TE OGH 1989/9/26 2Ob45/89 (2Ob46/89)

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Veröffentlicht am 26.09.1989
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik, Dr.Vogel, Dr.Kropfitsch und Dr.Schwarz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Herfried M***, Maurer, 9560 Feldkirchen, Trank 1, 2. VVS, Verein für Vorsorge und Hilfe in Schadensfällen, 1150 Wien, Hütteldorferstraße 79, beide vertreten durch Dr.Reinhard Neureiter, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei E*** A*** V*** AG, 1010 Wien, Brandstätte 7-9, vertreten durch Dr.Manfred Lampelmayer, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 168.653,80 und Feststellung (Rekursinteresse S 136.823,80 s.A.), infolge Rekurses der zweitklagenden und der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 7. September 1988, GZ 16 R 152/88-25, womit das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 23.März 1988, GZ 39 Cg 798/87-19, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Keinem der Rekurse wird Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind als weitere

Verfahrenskosten zu behandeln.

Text

Begründung:

Am 19.5.1984 gegen 3.00 Uhr ereignete sich in Feldkirchen auf der Lendorferstraße, auf Höhe des Hauses Nr.21, ein Verkehrsunfall, welchen Johann K*** in alkoholosiertem Zustand als Lenker des bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten PKWs VW der Ingrid K***, behördliches Kennzeichen K 254.855, verschuldete und bei welchem der Erstkläger als Beifahrer verletzt wurde. Johann K*** wurde mit Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 20.9.1984, 12 E Vr 2229/84-8, wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs 1 und Abs 4 (2.Deliktsfall) StGB rechtskräftig verurteilt.

Mit der am 17.2.1986 eingebrachten Klage begehrten die klagenden Parteien Schadenersatz, und zwar die zweitklagende Partei unter Berufung auf eine Abtretung dieser Schadenersatzansprüche an sie S 168.653,80, das sind S 120.000 Schmerzengeld, S 15.000 Verunstaltungsentschädigung, S 10.000 Kosten einer kosmetischen Operation, S 6.240 Pflegekosten, S 2.000 vermehrte Aufwendungen, S 2.100 Fahrtkosten und S 1.500 Besuchskosten, S 11.223,80 Verdienstentgang und S 590 Kleiderschaden; der Erstkläger stellte ein mit S 50.000 bewertetes Feststellungsbegehren. Im wesentlichen wurde vorgebracht, daß der Erstkläger auf dem Rücksitze im PKW als Mitfahrer verletzt wurde; eine allfällige Alkoholisierung des Lenkers habe von ihm nicht erkannt werden können.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein Mitverschulden des Erstklägers von einem Drittel ein, weil er den Lenker in Kenntnis von dessen Alkoholisierung um das Mitfahren ersucht habe, und mit der Behauptung, der Erstkläger habe den Beifahrersitz benützt, von einem weiteren Viertel im Rahmen der geltend gemachten Schmerzengeldforderung wegen Nichtangurtens. Schließlich bestritt sie die Aktivlegitimation der zweitklagenden Partei. Der Kleiderschaden wurde der Höhe nach außer Streit gestellt, im übrigen wurden die Klagsforderungen auch der Höhe nach bestritten. Das Feststellungsinteresse wurde im Hinblick auf eine komplikationslose Ausheilung bestritten.

In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 25.1.1988 brachten die klagenden Parteien weiters vor, daß der Erstkläger die Forderung aus dem Verkehrsunfall mit Zession vom 7.6.1986 an die zweitklagende Partei abgetreten habe und daß daher allfällige Erklärungen des Erstklägers anläßlich seiner Rechtshilfevernehmung im Jahre 1987 nicht rechtswirksam sein könnten; Inhaber der Forderung sei die zweitklagende Partei und die Abtretung sei unwiderruflich erfolgt.

Die beklagte Partei wendete demgegenüber ein, daß der Erstkläger bereits vor der behaupteten Zession auf jeden Anspruch verzichtet und wissentlich keine Zession unterfertigt habe. Schließlich wendete sie auch noch Verjährung wegen nicht gehöriger Fortsetzung des Verfahrens ein, was von den Klägern in Abrede gestellt wurde. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, wobei es seiner Entscheidung im wesentlichen folgende - weiteren - Feststellungen zugrunde legte:

In der Discothek "Wigo-Stadl" hatte Herfried M*** den alkoholisierten Lenker Johann K*** ersucht, ihn mit seinem Auto mitzunehmen. Johann K*** lenkte, Walter S*** saß neben dem Lenker und Herfried M*** am Rücksitz. Bei der Hauszufahrt Nr.21 fuhr K*** gegen eine Betonwand und einen Telefonmast. Der Erstkläger erlitt dabei einen Bruch des Schafts des linken Oberarms und einen Knochenausriß vom inneren Oberarmknochen. Die Verletzung wurde vorerst durch Anlegen eines Gipsverbandes versorgt, 5 Tage nach dem Unfall wurde der Arm mit einer Platte stabilisiert. M*** war zwei Monate im Krankenstand. Am 6.8.1985 wurde die Platte entfernt. Das gesamte unfallkausale Schmerzausmaß wird mit 5 Tagen starken, 13 Tagen mittelstarken und 78 Tagen leichten Schmerzen festgestellt. Dauerfolgen bestehen nicht und künftige Verletzungsfolgen können für die Zukunft ausgeschlossen werden. Die Narbe kann durch eine kosmetische Operation nicht beseitigt werden. Herfried M*** war nach seiner Entlassung aus dem Spital nicht pflegebedürftig und konnte die grundlegenden Verrichtungen des Lebens selbst durchführen. Er ist durch die Narbe nicht verunstaltet und in seinem beruflichen Fortkommen als Maurer nicht behindert. Im Spital hatte er keine vermehrten Aufwendungen. Seine Jacke wurde beim Unfall nicht beschädigt.

M*** war vom 19.5.1984 bis zum 2.6.1984 im Krankenhaus Klagenfurt. In dieser Zeit wurde er von Johann K*** besucht. Hiebei verzichtete M*** K*** gegenüber in für beide eindeutiger Weise auf jedweden Anspruch aus dem Unfall. M*** unterfertigte am 7.6.1984 ein Anbot des VVS, worin er dem VVS seine Ansprüche aus dem Unfall zur Inkassozession übertrug. M*** war sich über die Rechtsfolgen dieses Schrittes nicht im Klaren, vor allem nicht darüber, daß sich die beklagte Versicherung bei dem alkoholisierten Lenker regressieren könne. In der Hauptverhandlung vom 20.9.1984 des Landesgerichtes Klagenfurt erklärte er, als Zeuge vernommen, daß er sich nicht als Privatbeteiligter anschließe. Im Rahmen der Beweiswürdigung findet sich die weitere Feststellung, daß der Kläger offensichtlich die Versicherung in Anspruch nehmen wollte, aber in Unkenntnis der Regreßmöglichkeiten der Versicherung gegenüber dem Lenker Johann K*** war, im Rahmen der rechtlichen Beurteilung die Feststellung, daß die Absicht der Parteien bei der Verzichtserklärung darauf gerichtet war, daß "MORak in keinem Fall wollte, daß K*** irgendeinen Ersatz leisten muß, dies deckte sich mit dem Willen K***."

Zur Rechtsfrage führte das Erstgericht aus, es sei davon auszugehen, daß sich der Verzicht M*** auf alle Handlungen erstreckte, die in irgendeiner Weise zu einer Ersatzpflicht K*** führen könnten. Daraus folge, daß im Anspruchsverzicht des Erstklägers gegenüber K*** auch ein Verzicht gegenüber dem beklagten Haftpflichtversicherer liege, weil die Geltendmachung auch zu einem Regreß führen müßte. Gemäß § 442 ABGB könne niemand mehr Rechte abtreten als er selbst habe. Da sich M*** gemäß § 1444 ABGB aller Rechte aus dem Unfall zum Vorteil seines Schuldners begeben hätte, habe er darüber nicht mehr gültig verfügen können und die Zession sei mangels gültigen Titels unwirksam.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der zweitklagenden Partei Folge, bestätigte das Urteil des Erstgerichts, das hinsichtlich der Abweisung des Feststellungsbegehrens des Erstklägers unangefochten geblieben war, mit Teilurteil hinsichtlich der Abweisung eines Betrags von S 31.830 s.A. und hob das Urteil des Erstgerichts hinsichtlich der Abweisung eines Teilbetrages von S 136.823,80 sowie hinsichtlich der Kostenentscheidung unter Beisetzung eines Rechtskraftvorbehalts auf.

Das Berufungsgericht traf nach Beweiswiederholung die ergänzende Feststellung, der Kläger Herfried M*** habe dem Lenker Johann K*** ausdrücklich erklärt, daß er von ihm aus diesem Unfall "überhaupt nichts" verlange.

Ausgehend von den unbekämpften Feststellungen des Erstgerichts erachtete das Berufungsgericht, die Feststellungen ließen eine Auslegung im Sinne einer auf bestimmte Ansprüche beschränkten Verzichtserklärung des Erstklägers gegenüber K*** nicht zu. Gemäß § 63 Abs 1 KFG (der hier noch anzuwenden sei), könne der geschädigte Dritte den ihm gegen einen durch eine Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung Versicherten zustehenden Schadenersatzanspruch im Rahmen des betreffenden Versicherungsvertrages auch gegen den Versicherer geltend machen. Der Versicherer und der ersatzpflichtige Versicherte hafteten als Gesamtschuldner. Mit dieser Bestimmung sollte entsprechend einem Verlangen des Europäischen Übereinkommens über die obligatorische Haftpflichtversicherung für Kraftfahrzeuge ein direktes Klagerecht des geschädigten Dritten gegen den Haftpflichtversicherer geschaffen werden. Die Stellung des geschädigten Dritten sollte gefestigt werden, woran auch nichts ändere, daß er, sobald er einmal mit seinem gegen einen der mehreren Ersatzpflichtigen gerichteten Begehren unterlegen sei, nicht in Ausnützung des ihm nunmehr gewährten Klagerechtes, sein Glück nochmals bei einem anderen Ersatzpflichtigen sollte versuchen können. Der Erstkläger habe nun vor dem Prozeß auf alle Ansprüche gegenüber dem Lenker Johann K*** verzichtet. Ob in dem Verzicht auf den Anspruch gegenüber dem Lenker auch ein Verzicht gegenüber dem (hier beklagten) Haftpflichtversicherer zu erblicken sei, sei eine Auslegungsfrage. Die Absicht bei der Verzichtserklärung sei darauf gerichtet gewesen, daß den Lenker K*** keine Ersatzpflicht treffen sollte. Johann K*** sollten für seine Bereitwilligkeit, den Erstkläger auf dessen Verlangen aus Gefälligkeit mit dem PKW mitzunehmen, nicht auch noch finanzielle Belastungen erwachsen, und die Verzichtserklärung sei somit offenkundig durch die Rücksichtnahme bloß gegen den gefälligen Lenker motiviert gewesen. Dafür, daß der Erstkläger im vorliegenden Fall eine Aufhebung des gesamten Schuldverhältnisses anstrebte und die Wirkung des Anspruchsverzichts nicht auf den Lenker K***, sondern auch auf den beklagten Haftpflichtversicherer erstrecken und auch diesen von seiner Verbindlichkeit gegenüber dem Geschädigten befreien wollte, finde sich im Verfahren kein Anhaltspunkt. Beiden, Geschädigtem und schädigendem Lenker, sei vielmehr klar gewesen, daß der Erstkläger offensichtlich die Versicherung in Anspruch nehmen wollte, wenn auch in Unkenntnis deren Regreßmöglichkeit wegen der Alkoholisierung des Lenkers. Damit könne aber der gegenüber dem Lenker erklärte Verzicht auf den Anspruch nicht auch als zugunsten des mitverpflichteten Haftpflichtversicherers wirksam angesehen werden. Daher ändere auch die Möglichkeit der beklagten Haftpflichtversicherung, sich gegenüber dem alkoholisierten Lenker bis zum Betrag von S 100.000 zu regressieren, an der auf den Lenker beschränkten Wirkung des Verzichts nichts. Es könne nicht unterstellt werden, daß der Erstkläger in Kenntnis der Regreßmöglichkeit auf seine ganze Schadenersatzforderung, also auch unter Befreiung des Haftpflichtversicherers, verzichtet hätte. Dagegen spreche vor allem klar die in der Parteienvernehmung des Erstklägers im Rechtshilfeweg vor dem Bezirksgericht Feldkirchen am 5.11.1986 von diesem abgegebene Erklärung, gegenüber der beklagten Partei dann auf alle Leistungen zu verzichten, wenn die beklagte Partei diese Leistungen von Johann K*** zurückfordere. Die Verzichtserklärung gegenüber dem Lenker könne aber auch nicht dahin ausgelegt werden, daß hiedurch das Schuldverhältnis bis zum Betrage von S 100.000 gänzlich, also auch mit Wirkung gegen den Haftpflichtversicherer, aufgehoben werden sollte, würde doch dadurch das vom Lenker und vom Geschädigten gewollte Ergebnis, nämlich die Befreiung des Lenkers von jeder Ersatzpflicht nicht garantiert. Der Versicherer könnte dennoch jede andere von ihm aus diesem Schadensfall erbrachte Leistung bis zum Betrag von S 100.000 vom Lenker zurückfordern. Der (vertragliche) Verzicht des geschädigten Erstklägers gegenüber Johann K*** auf alle (seine) Ansprüche könne nicht die Regreßforderung des Haftpflichtversicherers umfassen. Nun habe der Erstkläger in seiner Parteienvernehmung vor dem Rechtshilfegericht am 5.11.1986 die Erklärung abgegeben, gegenüber der beklagten Partei dann auf alle Leistungen zu verzichten, wenn die beklagte Partei diese Leistungen von Johann K*** zurückfordere. Diese Erklärung und die unmittelbar folgende Annahme des Verzichts durch den Beklagtenvertreter seitens der beklagten Partei sei für dieses Verfahren unerheblich. Es sei ungewiß, daß eine solche Rückforderung erfolgen werde, es könne nicht einmal ausgeschlossen werden, daß sie gar nicht mehr erfolgen könne, weil die beklagte Partei die ihr gegen Johann K*** zustehende Regreßmöglichkeit bereits (unter Zugrundelegung tatsächlich erbrachter Leistungen) erschöpft habe. Sollte sich die beklagte Partei aber regressieren, werde dies zwischen dem Erstkläger und Johann K*** auszugleichen sein. Die Abweisung der Klagsforderung der zweitklagenden Partei von S 136.823,80 (das sind S 120.000 Schmerzengeld, S 2.000 vermehrte Aufwendungen, S 2.100 Fahrtkosten und S 1.500 Besuchskosten sowie S 11.223,80 Verdienstentgang) aus dem Grunde des Anspruchsverzichts gegenüber dem beklagten Haftpflichtversicherer sei daher rechtsirrig erfolgt. Das Erstgericht werde im fortgesetzten Verfahren im Hinblick auf den erhobenen Verjährungseinwand die gehörige Fortsetzung der Klage zu prüfen haben. Das Verfahren werde dann als gehörig fortgesetzt anzusehen sein, wenn die klagende Partei alles unternommen habe, was sie zur Weiterführung des Rechtsstreits tun konnte. Die Untätigkeit der klagenden Partei könne nur durch solche triftige Gründe gerechtfertigt werden, die im Verhältnis zwischen den Parteien liegen; nach dem Ergebnis dieser ergänzenden Verfahrensschritte werde das Erstgericht allenfalls auch im Hinblick auf den Mitverschuldenseinwand von einem Drittel zu prüfen haben, ob sich der Kläger dem alkoholisierten Lenker in Kenntnis der Alkoholisierung anvertraute, sowie Erhebungen und Feststellungen zur strittigen Höhe der Klagsansprüche vorzunehmen haben. Gegen den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichts wenden sich die Rekurse der zweitklagenden Partei und der beklagten Partei aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung; während die zweitklagende Partei Abänderung im Sinne der Klagsstattgebung anstrebt, beantragt die beklagte Partei Abänderung im Sinne der Bestätigung des Urteils des Erstgerichts; hilfsweise stellen beide Rechtsmittelwerber Aufhebungsanträge. In ihrer Rekursbeantwortung beantragt die zweitklagende Partei, dem Rekurs der beklagten Partei nicht Folge zu geben, die beklagte Partei hingegen, den Rekurs der zweitklagenden Partei als unzulässig zurückzuweisen, allenfalls dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Rekurse sind zulässig (§§ 519 Abs 2, 502 Abs 4 Z 1 ZPO), jedoch nicht berechtigt.

1.) Zum Rekurs der beklagten Partei:

Die Rekurswerberin bringt vor, aus der Erklärung des Erstklägers in der Verhandlung vom 5.11.1986 sei für die Frage des Umfangs des Verzichts zum Zeitpunkt der Abgabe der ursprünglichen Verzichtserklärungen unmittelbar nach dem Unfall nichts zu gewinnen. Sowohl der ausdrückliche Verzicht auf eine Privatbeteiligung im Strafverfahren gegen den schuldtragenden Lenker als auch die mehrfache Erklärung, aus dem Unfall keinerlei Ansprüche bzw. nichts zu fordern, lasse einzig und allein den rechtlichen Schluß zu, daß der seinerzeitige Erstkläger tatsächlich auf alle ihm aus dem Unfall allenfalls zustehenden Leistungen verzichtete. Die vom Erstkläger abgegebene Verzichtserklärung habe somit unmißverständlich darauf abgezielt, auf alle Handlungen zu verzichten, die in irgendeiner Weise zu einer Ersatzpflicht des Versicherungsnehmers der beklagten Partei führen könnte. Der Erstkläger habe daher in rechtsgültiger Form auf alle Ansprüche, also auch gegenüber der beklagten Partei verzichtet, da die Geltendmachung jedenfalls zu einem Regreß führen mußte. Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden. Im vorliegenden Fall ist die Frage streitentscheidend, ob die vom Erstkläger gegenüber dem Versicherungsnehmer der beklagten Partei, Johann K***, abgegebene und von diesem angenommene Verzichtserklärung sich auch auf die Ansprüche des Erstklägers gegenüber der beklagten Partei bezog. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen befand sich der Erstkläger vom 19.5.1984 bis 8.6.1984 im Krankenhaus Klagenfurt. In dieser Zeit wurde er vom Lenker des Unfallfahrzeugs Johann K*** besucht. Hiebei verzichtete M*** K*** gegenüber "in für beide eindeutige Weise auf jedweden Anspruch aus dem Unfall". Der Kläger Herfried M*** erklärte dem Lenker Johann K*** ausdrücklich, daß er "von ihm aus diesem Unfall überhaupt nichts verlangt".

Zutreffend hat das Berufungsgericht darauf verwiesen, daß nach dem auf den gegenständlichen Fall noch anzuwendenden § 63 Abs 1 KFG der geschädigte Dritte den ihm gegen einen durch eine Kfz-Haftpflichtversicherung Versicherten zustehenden Schadenersatzanspruch im Rahmen des betreffenden Versicherungsvertrages auch gegen den Versicherer geltend machen kann. Der Versicherer und der ersatzpflichte Versicherte haften als Gesamtschuldner. Mit dieser Bestimmung sollte entsprechend einem Verlangen des Europäischen Übereinkommens über die obligatorische Haftpflichtversicherung für Kfz ein direktes Klagerecht des geschädigten Dritten gegen den Haftpflichtversicherer geschaffen werden. Die Stellung des geschädigten Dritten sollte gefestigt werden, woran auch nichts ändert, daß er, sobald er einmal mit seinem gegen einen der mehreren Ersatzpflichtigen gerichteten Begehren unterlegen ist, nicht in Ausnützung des ihm nunmehr gewährten Klagerechtes sein Glück nochmals bei einem anderen Ersatzpflichtigen sollte versuchen können (vgl. ZVR 1976/226 ua.). Ob in dem Verzicht auf den Anspruch gegenüber dem Lenker und Halter auch ein Verzicht gegenüber dem Haftpflichtversicherer zu erblicken ist, ist eine Frage der Auslegung. Gemäß § 894 ABGB kommt die Nachsicht oder Befreiung, die ein Mitschuldner erhält, dem übrigen nicht zustatten, es sei denn, die Befreiung eines Mitschuldners war auch mit Wirkung für alle Mitschuldner beabsichtigt (vgl. SZ 56/21 ua.). Zur Auslegung des vom Kläger abgegebenen Verzichts ist somit § 914 ABGB heranzuziehen. Es ist daher nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften, sondern die Absicht der Parteien zu erforschen und der Vertrag so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht. Unter Absicht der Parteien ist der Geschäftszweck zu verstehen (EvBl. 1972/111; MietSlg. XXXIV/14 uva.), über den der Konsens erklärt ist (EvBl. 1974/220) und den jeder der vertragschließenden Teile redlicherweise der Vereinbarung unterstellen muß (SZ 53/104). Zur Erforschung der Parteienabsicht sind vor allem die Erklärungen der Parteien heranzuziehen (EvBl. 1973/177). Nur die Feststellung der Willenserklärungen der Parteien ist Tatsachenfeststellung, die Auslegung der festgestellten Willenserklärungen hingegen rechtliche Beurteilung. Die aus einer Erklärung abzuleitenden Rechtsfolgen sind nicht danach zu beurteilen, was der Erklärende sagen wollte und was der Erklärungsempfänger darunter verstanden hat, sondern danach, wie die Erklärung bei objektiver Beurteilung der Sache zu verstehen war (JBl 1986, 46 uva.).

Werden diese Grundsätze auf den vom Kläger abgegebenen Verzicht angewendet, ist dem Berufungsgericht darin zu folgen, daß nach der Absicht des Klägers den Lenker K*** keine Ersatzpflicht treffen sollte. Johann K*** sollten für seine Bereitwilligkeit, den Erstkläger auf dessen Verlangen aus Gefälligkeit mit dem PKW mitzunehmen, nicht auch noch finanzielle Belastungen erwachsen. Unter Bedachtnahme auf die Auslegungsgrundsätze des § 914 ABGB und die Umstände des vorliegenden Falls ist mit dem Berufungsgericht nicht davon auszugehen, daß der Erstkläger im vorliegenden Fall eine Aufhebung des gesamten Schuldverhältnisses anstrebte und die Wirkung des Anspruchsverzichts sich nicht nur auf den Lenker K***, sondern auch auf den beklagten Haftpflichtversicherer erstrecken und auch diesen von seiner Verbindlichkeit gegenüber dem Geschädigten befreien sollte. Vielmehr war sowohl dem Kläger als auch dem Geschädigten klar, daß der Erstkläger den Haftpflichtversicherer in Anspruch nehmen wollte, wenn auch zunächst in Unkenntnis von dessen Regreßmöglichkeit im Hinblick auf die Alkoholisierung des Lenkers. Daran vermag, wie das Berufungsgericht ebenfalls zutreffend erkannte, auch die vom Erstkläger in seiner Parteienvernehmung vor dem Rechtshilfegericht am 5.11.1986 abgegebene Erklärung gegenüber der beklagten Partei, dann auf alle Leistungen zu verzichten, wenn die beklagte Partei diese Leistungen von Johann K*** zurückfordere, nichts zu ändern, weil eine solche Rückforderung damals völlig ungewiß war und es auch nicht ausgeschlossen werden konnte, daß etwa mit Rücksicht auf die Erschöpfung der der beklagten Partei gegenüber Johann K*** unter Zugrundelegung tatsächlich erbrachter Leistungen zustehenden Regreßmöglichkeit eine allfällige Rückforderung gar nicht mehr in Betracht kam. Ohne Rechtsirrtum hat daher das Berufungsgericht die Wirksamkeit des vom Kläger gegenüber Johann K*** abgegebenen Verzichts auch zugunsten des beklagten Haftpflichtversicherers verneint und, ausgehend von dieser zutreffenden Rechtsauffassung, die Ergänzung des Verfahrens durch das Erstgericht für erforderlich erachtet.

Dem Rekurs der beklagten Partei war daher ein Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.

2.) Zum Rekurs der zweitklagenden Partei:

Die Rekurswerberin bekämpft lediglich die im Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichts ausgesprochene Auffassung, daß Erstgericht werde im fortgesetzten Verfahren im Hinblick auf den erhobenen Verjährungseinwand die gehörige Fortsetzung der Klage zu prüfen haben; es stehe vielmehr bereits fest, daß der zweitklagenden Partei keine Untätigkeit in bezug auf die Fortsetzung des Verfahrens zur Last falle.

Diesen Ausführungen ist zu erwidern, daß das Erstgericht, ausgehend von der Rechtsmeinung, der Verzicht des Klägers gegenüber dem Schädiger auf seine Ansprüche erstrecke sich auch auf die beklagte Haftpflichtversicherung, das Klagebegehren abgewiesen hat, ohne in irgendeiner Weise auf den erhobenen Verjährungseinwand einzugehen, und insbesondere in dieser Richtung auch keinerlei Feststellungen getroffen hat. In der Auffassung des Berufungsgerichts, daß mangels Zutreffens des vom Erstgericht herangezogenen Abweisungsgrundes im fortgesetzten Verfahren nunmehr unter anderem auch der Verjährungseinwand zu prüfen sein wird, ist daher keine Fehlbeurteilung zu erblicken.

Es war daher auch dem Rekurs der zweitklagenden Partei ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E18667

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0020OB00045.89.0926.000

Dokumentnummer

JJT_19890926_OGH0002_0020OB00045_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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