TE OGH 1989/6/20 5Ob646/88

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Veröffentlicht am 20.06.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Marold als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Jensik, Dr. Zehetner, Dr. Klinger und Dr. Schwarz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. Gerhard N***, Pensionist, 2700 Wiener Neustadt, Hallengasse 7, vertreten durch Dr. Helmut Schmidt und Dr. Ingo Schreiber, Rechtsanwälte in Wiener Neustadt, wider die beklagte Partei Josef S***, Kaufmann, 7331 Weppersdorf, Theodor Körner-Straße 12, vertreten durch Dr. Herbert Weber, Rechtsanwalt in Wien, wegen 1,263.203,30 S und Rente und Feststellung (Gesamtstreitwert 1,773.952,70 S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 31. August 1988, GZ 13 R 46/86-31, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wiener Neustadt vom 2. Juli 1987, GZ 1 Cg 252/88-24, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, dem Beklagten die mit 19.025,33 S (einschließlich 1.729,58 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

An der Ecke Wiener Straße - Josef Mohrgasse liegt im Industriegebiet von Wiener Neustadt eine Tankstelle, die einschließlich der mit ihrer Längsseite an die Wienerstraße grenzenden Liegenschaft im Eigentum der BP (Austria AG) steht. Sie verfügt über eine durch eine Grüninsel getrennte Zu- und Abfahrt von (zur) Wienerstraße. Parallel zur Wienerstraße liegen zwei überdachte Zapfsäulenreihen. Daran schließt das in seiner Längsausdehnung parallel zur Wienerstraße gelegene Tankstellengebäude (WC, Kassa, Verkaufsraum, Waschbox usw) an, in dessen zur Mohrgasse gelegenen Teil sich auch ein Espresso befindet. An der von der Wienerstraße aus gesehen rückwärtigen Liegenschaftsbegrenzung liegt an die Mohrgasse grenzend eine Kfz-Werkstätte (Renault), der ein Verkaufsraum vorgelagert ist. Nicht lange vor dem Unfall wurde von der Mohrgasse eine Zufahrt ("Ausfahrt Richtung Wien") zur Tankstelle errichtet, die an dem Verkaufsraum vorbeiführt und im Zufahrtsbereich noch nicht einen Bitumenbelag (wie der übrige Tankstellenbereich) hatte. Der Beklagte hatte mit Ausnahme der Reparaturwerkstätte und des Verkaufsraums (diese hatte Gregor S*** gepachtet) sowohl die Tankstelle mit allen Nebeneinrichtungen als auch das Espresso von der BP gepachtet. Während S*** vor Errichtung der Ausfahrt in der Mohrgasse - dieser Tankstellenbereich diente damals als Abstellfläche für die PKWs der Kunden S*** und des Beklagten, aber auch für die von S*** angebotenen Gebrauchtwagen - von der BP verpflichtet wurde, den Gehsteig in der Mohrgasse zu reinigen und zu streuen sowie den damals noch durchgehenden Grünstreifen entlang der Mohrgasse zu pflegen, war der Beklagte zur Reinigung und Streuung des übrigen Tankstellenbereiches einschließlich des Gehsteiges in der Wienerstraße verpflichtet. Nach der Errichtung der Ausfahrt Mohrgasse - welche die Firma des Klägers durchführte - wurde bis zum Unfallstag über die Reinigungs- und Streupflichten dieser Ausfahrt (die sowohl von Kunden S*** als auch des Beklagten benützt wurde) weder zwischen S*** noch dem Beklagten einerseits und der BP andererseits eine Vereinbarung getroffen.

Am 14. Februar 1983 war der Tankstellenbereich bis ca. 5 m vor der Mohrgasse von Schnee geräumt, so daß man einzelnen geringen Eishöckern ausweichen konnte, weil sie sichtbar waren. Auch Gehsteig und Terrasse des Espressos waren geräumt. Der Kläger hatte damals ein Kraftfahrzeug in eine in der Nähe befindliche Werkstätte gebracht. Er ging zur Überbrückung der Wartezeit in das vom Beklagten geführte Espresso und trank dort einen Kaffee. Dabei benützte er die "Ausfahrt Mohrgasse" auf der dem Kfz-Verkaufsraum zunächst gelegenen Seite, trank im Espresso einen Kaffee und kam auf dem Rückweg kurz nach 8.00 Uhr knapp vor dem Ende des Asphaltes im Bereich der Ausfahrt Mohrgasse auf einer vom Beklagten nicht mehr geräumten Eisfläche, die halbschuhhoch mit Schnee bedeckt war, zu Sturz. Er zog sich dabei einen Trümmerbruch des linken Beines zu. Der Kläger begehrt vom Beklagten (nach Einschränkung) 1,263.203,30 S (Schmerzengeld, Verdienstentgang usw), eine monatliche Rente von 16.397,70 S (1. Februar 1986 bis 30. November 1987) sowie die Feststellung seiner Haftung für künftige Schäden. Der Beklagte habe es als Pächter der Tankstelle und des angeschlossenen Espressos, in welchem der Kläger vor dem Unfall einen Kaffee konsumiert habe, verabsäumt, der ihn treffenden Pflicht zur Räumung und Streuung der von ihm gepachteten Flächen nachzukommen. Der Beklagte hafte dem Kläger wegen Verletzung der vertraglichen Schutzpflicht gegenüber Besuchern seines Geschäftslokales. Auch gegen die Verkehrssicherungspflicht habe der Beklagte grob verstoßen.

Der Beklagte hält dem im wesentlichen entgegen, daß für die Räumung und Streuung im Bereich der "Ausfahrt Mohrgasse" und des Gehsteigs entlang der Mohrgasse Gregor S*** verantwortlich sei. Auch sei die Ausfahrt noch nicht fertiggestellt gewesen. Tankstelle und Espresso lägen im Industriegebiet Wiener Neustadt. Sie würden überwiegend von Kraftfahrern benützt. Der Gehsteig unmittelbar vor dem Espresso sei wie der übrige Tankstellenbereich von Schnee gesäubert gewesen. An die Streupflicht über diesen Bereich hinaus könnten aber im Hinblick auf die Lage und den Kundenkreis des Espressos keine so hohen Ansprüche gestellt werden, daß im Hinblick auf die Witterungsumstände zum Unfallszeitpunkt mit andauernden Schneefällen das Ausrutschen eines Fußgängers unmöglich gemacht werde. Überdies sei die Sturzstelle vom Eingang des Espressos rund 45 m entfernt und habe sich im Fahrbahnbereich befunden. Den Beklagten treffe an seinem Sturz vielmehr selbst die Schuld. Das Erstgericht erkannte mit Zwischenurteil das Klagebegehren als dem Grunde nach zu Recht bestehend. Es stellte zusätzlich zum eingangs wiedergegebenen folgenden Sachverhalt fest:

Die Bauunternehmung S*** & N*** GesmbH, deren

Geschäftsführer der Kläger war, hatte die im Unfallszeitpunkt noch nicht fertiggestellte Ausfahrt dieser Tankstelle in die Josef Mohrgasse herzustellen. Dem Kläger war daher die Örtlichkeit gut bekannt. Der Kläger nahm - von der Josef Mohrgasse kommend - den kürzesten Weg über den nicht vom Schnee geräumten Ausfahrtsbereich zum Espresso. Auf dem Rückweg kam er in demselben nichtgeräumten Bereich, wo sich allerdings noch asphaltierter Untergrund befand, zu Sturz und erlitt eine Verletzung.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, der Beklagte habe hinsichtlich einer Anlage, die seiner Verfügung unterliege und welche er dem Zutritt eines Personenkreises geöffnet habe, seine Verkehrssicherungspflicht verletzt. Überdies hafte er nach § 1319 a ABGB.

Das Berufungsgericht änderte das stattgebende Zwischenurteil in ein abweisendes Endurteil ab. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen als Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens und unbedenklicher Beweiswürdigung, mit Ausnahme derjenigen, die Gehlinie des Klägers sei am Rückweg nicht 0,8 m bis 1 m nach rechts versetzt gewesen.

Rechtlich beurteilte das Berufungsgericht diesen Sachverhalt wie folgt:

Da sich der Kläger in dem vom Beklagten geführten Espresso als Gast aufgehalten habe, sei dieser auf Grund vertraglicher Schutzpflicht auch zur Säuberung und Bestreuung des Einganges in das Espresso und des unmittelbar davor befindlichen Gehsteigbereiches verpflichtet. Der Haftungsgrund des § 1319 a ABGB scheide daher aus. Die aus dem Vertragsverhältnis abgeleiteten Schutz- und Sorgfaltspflichten dürften aber nicht überspitzt werden. Der vom Beklagten zu sichernde Bereich richte sich daher nach demjenigen Kundenkreis, mit dem sowohl nach der Lage von Espresso und Tankstelle als auch nach den herrschenden Witterungsverhältnissen habe gerechnet werden müssen. Im Bereich einer Tankstelle außerhalb des Wohngebietes und unter Berücksichtigung der damaligen schlechten Witterung habe der Beklagte aber mit sich zu Fuß annähernden Kunden nicht rechnen müssen, zumal diese leicht hätten erkennen können, daß für sie ein gefahrlos zu benützender Zugang gar nicht bestehe. Selbst wenn aber der Beklagte mit Gästen hätte rechnen müssen, die sein Lokal zu Fuß aufsuchen, wäre er nicht verpflichtet gewesen, sämtliche Zugangsmöglichkeiten zum Tankstellenbereich zu sichern, denn im Hinblick darauf, daß der Beklagte mit Ausnahme der noch nicht fertiggestellten Ausfahrt den übrigen Tankstellenbereich von Schnee und Eis gesäubert hatte, wäre bei zumutbarer Aufmerksamkeit das Erreichen des Espressos auf einem anderen Zugang gewährleistet gewesen. Der ortskundige Kläger hätte nur nicht den kürzesten Weg wählen dürfen.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Klägers wegen Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es dahin abzuändern, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt werde.

Der Beklagte begehrt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die geltend gemachte Aktenwidrigkeit liegt, wie der Oberste

Gerichtshof prüfte, nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Auch die Rechtsrüge ist nicht berechtigt.

Richtig ist, daß jeder, der auf einem seiner Verfügung unterstehenden Grund und Boden einen Verkehr für Menschen eröffnet, für die Verkehrssicherheit zu sorgen hat (ZVR 1987/104, 1988/77 ua). Dabei hat derjenige, den die Verkehrssicherungspflicht trifft, die verkehrsübliche Aufmerksamkeit und notwendige Sorgfalt zu beachten, wenn auch die Sorgfaltspflicht nicht überspannt werden darf und die Grenzen des Zumutbaren zu beachten sind (4 Ob 505/78; jüngst 8 Ob 664/87).

In der hier zu beurteilenden Rechtssache eröffnete der Beklagte wegen des in seinem Tankstellenbereich ebenfalls von ihm betriebenen Espressos einen Verkehr für jeden potentiellen Vertragspartner, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob dieser zunächst den Tankstellenbereich zur Versorgung seines Fahrzeuges mittels desselben aufsuchte, oder ob er sich nur zum Zwecke des Espressobesuches zu Fuß dorthin begab. Die vertraglichen Schutz- und Sorgfaltspflichten des Beklagten beziehen sich daher auch auf einen solchen Espressogast, der zu Fuß dorthin kam und es demgemäß auch wieder zu Fuß verlassen wird.

Dies bedeutet aber nicht, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführte, daß jede Stelle, von der aus faktisch der Zutritt zum Tankstellenbereich möglich ist, auch bei schlechten Witterungsverhältnissen in verkehrssicherem Zustand gehalten werden muß. Eine solche Pflicht bestand jedenfalls nicht gegenüber dem Kläger, dem bekannt war, daß er über eine noch nicht fertiggestellte Ausfahrt die Anlage verlassen wollte, und der aus diesem Wissen im Zusammenhang mit der sichtbaren Tatsache der Nichträumung dieser Ausfahrt und des unmittelbar anschließenden Tankstellenbereiches sich zur Benützung der im geräumten Tankstellenbereich gelegenen Wege hätte veranlassen lassen sollen. Da er trotzdem - offenbar zur Abkürzung des Weges - den ungesäuberten und daher gefährlichen Bereich betrat, ist der Unfall nur auf seine Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten zurückzuführen. Hiefür hat der Beklagte nicht zu haften.

Der Revision war daher der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E17311

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0050OB00646.88.0620.000

Dokumentnummer

JJT_19890620_OGH0002_0050OB00646_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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