TE OGH 1989/10/18 9ObA265/89

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Veröffentlicht am 18.10.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Pipin Henzl und Leo Samwald als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Peter B***, Rentner, Wien 23., Breitenfurterstraße 338/3/3/9, vertreten durch Dr. Johannes Nino Haerdtl, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Gerhard S***, Arbeiter, Wien 3., Erdbergerstraße 174/43, vertreten durch Dr. Adolf Fiebich ua., Rechtsanwälte in Wien, und den Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei Ing. Ernst E***, Betriebsleiter, Wien 13., Eyslergasse 16, vertreten durch Dr. Georg Grießer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 151.500 S sA und Feststellung (Streitwert 50.000 S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 14.April 1989, GZ 32 Ra 125/88-22, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 24.März 1988, GZ 8 Cga 2069/87-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei und dem Nebenintervenienten die mit je 8.649 S (darin 1.441,50 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 16.April 1984 erlitt der Kläger als Arbeitnehmer der Firma L*** Gesellschaft mbH bei einem Arbeitsunfall an einer hydraulischen Ziehpresse eine Abtrennung des rechten Unterarmes. Die Presse konnte einen Druck von 630 t erzeugen. Auf der Presse wurden Platinen zu Tunnelpaneelen geformt. Der Stempel der Presse befindet sich in Ruheposition 29 cm oberhalb des unteren Werkzeuges. Die Maschine wurde vom Kläger und vom Beklagten bedient, die betrieblich gleichgeordnet waren. Der Beklagte hatte die Auslösevorrichtung der Presse zu betätigen, wogegen der Kläger auf der anderen Seite der Presse die Platinen bzw. die vorgepreßten Paneele einzulegen hatte. Der Beklagte wurde im Strafverfahren von der gegen ihn erhobenen Anklage, er habe durch Außerachtlassung der notwendigen Sorgfalt den Kläger fahrlässig am Körper verletzt, rechtskräftig freigesprochen. Der Kläger begehrt 151.500 S samt Anhang und die Feststellung der Haftung des Beklagten für alle künftigen Schäden aus dem Arbeitsunfall vom 16.April 1984. Der Beklagte habe fahrlässig nicht darauf geachtet, ob das Herablassen der Presse ohne Gefahr für den Kläger möglich sei. Als Schmerzengeld sei ein Betrag von 180.000 S, an Verunstaltungsentschädigung ein Betrag von 120.000 S angemessen; weiters habe der Kläger für unfallkausale Spesen und Telefonate 3.000 S aufgewendet. Von diesen Beträgen werde aus Gründen prozessualer Vorsicht lediglich die Hälfte geltend gemacht. Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, weil ihn kein Verschulden an dem Unfall treffe. Es sei nicht notwendig gewesen, daß der Kläger mit der Hand unter den Stempel gegriffen habe. Der Beklagte habe sich entsprechend den Anweisungen der Vorgesetzten verhalten. Beide Streitteile hätten nicht erkennen können, daß die Presse nicht gemäß den entsprechenden Sicherheitsvorschriften ausgerüstet gewesen sei. Das überwiegende Verschulden treffe die Vorgesetzten der Streitteile. Das Erstgericht wies die Klage ab. Es stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:

Bei Pressung von geraden Paneelen wurde die Ziehpresse mit Vierhandschaltung betätigt. Der Preßvorgang konnte dabei erst einsetzen, wenn beide an der Maschine beschäftigten Arbeiter mit beiden Händen je einen Druckknopf betätigten. Auf diese Weise konnte mit Sicherheit vermieden werden, daß sich eine Hand eines Arbeiters noch unter dem Stempel befand. Bei Herstellung von gekrümmten Paneelen war es jedoch erforderlich, daß während des Fertigpressens einer Paneele eine weitere Paneele im selben Arbeitsgang vorgebogen wurde. Diese weitere Paneele paßte nicht in die bestehende Haltevorrichtung, sondern mußte von einem Arbeiter mit beiden Händen gehalten und etwas niedergedrückt werden. Da die zweite Paneele beim Vorpressen nur etwa 2 cm angebogen wurde, befand sich der Arbeiter, der diese Platte zu halten hatte, mit seinem Körper mehr als einen Meter von der Presse entfernt. Zusätzlich wurden die Platten beim Anpressen im Hinblick auf ihr Gewicht von 16,8 kg auf einer einfachen Haltevorrichtung abgestützt. Da beim Pressen von gekrümmten Paneelen einer der Arbeiter immer die Platte zum Vorpressen halten mußte (und nicht gleichzeitig mit den Händen die Druckknöpfe betätigen konnte), stellte die beklagte Partei für diese Arbeit die Presse auf Zweihandschaltung um. Der Arbeiter, der die Paneele zum Vorpressen zu halten hatte, hatte vereinbarungsgemäß dem Arbeiter, der die Auslösevorrichtung betätigte, zuzurufen "es geht". Der beklagten Partei schien die Möglichkeit, daß der zweite Arbeiter während des Preßvorganges mit der Hand unter den Stempel gerate, ausschließbar, weil dieser Arbeiter mit beiden Händen die große und schwere Platte zu halten hatte und sich dabei auch in einem entsprechenden Abstand vom Stempel befand. Der Einbau eines Lichtschrankens wäre technisch möglich gewesen und hätte auf jeden Fall verhindern können, daß bei Durchführung des Preßvorganges sich ein Arbeiter mit einer Hand noch unter dem Stempel befindet. Der Kläger begann mit seiner Tätigkeit bei der beklagten Partei im März 1984, der Beklagte im Jänner 1984. Beide wurden ganz überwiegend an der hydraulischen Ziehpresse eingesetzt. Als die Umstellung von Vierhandschaltung auf Zweihandschaltung erfolgte, wurden die beiden Arbeiter vom Werkmeister Franz D*** eingeschult. Der Arbeiter, der das weitere Paneel beim Vorbiegen zu halten hatte, hatte es sodann zum Fertigpressen nachzuschieben. Es kam vor, daß das fertiggebogene Paneel oben am Stempel hängen blieb. Es war Aufgabe der Arbeiter, durch einen Schlag mit der Hand das Paneel vom Stempel zu lösen. Das fertiggebogene Paneel wurde dann von dem Arbeiter, der sich auf der anderen Seite der Presse befand und die Presse mit Zweihandschaltung auslöste, vorgezogen und auf einen Stapel geschlichtet. Das nächste Paneel wurde nachgeschoben und geriet schon durch das Einschieben in die richtige Lage in den Haltevorrichtungen. In seltenen Fällen mußte der Arbeiter, der die Paneele nachschob und jeweils das zweite Paneel zum Vorbiegen halten sollte, vorerst noch das erste unter dem Stempel liegende Paneel zusätzlich in die Halterungen einrichten. Wenn sich das erste Paneel unter dem Stempel in der richtigen Lage befand und der Arbeiter überdies das zweite Paneel zum Vorbiegen in die richtige Lage (bei der er sich mit dem Körper mindestens einen Meter von der Presse entfernt befand) gebracht hatte, mußte er den Arbeiter auf der anderen Seite der Presse mit dem Zuruf "es geht" verständigen. Dieser mußte sich darauf verlassen, daß sich dann der andere Arbeiter tatsächlich nicht im Gefahrenbereich befand. Ein ausreichender Sichtkontakt zwischen den beiden Arbeitern bestand nicht, sodaß es dem den Prozeßvorgang auslösenden Arbeiter nicht möglich war, durch eigene Wahrnehmung festzustellen, ob sich der Arbeitskollege tatsächlich zur Gänze außerhalb des Gefahrenbereiches befand. Im Betrieb bestand ein Prämiensystem. Die Streitteile erhielten eine Tagesprämie von je 250 S, wenn sie 85 Paneele pro Stunde preßten. Der gesamte Preßvorgang pro Paneel durfte inklusive Einlegen, Prüfung, ob es in den Halterungen liegt, Anhalten des zweiten Paneels zum zweiten Vorbiegen, Preßvorgang, Herausnehmen des ersten Paneels und Nachschieben des vorgebogenen Paneels, nur insgesamt weniger als eine Minute in Anspruch nehmen. Am Unfallstag waren die Streitteile weder übermüdet noch alkoholisiert. Der Unfall ereignete sich um 8.00 Uhr früh, nachdem die Streitteile etwa eine Stunde an der Presse gearbeitet hatten. An diesem Tag waren viele Paneele händisch einzurichten. Als der Beklagte den Zuruf "geht" hörte, hatte er die Hand nicht auf der Auslösevorrichtung, sondern griff erst nach dem Zuruf nach den Druckknöpfen und betätigte sie. Der Beklagte hörte einen Schrei und drückte die Stop-Taste, wodurch der Stempel wieder in die Grundstellung hinaufgehen sollte. Aus welchem Grund der Kläger mit der rechten Hand in den Stempelbereich geriet, kann nicht festgestellt werden. Der Kläger hat mit der rechten Hand unter den Stempel gegriffen, nachdem das fertigzupressende Paneel sich bereits unter dem Stempel in den Halterungen befand und er das zweite Paneel bereits zum Vorpressen angehalten hatte.

Für die in der Halle Arbeitenden waren Gehörschutzkapseln vorgeschrieben. Der Kläger trug Gehörschutzkapseln, nicht aber der Beklagte.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß der Beklagte die ihm übertragenen Arbeiten mit den von einem Arbeiter in seiner Position zu erwartenden Fleiß und der entsprechenden Aufmerksamkeit durchgeführt habe, wobei er die ihm bei Einschulung gegebenen Anweisungen befolgt habe. Es seien tausende Paneele gepreßt worden, ohne daß den Streitteilen, den die Kontrolle ausübenden Meistern oder dem Betriebsleiter die Möglichkeit einer Gefahr bewußt geworden wäre.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und vertrat die Rechtsauffassung, der Kläger habe durch den Zuruf "geht" selbst die Gefahrenlage herbeigeführt; dem Beklagten könne nicht vorgeworfen werden, daß er sich nicht vergewissert habe, ob sich der Kläger nicht trotz seines Zurufes mit der Hand noch unter der Presse befand.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der klagenden Partei aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung an das Erstgericht, in eventu an das Berufungsgericht, zurückzuverweisen. Hilfsweise wird beantragt, das angefochtene Urteil in seinem Ausspruch über das Feststellungsbegehren dahin abzuändern, daß die beklagte Partei der klagenden Partei für alle weiteren Schäden aus dem Arbeitsunfall vom 16. April 1984 "gemäß ihrem auszusprechenden Mitverschuldensanteil" hafte und es nur in seinem Ausspruch über das Leistungsbegehren aufzuheben.

Die beklagte Partei und der Nebenintervenient auf Seiten der beklagten Partei beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die behauptete Mangelhaftigkeit liegt nicht vor (§ 510 Abs.3 ZPO).

Hingegen ist dem Revisionswerber zuzugeben, daß das Erstgericht eine Feststellung, der Kläger habe dem Beklagten zugerufen "geht", nicht getroffen hat. Es hat lediglich festgestellt, der Beklagte habe einen derartigen Zuruf gehört und im Rahmen der Beweiswürdigung Erwägungen über die mögliche Unfallursache angestellt. So könne der Beklagte den Zuruf eines vorbeigehenden Arbeiters für den des Klägers gehalten haben; andererseits sei es aber auch möglich, daß der Kläger unmittelbar vor oder während seines Zurufes noch ein vom Schleifen abgesplittertes Teilchen von den Paneelen habe entfernen wollen oder von einem vorbeifahrenden Gerät oder einem vorbeigehenden Arbeiter gestoßen worden sei. Aber auch wenn man davon ausgeht, daß der Beklagte nur einen Zuruf "geht" gehört hat und weder erwiesen ist, daß dieser Zuruf vom Kläger ausging, noch auch daß der Kläger diesen Zuruf nicht ausgestoßen hat, kann dem Beklagten, wie zur Rechtsrüge auszuführen sein wird, ein Verschulden nicht angelastet werden. Die im Berufungsurteil unterlaufene Aktenwidrigkeit ist daher nicht entscheidungswesentlich. Im Ergebnis zu Unrecht wendet sich der Revisionswerber auch gegen die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes. Gemäß § 1296 ABGB trifft den Kläger als Geschädigten die Beweislast für ein Verschulden des Beklagten. Eine Haftung des Beklagten wäre nur dann zu bejahen, wenn ihn in beiden Fällen des möglichen Herganges des haftungsbegründeten Ereignisses ein Schuldvorwurf treffe. Er müßte dann für den minderen, mindestens erwiesenen Verschuldensgrad einstehen (ähnlich 7 Ob 760/82 und 2 Ob 620/86). Geht man daher von der vom Erstgericht nicht ausgeschlossenen Version aus, daß der Kläger tatsächlich durch den Zuruf "geht" das Signal zum Auslösen der Presse gegeben und sich der Beklagte nicht verhört hat, trifft den Beklagten deshalb, weil er sodann, wie es der Anweisung durch die Vorgesetzten entsprach, die Presse in Gang setzte, kein Schuldvorwurf. Der gebotene Sorgfaltsmaßstab wird nach Verkehrskreisen bestimmt, wenn die Handlung mit der Besonderheit des jeweiligen Verkehrskreises in einem inneren Zusammenhang steht (vgl. Harrer in Schwimann ABGB V § 1297 Rz 4). Zieht man in Betracht, daß der Beklagte Hilfsarbeiter war, entsprechend den Weisungen der Vorgesetzten handelte und sich nach seinen bisherigen Erfahrungen - die Streitteile hatten auf diese Weise schon tausende Preßvorgänge anstandslos durchgeführt - darauf verlassen konnte, daß der Kläger erst dann rief, wenn er sich nicht im Gefahrenbereich befand, kann dem Beklagten, wie die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben, im Falle der gemäß § 1296 ABGB zugrundezulegenden für den Beklagten günstigeren Version (Zuruf des Klägers "geht") ein schuldhaftes Verhalten nicht angelastet werden. Es erübrigt sich daher, zur Frage Stellung zu nehmen, ob ein Verschulden des Beklagten auch dann nicht anzunehmen wäre, wenn man von der anderen möglichen Version (kein Zuruf des Klägers) ausgehen würde.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E18949

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:009OBA00265.89.1018.000

Dokumentnummer

JJT_19891018_OGH0002_009OBA00265_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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