TE OGH 1989/10/19 7Ob36/89

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Veröffentlicht am 19.10.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Willibald E***, Landwirt, Hellmonsödt, Hochheide 23, vertreten durch Dr. Franz Kriftner, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei E*** A*** Versicherungs AG, Wien 1., Brandstätte 7-9, vertreten durch Dr. Götz Schattenberg und Dr. Ernst Moser, Rechtsanwälte in Linz, wegen 112.000 S s.A., infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 18. Mai 1989, GZ 6 R 41/89-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 30.September 1988, GZ 3 Cg 49/88-5, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, der beklagten Partei die mit 6.172,20 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 1.028,70 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger hat bei der Beklagten eine Unfallversicherung abgeschlossen, der die Allgemeinen Bedingungen für die Unfallversicherung (AUVB 1976) zugrundeliegen. Nach Art.8 II dieser Bedingungen hat der Versicherer unter bestimmten Voraussetzungen bei dauernder Invalidität eine Kapitalzahlung zu leisten, wobei sich innerhalb eines Jahres vom Unfallstag an gerechnet ergeben muß, daß dauernde Invalidität zurückbleibt. Ein Anspruch auf Leistung muß innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall ärztlich festgestellt und geltend gemacht sein. Nach Ablauf dieser Frist bleibt der Versicherer zur Leistung insoweit verpflichtet, als die Fristversäumnis weder Einfluß auf die Feststellung des Versicherungsfalles noch auf die Feststellung oder den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung gehabt hat.

Nach Art.11 der genannten Bedingungen ist der Versicherer verpflichtet, bei allen Ansprüchen aus der Unfallversicherung innerhalb eines Monates zu erklären, ob und inwieweit er eine Leistungspflicht anerkennt. Die Frist beginnt mit dem Eingang der Unterlagen, die der Anspruchserhebende zur Feststellung des Unfallsherganges und der Unfallsfolgen über den Abschluß des Heilverfahrens beizubringen hat.

Rechtliche Beurteilung

Im Falle von Meinungsverschiedenheiten über Art und Umfang der Unfallsfolgen oder darüber, in welchem Umfang der eingetretene Schaden auf den Versicherungsfall zurückzuführen ist, ferner über die Beeinflussung der Unfallsfolgen durch Krankheit oder Gebrechen, entscheidet nach Art.14 der AUVB 1976 eine Ärztekommission. Die Feststellung, der die Ärztekommission im Rahmen ihrer Zuständigkeit trifft, ist verbindlich, wenn nicht nachgewiesen wird, daß sie offenbar von der wirklichen Sachlage erheblich abweicht. In den der Ärztekommission vorbehaltenen Streitfällen hat der Versicherungsnehmer innerhalb von sechs Monaten, nachdem ihm die Erklärung des Versicherers nach Art.11 Z 1 zugegangen ist, unter Bekanntgabe seiner Forderung Widerspruch zu erheben und die Entscheidung der Ärztekommission zu beantragen. Andernfalls sind weitergehende Ansprüche, als sie vom Versicherer anerkannt sind, ausgeschlossen. Auf diese Rechtsfolgen hat der Versicherer in seiner Erklärung hinzuweisen. Das Recht, die Entscheidung der Ärztekommission zu beantragen, steht auch dem Versicherer zu. Am 20.2.1985 erlitt der Kläger einen Unfall, bei dem sein linkes Knie verletzt wurde. Mit Unfallsanzeige vom 18.3.1985 teilte er der Beklagten das Ereignis mit. Der von der Beklagten bestellte Sachverständige Dr. S*** untersuchte den Kläger am 1.12.1986, wobei der Sachverständige den Verdacht auf eine Schädigung des inneren Meniskus äußerte. Röntgenaufnahmen des Knies ergaben jedoch lediglich geringe arthrotische Veränderungen am inneren und äußeren Kniegelenkspalt. Ebensolche arthrotische Veränderungen waren auch im Bereich des rechten Kniegelenkes erkennbar. Der Sachverständige gelangte zum Ergebnis einer Gebrauchswertminderung des linken Beines mit 20 %. Er schlug in diesem Gutachten vor, daß zur Abklärung der Unfallsfolgen eine Kniespiegelung (Arthroskopie) durchgeführt werden solle, was er auch dem Kläger anläßlich der Untersuchung mitteilte. Durch die Kniespiegelung könne das Vorliegen eines Meniskusschadens bestätigt werden, ebenso auch das Vorliegen eines Kreuzbandschadens. Zur Feststellung der bleibenden Invalidität müsse eine Nachuntersuchung nach der Kniespiegelung, und zwar etwa eineinhalb Jahre danach, empfohlen werden.

Mit Bescheid des Landesinvalidenamtes für Oberösterreich vom 11.2.1986, OB 410-451207-008, wurde dem Kläger über seinen Antrag ab 1.7.1985 eine Beschädigtenrente entsprechend einer Minderung der Erwerbsfähigkeit im Ausmaß von 30 % und ab 1.9.1985 eine solche im Ausmaß von 40 % zuerkannt. Diesen Bescheid legte der Kläger, der bei der Beklagten bereits im Dezember 1985 oder Jänner 1986 vorgesprochen hatte, dieser im März oder April 1986 vor. Nachdem er von der Beklagten nichts gehört hatte, urgierte er mit Schreiben vom 18.8.1986, worauf ihm die Beklagte mit Schreiben vom 26.2.1987 das Ergebnis des Gutachtens Dris. S*** mitteilte und ihn aufforderte, eine Kniespiegelung vornehmen zu lassen und sie nachträglich von dem Ergebnis dieser Untersuchung zu informieren. Die Arthroskopie ist eine endoskopische Untersuchung großer Gelenke, die zur Feststellung von Unfallsfolgen dient. Sie stellt einen operativen Eingriff dar, der auch mit Schmerzen verbunden ist. Von Ärzten wurde dem Kläger mitgeteilt, daß mit einer Kniespiegelung ein gesundheitliches Risiko verbunden sei. Die Beklagte hat sich dem Kläger gegenüber nicht bereit erklärt, für allfällige Folgen aus dieser Operation zu haften oder dabei aufgetretene Schmerzen zu entschädigen.

Nach Art.3 der AUVB wird die Leistung des Versicherers, wenn die Unfallsfolgen durch nicht mit dem Unfall zusammenhängende Krankheiten oder Gebrechen beeinflußt werden, entsprechend dem Anteil der Krankheit oder des Gebrechens an diesen Folgen gekürzt. Der Anteil bleibt unberücksichtigt, wenn er weniger als 25 % beträgt. Gemäß Art.10 gebühren bei völliger Gebrauchsunfähigkeit eines Beines 70 % der Versicherungssumme. Bei teilweiser Gebrauchsunfähigkeit wird dieser Satz entsprechend vermindert. Der Beklagte verlangt unter Zugrundelegung einer 20 %igen Gebrauchsunfähigkeit des Beines den Zuspruch von 112.000 S s.A. Während das Erstgericht dem Klagebegehren stattgegeben hat, wurde dieses vom Berufungsgericht abgewiesen. Hiebei wurde eine Verwirkung des klägerischen Anspruches wegen Obliegenheitsverletzung oder wegen Verfristung verneint und die Zulässigkeit des Rechtsweges bejaht, jedoch ausgesprochen, daß über die Kausalität der Unfallsfolgen für einen Dauerschaden und den Umfang der Unfallsfolgen grundsätzlich eine Ärztekommission zu entscheiden habe. Solange diese nicht entschieden hat, sei der Anspruch nicht fällig. Das Klagebegehren müsse daher derzeit mangels Fälligkeit abgewiesen werden.

Das Berufungsgericht hat die Revision für zulässig erklärt. Die vom Kläger gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist nicht gerechtfertigt.

Richtig hat das Berufungsgericht erkannt, daß, entgegen der Rechtsansicht der Beklagten, deren Leistungspflicht nicht wegen Verletzung der in Art.7 Z 6 und Z 3 AUVB festgehaltenen Obliegenheiten erloschen ist. Nach diesen Bestimmungen hat der Versicherte zwar die zur Aufklärung seines Zustandes erforderlichen Untersuchungen an sich vornehmen zu lassen, doch kann unter einer Untersuchung, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, nur eine äußerliche Feststellung des Zustandes, nicht aber ein Eingriff in die körperliche Integrität des Versicherten verstanden werden. Aus dem Titel der Untersuchung ist der Versicherte nicht verpflichtet, Operationen an sich vornehmen zu lassen. Er muß nicht das Risiko zusätzlicher Schmerzen oder gesundheitlicher Schäden auf sich nehmen. Nach den getroffenen Feststellungen handelt es sich bei der Arthroskopie um einen Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten, weshalb dieses Verfahren dem Begriff der Operation und nicht dem Begriff der Untersuchung zuzuordnen ist. Die Versicherungsbedingungen verpflichten aber den Versicherungsnehmer nicht, zur Feststellung von Unfallsfolgen eine Operation an sich vornehmen zu lassen.

Es ist auch richtig, daß der Versicherte verpflichtet ist, ärztliche Behandlungen mit dem Ziel einer Besserung oder Behebung der Unfallsfolgen zu dulden und konsequent zu Ende zu führen (Art 7 Z 3 AUVB). Voraussetzung ist aber, daß es sich um Behandlungen handelt, die vom ärztlichen Standpunkt aus geboten und vertretbar erscheinen. Unter diesem Gesichtspunkt muß der Versicherte unter Umständen auch eine Operation an sich vornehmen lassen. Dies wird jedoch nur dann der Fall sein, wenn bereits feststeht, daß eine bestimmte Unfallsfolge vom medizinischen Gesichtspunkt aus eine Operation erfordert und diese Operation auch vertretbar und zumutbar ist. Im vorliegenden Fall steht dies keinesfalls fest. Es wurde nur die Möglichkeit einer Meniskusverletzung aufgezeigt. Die bloße Möglichkeit einer solchen Verletzung wird aber niemanden veranlassen oder verpflichten, eine Meniskusoperation an sich vornehmen zu lassen.

Richtig ist allerdings, daß nach den Versicherungsbedingungen über die Kausalität des Unfalles für einen Dauerschaden und über diesen selbst eine Ärztekommission bindend zu entscheiden hat. Vor Entscheidung dieser Ärztekommission ist der Anspruch nicht fällig. Ein Leistungsanspruch kann demnach erst dann geltend gemacht werden, wenn entweder die Höhe des Schadens außer Streit steht oder das Schadensfeststellungsverfahren durchgeführt ist. Vor dem Abschluß oder dem endgültigen Scheitern dieses Verfahrens tritt keine Fälligkeit des Leistungsanspruches ein (VersR 1984, 952, EvBl 1962/96 ua). Ob der Versicherer dadurch, daß er sich weigert, seinen Beitrag zur Bestellung der Ärztekommission zu leisten oder dadurch, daß er seine Leistungspflicht dem Grunde nach bestreitet, seinen Anspruch auf Bestellung einer Ärztekommission verwirkt (vgl Prölss-Martin VVG24, 425 f), muß hier nicht untersucht werden, weil im vorliegenden Fall die Beklagte weder ihre Leistungspflicht grundsätzlich verneint, noch ihre Mitwirkung an der Bestellung einer Ärztekommission verweigert hat. Sohin könnte auch ihr Anspruch auf Entscheidung der erwähnten Fragen durch eine Ärztekommission nicht verwirkt sein. Die Fälligkeit des allfälligen Anspruches des Klägers setzt, wie das Berufungsgericht richtig erkennt, die vorherige Anrufung der Ärztekommission voraus. Zumindest hätte der Kläger einen diesbezüglichen Versuch unternehmen müssen.

Der Einwand des Klägers, er hätte gar keine Möglichkeit zur Anrufung der Ärztekommission gehabt, ist nicht stichhaltig. Die Beklagte hat bisher den behaupteten klägerischen Anspruch nicht grundsätzlich abgelehnt. Sie hat nur weitere Aufklärungen verlangt. Allerdings ist das von ihr gestellte Verlangen, wie bereits oben dargelegt wurde, nicht gerechtfertigt. Dies muß aber dazu führen, daß dem Versicherten in einem solchen Fall die Möglichkeit geboten wird, trotz Fehlens einer formellen Ablehnung des Versicherungsanspruches die Ärztekommission anzurufen. Eine Grundlage für diese Anrufung wird immer ein Verhalten des Versicherers sein, aus dem geschlossen werden kann, daß der Versicherer die Fälligkeit durch ungerechtfertigte Aufforderungen an den Versicherten hinauszuschieben versucht. Dies muß nach dem bisherigen Verhalten der Beklagten im vorliegenden Fall bejaht werden.

Natürlich kann für den Fall, daß der Versicherer eine eindeutige Ablehnung des Leistungsanspruches nicht ausspricht, die Frist des Art.14 Z 2 AUVB nicht zu laufen beginnen, weil hiefür notwendig ist, daß der Versicherer dem Versicherungsnehmer gegenüber den Anspruch eindeutig unter Hinweis auf die dadurch entstehenden Rechtsfolgen ablehnt. Daß die endgültige Feststellung der Unfallsfolgen durch das Verhalten des Versicherers unter Umständen so verzögert wird, daß eine genaue Feststellung nicht mehr möglich ist, hat sich in einem solchen Fall der Versicherer selbst zuzuschreiben.

Im vorliegenden Fall hat die Beklagte bisher nicht eine eindeutige Stellungnahme zu dem behaupteten Anspruch des Klägers abgegeben. Sie hat in diesem Verfahren nur die mangelnde Fälligkeit des Anspruches mit Behauptungen eingewendet, die keinesfalls berechtigt sind. Dies führt aber dazu, daß der Kläger nach wie vor berechtigt, aber auch verpflichtet ist, die Ärztekommission anzurufen. Es erweist sich sohin, daß sein Anspruch nicht grundsätzlich erloschen, wohl aber noch nicht fällig ist. Unter Umständen könnte die mangelnde Fälligkeit eines Versicherungsanspruches dazu führen, daß anstelle des Leistungsbegehrens als Minus ein Feststellungsurteil ergeht. Dies würde aber voraussetzen, daß das grundsätzliche Zurechtbestehen eines Versicherungsanspruches bereits gegeben ist. Davon kann hier aber keine Rede sein, weil nicht feststeht, ob der Unfall beim Kläger Folgen hervorgerufen hat, die für sich allein die in den Versicherungsbedingungen geforderte Dauerbeeinträchtigung verursacht haben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E18918

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0070OB00036.89.1019.000

Dokumentnummer

JJT_19891019_OGH0002_0070OB00036_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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