglich ergibt, daß eine Geldleistung bescheidmäßig infolge eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens zu Unrecht abgelehnt, entzogen, eingestellt, zu niedrig bemessen oder zum Ruhen gebracht wurde.

§ 101 ASVG und die entsprechenden Bestimmungen der anderen Sozialversicherungsgesetze wurde vom Oberlandesgericht Wien als damaligem Höchstgericht dahin verstanden, daß gegen Bescheide der Versicherungsträger, mit denen der Antrag auf Herstellung des gesetzlichen Zustands abgewiesen wurde, die Klage zulässig sei, sofern für die in der Klage begehrte Leistung der Rechtsweg gegeben war; bei § 101 ASVG handle es sich um eine erzwingbare Norm des Leistungsrechtes (SVSlg 8988, 15.901 ua). Diese Ansicht wird auch überwiegend im Schrifttum vertreten (Snasel VersRdSch 1959, 56 ff; Biussi, RdA 1967, 212 f; Pesendorfer, ZAS 1977, 67 f; Oberndorfer in Tomandl, System 3. ErgLfg 676; Stolzlechner, RdA 1986, 295 f) und es ist ihr auch der Oberste Gerichtshof in einer Entscheidung (SSV-NF 1/50) gefolgt. Wurde der Antrag auf Herstellung des gesetzlichen Zustands vom Versicherungsträger mit der Begründung zurückgewiesen, daß über die zu ändernde Leistung nicht mit einem Bescheid, sondern mit dem Urteil eines Gerichtes entschieden worden sei, so war allerdings gegen den zurückweisenden Bescheid nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichtes Wien (SSV 5/122, 12/57), der sich auch der Verwaltungsgerichtshof anschloß

(VwSlg. 8918/A = ZAS 1977, 64), der Rechtsweg unzulässig. Ungeachtet seiner Zustimmung zu der die Zulässigkeit der Klage bejahenden Rechtsprechung des Oberlandesgerichtes Wien hat erstmals Pesendorfer (ZAS 1977, 67) verfassungsrechtliche Bedenken gegen einen so verstandenen § 101 ASVG erhoben. Die daraus abzuleitende Ermächtigung der Schiedsgerichte, den ursprünglichen Leistungsbescheid des Versicherungsträgers außer Kraft zu setzen, bedeute einen Verstoß gegen Art. 94 B-VG, eine Bestimmung, die es ua ausschließe, daß ein Gericht den Bescheid einer Verwaltungsbehörde beseitigt (VfSlg. 3019, 3507 ua). Der erkennende Senat teilt diese Bedenken.

Art. 94 B-VG gestattet nicht, die ordentlichen Gerichte durch einfaches Gesetz als Kontrollinstanzen zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit der Bescheide der Verwaltungsbehörden zu berufen. Wenn ein Gesetz anordnet, daß die ordentlichen Gerichte anrufen kann, wer von der Verwaltungsbehörde in Anspruch genommen wurde, und daß das ordentliche Gericht nach dem Ergebnis seiner eigenen Prüfung den Verwaltungsbescheid allenfalls aufheben oder abändern kann, so wird damit ein Verhältnis der Überordnung der Gerichte über die Verwaltungsbehörde geschaffen, das mit dem Grundsatz des Art. 94 B-VG über die Trennung von Justiz und Verwaltung und der daraus abzuleitenden Selbständigkeit der Behörden beider Ordnungen nicht im Einklang steht und darum verfassungswidrig ist. Der Grundsatz der Trennung der Justiz von der Verwaltung bedeutet demnach auch, daß nicht über ein und dieselbe Frage sowohl Gerichte als auch Verwaltungsbehörden, sei es im gemeinsamen Zusammenwirken, sei es im instanzenmäßig gegliederten Nacheinander, entscheiden dürfen (VfSlg. 4359 mwN). Gerade dies trifft aber zu, wenn man § 101 ASVG (und die entsprechenden Bestimmungen der anderen Sozialversicherungsgesetze) in dem Sinn versteht, wie dies das angeführte Schrifttum und die bezogene Rechtsprechung des Oberlandesgerichtes Wien tut. Wird gegen den die Herstellung des gesetzlichen Zustandes ablehnenden Bescheid eine Klage erhoben, tritt hiedurch gemäß § 71 Abs 1 ASGG (früher § 384 Abs. 1 ASVG) nur dieser (zweite) Bescheid, nicht aber auch der erste, ursprünglich über die Leistung ergangene Bescheid außer Kraft. Würde das Gericht auf Grund der Klage den gesetzlichen Zustand rückwirkend wieder herstellen und über die Leistung selbst erkennen, so würde es damit über dieselbe Sache wie der Versicherungsträger im ersten Bescheid entscheiden. Durch die Identität des Gegenstandes der Entscheidung unterscheidet sich der hier zu prüfende Fall von dem Fall des § 362 Abs. 1 ASVG, für den nunmehr im § 68 ASGG die Möglichkeit einer Klage eingeräumt wird; in diesem Fall ist nämlich über einen anderen Zeitraum als im ersten, die Leistung ablehnenden Bescheid zu entscheiden.

In jüngerer Zeit hat Müller (RdA 1986, 369 ff, insb 375) den Versuch unternommen, die Frage der Abgrenzung von Leistungsverfahren und Verwaltungsverfahren im Leistungsrecht der Sozialversicherung unter dem Gesichtspunkt der wechselseitigen Bindung der Gerichte und Verwaltungsbehörden zu lösen und ist - vor allem für die Wiederaufnahme des Verfahrens - zu dem Ergebnis gekommen, daß die Gerichte die Bindung an Leistungsbescheide des Versicherungsträgers prüfen und im Falle der Verneinung der Bindung eine neue Sachentscheidung treffen dürften (s. insbes aaO 377 unter 7.2). Diese Argumentation überzeugt jedoch nicht. Würde ein Gesetz vorsehen, daß die Gerichte unter bestimmten Voraussetzungen an einen noch wirksamen (und nicht infolge einer Klage außer Kraft getretenen; vgl VfSlg. 3236, 3424) Bescheid einer Verwaltungsbehörde nicht gebunden sind und in der Hauptsache (und nicht bloß als Vorfrage!) über denselben Gegenstand wie der Bescheid entscheiden dürfen, würde es dem Gericht eine Abänderung dieses Bescheides ermöglichen und wäre deshalb aus den angeführten Gründen verfassungswidrig. Es ist daher nicht entscheidend, ob aus § 101 ASVG und den entsprechenden Bestimmungen der anderen Sozialversicherungsgesetze abgeleitet werden kann, daß unter bestimmten Voraussetzungen keine Bindung an den Vorbescheid besteht. Gesetze sind im Zweifel verfassungskonform auszulegen (Bydlinski in Rummel, ABGB Rz 21 zu § 6 mwN; JBl 1978, 438; für die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts MGA ABGB32 § 6/46 f). Dieses Ergebnis kann hier nicht dadurch erreicht werden, daß man aus den in Betracht kommenden gesetzlichen Bestimmungen ableitet, die Gerichte hätten auf Grund einer Klage nur über

die - verfahrensrechtliche - Frage, ob die Voraussetzungen für die Herstellung des gesetzlichen Zustands erfüllt sind, zu entscheiden und gegebenenfalls dem Versicherungsträger die Erlassung eines Bescheides über die Leistung aufzutragen. Dies würde ebenfalls ein - verfassungswidriges - Verhältnis der Über- und Unterordnung zwischen den Gerichten und Verwaltungsbehörden bedeuten (vgl. VfSlg. 9737). Außerdem würde diese Auslegung § 65 Abs. 1 Z 1 ASGG widersprechen, aus dem sich ergibt, daß die Entscheidung des Gerichtes den Bestand, den Umfang oder das Ruhen eines Anspruchs zum Gegenstand haben muß. Dazu gehört aber die bloße verfahrensrechtliche Entscheidung der Frage, ob die Voraussetzungen für die Herstellung des gesetzlichen Zustands erfüllt sind, nicht. Es bleibt also allein die Möglichkeit, daß im Verwaltungsweg darüber entschieden wird, ob der gesetzliche Zustand wiederherzustellen ist. Der erkennende Senat vermag der Ansicht Pesendorfers (ZAS 1977, 69), dieser Weg sei nach dem Wortlaut und der systematischen Stellung des § 101 ASVG ausgeschlossen, nicht zu folgen. Wohl gebietet § 101 ASVG (und die entsprechenden Bestimmungen der anderen Sozialversicherungsgesetze) dem Versicherungsträger, bei Vorliegen der darin festgelegten Voraussetzungen den gesetzlichen Zustand herzustellen, und es kann der im Rechtsmittelweg angerufene Landeshauptmann diesem Gebot nicht entsprechen, weil über den Bestand, den Umfang oder das Ruhen eines Anspruchs auf Versicherungsleistungen zufolge § 65 Abs. 1 Z 1 ASGG (früher § 371 Z 1 iVm § 354 Z 1 ASVG) neben den Versicherungsträgern nur die Gerichte entscheiden dürfen. Die Verhältnisse sind aber hier mit denen bei der Wiederaufnahme des Verfahrens vergleichbar, weil auch dort zufolge § 70 Abs 1 AVG zugleich mit der Bewilligung der Wiederaufnahme ein neuer Bescheid erlassen werden soll, wenn die Aktenlage dies zuläßt (vgl. Mannlicher-Quell, AVG8 I 401; Walter-Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht4 Rz 609; Antoniolli-Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht 719 f). Zu dieser Bestimmung hat aber schon der Verfassungsgerichtshof die Ansicht vertreten (VfSlg. 4998), sie sei so auszulegen, daß der Landeshauptmann als Einspruchsinstanz bei Wiederaufnahme in Leistungssachen nach dem ASVG in keinem Fall einen Leistungsbescheid erlassen dürfe. Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs läßt sich aber auch § 101 ASVG und die entsprechenden Bestimmungen der anderen Sozialversicherungsgesetze in diesem Sinn verstehen, was zu dem Ergebnis führt, daß der Landeshauptmann dem Versicherungsträger nur die Entscheidung in der Sache aufzutragen hätte. Selbst wenn man der Ansicht Pesendorfers (aaO 68) folgt, daß der Landeshauptmann den ersten Bescheid des Versicherungsträgers zu beseitigen hätte, ändert dies nichts, weil die Verhältnisse dann nicht anders als bei der Wiederaufnahme wären, durch die der Leistungsbescheid ebenfalls außer Kraft tritt (Antoniolli-Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht 721; VfSlg. 4359; VwSlg. 9277/A ua). Der hier zu beurteilende Fall liegt im übrigen nicht anders, wie wenn der Versicherungsträger einen Leistungsantrag gemäß § 68 Abs 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen oder die Berichtigung eines Bescheides gemäß § 62 Abs 4 AVG abgelehnt hat. In diesen Fällen dürfte der Landeshauptmann ebenfalls nicht in der Sache entscheiden;

dennoch hat der Verwaltungsgerichtshof beide Entscheidungen des Versicherungsträgers den Verwaltungssachen zugeordnet (ErkZfVB 1986/2181 für die Zurückweisung wegen entschiedener Sache;

ZfVB 1984/1105 für die Berichtigung).

Auch die Systematik des ASVG (und der anderen Sozialversicherungsgesetze) steht der dargelegten Auffassung nicht entgegen. § 101 findet sich zwar im Abschnitt VI des Ersten Teiles des ASVG, der mit "Leistungsansprüche" überschrieben ist und auch überwiegend Bestimmungen enthält, die für die Feststellung des Bestandes, des Umfanges oder des Ruhens eines Anspruchs über eine Versicherungsleistung oder für die Feststellung der Verpflichtung zum Rückersatz einer zu Unrecht empfangenen Versicherungsleistung von Bedeutung sind. Diese Angelegenheiten gehören allerdings gemäß § 354 Z 1 und 2 ASVG zu den Leistungssachen und gemäß § 65 Abs. 1 Z 1 und 2 ASGG zu den Sozialrechtssachen. Im selben Abschnitt sind aber auch Bestimmungen enthalten, auf die dies eindeutig nicht zutrifft (§ 98: Übertragung und Verpfändung von Leistungsansprüchen; § 98 a: Pfändung von Leistungsansprüchen; § 104: Auszahlung der Leistungen; § 106: Zahlungsempfänger). So ergibt sich etwa aus § 410 Abs. 1 Z 6 ASVG, daß die im § 98 Abs. 2 dieses Gesetzes geregelte Zustimmung des Versicherungsträgers zur Übertragung von Leistungsansprüchen eine Verwaltungssache ist. Es hindert also die Einordnung des § 101 in den Abschnitt VI des Ersten Teiles des ASVG nicht, die in dieser Bestimmung geregelte Herstellung des gesetzlichen Zustandes den Verwaltungssachen zuzuordnen. Diese Zuordnung entspricht im übrigen der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes. Die Entscheidung über die Wiederaufnahme des Verfahrens wird sowohl vom Verfassungsgerichtshof (VfSlg. 4998) als auch vom Verwaltungsgerichtshof (VwSlg. 9551/A; SVSlg. 28.264) als Verwaltungssache angesehen (ebenso im übrigen auch schon der Oberste Gerichtshof in SSV-NF 1/58). Ferner erblickt der Verwaltungsgerichtshof (ZfVB 1986/2181) in der Zurückweisung eines Antrags wegen entschiedener Sache eine Verwaltungssache.

Sowohl die Ablehnung der Wiederaufnahme als auch die Zurückweisung

wegen entschiedener Sache sind aber mit der Ablehnung der

Herstellung des gesetzlichen Zustands vergleichbar. Diese

Herstellung hat der Verwaltungsgerichtshof ausdrücklich zwar nur

dann den Verwaltungssachen zugeordnet, wenn der Versicherungsträger

die Anwendung des § 101 ASVG mit der Begründung abgelehnt hat, daß

der strittige Anspruch mit dem Urteil eines Gerichts zuerkannt wurde

(VwSlg. 8918/A = ZAS 1977, 64). Schon Pesendorfer hat in der

Besprechung dieser Entscheidung (ZAS 1977, 66) darauf hingewiesen,

daß es unrichtig ist, diese Fälle anders als jene zu behandeln, in

denen die Herstellung des gesetzlichen Zustands aus anderen Gründen

abgelehnt wird; seine Argumente wurden bereits in der Entscheidung

des Obersten Gerichtshofs SSV-NF 1/50 als "gewichtig" bezeichnet. In

anderen Entscheidungen geht der Verwaltungsgerichtshof, ohne dies

allerdings ausdrücklich zu sagen, offensichtlich davon aus, daß auch

in diesen Fällen eine Verwaltungssache vorliegt. So hat er in seinen

Erkenntnissen vom 15. September 1986, Zl 85/08/0192 (in anderen

Teilen veröffentlicht in VwSlg. 12.220/A = ÖJZ 1987/190,

377 = SVSlg. 31.054), und vom 15. Jänner 1987, Zl 86/08/0087 in

anderen Teilen veröffentlicht in SVSlg. 31.057 = ZfVB 1987/2136) dem

Versicherungsträger die Entscheidung über einen Antrag nach § 101 ASVG aufgetragen, wozu er nicht berechtigt gewesen wäre, wenn es sich um eine Leistungssache handeln würde.

Aus all diesen Gründen vermag sich der erkennende Senat der bisher im Schrifttum und in der Rechtsprechung des Oberlandesgerichtes Wien sowie - in einem Fall - auch des Obersten Gerichtshofes vertretenen Ansicht nicht anzuschließen, daß es sich um eine Leistungssache handelt, wenn der Versicherungsträger die Herstellung des gesetzlichen Zustandes ablehnt, weil kein wesentlicher Irrtum über den Sachverhalt und kein offenkundiges Versehen vorliegt. Diese Ansicht nimmt auf die dargestellten verfassungsrechtlichen Bedenken nicht Bedacht und wird dem Gebot nach verfassungskonformer Auslegung der in Betracht kommenden gesetzlichen Bestimmungen, die im übrigen auch von Pesendorfer (ZAS 1977, 68) als "noch erträglicher Kompromiß" bezeichnet wird, nicht gerecht. Sie würde es dem Anspruchswerber im übrigen ermöglichen, die Gerichte auch nach Ablauf der für die Klage gegen den ersten Bescheid gemäß § 70 Abs. 1 Z 1 ASGG (früher § 383 Abs. 2 ASVG) offenstehenden Frist bloß mit der Behauptung, daß die Voraussetzungen für die Herstellung des gesetzlichen Zustandes vorlägen, anzurufen, ein Ergebnis, das vom Gesetzgeber wohl kaum beabsichtigt sein dürfte. Es spricht daher auch diese Überlegung für die vom erkennenden Senat vertretene Auffassung, daß immer dann, wenn der Versicherungsträger die Herstellung des gesetzlichen Zustands ablehnt, eine Verwaltungssache vorliegt, weshalb gegen den die Ablehnung aussprechenden Bescheid eine Klage nicht erhoben werden kann.

Da dieser Fall hier gegeben ist, haben die Vorinstanzen über eine nicht auf den Rechtsweg gehörige Sache erkannt. Ihre Urteile und das diesen vorausgegangene Verfahren sind daher gemäß § 477 Abs. 1 Z 6 ZPO nichtig, worauf aus Anlaß der Revision Bedacht zu nehmen war.

Der Ausspruch über die Verfahrenskosten beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit b ASGG.

Anmerkung

E18394

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:010OBS00235.88.0620.000

Dokumentnummer

JJT_19890620_OGH0002_010OBS00235_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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