TE OGH 1989/6/28 3Ob541/89

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Veröffentlicht am 28.06.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Hule, Dr.Warta, Dr.Klinger und Dr.Angst als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Sidomie K***, Angestellte, Wien 1., Opernring 10, 2.) Alfred R***, Pensionist, Wien 13., Thomas Morus-Gasse 3, 3.) Marie Christine von W***, Pensionistin, Wien 4., Argentinierstaße 20, 4.) Margarethe F***, Pensionistin, Wien 1., Goethestraße 3, und

5.) Dr.Alfons G***-W***, Pensionist, Strobl, Stollegg 46, alle vertreten durch Dr.Friedrich Pechtold, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Dipl.Ing. Emmerich D***, Architekt, Wien 1., Opernring 10, vertreten durch Dr.Johannes Patzak, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgerichtes vom 18.Jänner 1989, GZ 48 R 650/88-22, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 24.August 1988, GZ 48 C 393/87-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der beklagten Partei binnen vierzehn Tagen die mit 8.489,26 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 1.414,88 S Umsatzsteuer) zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Kläger als Mehrheitseigentümer des Hauses Wien 1., Opernring 10/Goethestraße 3 kündigen dem Beklagten in diesem Haus gemietete Wohn- und Geschäftsräumlichkeiten gemäß § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG (unleidliches Verhalten) gerichtlich auf.

Der Beklagte beantragte die Aufhebung der Kündigung und die Abweisung des Klagebegehrens.

Das Erstgericht hob die Aufkundigung auf und wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 300.000 S übersteige. Die Feststellungen der beiden Vorinstanzen über das zu beurteilende Verhalten des Beklagten lassen sich kurz wie folgt zusammenfassen:

Der Beklagte ist seit 1966 Mieter. Bis zum Jahr 1982 gab es weder mit den Rechtsvorgängern der Erstklägerin noch mit dieser und ihrem Ehemann, der im Haus auch seine Rechtsanwaltskanzlei betreibt, Probleme im Zusammenleben.

Gewisse Differenzen begannen erst im Jahr 1982, als ein Schwiegersohn des Beklagten von ihm im selben Haus gemietete Geschäftsräumlichkeiten untervermieten wollte und die Mehrheitseigentümer dem nicht zustimmten.

Die eigentlichen Spannungen entzündeten sich jedoch an einem Durchgangsrecht, das verschiedene Bewohner des Hauses an einem zu den Bestandräumlichkeiten des Beklagten gehörigen Atelierraum ausüben müssen, um zu einem Lift zu gelangen. Dieses Durchgangsrecht war schon im Mietvertrag und einem Zusatz festgelegt worden. Es war vereinbart, daß der Durchgang täglich von 18.00 Uhr abends bis 7 Uhr morgens versperrt wird und die Durchgangsberechtigten Schlüssel erhalten. Im einzelnen kam es zu folgenden Vorkommnissen:

Am 24.April 1982 war der Durchgang auch untertags versperrt. Die Erstklägerin mußte daher aufsperren. Die Bedienerin des Beklagten sperrte sonach wieder zu, sodaß die Erstklägerin abermals aufsperren mußte. Der Vorfall führte zur Einbringung einer Besitzstörungsklage gegen den Beklagten, zur Durchführung einer Exekution auf Grund einer erwirkten einstweiligen Vorkehrung, sowie zur Einbringung einer Impugnationsklage gegen die Erstklägerin.

Am 24.März 1983 hatte die Erstklägerin, welche Gäste erwartete, um das Offenhalten der Tür gebeten; der Durchgang war aber dann doch versperrt. Es kam zu einem Wortwechsel, und der Beklagte erstattete gegen die Erstklägerin eine Verwaltungsstrafanzeige wegen Erregung ungebührlichen Lärms; das Verwaltungsstrafverfahren wurde eingestellt. Weiters erhoben der Beklagte gegen die Erstklägerin und diese gegen den Beklagten jeweils eine Besitzstörungsklage. Im Mai 1983 erstattete der Beklagte gegen den Mann der Erstklägerin eine Anzeige an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer wegen verschiedener Äußerungen und Verhaltensweisen im Zusammenhang mit dem Streit um das Durchgangsrecht, aber auch wegen eines Konsulentenverhältnisses, das Dr.K*** zur G***-Gruppe unterhalte. Nach Durchführung von Zeugeneinvernahmen erging ein Ablassungsbeschluß.

Im Juni 1983 schloß die Erstklägerin mit dem Beklagten einen Vergleich, mit dem das strittige Durchgangsrecht näher umschrieben und alle dazu angeführten, in diesem Zeitpunkt noch anhängigen Verfahren erledigt wurden.

In der Folge trat etwa zwei Jahre Ruhe ein. Neue Spannungen ergaben sich aber, als ein gegen den Beklagten wegen eines anderen Bestandgegenstandes im selben Haus geführter Kündigungsprozeß zur Delogierung im März 1986 führte. Der Beklagte erhob eine Klage auf Ersatz von Aufwendungen in Höhe von 633.500 S, die vom Mann der Erstklägerin unter anderem mit einer Strafanzeige wegen Prozeßbetruges beantwortet wurde.

Einige Vorfälle des Jahres 1986 ergaben sich daraus, daß die Erstklägerin geltend machte, ein Schrank oder ein Sessel des Beklagten ragten behindernd in die Durchgangsfläche hinein. Auf eine Rüge antwortete ein für den Beklagten arbeitender Architekt im sogleich aufgeklärten Scherz, morgen werde der ganze Durchgang zugemauert. Als der Beklagte am Boden Pläne ausgebreitet hatte, die den Durchgang auf eine Breite von 1,50 m einengten, forderte die Erstklägerin die Entfernung der Pläne und stieg über dieselben, als sie nicht entfernt wurden. Eine Bemerkung der Tochter des Beklagten, ein Gang sei normalerweise nur ein Meter breit, faßte die Erstklägerin als Anspielung auf ihr Körpergewicht und Verspottung auf.

Als dem Beklagten verschiedene Gegenstände abhanden gekommen waren, setzte eine Korrespondenz zwischen dem Rechtsfreund des Beklagten und dem Mann der Erstklägerin ein. Am 25.September 1986 ließ der Beklagte die Schlösser austauschen und übergab auch zwei neue Schlüssel an die Erstklägerin, die sich jedoch gegen den Schloßaustausch aussprach und abends wieder die alten Schlösser einbauen ließ. Diese Vorgänge führten wieder zu einer Korrespondenz und zur Einbringung von Besitzstörungsklagen einerseits gegen den Beklagten und andererseits gegen den Mann der Erstklägerin. Am 30. Juli 1987 wurden die neuen Schlösser ein zweites Mal angebracht und am 3.August 1987 von der Erstklägerin ein zweites Mal wieder entfernt. Der zweite Schloßaustausch führte zur Einbringung eines Exekutionsantrages gegen den Beklagten, gegen den dieser eine Klage nach den §§ 35, 36 EO erhob, weiters zur Anbringung eines Exekutionsantrages gegen den Mann der Erstklägerin, der die Exekution mit einer Impugnationsklage bekämpfte.

Im Anschluß an den Schloßaustausch vom 25.September 1987 erstattete der Beklagte gegen Dr.K*** neuerlich eine Anzeige an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer wegen verschiedener mündlich oder schriftlicher Bemerkungen, die wieder zu einem Ablassungsbeschluß führte. Weiters wurde vom Beklagten eine Feststellungs- und Unterlassungsklage eingebracht.

Die beiden Vorinstanzen erblickten im festgestellten Verhalten des Beklagten vor allem deshalb kein unleidliches Verhalten im Sinne des § 30 Abs 2 Z 3 MRG, weil dieses jeweils durch ein kleinliches Vorgehen der Erstklägerin und ihres Mannes ausgelöst worden sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Kläger ist nicht berechtigt.

Die klagenden Parteien machen zwar mit Recht geltend, daß es beim angezogenen Kündigungsgrund in erster Linie nicht auf das Verhalten des Vermieters und seiner Leute sondern auf das Verhalten der gekündigten Partei ankommt, soweit nicht Provokationen seitens des Vermieters dazu führen können, daß nach den Umständen des Einzelfalles ein an sich dem Kündigungsgrund zu unterstellendes Verhalten den Charakter eines Kündigungsgrundes verliert (MietSlg 32.343). Ein solcher Sachverhalt liegt hier nicht vor. Richtig ist weiters, daß die mit dem Durchgangsrecht verbundenen Nachteile dem Beklagten keinen Entschuldigungsgrund liefern können, weil er einen Raum gemietet hat, der ihm nicht allein zur Verfügung steht. Dies ändert aber nichts daran, daß die erwiesenen Tatsachen nicht ausreichen, um den Kündigungsgrund herzustellen. Der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG setzt aber doch erhebliche Störungen des friedlichen Zusammenlebens (art: grob ungehöriges Verhalten) voraus. Das Verhalten des Mieters darf dabei allerdings nicht in Teilfakten zerlegt und diese dürfen nicht für sich allein geprüft werden; entscheidend ist das Gesamtverhalten des Mieters (MietSlg 33.331, 37.406).

Betrachtet man das Gesamtverhalten des Beklagten in den Jahren 1982 bis 1987, so zeigt sich, daß er das strittige Durchgangsrecht nie ernstlich gestört oder in Frage gestellt hat. Bei allen Vorkommnissen war der Rechtsstandpunkt des Beklagten vertretbar. Wenn er daher selbst Klagen einbrachte oder gegen ihn erhobene Klagen abzuwehren suchte, so lag nie ein Verfolgen der Gegenseite mit mutwilligen Klagen oder das mutwillige Bestreiten von gegen ihn erhobenen begründeten Klagen vor. Der Ausgang der einzelnen Verfahren spielt daher keine Rolle, ebenso nicht, welchen Standpunkt der Beklagte im einzelnen eingenommen hat. Es war nicht so, daß der Beklagte die Erstklägerin und ihre Leute ständig mit unnötigen Prozessen behelligte, sondern alle Prozesse ergaben sich aus Vorfällen, die zu widersprüchlichen Rechtsstandpunkten geführt hatten und einer Klärung bedurften.

Ein unnötiger Akt war an sich die Erstattung der beiden Anzeigen an die Rechtsanwaltskammer. Selbst wenn ein solches Anzeigerecht jedem Staatsbürger zusteht, so muß ein Mieter gegenüber dem Vermieter hier doch besondere Sorgfalt walten lassen und darf nicht leichtfertigt oder mutwillig vorgehen. Anhaltspunkte in dieser Richtung liegen jedoch nicht vor.

Es ist daher nicht so, daß ohne das Verhalten der Klägerin und ihres Mannes das vom Beklagten gesetzte Verhalten den Kündigungsgrund rechtfertigen würde, sodaß eine nähere Beurteilung des Verhaltens der Erstklägerin und ihres Mannes erübrigt werden kann. Selbst wenn man von etwaigen Provokationen absieht, hat der Beklagte bisher kein Verhalten gesetzt, das die Kläger zur Geltendmachung des Kündigungsgrundes nach § 30 Abs 2 Z 3 MRG berechtigen würde.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E17705

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0030OB00541.89.0628.000

Dokumentnummer

JJT_19890628_OGH0002_0030OB00541_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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