TE OGH 1989/9/26 4Ob101/89

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Veröffentlicht am 26.09.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Gamerith, Dr.Kodek, Dr.Niederreiter und Dr.Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*** G*** U*** W***, Wien

4, Schwarzenbergplatz 14, vertreten durch Dr.Walter Prunbauer und andere Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei M-P*** W***-Gesellschaft mbH, Völs, Landesstraße 16, vertreten durch Dr.Ernst Offer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren S 300.000), infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Rekursgerichtes vom 31. Mai 1989, GZ 1 R 187/89-11, womit der Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck vom 12.April 1989, GZ 12 Cg 91/89-6, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß der Beschluß des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 20.401,20 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin S 3.400,20 USt) binnen 14 Tagen bei Exekution zu zahlen.

Text

Begründung:

Die Beklagte betreibt in einer großen Anzahl von Filialen in Tirol ua den Einzelhandel mit Lebens- und Genußmitteln sowie Drogeriewaren, und zwar in der Form von "Märkten". In der "Tiroler Tageszeitung" vom 3.2.1989 kündigte die Beklagte "Pampers" aller Sorten zu einem Preis von S 139,90 je Packung an; tatsächlich verkaufte sie "Pampers"-Windeln auch zu diesem Preis, so am 10.2.1989 an Martin S***. Zu welchem Preis die Beklagte diese Windeln eingekauft hat und ob sie sie zum oder unter ihrem Einstandspreis verkauft hat, steht nicht fest.

Der "dm"-Drogeriemarkt, die Firma "F***" und die Firma S*** haben "Pampers"-Windeln zum Preis von S 139 und S 139,90 angeboten; der sonst übliche Preis beträgt rund S 169. Die Beklagte hat nur in ihrer Filiale im DEZ (Innsbruck) "Pampers"-Windeln um S 139,90 verkauft, weil dort auch die Firma "F***" und der "dm"-Drogeriemarkt Filialen unterhalten.

Mit der Behauptung, daß der Verkaufspreis der Beklagten von S 139,90 weit unter dem billigstmöglichen Einstandspreis liege, der nach den Erhebungen der Handelskammer unter Einschluß der Steuern S 163 betrage und nur durch sittenwidriges, gegen §§ 1 und 2 NVG und den sogenannten "Wohlverhaltenskatalog" der Bundeswirtschaftskammer verstoßendes "Anzapfen" bzw Ausnützen von Wettbewerbsvorteilen unterschritten werden könnte, begehrt der klagende Schutzverband zur Sicherung eines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruches, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung zu verbieten, a) Windeln, insbesondere "Pampers" (alle Sorten), zum oder unter dem Einstandspreis zuzüglich der Umsatzsteuer und aller sonstigen Abgaben, die beim Verkauf anfallen, zu verkaufen oder zum Verkauf anzubieten; b) in eventu: als Wiederverkäufer von Lieferanten bei Vorliegen gleicher Voraussetzungen ohne sachliche Rechtfertigung unterschiedliche Bedingungen, insbesondere Rabatte oder Sonderkonditionen, ohne entsprechende Gegenleistung zu fordern oder anzunehmen.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Sicherungsbegehrens. Für alle Handelsketten und insbesondere für die Beklagte als Klein- oder Mittelbetrieb sei es eine Existenzfrage, beim Letztverbraucher das Image eines qualitätsgerechten und billigen Verkaufsmarktes zu haben. Die Beklagte habe daher die von ihr erreichten Begünstigungen im Einkauf jeweils an die Letztverbraucher weitergegeben. Sie habe die am 3.2.1989 inserierten "Pampers"-Windeln nicht zum oder unter dem Einstandspreis verkauft; vielmehr habe sie von ihrem Großhandelslieferanten neben den zulässigen Rabatten und Bonifaktionen auch einen Aktionsrabatt zur Abwehr von Maßnahmen der Mitbewerber erhalten. Durch diesen Aktionsrabatt sei sichergestellt, daß die Beklagte ihre Preise unter Einhaltung der Bestimmungen des § 3 a Abs 1 NVG jeweils an die Konkurrenzpreise der Mitbewerber anpassen könne. Im übrigen wäre sie auch nach § 3 a Abs 2 Z 4 NVG dazu berechtigt gewesen, ihre Preise an jene der Mitbewerber - der Firmen "F***", "dm"-Drogeriemarkt und S*** - anzupassen; sie habe davon ausgehen können, daß diese Unternehmen auf Grund ihrer Umsatzmacht so günstige Einkaufskonditionen erhalten hätten, daß sie den niedrigen Preis für die "Pampers"-Windeln zulässigerweise verlangten.

Der Erstrichter wies den Sicherungsantrag ab. Er nahm, abgesehen vom eingangs wiedergegebenen Sachverhalt, als bescheinigt an:

Wenn der Handelskammer gegenüber darüber geklagt wird, daß jemand zum oder unter dem Einstandspreis verkaufe, erheben Kammerbeamte bei "SPAR***", "A***" und W*** den äußersten (= niedrigsten) Einstandspreis, den diese Organisationen beim Liefeuanten erhalten können. Nicht erhoben wird dabei, wer diese drei Unternehmen überhaupt mit "Pampers"-Windeln beliefert. Die Beamten der Handelskammer nehmen auch nicht in Rechnungen und Kalkulationsunterlagen der genannten Unternehmen Einsicht; die Erhebung geschieht vielmehr bloß durch einen Anruf beim jeweiligen Einkaufsleiter. Die Richtigkeit der von diesem gegebenen Angaben wird von den Beamten der Handelskammern nicht überprüft; es besteht also durchaus die Möglichkeit, daß die Einkaufsleiter unwahre Angaben machen und das nicht auffällt.

Rechtlich meinte der Erstrichter, den Kläger treffe die Beweislast dafür, daß die Beklagte zum oder unter dem Einstandspreis verkaufe; jede andere Lösung der Beweislastfrage wäre untunlich, weil die Beklagte sonst gezwungen wäre, wichtige Geschäftsgeheimnisse, nämlich den Bezugspreis bei ihrem Lieferanten, preiszugeben. Da dem Kläger die ihm obliegende Bescheinigung des Einstandspreises der Beklagten nicht gelungen sei, sei der Sicherungsantrag abzuweisen. Im übrigen liege auch der Tatbestand des § 3 a Abs 2 Z 4 NVG vor, weil die Beklagte bescheinigt habe, daß gleich drei Mitbewerber "Pampers"-Windeln zum gleichen Preis wie sie angeboten haben. Bei der Anpassung ihres Preises an diese Preise habe sie davon ausgehen können, daß diese Mitbewerber offenbar zulässigerweise einen so niedrigen Preis für "Pampers"-Windeln verlangten.

Das Rekursgericht hob diese einstweilige Verfügung unter Rechtskraftvorbehalt auf und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes "S 60.000, nicht jedoch S 300.000" übersteige. Dem Erstgericht sei zwar beizupflichten, daß die vom Kläger beigebrachten Bescheinigungsmittel (Erhebungen der Tiroler Handelskammer und Einvernahme der Auskunftsperson Dr.Alois S***) keine ausreichende Entscheidungsgrundlage seien, um die niedrigstmöglichen Einkaufspreise der Konkurrenz bzw einen Großhandelsmarktpreis für die "Pampers"-Windeln zu ermitteln; die Aussage Dr.S*** habe vielmehr ergeben, daß ihm weder konkrete Zahlenangaben über die Einkaufspreise der Mitbewerber der Beklagten noch überprüfbare Unterlagen über die Höhe der von den Konkurrenten bei ihren Einkäufen erzielten Rabatte und Skonti zur Verfügung gestanden seien. Der Geschäftsführer der Beklagten habe jedoch bei seiner Vernehmung eingeräumt, daß er bei jeder Lieferung (Rechnung) einen Aktionsrabatt, einen Skonto und eine Bonifikation erhalte, ohne daß er diese Preisnachlässe nach Art und Höhe näher aufgeschlüsselt hätte. Da der Kläger sein Begehren nicht nur darauf gestützt habe, daß die Beklagte unter dem zulässigen Einstandspreis verkaufe, sondern hilfsweise auch geltend gemacht habe, daß der Einstandspreis durch "Anzapfen" unzulässigerweise gedrückt werde, bedürfe es einer näheren Aufklärung über die Art der jeweils gewährten Nachlässe und der von der Beklagten hiefür zu erbringenden Gegenleistungen, um vorerst die Zulässigkeit der gewährten Nachlässe und dann die Zulässigkeit der darauf gestützten (Niedrigst-)Preisgestaltung zu überprüfen.

Bei der neuerlichen Entscheidung werde auf die mittlerweile dem Erstgericht vorliegenden weiteren Bescheinigungsmittel Bedacht zu nehmen sein, aus denen sich konkrete Hinweise auf die von der Vertriebsgesellschaft P*** & G*** gegenüber dem Großhandel verlangten Preise ergäben, welche die Klagebehauptung eines Verkaufs der Beklagten unter ihrem Einstandspreis doch wahrscheinlich erscheinen ließen. Bei der Beweislastverteilung sei davon auszugehen, daß der Kläger zunächst die Höhe des handelsüblichen Großhandelspreises, der darauf gewährten Rabatte und Preisnachlässe und die gleiche oder geringere Höhe des von der Beklagten begehrten Wiederverkaufspreises zu bescheinigen habe; in diesem Umfang sei es dem Kläger sehr wohl zumutbar, eine Sachverhaltsaufklärung durch eigene Erhebungen beim Großhandel oder bei Erzeugern vorzunehmen. Daß aber die Beklagte im konkreten Einzelfall durch besonders günstige und nach dem Gesetz zulässige Konditionen (also ohne "Anzapfen") zu einem Preis unter dem handelsüblichen Großhandelspreis (Verkehrswert oder Marktpreis) einkaufe und damit beim Verkauf ihrer Waren unter oder zu dem üblichen Großhandelspreis nicht gegen das Nahversorgungsgesetz verstoße, habe die Beklagte zu beweisen. Hier liege nämlich der Fall vor, daß der Beweis für anspruchsbegründende Tatsachen (Verkaufspreis unter oder gleich dem Einkaufspreis) vom Kläger billigerweise nicht verlangt werden könne, weil es sich um Umstände handle, die allein in der Sphäre der Beklagten lägen und damit auch nur von ihr beweisbar seien. Die Beweislast sei der Beklagten also nur zu einem gewissen Grad, nämlich insoweit aufzuerlegen, als dem Kläger die Beweisführung völlig unmöglich ist, wenn die beklagte Partei dabei nicht mitwirkt. In diesem Umfang werde es der Beklagten also nicht möglich sein, sich, ohne die nachteiligen Folgen hiefür zu tragen, auf ein "Geschäftsgeheimnis" hinsichtlich ihrer Einkaufspreise und Lieferfirmen zu berufen.

Gleiches gelte für die Anwendbarkeit des § 3 a Abs 2 Z 4 NVG. Auch hier habe der Kläger nur nachzuweisen, daß sich die Preise der Mitbewerber unter den handelsüblichen Einkaufspreisen bewegten. Die Beklagte habe dann die - sicherlich sehr schwierige, wenn nicht unmögliche - Aufgabe, den Nachweis zu erbringen, daß die Mitbewerber offenbar zulässigerweise Preise unter dem handelsüblichen Einkaufspreis forderten. Aus dem Wort "offenbar" könne wohl abgeleitet werden, daß dieser Nachweis leicht und ohne besonderen Aufwand, also nicht erst durch Einholung eines buchhalterischen Sachverständigengutachtens mit Überprüfung der Einkaufsunterlagen und der Kosten- und Gewinnkalkulation eines Konkurrenzunternehmens, zu erbringen sei. Ob es auch für den Kläger "offenbar" und damit leicht überprüfbar sein müsse, daß von der Konkurrenz zulässigerweise niedrigere Preise gefordert werden, erscheine eher zweifelhaft.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der Rekurs (richtig: Revisionsrekurs) der Beklagten mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß der Beschluß des Erstrichters wiederhergestellt wird; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist berechtigt.

Die Beklagte wendet sich gegen die vom Rekursgericht zur Beweislastverteilung bei der Geltendmachung eines Verstoßes gegen § 3 a NVG vertretene Rechtsauffassung. Es sei ein rechtsstaatlicher Fundamentalgrundsatz, daß der Kläger alle anspruchsbegründenden Tatsachen zu beweisen habe; die Voraussetzungen, unter denen nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes den Beklagten eine Mitwirkungspflicht bei der Aufklärung von Tatsachen trifft, lägen hier nicht vor, weil eine Aufdeckung des eigenen Lieferpreises, bei dem es sich um ein Geschäftsgeheimnis handle, nicht zumutbar sei.

Dazu wäre zu erwägen:

Im Schrifttum werden zur Frage der Beweislastverteilung in den Fällen des § 3 a NVG - welche bisher noch nicht Gegenstand der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes war - unterschiedliche Auffassungen vertreten. Fitz-Roth (Verkauf unter dem Einstandspreis - Zur Auslegung und Kritik des § 3 a Nahversorgungsgesetz, RdW 1989, 241 ff !245 ff ), meinen, daß nach der allgemeinen Regel, wonach jede Partei die tatsächlichen Voraussetzungen der für sie günstigen Norm zu behaupten und zu beweisen hat, auch im Rahmen des § 3 a NVG diese Last den Kläger treffe; den Einstandspreis des Beklagten werde er in aller Regel aber nur dadurch dartun können, daß er den Beklagten und seine Geschäftsunterlagen und/oder dessen Lieferanten und seine Unterlagen - im Wege des Urkunden- und Zeugenbeweises sowie der Parteienvernehmung - benützt; gewähre man aber dem Beklagten und seinem Lieferanten im Hinblick auf den Schutz des Geschäftsgeheimnisses ein Entschlagungsrecht, dann werde die Tatsache des Einstandspreises zumeist unaufgeklärt bleiben (aaO 245). Eine Verschiebung der Beweislast auf den Beklagten würde aber, da es um Geschäftsgeheimnisse gehe, nicht nur diesen selbst, sondern auch seine Lieferanten unzumutbar belasten. Eine interessengerechte Lösung dieses Problems sei am ehesten in der Anwendung des Instrumentes des Anscheinsbeweises zu finden, wonach der Kläger nicht den Verkauf des Beklagten unter oder zum Einstandspreis selbst, sondern nur Tatsachen, darzutun habe, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auf ein solches Verhalten des Beklagten schließen ließen (aaO 247). Dem Kläger müsse daher zumindest der Nachweis abverlangt werden, daß der Verkaufspreis des Beklagten abzüglich der Umsatzsteuer und sonstiger Abgaben unter dem üblichen Verkaufspreis des Lieferanten der betreffenden Ware (oder anderer Lieferanten einer gleichwertigen Ware derselben Warengattung) liege. Erbringe der Kläger nach diesen Grundsätzen durch eine fundierte Ermittlung des üblichen Einstandspreises den Anscheinsbeweis für einen Verstoß gegen § 3 a NVG, dann brauche der Beklagte (den erzeugten Anschein nicht durch den Beweis des Gegenteils zu widerlegen; er habe vielmehr lediglich die ernste Möglichkeit eines atypischen Ablaufes darzutun, also seinerseits eine Art Anscheinsbeweis dafür zu erbringen, daß der Schluß vom allgemeinen Großhandelspreisniveau auf seinen Einstandspreis nicht zwingend sei. Dazu reiche es aus, wenn er unter Weglassung des konkreten Einstandspreises durch Urkundenvorlage, Zeugen usw. nachweise, daß er wesentlich mehr als die übliche Menge bezogen oder etwa Werbemaßnahmen für den Lieferanten durchgeführt habe; auch im letztgenannten Fall habe er nur diesen Umstand sowie die Höhe eines sich daraus normalerweise ergebenden, nicht jedoch den konkret gewährten Werbekostenzuschuß oder Einstandspreis dem Gericht nachzuweisen. Gelinge dem Beklagten ein solcher Nachweis, dann falle die Beweisthemenverschiebung des Anscheinsbeweises weg; der Beweisführer müsse dann wie beim normalen Beweis die gesetzlich geforderten Tatbestandsmerkmale streng beweisen (aaO 248). Prunbauer (Verkauf unter dem Einstandspreis - Prozessuale Probleme, MR 1989, 82 ff !84 ff ), meint zunächst, mit den im Wettbewerbsrecht entwickelten Grundsätzen müßte nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes davon ausgegangen werden, daß der Kläger, da er den individuellen Einstandspreis im konkreten Fall (praktisch) nicht nachweisen könne, nur das beweisen müsse, was er auch tatsächlich beweisen könne, sich also die Beweislast des Klägers nur auf die generellen Marktgegebenheiten erstrecke, während für den individuellen Einstandspreis eine Umkehr der Beweislast stattfinde und der Beklagte die ihm eingeräumten Rabatte und sonstigen Preisnachlässe nachzuweisen habe (aaO 84, linke Spalte). Nach einer Darstellung der Rechtsprechung von Gerichten zweiter Instanz führt dieser Autor dann abschließend aus, daß im Verfahren nach § 3 a NVG der konkrete Einstandspreis des Beklagten nachzuweisen sei. Das könne wohl nicht durch eine Verschiebung des Beweisthemas vom individuellen Einstandspreis auf die allgemeinen Marktgegebenheiten, sondern - im Fall unüberwindlicher Beweisschwierigkeiten, wie hier - nur durch eine Beweislastumkehr hinsichtlich des eigentlichen Beweisthemas, nämlich des individuellen Preises, geschehen (aaO 84, mittlere Spalte). Sollten diese Ausführungen dahin zu verstehen sein, daß der Kläger den Verkauf des Beklagten zum oder unter dem Einstandspreis nur zu behaupten, aber keinerlei Beweis dafür zu erbringen habe und es immer Sache des Beklagten sei, durch Offenlegung seines individuellen Einstandspreises die Behauptung des Klägers zu widerlegen, dann könnte dem nicht gefolgt werden, weil eine solche Umkehr der Beweislast durch nichts gerechtfertigt wäre: Dem Kläger mag es zwar in den meisten Fällen unmöglich sein, den konkreten Einstandspreis des Beklagten nachzuweisen; den üblichen Großhandelspreis zu beweisen, ist ihm aber in aller Regel möglich, wäre doch sonst sein Verdacht, daß der Beklagte gegen § 3 a Abs 1 NVG verstoße, sachlich überhaupt nicht begründet. Mit Recht geht daher auch der Kläger selbst im vorliegenden Verfahren davon aus, daß er die allgemeinen Marktgegebenheiten und den sich daraus ergebenden Verkauf des Beklagten zum oder unter dem Einstandspreis nachzuweisen habe (S. 202). In diesem Sinn hat auch das Rekursgericht zutreffend ausgeführt, daß der Kläger zunächst die handelsüblichen Großhandelspreise und die darauf üblicherweise gewährten Nachlässe zu bescheinigen habe.

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen - die für den Obersten Gerichtshof, der auch im Provisorialverfahren nur Rechts- und nicht Tatsacheninstanz ist, bindend sind (SZ 54/76; ÖBl. 1987/21 uva) - ist aber dem Kläger im vorliegenden Verfahren schon der Beweis dafür mißlungen, daß der übliche Einkaufspreis von Handelsketten, die der Beklagten vergleichbar sind, über dem beanstandeten Verkaufspreis der Beklagten (oder in dessen Höhe) liegt. Damit stellt sich aber die Frage, ob und auf welche Weise die Beklagte nach dem Beweis eines höheren üblichen Großhandelspreises den dadurch begründeten Anschein zu entkräften hätte, daß sie "Pampers"-Windeln zu oder unter ihrem Einstandspreis angeboten habe, gar nicht mehr. Ein Verstoß der Beklagten gegen § 3 a Abs 1 NVG ist somit nicht bescheinigt.

Nach seiner eigenen Rechtsauffassung zur Beweislastverteilung hätte daher das Rekursgericht im Hinblick auf die von ihm gebilligte Beweiswürdigung des Erstgerichtes (S. 130) die Entscheidung des Erstrichters bestätigen müssen. Auch der Hinweis darauf, daß der Geschäftsführer der Beklagten eingeräumt habe, er erhalte bei jeder Lieferung einen Aktionsrabatt, einen Skonto oder eine Bonifaktion, konnte nichts daran ändern, daß der Kläger die ihm obliegende Bescheinigung des marktüblichen Einkaufspreises vergleichbarer Handelsketten nicht erbracht hat. Schon aus diesem Grund ist nicht mehr zu untersuchen, ob die Beklagte allenfalls unzulässige Sonderkonditionen erlangt hat. Der Kläger hat dazu in erster Instanz nur behauptet, daß der Beklagten - sollte sie sich darauf berufen, daß sie nur deshalb unter dem normalen Einstandspreis verkaufen könne, weil ihr Mengenrabatte oder andere Sonderkonditionen gewährt worden seien - unzulässige Konditionen eingeräumt worden sein müßten (S. 5). Damit fehlt es aber an einem konkreten schlüssigen Klagevorbringen, aus dem sich ein Verstoß der Beklagten gegen § 1 oder § 2 NVG ergäbe, muß doch auch bei ungewöhnlichen Preisnachlässen die rechtliche Unzulässigkeit für jeden Einzelfall konkret behauptet und nachgewiesen (bescheinigt) werden (Fitz-Roth aaO 252). Da der Kläger kein entsprechendes Vorbringen erstattet hat, erweist sich der Auftrag des Rekursgerichtes, von der Beklagten eine nähere Aufklärung über die Art der ihr gewährten Nachlässe und der hiefür zu erbringenden Gegenleistungen zu verlangen, als unbegründet. Auf die Frage, ob gegen §§ 1 und 2 NVG verstoßende Preisnachlässe bei der Ermittlung des Einstandspreises nach § 3 a NVG zu berücksichtigen sind - also ein Unternehmer auch dann gegen § 3 a NVG verstößt, wenn er zwar über seinem tatsächlichen Einstandspreis verkauft, dieser aber nur infolge unzulässiger Sondernachlässe so niedrig gehalten werden konnte - (vgl. dazu Fitz-Roth aaO 251 f), ist bei dieser Sachlage nicht einzugehen.

Da wegen Fehlens eines ausreichenden Prozeßvorbringens die §§ 1 und 2 NVG hier nicht unmittelbar anzuwenden sind, wäre der Oberste Gerichtshof auch dann nicht befugt, nach Art. 89 Abs 2, letzter Satz, B-VG beim Verfassungsgerichtshof den Antrag auf Aufhebung dieser gesetzlichen Bestimmungen zu stellen, wenn er die von der Beklagten gegen ihre Verfassungsmäßigkeit vorgetragenen Bedenken teilen wollte. Nach Meinung der Beklagten soll aber auch § 3 a NVG verfassungswidrig sein (S. 147 ff): Großkonzerne seien, weil sie in der Regel niedrigere Einstandspreise als Klein- oder Mittelbetriebe erzielten, ohne sachliche Rechtfertigung beim Verkauf von Waren über dem Einstandspreis besser gestellt als die Klein- und Mittelbetriebe; § 3 a NVG verstoße damit gegen den Gleichheitsgrundsatz und das Grundrecht der Erwerbsfreiheit. Mit diesen Ausführungen vermag aber die Beklagte keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 3 a Abs 1 NVG zu erwecken. Es mag zutreffen, daß diese Bestimmung ihrem erklärten Ziel, dem Schutz der kleineren leistungsfähigen, aber nicht marktstarken Händler zu dienen (AB 262 BlgNR 15. GP, 2), nicht gerecht wird; inwiefern sie aber dem Gleichheitsgrundsatz oder dem Grundrecht der Erwerbsfreiheit widerspräche, ist nicht zu erkennen. Die von der Beklagten aufgezeigten Vorteile der Großunternehmen gegenüber Klein- und Mittelbetrieben sind die Folgen der unterschiedlichen wirtschaftlichen Stärke, nicht aber einer ungleichen Behandlung durch das Gesetz. Daß kleine Unternehmen im Konkurrenzkampf unterliegen, ist Ergebnis des freien Wettbewerbes; mit dem Grundrecht der Erwerbsfreiheit hat das aber nichts zu tun. Inwiefern § 3 a NVG dieses Recht einschränken sollte, ist den Ausführungen der Beklagten nicht zu entnehmen.

Nach Art. 89 Abs 2 B-VG hat der Oberste Gerichtshof dann, wenn er gegen die Anwendung eines Gesetzes aus dem Grund der Verfassungswidrigkeit Bedenken hat, beim Verfassungsgerichtshof den Antrag auf Aufhebung dieses Gesetzes zu stellen; unter diesen Voraussetzungen ist er zur Anfechtung nicht nur befugt, sondern auch verpflichtet (Walter-Mayer, Grundriß6 Rz 1111). Nach dem klaren Wortlaut dieser Bestimmung muß aber der Oberste Gerichtshof selbst Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes haben; der Umstand allein, daß eine Partei solche Bedenken vorbringt (oder daß im Schrifttum Bedenken geäußert worden sind), berechtigt (oder verpflichtet) den Obersten Gerichtshof hingegen noch nicht zu einer Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof. Der Oberste Gerichtshof hat also - ebenso wie andere zur Antragstellung befugte Gerichte - die einschlägigen verfassungsrechtlichen Fragen zunächst selbst zu prüfen. Wenn die Beklagte meint, die Zivilgerichte maßten sich dabei eine ihnen nicht zukommende Zuständigkeit an, sie wären vielmehr verpflichtet, bei den geringsten - offenbar gemeint: von wem immer geäußerten - Bedenken den VfGH anzurufen (S. 151 ff), dann verkennt sie damit die Rechtslage. Da der Oberste Gerichtshof aus den dargelegten Gründen keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 3 a NVG hegt, kommt ein Antrag an den VfGH nach Art. 89 Abs 2 B-VG nicht in Frage.

Dem Revisionsrekurs war sohin Folge zu geben und der Beschluß des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Der Ausspruch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens - die nur auf der Bemessungsgrundlage des Streitwertes im Provisorialverfahren von S 300.000 zu berechnen waren - gründet sich auf die §§ 78, 402 Abs 2 EO, §§ 41, 40, 50, 52 ZPO.

Anmerkung

E18685

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0040OB00101.89.0926.000

Dokumentnummer

JJT_19890926_OGH0002_0040OB00101_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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