TE OGH 1989/8/31 6Ob640/89

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Veröffentlicht am 31.08.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Zehetner und Dr. Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Liselotte A***, Hausfrau, Mannheimstraße 13, 4040 Linz, vertreten durch Dr. Wolfgang Dartmann, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei K*** DER B*** S*** VOM H*** V*** VON

P*** als Rechtsträger des A*** Ö*** K*** DER

B*** S*** L***, Langgasse 16, 4020 Linz, vertreten

durch Dr. Alfred Haslinger, DDr. Heinz Mück, Dr. Peter Wagner, Rechtsanwälte in Linz, wegen S 400.000,-- sA und Feststellung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 11. April 1989, GZ 4 R 301/88-45, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 19. Juli 1988, GZ 8 Cg 228/85-39, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes, das hinsichtlich des Feststellungsbegehrens (Punkt 2 b/ des Ersturteiles) bestätigt wird, wird in seinem Ausspruch über das Leistungsbegehren (Punkt 2 a/ des Ersturteiles) dahin abgeändert, daß die Entscheidung darüber zu lauten hat:

"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen einen Betrag von S 200.000,-- samt 4 % Zinsen aus S 150.000,-- vom 16.7.1985 bis 11.3.1988 und aus S 200.000,-- seit 12.3.1988 zu bezahlen.

Das Mehrbegehren von S 200.000,-- samt Zinsen wird abgewiesen. Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei die mit S 52.641,62 bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin enthalten S 13.450,-- Barauslagen und S 3.562,87 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen an Gerichtsgebühren des Berufungsverfahrens S 4.000,-- zu ersetzen. Im übrigen werden die Kosten des Berufungsverfahrens gegenseitig aufgehoben."

Die klagende Partei ist weiters schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen an Gerichtsgebühren des Revisionsverfahrens S 5.000,-- zu ersetzen. Im übrigen werden die Kosten des Revisionsverfahrens gegenseitig aufgehoben.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 25.7.1939 geborene Klägerin unterzog sich im Jahre 1961 im Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Linz wegen einer Zehenfehlstellung (Hallux valgus) einer Operation. Da im Jahre 1979 neuerlich Beschwerden auftraten, ließ sie im Krankenhaus der beklagten Partei von Primarius Dr. Horst J*** am 14.10.1981 am rechten und am 1.3.1982 am linken Fuß neuerlich Operationen durchführen. Primarius Dr. Horst J*** "unterlief hiebei ein Behandlungsfehler bzw ist die von ihm gewählte Operationsmethode in der Fachliteratur nicht bekannt". Bei dieser Operationsmethode war von vornherein "ein knöcherner Durchbau der operierten Mittelfußknochen nicht zu erwarten". Die seither aufgetretenen Beschwerden der Klägerin wurden auch deshalb hervorgerufen, weil die Mittelfußknochen II und III derart stark verkürzt wurden, daß sie überhaupt keine Belastung mehr übernehmen können und daher die verbleibenden Metatarsalköpfchen vermehrt überbelastet sind. Durch übermäßige Verkürzung der beiden Mittelfußknochen II und III wurde die biochemische Situation der Vorfüße so gestört, daß noch heftigere Beschwerden als vor der Operation die Folge waren, die sogar weit über das Ausmaß der Beschwerden infolge der Pseudoarthrosen hinausgehen. Hätte Dr. Horst J*** die Mittelfußknochen II und III nicht so stark reseziert bzw hätte er das zweite, dritte und vierte, allenfalls sogar das fünfte Metatarsalköpfchen reseziert, wäre die Operation gelungen und die Klägerin zumindest halbwegs beschwerdefrei gestellt worden. Die auf Grund der fehlerhaften Heilbehandlung von Dr. Horst J*** bei der Klägerin verursachten Schmerzen und zwar unabhängig von der Fehlbehandlung im Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Linz im Jahre 1961, sind bis zum 31.12.1987 mit vier Tagen mittleren Schmerzen und 115 Tagen leichten Schmerzen zusammenzufassen. Die Klägerin wird auch bis zu ihrem Tode ständig pro Jahr etwa 18 Tage lang leichte Schmerzen verspüren, die sich im Laufe der Zeit aber noch verstärken können. Allerdings sind korrigierende Operationen möglich, wobei sogar Aussicht auf eine Besserung der Schmerzsituation besteht. Auf Grund der Fehlbehandlung durch Dr. Horst J*** entstanden auch Dauerfolgen wegen der Pseudoarthrose und der jetzt äußerst ungünstigen Belastungssituation der Vorfüße.

Mit ihrer am 11.7.1985 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte die Klägerin ein Schmerzengeld von S 150.000,-- samt 4 % Zinsen seit dem Tage der Klagszustellung, sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für die gesundheitlichen Schäden auf Grund der in ihrem Krankenhaus durchgeführten Heilbehandlung. Die Klägerin brachte vor, sie habe erst, nachdem sie im Mai 1984 einen anderen Facharzt aufgesucht habe, Kenntnis von einem schuldhaften, schadenskausalen Verhalten des Dr. Horst J*** erhalten. In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 11.3.1988 dehnte die Klägerin ihr Schmerzengeldbegehren auf S 400.000,-- samt 4 % Zinsen aus S 150.000,-- seit 16.7.1985 bis 11.3.1988 und aus S 400.000,-- seit 12.3.1988 aus.

Die Beklagte wendete - soweit im Revisionsverfahren noch von Bedeutung - ein, die Ansprüche seien verjährt, überdies habe die Klägerin die Schadensminderungspflicht verletzt, weil sie sich keiner Korrekturoperation unterzogen habe.

Das Erstgericht gab dem ausgedehnten Klagebegehren vollinhaltlich statt. Es stellte abgesehen von dem oben wiedergegebenen Sachverhalt noch fest, Dr. Horst J*** habe die Klägerin auf deren Drängen immer dahin vertröstet, daß sie jedenfalls bis März 1983 mit mehr oder weniger starken Schmerzen auf Grund der Operation zu rechnen habe.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den Sachverhalt dahin, Dr. Horst J*** habe gegen die ärztliche Behandlungssorgfalt verstoßen, es liege ein Kunstfehler vor, für den die Beklagte gemäß § 1313 a ABGB zu haften habe. Der Klagsanspruch sei auch nicht verjährt, weil Dr. Horst J*** die Klägerin immer wieder vertröstet habe, daß sie mit den bestehenden Schmerzen jedenfalls bis März 1983 zu rechnen habe. Erst zu diesem Zeitpunkt habe die dreijährige Verjährungsfrist zu laufen begonnen. Ein Schmerzengeld von S 400.000,-- sei angemessen. Trotz einer möglichen Korrekturoperation, die die Schmerzsituation der Klägerin verbessern könnte, liege keine Verletzung der Schadensminderungspflicht im Sinne des § 1304 ABGB vor, weil der Klägerin auf Grund der Schwere und Kompliziertheit einer derartigen Operation und unter Berücksichtigung der schweren Enttäuschung nach der vorliegenden Operation ein neuerlicher Eingriff "nicht unbedingt" zumutbar sei. Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes. Es verwies hinsichtlich der in der Berufung erhobenen Rüge der die Frage der Verjährung betreffenden Feststellungen auf die Ausführungen zur Rechtsrüge, führte dann aber aus, die Feststellungen des Erstgerichtes würden als unbedenklich und vollständig übernommen und der Entscheidung zugrunde gelegt. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte das Berufungsgericht aus, der Geschädigte müsse, um den Beginn der Verjährung in Gang zu setzen, auch Kenntnis von den Umständen haben, aus denen sich das Verschulden und die Ersatzpflicht des ihm bekannten später in Anspruch genommenen Schädigers ergäben. Er müsse Kenntnis vom Ursachenzusammenhang zwischen seinem Schaden und einem bestimmten, dem Schädiger anzulastenden Verhalten haben und in Fällen, in denen die Ersatzpflicht nur bei Verschulden bestehe, auch die Umstände kennen, die ein Verschulden des Schädigers begründen. Der Sachverhalt müsse zwar nicht in allen Einzelheiten, aber doch soweit bekannt sein, daß der Geschädigte mit Aussicht auf Erfolg seine Klage erheben könne. Folge man der auf die Aussage der Klägerin gestützten erstgerichtlichen Feststellung, so sei es klar, daß erst das Anhalten der Schmerzen oder gar deren Verstärkung über den März 1983 hinaus bei der Klägerin den konkreten Verdacht eines ärztlichen Kunstfehlers habe aufkommen lassen müssen. Stützte man sich hingegen auf die von der Berufung angeführte Aussage des Zeugen Dr. Horst J***, wonach er der Klägerin erklärt habe, daß sie sich mit bestimmten Beschwerden abfinden und exakte Einlagen tragen müsse, so begründe dies die Erkennbarkeit des Vorliegens eines ärztlichen Kunstfehlers erst zu einem relativ späten Zeitpunkt, nämlich bei allmählichem Überschreiten des schon vor den Operationen bestandenen Ausmaßes der Schmerzhaftigkeit in beiden Füßen. Daher sei den erstgerichtlichen Feststellungen und der erstgerichtlichen rechtlichen Beurteilung jedenfalls insoweit zu folgen, als es der Klägerin jedenfalls bis Mitte Juli 1982 noch nicht habe zugemutet werden können, eine wenn auch nur die Feststellung der Haftung anstrebende Klage gegen die beklagte Partei einzubringen. Angesichts solcher sehr komplizierter operativer Eingriffe habe erst dann erkannt werden können, daß die von Dr. Horst J*** durchgeführten Operationen einen Schaden zur Folge gehabt hätten, als festgestanden sei, daß eine weitere Behandlung zwecklos sei und die Beeinträchtigung der Klägerin nicht nur dauernd, sondern auch größer sei als vor den Eingriffen. Hinzu komme, daß die Klägerin angesichts einer Erklärung des Dr. Horst J***, daß sie sich mit bestimmten Beschwerden - zumindest monatelang - werde abfinden müssen, sich auch mit Erfolg auf die Replik der Arglist gegen die Verjährungseinrede berufen könnte. Eine Korrekturoperation wäre der Klägerin nur dann zumutbar, wenn diese einfach und gefahrlos wäre und sichere Aussicht auf Erfolg bieten würde. Das Erstgericht habe zwar festgestellt, daß eine korrigierende Operation mit Aussicht auf Besserung der Schmerzsituation möglich sei. Nicht festgestellt sei, ob diese Operation gefahrlos, nicht mit besonderen Schmerzen verbunden sei und sichere Aussicht auf zumindest wesentliche Besserung biete. Hinzu komme, daß die Rettungspflicht schuldhaft verletzt werden müsse, damit sie zum Nachteil des Geschädigten führen könne. Da die Klägerin sich zur Behebung ihres Fußleidens bereits zweimal - sich später als verfehlt

herausstellenden - Operationen unterzogen habe, sei ihre Weigerung zur Vornahme einer weiteren Operation als nicht schuldhaft anzusehen. Der vorliegende Rechtsstreit müsse ihr deutlich die krassen Auffassungsunterschiede im Bereich der Medizin und damit die mit jeder ärztlichen Behandlung verbundenen Risken vor Augen geführt haben.

Die beklagte Partei bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision, macht als Anfechtungsgrund unrichtige rechtliche Beurteilung geltend, bei dessen Ausführung sie allerdings auch einen Mangel des Berufungsverfahrens behauptet, und beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde. Hilfsweise stellt die beklagte Partei einen Aufhebungsantrag.

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist teilweise berechtigt.

Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nach Ansicht der Revisionswerberin darin, daß nicht erkennbar ist, ob das Berufungsgericht bei der Frage des Beginnes der Verjährungszeit von der Aussage der Klägerin oder des Zeugen Dr. Horst J*** ausging. Ein relevanter Verfahrensmangel liegt jedoch nicht vor. Die Klage wurde am 11.7.1985 eingebracht, Verjährung würde daher nur dann eingetreten sein, wenn die Frist vor dem 12.7.1982 zu laufen begonnen hätte. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, daß die Verjährungsfrist des § 1489 erster Satz ABGB erst beginnt, wenn dem Geschädigten der Sachverhalt so weit bekannt ist, daß die Klage mit Aussicht auf Erfolg erhoben werden kann. Zu den für das Entstehen des Ersatzanspruches maßgebenden Umständen, die dem Geschädigten im Sinne des § 1489 erster Satz ABGB bekannt sein müssen, gehört daher nicht nur die Kenntnis des Schadens und des Schädigers sowie des Ursachenzusammenhanges zwischen dem Schaden und einem dem Schädiger anzulastenden Verhalten, sondern überall dort, wo der Ersatzanspruch des Beschädigten ein Verschulden des Schädigers voraussetzt, auch die Kenntnis jener Umstände, die im Einzelfall ein derartiges Verschulden begründen. Darum besagt auch die herrschende Rechtsprechung, daß für jemanden, der durch einen ärztlichen Kunstfehler zu Schaden gekommen ist, ohne von dem Kunstfehler mangels entsprechenden Sachwissens Kenntnis zu haben, die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 erster Satz ABGB so lange nicht zu laufen beginnt, als diese Unkenntnis andauert, mögen ihm auch Schaden und Schädiger bekannt sein (6 Ob 559/80 = KRSlg 670; vgl auch JBl 1964, 371; KRSlg 643 und 653; weiters Schubert in Rummel, ABGB, Rz 3 zu § 1489).

Im vorliegenden Fall wurde die zweite Operation am 1.3.1982 durchgeführt. Dr. Horst J***, auf dessen Aussage sich die Revisionswerberin beruft, sagte aus, er habe der Klägerin nach dieser Operation gesagt, daß der Heilungsverlauf noch länger dauern würde. Auch wenn die Klägerin daher noch längere Zeit nach dieser Operation Schmerzen hatte, so bestand für sie kein Grund zur Annahme, Dr. Horst J*** sei ein Kunstfehler unterlaufen. Dies konnte sie erst nach Konsultierung eines weiteren Facharztes wissen. Daß die Klägerin schon vor dem 12.7.1983 von einem Facharzt entsprechende Aufklärung erhalten habe, behauptet aber nicht einmal die beklagte Partei, die für den Beginn der Verjährungsfrist beweispflichtig ist (SZ 56/36; JBl 1988, 321 uva). Die Schadenersatzansprüche der Klägerin waren daher zur Zeit der Einbringung der Klage noch nicht verjährt.

Die Revisionsausführungen, das S 150.000,-- übersteigende Leistungsbegehren sei jedenfalls verjährt, weil die Klagsausdehnung erst am 11.3.1988 erfolgt sei, lassen außer acht, daß die Klägerin innerhalb der Verjährungsfrist ein Feststellungsbegehren gestellt hatte, dem stattgegeben wurde. Ein rechtskräftiges Feststellungserkenntnis schaltet aber die Einrede der Verjährung, abgesehen von einem hier nicht vorliegenden Fall wiederkehrender Leistungen, für die Dauer von 30 Jahren aus (ZVR 1980/159 ua). Überdies sei darauf hingewiesen, daß im vorliegenden Fall die Schmerzperioden über den Zeitpunkt, zu dem das Feststellungsbegehren gestellt wurde, hinausgingen, und die Klägerin auch in Zukunft noch Schmerzen haben wird, auf welche bei der globalen Bemessung des Schmerzengeldes Bedacht zu nehmen ist (vgl ZVR 1986/5). Verjährung ist daher auch hinsichtlich des Betrages, um den das Klagebegehren ausgedehnt wurde, nicht eingetreten.

Die Revisionswerberin macht weiters geltend, die Klägerin habe die Schadensminderungspflicht verletzt. Diesbezüglich bestünden Feststellungsmängel. Es seien keine Beweise darüber aufgenommen worden, inwieweit es sich bei den Korrekturoperationen um solche handle, die einfach und voraussichtlich gefahrlos seien und ohne nennenswerte Schmerzen Aussicht auf Erfolg böten.

Diesen Ausführungen ist zu erwidern, daß den Schädiger die Behauptungs- und Beweislast für eine Verletzung der Schadensminderungspflicht trifft (Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 44 zu § 1304 mwN). Ein Vorbringen, eine Korrekturoperation sei einfach, gefahrlos und nicht mit nennenswerten Schmerzen verbunden, hat die beklagte Partei aber nicht erstattet. Überdies sei auf die Zeugenaussage des Dr. Horst J*** hingewiesen, es wäre möglich gewesen, eine Verbindung der getrennten Knochen mit Platten, Schrauben oder dergleichen zu versuchen, das könnte man jetzt auch noch tun. Er habe das nicht angeraten, weil man ohne besonderen Grund nicht eine weitere so schwere Operation einer Patientin rate (Protokoll vom 4.6.1987, ON 23, S 5 = AS 123). Für das Erstgericht bestand daher kein Anlaß, von amtswegen zu dem angeführten Thema Beweise aufzunehmen. Berücksichtigt man, daß die Klägerin bereits zweimal Operationen an beiden Füßen durchführen ließ und hiebei von den Ärzten stets Fehler begangen wurden, dann kann in der Ansicht der Vorinstanzen, der Klägerin falle eine Verletzung der Schadensminderungspflicht nicht zur Last, kein Rechtsirrtum erblickt werden.

Soweit sich die Revision gegen die Höhe des zugesprochenen Schmerzengeldbetrages wendet, kann ihr Berechtigung nicht abgesprochen werden. Die in der Revisionsbeantwortung vertretene Ansicht, der Oberste Gerichtshof könne sich mit der Bemessung des Schmerzengeldes nicht befassen, weil die beklagte Partei hiezu in der Berufung nichts vorgebracht habe, kann nicht geteilt werden. Die Klägerin hat sich mit der in der Berufung enthaltenen Rechtsrüge auch gegen den Schmerzengeldzuspruch gewandt, wobei sie sich auf eine Verletzung der Schadensminderungspflicht berief. Sie bekämpfte den Schmerzengeldzuspruch daher mit einer gesetzmäßig ausgeführten Rechtsrüge, weshalb dieser ohne Beschränkung auf die Rechtsmittelausführungen nach jeder Richtung hin zu überprüfen war (vgl Fasching, Zivilprozeßrecht, Rz 1774, 1929). Daher ist auf Grund der Revision auch die Höhe des Schmerzengeldes zu überprüfen. Bei der Bemessung des Schmerzengeldes sind die Art und Schwere der Körperverletzung, die Art, Intensität und Dauer der Schmerzen, auch wenn sie unterbrochen waren, sowie die Dauer der Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes des Verletzten überhaupt und ferner die damit verbundenen Unlustgefühle zu berücksichtigen. Grundsätzlich ist einerseits auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen, andererseits zur Vermeidung einer Ungleichmäßigkeit der Rechtsprechung ein objektiver Maßstab anzulegen. Es darf der von der Judikatur ganz allgemein gezogene Rahmen für die Bemessung im Einzelfall nicht gesprengt werden (Jarosch-Müller-Piegler, Das Schmerzengeld5, 176 f). Im vorliegenden Fall hatte die Klägerin auf Grund der fehlerhaften Behandlung, für die die beklagte Partei einzustehen hat, vier Tage mittlere und 115 Tage leichte Schmerzen, sie wird auch weiterhin leichte Schmerzen haben und zwar zusammengefaßt 18 Tage pro Jahr. Dauerfolgen bestehen wegen der Pseudoarthrose und der äußerst ungünstigen Belastungssituation der Vorfüße. Vergleicht man diese Folgen mit denen, die den in den letzten Jahren ergangenen Schmerzengeldentscheidungen des Obersten Gerichtshofes zugrunde lagen, dann erweist sich ein Schmerzengeld von S 400.000,-- als überhöht. Ein Betrag in dieser Höhe wurde etwa zu 2 Ob 40/88 bei einer Abquetschung und Zertrümmerung des linken Fußes mit teilweiser Amputation zuerkannt. Zu 2 Ob 35/89 wurde das von den Vorinstanzen bei zahlreichen schweren Verletzungen (darunter Sitz-Schambeinbruch links mit Ansprengung des rechten Sitzbeines und Lockerung des linken Kreuzbein-Darmbeinbelenkes, Bauch- und Beckenquetschung mit ausgeprägtem Bluterguß hinter der Blase und teilweisem Blasenbandriß, teilweise Lähmung des Wadennervs links) und Dauerfolgen (Inkontinenzerscheinungen mit unfreiwilligem Harnabgang während des Tages und der Nacht, Erektionsstörungen, Lähmung des linken Wadenbeinnervs) zuerkannte Schmerzengeld von S 410.000 als angemessen erkannt. In der Entscheidung 8 Ob 70/87 hat der Oberste Gerichtshof das vom Berufungsgericht bei mehrfachen Brüchen und Dauerfolgen zugesprochene Schmerzengeld von S 200.000,-- und zu 2 Ob 39/87 das von beiden Vorinstanzen bei mehrfachen schweren Verletzungen und einer hochgradigen Bewegungseinschränkung im Sprunggelenk als Dauerfolge zuerkannte Schmerzengeld von S 180.000,-- für angemessen erachtet. In allen diesen Fällen hatten die Verletzten stärkere und länger andauernde Schmerzen zu ertragen als die Klägerin. Ein höherer Betrag als S 200.000,--, der von der Revisionswerberin selbst als angemessen bezeichnet wird, konnte daher nicht zuerkannt werden (vgl auch die bei Jarosch-Müller-Piegler, aaO, angeführten Entscheidungen Nr 1739 bis 1758. Diese liegen zwar schon Jahre zurück, doch wurden dort Schmerzengeldbeträge von S 200.000 nur bei durchwegs wesentlich schwereren Folgen zuerkannt).

Der Revision war daher teilweise Folge zu geben, die angefochtene Entscheidung hinsichtlich des Ausspruches über das Feststellungsbegehren zu bestätigen, in ihrem Ausspruch über das Leistungsbegehren aber dahin abzuändern, daß lediglich ein Betrag von S 200.000,-- zuerkannt, das Mehrbegehren aber abgewiesen wird. Die Abänderung in der Hauptsache führt auch zu einer neuen Entscheidung über die Kosten erster und zweiter Instanz. Dabei ist davon auszugehen, daß die Klägerin bis zu ihrer unmittelbar vor Schluß der Verhandlung erfolgten Klagsausdehnung voll obsiegte, ab diesem Zeitpunkt nur mehr etwa mit der Hälfte ihres Begehrens, zumal sie das Feststellungsbegehren, mit dem sie zur Gänze durchgedrungen ist, nur mit S 5.000,-- bewertete.

Bis zur Klagsausdehnung hat die Klägerin daher gemäß § 41 ZPO Anspruch auf vollen Kostenersatz. Da das Schmerzengeld nach richterlichem Ermessen festzusetzen ist, konnten der Klägerin auch für die letzte halbe Stunde der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 10.3.1988 gemäß § 43 Abs 2 ZPO die vollen Kosten zuerkannt werden, jedoch nur auf der Basis des obsiegten Betrages. Die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens waren gemäß § 43 Abs 1 ZPO gegenseitig aufzuheben. Nach dem letzten Satz dieser Vorschrift hat die Klägerin der beklagten Partei jeweils die Hälfte der Ausfertigungsgebühren für die Berufung und die Revision zu ersetzen.

Anmerkung

E18558

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0060OB00640.89.0831.000

Dokumentnummer

JJT_19890831_OGH0002_0060OB00640_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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