TE OGH 1989/10/11 1Ob664/89

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Veröffentlicht am 11.10.1989
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Graf als weitere Richter in der Vormundschaftssache mj. Nina-Maria T***, geboren 15. Mai 1987, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der Pflegeeltern Dipl.Ing. Kurt P***, Angestellter, und Mag. Elisabeth P***, Hausfrau, beide Wien 3., Landstraßer Hauptstraße 123/4, beide vertreten durch Dr. Joachim Meixner und Dr. Josef Schima, Rechtsanwälte in Wien, gegen den Beschluß des Jugendgerichtshofes Wien als Rekursgerichtes vom 11. August 1989, GZ 22 R 12/89-16, womit der Beschluß des Jugendgerichtshofes Wien vom 17. Februar 1989, GZ 13 P 74/88-13, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung:

Die mj. Nina-Maria T*** ist die Tochter der am 19. Oktober 1969 geborenen ledigen Lillian T***. Der Aktenlage nach sind Mutter und Kind Staatsbürger von Uganda. Der Vater des Kindes wurde bis jetzt nicht festgestellt. Die Mutter erklärte am 14. Mai 1987 - einen Tag vor der Entbindung - vor dem Jugendamt Linz, sie sei mit einer Fremdunterbringung des zu erwartenden Kindes einverstanden; sie unterfertigte auch eine Niederschrift, wonach sie einer Inkognitoadoption zustimmte. Nach der Geburt wurde das Kind in Pflege zu den Revisionsrekurswerbern gegeben. Das Adoptionsverfahren ist zu 9 P 146/87 des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien anhängig; mit Beschluß dieses Gerichtes vom 21. April 1988 wurde die Zustimmung der Mutter zur Adoption und ihre Erklärung, auf die Mitteilung des Namens und des Wohnortes der Annehmenden sowie auf Zustellung des Bewilligungsbeschlusses zu verzichten, ersetzt. Die Mutter erhob dagegen Rekurs; das Rekursverfahren ist zu 43 R 677/88 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien anhängig. Die Mutter möchte mit dem Kind nach Uganda zurückkehren.

Das Bezirksjugendamt für den 3. Bezirk als Vormund des Kindes beantragte am 21. April 1988 gemäß § 26 Abs 3 JWG die Anordnung der gerichtlichen Erziehungshilfe durch Belassung des Kindes bei den Pflegeeltern.

Die Mutter sprach sich dagegen aus.

Das Erstgericht wies diesen Antrag ab. Die Erziehungswilligkeit der Mutter sei gegeben. Hinweise auf eine Erziehungsunfähigkeit ergäben sich nicht. Die Mutter sei ausgebildete Kindergärtnerin, helfe derzeit nach Absolvierung eines Kindergartenpraktikums in einem Heim aus und habe auch das Kind ihrer Arbeitgeberin zufriedenstellend versorgt. Eine Verpflanzung des Kindes in einen anderen Kulturkreis würde dessen Wohl nicht gefährden. Auch bei Berücksichtigung der guten Absichten der Pflegeeltern dürfe nicht übersehen werden, daß es sich um ein farbiges Kind handle, dessen Integration in Österreich jedenfalls mit Schwierigkeiten verbunden sein werde. Eine Gefährdung des Kindes in Uganda sei nicht zu ersehen. Die Mutter habe ihre Erziehungsgewalt nicht mißbraucht; es könne auch nicht gesagt werden, daß sie die damit verbundenen Pflichten nicht erfüllt habe.

Das Rekursgericht gab mit dem angefochtenen, nach Inkrafttreten des Kindschaftsrechtsänderungsgesetzes, BGBl. 1989 Nr. 162, gefaßten Beschluß dem Rekurs des Bezirksjugendamtes für den 3. Bezirk nicht Folge. Es liege weder Erziehungsnotstand noch eine Gefährdung des Kindeswohles im Sinn des § 176 a ABGB nF vor.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Beschluß richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Pflegeeltern. Mit dem Inkrafttreten des Kindschaftsrechtsänderungsgesetzes am 1. Juli 1989 (Art. VI § 1 Abs 1 des Gesetzes) steht auch Pflegeeltern nach § 186 Abs 2 ABGB das Recht zu, in den die Person des Kindes betreffenden Vormundschafts- und Pflegschaftsverfahren Anträge zu stellen. Damit ist auch die Legitimation verbunden, in diesen Angelegenheiten Rechtsmittel zu ergreifen (RV 172 BlgNR 17. GP 19). Der Revisionsrekurs ist auch berechtigt.

Nach dem 1. Juli 1989 können gerichtliche Anordnungen von Erziehungsmaßnahmen nicht mehr auf Grund des am 30. Juni 1989 außer Kraft getretenen JWG, BGBl. 1954 Nr. 99 (§ 42 Abs 2 JWG 1989), erfolgen; bereits angeordnete Erziehungsmaßnahmen gelten als Verfügungen nach den §§ 176, 176 a ABGB. Da es sich bei den Vorschriften des JWG 1989 und des Kindschaftsrechtsänderungsgesetzes 1989 um zwingendes Recht handelt, hatte das Rekursgericht, das eine für die Zukunft wirksame rechtsgestaltende Verfügung treffen sollte, auf die in der Zwischenzeit erfolgte Rechtsänderung Bedacht zu nehmen und ausschließlich die neue Rechtslage seinen Erwägungen zugrundezulegen (vgl. EvBl 1977/1; EvBl 1957/125; JBl 1947, 243; Fasching, Zivilprozeßrecht Rz 1927).

Die Vorinstanzen übersahen, daß durch die der Aktenlage nach bestehende Staatsbürgerschaft von Uganda sowohl der Mutter als auch des Kindes ein Sachverhalt mit Auslandsberührung vorliegt. In einem solchen Fall ist immer von Amts wegen zu prüfen, welches Recht zu Anwendung gelangt (ZfRV 1988, 215; ZfRV 1987, 205 ua; Schwimann in Rummel, ABGB, Rz 1 zu § 3 IPRG). Die Nichtbeachtung dieser gesetzlichen Grundregel stellt im Außerstreitverfahren den Revisionsrekursgrund der offenbaren Gesetzwidrigkeit nach § 16 AußStrG dar (Schwimann, Grundriß 51 f; derselbe in JBl 1968, 129).

Wie der erkennende Senat in seiner zur früheren Rechtslage ergangenen Entscheidung vom 26. April 1989, 1 Ob 560/89, ausgeführt hat, waren zwar die Voraussetzungen für die Anordnung einer Maßnahme der Jugendwohlfahrtspflege und diese Maßnahme selbst nach den Bestimmungen des österreichischen Jugendwohlfahrtsgesetzes zu beurteilen; zu der von Hoyer in Anm. zu ZfRV 1985, 289 dargelegten Ansicht, es müsse eine Prüfung der im Einzelfall getroffenen Maßnahmen dahin erfolgen, ob sie dem privaten oder dem öffentlichen Recht zugehören, die Bestimmungen des JWG 1954 wiesen eher in die Richtung der privatrechtlichen als der öffentlich-rechtlichen Qualifikation, wurde darauf hingewiesen, daß diese Rechtsauffassung durch die Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum Kindschaftsrechtsänderungsgesetz, 172 BlgNR 17. GP 13, ihre Bestätigung fanden, wonach die zivilrechtlichen Bestimmungen des künftigen Jugendwohlfahrtsgesetzes in die großen zivilrechtlichen Stammgesetze zurückgeführt und dort systemgerecht eingegliedert werden. Das ist für Kinder österreichischer Staatsbürgerschaft mit den neuen Vorschriften der §§ 176, 176 a, 186 a ABGB geschehen; bei Gefährdung des Kindeswohles kann nunmehr den Eltern die Obsorge für das Kind ganz oder teilweise entzogen und nach den beiden letztgenannten Bestimmungen auf den Jugendwohlfahrtsträger oder auf Pflegeeltern übertragen werden. Handelt es sich aber um zivilrechtliche Fragen der elterlichen Gewalt und der Pflege und Erziehung von Kindern, finden die Kollisionsnormen der §§ 24 ff IPRG Anwendung (Schwimann in Rummel, ABGB, Rz 1 zu § 27 IPRG, Rz 6 zu § 25 IPRG). Ist das Kind Staatsbürger von Uganda, hat, da Uganda nicht Mitgliedstaat des Haager Minderjährigenschutzübereinkommens, BGBl. 1975 Nr 446, ist und Österreich seinen Vorbehalt nach Art. 13 Abs 3 des Übereinkommens noch nicht zurückgezogen hat (siehe dazu RV 964 BlgNR 17. GP), die Beurteilung, ob und in welchem Umfang Erziehung und Obsorgerechte der Mutter eingeschränkt werden dürfen, nach dem Personalstatut des Kindes zu erfolgen. Die allenfalls unter Mitwirkung der Beteiligten zu erfolgende Ermittlung (§ 4 IPRG) dieses fremden Rechtes wird das Erstgericht nachzuholen haben. Dem Revisionsrekurs der Pflegeeltern ist Folge zu geben; die Beschlüsse der Vorinstanzen sind aufzuheben und dem Erstgericht die neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

Anmerkung

E18469

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0010OB00664.89.1011.000

Dokumentnummer

JJT_19891011_OGH0002_0010OB00664_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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