TE OGH 1989/8/30 14Os66/89

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Veröffentlicht am 30.08.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 30.August 1989 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Lachner, Dr. Massauer und Dr. Markel als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Vondrak als Schriftführerin in der Strafsache gegen Otto S*** wegen des Vergehens der fahrlässigen

Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und 4, erster Fall StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Schöffengericht in Jugendstrafsachen vom 23. Februar 1989, GZ 11 Vr 1917/88-17, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Presslauer und der Verteidigerin Dr. Michalek, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch zu Punkt 2) des Urteilssatzes sowie demzufolge auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an den Einzelrichter des Landesgerichts Klagenfurt (zurück-)verwiesen.

Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Verfahrens über seine Nichtigkeitsbeschwerde, soweit diese erfolglos geblieben ist, zur Last.

Text

Gründe:

Der am 29.April 1972 geborene (jugendliche) Malerlehrling Otto S*** wurde des Vergehens der fahrlässigen

Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und Abs. 4 erster Fall StGB (Punkt 1 des Urteilssatzes) und des Vergehens des Imstichlassens eines Verletzten nach § 94 Abs. 1 StGB (Punkt 2 des Urteilssatzes) schuldig erkannt, wobei (zufolge eines ungerügt gebliebenen Mangels) entgegen § 260 Abs. 1 Z 2 StPO diese Subsumtionen nicht im Urteilsspruch selbst enthalten sind, sondern nur den Entscheidungsgründen der Urteilsausfertigung entnommen werden können. Dem Angeklagten liegt zur Last, am 10.September 1988 in Pattendorf als Lenker eines Mopeds durch unvorsichtiges Fahren, insbesondere dadurch, daß er auf Grund seines durch den Genuß von Alkohol beeinträchtigten Zustands von der Fahrbahn abkam und gegen ein Eisengeländer fuhr, fahrlässig Franz H*** am Körper schwer verletzt und es hernach unterlassen zu haben, diesem, dessen Verletzung am Körper er verursacht hat, die erforderliche Hilfe zu leisten.

Dieses Urteil wird vom Angeklagten mit einer auf § 281 Abs. 1 Z 5, 5 a und 9 lit. a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen den Schuldspruch wegen fahrlässiger Körperverletzung ins Treffen geführten Einwände gehen fehl.

Die Annahmen des Erstgerichts, der Angeklagte habe eine unvorsichtige Fahrweise gewählt, bei ihm sei "insbesondere" infolge vorangegangenen Alkoholkonsums eine "verminderte Verkehrssicherheit" vorgelegen, finden entgegen dem Vorbringen zur Mängelrüge (Z 5) in den Angaben des Franz H*** über ein Abkommen von der Fahrbahn schon vor dem Unfallsgeschehen (S 21 und 65), den Ausführungen des ärztlichen Sachverständigen Dr. Egon Z*** über die Folgen des Biergenusses (S 39) und den Angaben des Angeklagten über die Sturzursache (S 26 und 67) sowie er habe "zu viel" getrunken (S 26 und 63) eine logisch und empirisch einwandfreie Grundlage. Bei Begründung dieser Feststellungen mußte sich das Erstgericht nicht in allen Einzelheiten mit dem Gutachten des Sachverständigen für das Kraftfahrwesen Ing. Martin R*** auseinandersetzen, weil dieses Beweisergebnis keineswegs auf eine von den Urteilsannahmen abweichende Fallgestaltung, noch viel weniger auf eine für die rechtliche Beurteilung erhebliche Sachverhaltsvariation hinweist. In dem im Gutachten erörterten technisch möglichen Schleudern infolge einer an die Geschwindigkeit nicht angepaßten Drehzahl des Motors wegen ungeschickter und technisch ungewöhnlicher Betätigung der Gangschaltung ist nur eine Untermauerung und Spezifizierung der allgemeinen, nach Lage des Falles jedoch für die rechtliche Beurteilung ausreichenden gerichtlichen Annahme zu erblicken, wonach der Unfall auf unvorsichtiges Fahren zurückzuführen ist. Mit dem im Urteilstenor enthaltenen Ausspruch, "insbesondere" eine Alkoholisierung des Angeklagten habe sein Fahrverhalten beeinflußt, wurde keineswegs der vom Sachverständigen als technische Möglichkeit dargelegte Ablauf des Geschehens ausgeschlossen. Die von der Beschwerde vermißte Erörterung konnte mangels eines den Feststellungen entgegenstehenden Gutachtensinhaltes unterbleiben, ohne daß damit der Ausspruch des Gerichts über entscheidende Tatsachen unvollständig wäre, berücksichtigt man insbesondere das Gebot gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs. 2 Z 5 StPO).

Unzutreffend ist auch der Einwand, die Feststellungen über das Abkommen des Mopeds von der Fahrbahn auf das südliche Bankett und über den folgenden Sturz stünden im Gegensatz zur Aussage des Zeugen Franz H***. Im Urteil blieb nämlich die (in rechtlicher und tatsächlicher Sicht bedeutungslose) Frage durchaus offen, ob der Sturzverlauf dadurch gekennzeichnet war, daß der Beifahrer H*** zunächst nach Abkommen des vom Lenker nicht mehr beherrschten Fahrzeugs von der Fahrbahn mit dem Knie gegen ein dort befindliches Geländer stieß, oder ob dieser Berührungskontakt nicht den Beginn des Stürzens darstellte. Der behauptete Gegensatz zwischen der Aussage des Zeugen und den Entscheidungsgründen liegt daher in Wahrheit nicht vor.

Der Meinung der Beschwerde zuwider liegt dem Angeklagten nicht zur Last, die Tat unter den besonders gefährlichen Verhältnissen des § 81 Z 2 StGB begangen zu haben (was auch aus der angewendeten Strafzumessungsnorm ersichtlich ist: § 94 Abs. 1 StGB und nicht § 88 Abs. 4, zweiter Strafatz, StGB), weswegen die Ausführungen zur Alkoholisierung fehlschlagen müssen. Zwar läßt das Urteil nicht zweifelsfrei erkennen, inwieweit diesbezüglich (durch den Genuß von Alkohol beeinträchtiger Zustand, AS 71; verminderte Verkehrssicherheit, AS 73) eine Fahruntüchtigkeit im Sinne des § 5 Abs. 1 StVO umschrieben sein soll. Diese Undeutlichkeit ist jedoch weder für die Richtigkeit der rechtlichen Beurteilung der Tat nach § 88 Abs. 1 und Abs. 4 erster Fall StGB noch für die Gesetzmäßigkeit des angewendeten Strafsatzes von Bedeutung.

Auch die Tatsachenrüge (Z 5 a) vermag unter Berücksichtigung der gesamten Aktenlage keine erheblichen Bedenken in der Bedeutung dieses Nichtigkeitsgrunds hervorzurufen.

Ebenso müssen die zum Nichtigkeitsgrund nach Z 9 lit. a des § 281 Abs. 1 StPO erstatteten Ausführungen gegen die Annahme fahrlässigen Verhaltens des Angeklagten erfolglos bleiben. Auch unter der Annahme, daß der Unfall allein durch den vom Sachverständigen für Kraftfahrwesen beschriebenen möglichen Schaltfehler ausgelöst wurde, liegt ein objektiv und subjektiv sorgfaltswidriges Verhalten des Angeklagten vor, weil er diesfalls einer der Vermeidung von Gefahren für Leib und Leben des Beifahrers oder anderer Personen dienenden, allgemein verbindlichen Verhaltensanforderung an jeden Mopedlenker nicht entsprochen hat und kein Hinweis dafür vorliegt, daß er diese Verpflichtung nach seinen persönlichen Verhältnissen nicht hätte erfüllen können. Damit wäre dem Angeklagten nämlich entgegen der Beschwerdemeinung nicht ein auch beim aufmerksamen Fahrzeugbetrieb gelegentlich vorkommender und für die Verkehrsbewegung des betroffenen Fahrzeugs unwesentlicher Schaltfehler, sondern ein den Fahrbedingungen - insbesondere der Geschwindigkeit - so unangepaßter Bedienungsmißgriff unterlaufen, daß der daraus drohende Verlust der Kontrolle über das Fahrzeug auf der Hand lag. Eine derart fehlerhafte Betätigung der Schaltung verletzt die Pflicht eines Fahrzeuglenkers zur Wahl einer Fahrweise, welche die jederzeitige Beherrschung des Fahrzeugs zur sachgerechten Abwendung von Unfallgefahren ermöglicht, weshalb darin ein Verstoß gegen die gebotene Sorgfalt liegt. Es kann nämlich nicht zweifelhaft sein, daß durch die Voraussehbarkeit des vorübergehenden Verlustes der Fahrzeugbeherrschung und der daraus resultierenden Schleudergefahr bei einem einspurigen Fahrzeug ohne weiteres auch die Erkennbarkeit des Unfallrisikos und einer Verletzungsgefahr für den Beifahrer gegeben ist.

Die vom Beschwerdeführer geäußerten Zweifel am Vorliegen der subjektiven Tatseite sind somit unbegründet. Gleiches gilt für die Bestreitung eines "spezifischen Rechtswidrigkeitszusammenhangs" zwischen der sorgfaltswidrigen Fahrweise und der Körperverletzung des Beifahrers, weil es für die damit angeschnittene Zurechnungsfrage nicht darauf ankommt, ob der Verletzte durch Einnahme einer anderen Körperhaltung den Verletzungserfolg vermieden hätte, sondern ob sich dieser Erfolg als Verwirklichung jenes Risikos darstellt, dessen Abwendung die Verpflichtung zu kontrollierter Fahrweise dient. Ein derartiger Risikozusammenhang ist jedoch gegeben, denn die Pflicht ein Schleudern des Fahrzeugs zu vermeiden, bezweckt die Verhinderung daraus resultierender Unfälle mit Verletzungsfolgen für andere Personen.

Soweit sich die Nichtigkeitsbeschwerde gegen den Schuldspruch wegen fahrlässiger Körperverletzung richtet, war sie daher zu verwerfen.

Hingegen ist das Rechtsmittel bezüglich der Anfechtung des Schuldspruches wegen Imstichlassens eines Verletzten begründet. Der Beschwerdeführer rügt mit Recht (Z 9 lit. a), daß im Ersturteil keine ausreichenden Feststellungen über die subjektive Tatseite getroffen worden sind, welche in rechtlicher Beziehung die Annahme eines vorsätzlichen Handelns des Täters erlauben. Des Vergehens des Imstichlassens eines Verletzten nach § 94 Abs. 1 StGB macht sich schuldig, wer es unterläßt, einem anderen, dessen Verletzung am Körper (§ 83 StGB) er, wenn auch nicht widerrechtlich, verursacht hat, die erforderliche Hilfe zu leisten. In subjektiver Hinsicht verlangt das Gesetz zumindest bedingten Vorsatz. Dieser Vorsatz muß nicht nur das Wissen des Täters umfassen, daß er jemanden verletzt hat und das Opfer zufolge der von ihm verursachten Verletzung hilfebedürftig ist, sondern der Täter muß auch die erforderliche und ihm zumutbare Hilfe unterlassen wollen. In dieser Beziehung kann dem Urteilssachverhalt kein Ausspruch über den maßgeblichen Bewußtseinsinhalt des Angeklagten entnommen werden. Das Erstgericht hebt zwar hervor, daß der Angeklagte nach dem Sturz die Unfallsstelle verlassen hat, ohne nach Franz H*** zu sehen und sich zu vergewissern, ob dieser verletzt worden ist und welche Verletzungen er hat. Dazu wird ergänzend festgestellt, daß Franz H*** dem Angeklagten keine Mitteilung von seiner Knieverletzung gemacht hat, weil diese erst später von ihm bemerkt worden ist. Die urteilsmäßige Beschreibung der Vorgangsweise des Angeklagten enthält somit keine zweifelsfreie Konstatierung des von ihm bestrittenen Wollens des Imstichlassens des Verletzten, sondern allenfalls ein Indiz für eine derartige Vorsatzbildung. Zwar ergibt sich aus § 94 StGB mittelbar eine Überzeugungspflicht des Verursachers einer Verletzung, ob Hilfe erforderlich ist. Ein Täter, der es vorsätzlich unterläßt, sich sogleich davon zu überzeugen, ob und welcher Art die Hilfsbedürftigkeit des Verletzten ist, und der sich deshalb auch nicht um diesen kümmert, bleibt, abgesehen von dem Fall, daß das Opfer objektiv nicht hilfsbedürftig ist, nur dann straflos, wenn ihm eine Hilfeleistung nicht zumutbar ist (SSt. 54/49). Diese Überzeugungspflicht bezieht sich jedoch nicht schon ganz allgemein auf die Frage der Verletzung des anderen, sondern auf dessen verletzungsbedingte Hilfsbedürftigkeit, weshalb vom Vorsatz geleitetes Unterlassen entsprechender Überzeugung nur dann der subjektiven Tatseite des Deliktes entspricht, wenn nach der Kenntnis des Täters der Verletzungserfolg naheliegt und solcherart Inhalt des - zumindest bedingten - Vorsatzes ist (ZVR 1980/249). Somit reicht die erstgerichtliche Feststellung, der Angeklagte habe sich nicht vergewissert, ob sein Beifahrer verletzt worden sei, zur rechtlichen Annahme des Tätervorsatzes beim Imstichlassen des Verletzten nicht aus.

Demgemäß liegt in diesem Punkt ein zutreffend aufgezeigter Feststellungsmangel vor, der die Aufhebung des davon betroffenen Schuldspruches und im gegebenen Umfang die Anordnung einer Erneuerung des erstinstanzlichen Verfahrens erfordert, welches gemäß Art. IX Abs. 4 JGG 1988 vor dem Einzelrichter stattzufinden hat. Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die Aufhebung (auch) des Strafausspruches zu verweisen.

Die Kostenentscheidung fußt auf der angeführten Gesetzesstelle.

Anmerkung

E18236

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0140OS00066.89.0830.000

Dokumentnummer

JJT_19890830_OGH0002_0140OS00066_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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